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b) Umfang und Inhalt des besonderen Sicherstellungsauftrages

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Der Sicherstellungsauftrag der KV umfasst die gesamte vertragsärztliche Versorgung, die von den Versicherten als Sachleistung bezogen werden kann. Dies geht aus der Verweisung des § 75 Abs. 1 S. 1 SGB V auf die Aufzählung in § 73 Abs. 2 SGB V hervor, welche an die Inhalte des Leistungsrechts im Dritten Kapitel SGB V anknüpft.[91] Vorsorgemaßnahmen und Rehabilitationsleistungen können nach § 75 Abs. 3 SGB V über die Gesamtverträge in die vertragsärztliche Versorgung einbezogen werden.[92]

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Obwohl sich die angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung von Behandlungsterminen schon aus den berufsrechtlichen Grundpflichten der Ärzte ergibt und eine Selbstverständlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung sein sollte, sah sich der Gesetzgeber bemüßigt mit dem GKV-VStG einen Abs. 1a in § 75 SGB V aufzunehmen, der das klarstellt und die KV verpflichtete, bis zum 23.1.2016 Terminservicestellen einzurichten, die Versicherten binnen einer Woche einen Termin beim Facharzt besorgen müssen. Das bedingte komplizierte Folgeregelungen, wann eine Überweisung notwendig ist und wann nicht. Einige Unklarheiten der Regelungen und zögerliche Umsetzungen auf Seiten der KV veranlassten den von diesem Instrument überzeugten Gesetzgeber, die Terminservicestellen mit dem TSVG weiter auszubauen. Diese müssen seit dem 1.1.2020 7 Tage die Woche rund um die Uhr erreichbar sein. Sie sind auch für die Vermittlung von Terminen bei Hausärzten und Kinder- und Jugendärzten und ferner von Erstgesprächen bei Psychotherapeuten zuständig, und müssen mit den Rettungsleitstellen der Länder kooperieren. Dazu wurde von den KV die bundesweit einheitliche Rufnummer 116117 etabliert, über die auch die ärztlichen Bereitschaftsdienste erreichbar sind, von denen z.B. die Testung und Versorgung der mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 Infizierten veranlasst wird.

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Die Versicherten haben einen Anspruch auf Terminvermittlung. Der Vertragsarzt wird dadurch erst verpflichtet, wenn er den Termin der Terminservicestelle zugunsten des benannten Patienten fest zusagt.[93] Details des Vermittlungsvorganges sind in der Anlage 28 zum BMV-Ä geregelt. Darüber hinaus darf eine KV einem Vertragsarzt keine Patienten zwangsweise zuweisen.[94]

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Über § 75 Abs. 3 SGB V werden die Personen, die einen Anspruch auf freie Heilfürsorge haben, in den Sicherstellungsauftrag einbezogen.[95] Dasselbe gilt für die Gefangenenbehandlung in Justizvollzugsanstalten außerhalb der Dienstzeiten der Anstaltsärzte (Abs. 4). Über Abkommen nach § 75 Abs. 6 SGB V wurden von der KBV ärztliche Versorgungsaufgaben von den Berufsgenossenschaften und von der Bundesbahn- und der Postbeamtenkrankenkasse übernommen. Auf regionaler Ebene gibt es auch noch weitere Abkommen mit den lokalen Trägern der Sozialhilfe. Auch die Versorgung der bei der Knappschaft Versicherten ist nach § 75 Abs. 5 SGB V von den KV sicherzustellen, soweit dafür keine Knappschaftsärzte zur Verfügung stehen.[96]

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Mit der Umsetzung der „neuen Versorgungsformen“ werden die erfassten Teilbereiche der ambulanten Versorgung aus der Verantwortung der KV herausgenommen.[97] Die Verantwortlichkeit der KV ist immer dann eingeschränkt, wenn unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen bestehen, wie bei den erweiterten Direktvertragskompetenzen in der hausarztzentrierten Versorgung nach §§ 73b Abs. 4 S. 6 SGB V und bei der besonderen Versorgung nach § 140a Abs. 1 S. 4 SGB V. Davon zu unterscheiden ist der Fall, wenn bestimmte Vergütungsanteile direkt von den Krankenkassen bezahlt werden, die Leistung selbst aber noch zur vertragsärztlichen Versorgung gehört.[98]

