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Schon draußen vor dem Haus konnte Daniel Ingold laute streitende Stimmen hören. Das helle Organ der Marietheres klang hervor, dazwischen der dumpfe Bass vom Ludwig und die traurige Stimme von Hilda, ihren Eltern. Ging es hier immer so zu, dann war es vielleicht gar nicht verwunderlich, dass das Madl den dringenden Wunsch hatte, die Eltern und den Ort zu verlassen.

Die Haustür wurde aufgerissen, und das dürre Madl stapfte am Doktor vorbei, ohne ihn überhaupt wahrzunehmen. Der Ludwig kam ebenfalls zur Tür gelaufen, erregt drohte er mit der geballten Faust hinter seiner Tochter her, hielt dann aber inne, als er den Daniel direkt neben sich stehen sah.

„Ach herrjeh, der Herr Doktor. Gibt’s was Wichtiges, dass S’ einen Hausbesuch machen bei uns? Tut mir leid, aber wir haben grad eine kleine Meinungsverschiedenheit mit der Marietheres.“

„Genau deswegen bin ich hier“, erklärte Daniel.

Nun tauchte auch die Hilda auf und musterte erstaunt den seltenen Besuch. „Kommen S’ doch herein, Herr Doktor, ich mach’ uns einen Kaffee, und dann können S’ uns mal erzählen, was eigentlich los ist. Ohne Grund wird doch kein Arzt irgendwo auftauchen.“

Wenige Minuten später saß der Doktor in der guten Stube und versuchte behutsam die rechten Worte zu finden, um den beiden einfachen Menschen die schwierige Situation ihrer Tochter nahe zu bringen.

„Marietheres ist unglücklich hier, weil das Madl glaubt, dass sie hier am Ort nie zu einem Leben kommt, wie sie es sich erträumt. Sie will die Welt sehen, andere Länder und Menschen kennenlernen, und vor allen Dingen viel Geld haben. Ich glaub’ wohl, dass sie hier daheim doch alles hat, was sie braucht. Ich weiß auch, dass ihr zwei das Madl von Herzen lieb habt und alles für sie tut. Nun ist sie aber auch blitzgescheit und könnt` mit einem Studium eine solide Ausbildung machen und im Lauf der Zeit die meisten ihrer Wünsche verwirklichen. Aber das dauert ihr wohl zu lang. Sie will unbedingt ...“

„Ja, ich weiß schon, sie will auf den Laufsteg gehen und sich halb nackert den Leuten in so komischen Fummeln zeigen. Aber net mit meiner Zustimmung“, brummte der Ludwig. „Ich weiß gar net, wie das Madl auf eine so narrische Idee kommt. Da hat’s schon viel Streit gegeben hier im Haus, denn wir werden nimmer zulassen, dass unsere Marietheres sich so – na ja, prostituiert. Die wird einen ganz normalen Beruf ergreifen, einen ehrlichen Beruf, später dann einen ordentlichen und anständigen Burschen heiraten, den Peter vom Nachbarn zum Beispiel. Und wenn’s dann erst ein paar Kinder hat, wird’s die Flausen aus dem Kopf schon verlieren.“

„Na, so ganz einfach ist das alles net“, wandte der Arzt ein. „Erst mal glaub’ ich net, dass es gut wär’, wenn S’ das Madl so unter Druck setzen. Die Marietheres ist viel zu klug, es wär’ eine riesige Verschwendung, wenn sie net zur Uni geht und was studiert. Bestehen S’ net darauf, dass das Madl hier am Ort eine Lehre macht. Außerdem, heiraten sollt’ man nur aus Liebe. Haben S’ schon mal nachgefragt, ob die Marietheres den Peter überhaupt mag? Vielleicht will sie den Burschen ja gar net.“

„Warum sollt’ Sie ihn net wollen? Ist doch nix dran auszusetzen am Peter.“

„Ich glaub’, wir reden grad ein bisserl aneinander vorbei“, erklärte Daniel. „Es geht darum, dass die Marietheres sich und ihren Körper systematisch kaputt macht. Oder sollt’ Ihnen das am End entgangen sein? Wenn das Madl so weitermacht, kann’s nimmer lang dauern, bis der Körper das net mehr mitmacht. Dann müssen wir die Marietheres in ein Hospital einliefern, und das Theater wird noch größer. Es macht net viel Sinn, wenn S’ das alles noch verschärfen, indem S’ mit der Idee ankommen, dass sie ein ganz normales Leben führen soll.“

„Dann unterstützen S’ am End womöglich noch den Unsinn mit dem Laufsteg?“, grollte der Ludwig.

„Was heißt unterstützen? Erst mal bin ich der Meinung, dass ein jeder auf die Art und Weise glücklich werden soll, die er sich selbst auswählt. Ich kann net sagen, dass ich die Idee mit dem Modell stehen besonders klug finde, denn das ist alles ein Geschäft, bei dem die meisten der Madln auf der Strecke bleiben. Aber ganz sicher ist es auch net recht, wenn S’ mit der Faust auf den Tisch hauen und Ihren Willen mit Gewalt durchsetzen wollen. Das ist jetzt erst mal das, worüber ich S’ bitten möcht’ nachzudenken. Da werden S’ auch net von heut’ auf morgen Ihre eigenen Ansichten ändern. Aber für die Marietheres wär’s das Beste, wenn’s net zu sehr unter Druck gesetzt wird. Ihr habt euer Madl doch lieb und wollt nur das Beste. Dann müsst ihr selbst euch klar werden, was das Beste ist. Und das muss net unbedingt das sein, was ihr für richtig befindet.“

Die Hilda sah nicht so aus, als wollte sie den Worten des Arztes Glauben schenken. Sie war eine resolute Frau, die grundsätzlich ihre eigene Meinung vertrat und sich selbst gegen ihren eigenen Mann durchsetzte. Sie würde vermutlich das größte Hindernis auf dem Weg zu einem normalen und glücklichen Leben für die Marietheres sein.

Auch jetzt stand sie auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich glaub’, jetzt haben S’ erst mal genug geredet, Herr Doktor, wir haben gehört, was S’ gesagt haben, und wir haben auch schon mehr als einmal gehört, was unser Madl sagt. Ich glaub’ net, dass da was Wahres dran ist. Was wär’ denn das für ein Leben für unsere Marietheres? Irgendwo draußen in der Welt, unter all den wildfremden Menschen? Nein, ich glaub’ net, dass das alles recht sein kann. Aber ich versprech` Ihnen, dass wir noch mal drüber reden. Und nun haben S’ doch bestimmt noch viel Wichtiges zu tun?“

Auch eine Art von Rausschmiss, aber der Daniel nahm diese Worte nicht weiter übel. Er hatte jetzt erst einmal ein Saatkorn gelegt, man musste Geduld haben und abwarten, was daraus entstand. Er würde jedenfalls nicht locker lassen und von Zeit zu Zeit nachhaken. Jetzt hatte es keinen Zweck weiter auf dem Thema zu bestehen, damit würde er nur den Widerstand verstärken.

Jetzt musste er sich auch noch darum kümmern, dass für die kleine Antonia eine Veranstaltung organisiert wurde. Auf jeden Fall würde sie eine Knochenmarkspende brauchen, und alle Einwohner von Hindelfingen sollten an der Typisierungsaktion teilnehmen. Das konnte vielleicht auch anderen Menschen zugutekommen. Aber die Regina musste natürlich auch damit einverstanden sein – und sie musste endlich den Lukas informieren. Sonst würde der Arzt das in irgendeiner Form selbst tun müssen.


Hoffnung, Wunder und Liebe: 7 Arztromane

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