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Die Zielsetzung des besonderen Sicherstellungsauftrages ist, eine bedarfsgerechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung in zumutbarer Entfernung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik und von Rationalisierungs- und Modernisierungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.[99] Dazu gehört nach § 75 Abs. 1b SGB V auch die Organisation eines ärztlichen Notdienstes bzw. Bereitschaftsdienstes in sprechstundenfreien Zeiten.[100] Dies soll in Kooperation mit den Krankenhäusern erfolgen und kann auch durch Notdienstpraxen an Krankenhäusern geschehen. Dabei haben die KV einen weiten Gestaltungspielraum. Sie haben aber darauf zu achten, dass bei der Heranziehung oder Befreiung einzelner Fachgruppen der Gleichheitssatz beachtet wird. Entsprechend können auch Fachärzte zum hausärztlichen Bereitschaftsdienst eingeteilt werden. [101]

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Die grundsätzliche Verpflichtung eines jeden Vertragsarztes zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst folgt originär aus dem Zulassungsstatus und nicht kraft Satzung einer KV.[102] Die Pflicht gilt ausnahmslos für alle Fachgebiete.[103] Befreit sind aber psychologische Psychotherapeuten, da sie keine Ärzte sind.[104] Verpflichtet sind nicht die angestellten Ärzte eines MVZ, sondern das MVZ als Ganzes.[105] Ausgenommen von der Teilnahme sind ermächtigte Krankenhausärzte nach §§ 116 SGB V, 31 Ärzte-ZV.[106] Zweigpraxen führen nicht zu einer erweiterten Heranziehung.[107] Fachärzte mit Doppelzulassung, aber nur einem Versorgungsauftrag, dürfen nicht zweifach herangezogen werden.[108] Der fachlich ungeeignete Vertragsarzt, z.B. ein Pathologe, muss auf eigene Kosten einen Vertreter für den Notdienst engagieren.[109] Solange der Arzt die persönliche Eignung nicht wieder erlangt hat, ist er verpflichtet, sich an den Kosten des Bereitschaftsdienstes zu beteiligen.[110] Eine Befreiung kommt nur aus gesundheitlichen Gründen in Betracht. Die Verpflichtung einen Vertreter zu stellen und zu finanzieren, geht vor.[111]

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Vom ärztlichen Notdienst ist der landesrechtlich organisierte Rettungsdienst zu unterscheiden, dessen Aufgabe die Ersthilfe bei Notfallpatienten und deren fachgerechter Transport in zur Weiterversorgung geeignete Einrichtungen ist.[112] Die notärztliche Versorgung ist nach § 75 Abs. 1 S. 2 SGB V nur dann Teil der von den KV sicherzustellenden vertragsärztlichen Versorgung, wenn die KV durch Landesgesetz[113] damit betraut ist.[114]

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Eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit ärztlichen Leistungen wird in quantitativer Hinsicht durch die an der vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 Abs. 1 SGB V teilnehmenden Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, MVZ und ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen bewirkt. Für den Fall, dass der auf diese Weise erreichte Versorgungsgrad mangels teilnahmewilliger Ärzte nicht ausreicht, erweitert § 105 SGB V die Möglichkeiten der KV, die vertragsärztliche Versorgung zu verbessern und zu fördern, z.B. durch Zahlung von Sicherstellungszuschlägen oder Übernahme von Umsatzgarantien für die Ärzte.[115]

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Durch die mit dem GKV-WSG neu geschaffenen Abs. 3a–c des § 75 SGB V kam ab 1.7.2007[116] die Aufgabe hinzu, auch die ärztliche Versorgung der Versicherten des brancheneinheitlichen Standardtarifs nach § 257 Abs. 2a i.V.m. § 314 SGB V und nach § 257 Abs. 2a i.V.m. § 315 SGB V und zusätzlich ab 1.1.2009 des Basistarifs nach § 12 Abs. 1a VAG[117] der privaten Krankenversicherer sicherzustellen. Diese Verpflichtung trifft die KV, die bei der Umsetzung Gestaltungsspielraum haben. Eine individuelle Betroffenheit der Vertragsärzte resultiert hieraus nicht unmittelbar.[118] Dennoch folgt aus der Sicherstellungsverpflichtung der KV die Verpflichtung des einzelnen Vertragsarztes, entsprechend versicherte Privatpatienten zu behandeln.[119] Bei der Behandlung eines Versicherten dieser Tarife ist der Vertragsarzt an die GOÄ- bzw. GOZ-Sätze nach § 75 Abs. 3a SGB V gebunden.[120] Die übrigen vertragsärztlichen Pflichten gelten nicht, da es sich um eine Privatbehandlung handelt.[121]

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Der Gesetzgeber beging mit dieser Erweiterung des Sicherstellungsauftrages einen Systembruch, weil die Versicherten der PKV nicht dem Normgefüge der gesetzlichen Krankenversicherung und die Unternehmen der privaten Krankenversicherungswirtschaft nicht dem Kollektivvertragssystem unterworfen waren.[122]

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