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Оглавление§ 2 Die öffentliche Verwaltung
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Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG unterscheiden zwischen drei Staatsgewalten: die Gesetzgebung, die Rechtsprechung und die vollziehende Gewalt. Der Begriff „vollziehende Gewalt“ ist gleichbedeutend mit „öffentliche Verwaltung“[1]. Der Begriff „Verwaltung“ ist indessen mehrdeutig. Er findet Verwendung zur Bezeichnung unterschiedlichster Sachverhalte. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist die Rede von Staats- und Kommunalverwaltung, von Vermögensverwaltung (zB durch Banken) und der Verwaltung eines Konzerns. Hier geht es um Staatsverwaltung im weiteren Sinne: also um öffentliche Verwaltung im Gegensatz zur Verwaltung privater Angelegenheiten (zB der Verwaltung einer Vereinskasse).
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Da die öffentliche Verwaltung den zentralen Bezugspunkt des Verwaltungsrechts bildet, ist eine Konkretisierung dieses Begriffs erforderlich. Darum bemühen sich die verwaltungsrechtliche und die verwaltungswissenschaftliche Literatur. Zwei Wege sind für die Zielerreichung denkbar: zum einen eine Festlegung durch eine Definition, zum anderen durch eine Beschreibung. Als Ergebnis der wissenschaftlichen Bemühungen sei vorweggenommen, dass die erarbeiteten Definitionen oftmals unbefriedigend sind[2]. Den Grund dafür bilden die außerordentlich unterschiedlichen Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung. Sie lassen sich nicht auf einen einfachen Nenner bringen. Die Hinnahme dieses Umstands führt zu der Erkenntnis: Verwaltung lässt sich nicht exakt definieren, sondern nur beschreiben[3]. Darin äußert sich nicht Resignation, sondern Akzeptanz der komplizierten Wirklichkeit. Deshalb wird im Folgenden auf einen weiteren Definitionsversuch verzichtet. Es werden die Definitionsansätze berichtet (I.). Zur Förderung des Verständnisses werden sodann die Merkmale öffentlicher Verwaltung beschrieben (II.).
I. Definitionen
1. Verwaltung im organisatorischen Sinne
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Verwaltung im organisatorischen Sinne ist die Gesamtheit der Verwaltungsträger. Verwaltungsträger sind juristische Personen des öffentlichen Rechts, welche öffentliche Aufgaben wahrnehmen (insbes. der Bund, die Länder und die Kommunen), sowie Beliehene (zu den Begriffen sowie zur weiteren Untergliederung ausf. § 5)[4]. Diese Annäherung an die Realität der Verwaltung ist unbefriedigend. Denn sie erfasst die Verwaltungswirklichkeit nicht vollständig. Es gibt auch im Bereich der Gesetzgebungsorgane Verwaltung, zB die Zahlung der Diäten an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags sowie Dienstleistungen an die und Kontrolle der Rechenschaftsberichte der politischen Parteien (Art. 48 Abs. 3 S. 1 GG, § 23 Abs. 3 ParteiG, Sa. I Nr 58) durch die Bundestagsverwaltung. Sogar im Bereich der Justiz lassen sich Tätigkeiten feststellen, die nicht Rechtsprechung sind: Zu nennen ist hier insbes. die Führung des Grundbuchs, des Vereinsregisters sowie des Handelsregisters – alles in allem diejenigen Tätigkeiten, die unter dem Stichwort „Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ zusammengefasst werden.
2. Verwaltung im formellen Sinne
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Verwaltung im formellen Sinne wird verstanden als die von der Verwaltung im organisatorischen Sinne insgesamt wahrgenommene Tätigkeit. Ob durch die Bezugnahme auf die Organisation ein hinreichender Anknüpfungspunkt geliefert ist, bleibt offen, da dieser Anknüpfungspunkt selbst kritikwürdig ist. Jedenfalls ist diese Definition wenig brauchbar, weil sie mehr als die „eigentliche“ Verwaltungstätigkeit erfasst und deshalb über das Ziel hinausschießt.
3. Verwaltung im materiellen Sinne
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Die „eigentliche“ Verwaltungstätigkeit, die Verwaltung im materiellen Sinne, ist vielfach definiert worden. Es lassen sich negative wie positive Ansätze unterscheiden[5]. Verwaltung ist nach der oftmals vertretenen „negativen“ Umschreibung die Staatstätigkeit, die nicht Gesetzgebung und die nicht Rechtsprechung ist[6]. Der Erkenntniswert dieses Versuchs ist unbefriedigend, weil es Staatstätigkeiten gibt, die sich nicht problemlos einer der drei Staatsgewalten zuordnen lassen: jede Form von „Kontrolle“ über Staatstätigkeit, zB parlamentarische Kontrolle, Kontrolle durch Bundes- und Landesrechnungshof, durch den Wehrbeauftragten oder die Datenschutzbeauftragten[7].
II. Beschreibung der öffentlichen Verwaltung
1. Allgemeine Merkmale
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Die öffentliche Verwaltung lässt sich in Abhängigkeit von der gewählten „Sichtweise“ unterschiedlich beschreiben. Für die öffentliche Verwaltung sind einige Merkmale spezifisch, die ihre Arbeit kennzeichnen: Ihr Gegenstand ist das Gemeinwesen. Sie ist an dessen Interesse – dem öffentlichen Interesse – orientiert. Sie gestaltet die Zukunft aktiv durch konkrete Maßnahmen im Einzelfall[8]. Inhaltlich lässt sich die öffentliche Verwaltung (freilich nicht abschließend) beschreiben durch Wortverbindungen, die auf Tätigkeitsbereiche der öffentlichen Verwaltung hinweisen: Bauverwaltung, Hochschul- und Schulverwaltung, Finanzverwaltung etc. Einen Überblick vermittelt die systematische Gliederung des Sa. I.
2. Unterscheidung nach der Wirkungsweise
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Die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung lässt sich ferner beschreiben durch die Wirkung, die sie für den Einzelnen besitzt: Entscheidungen mit belastender Wirkung spricht die Eingriffsverwaltung aus[9]. Sie greift mit Ge- oder Verboten und notfalls mit Verwaltungszwang in Freiheit und Eigentum des Bürgers ein:
Beispiele:
Polizei- bzw Ordnungsrecht (Verbot, mit einem nicht mehr vom TÜV zugelassenen PKW zu fahren); Umweltrecht (Betriebsstilllegung); Finanzrecht (Steuerbescheid).
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Entscheidungen mit begünstigender Wirkung fällt die Leistungsverwaltung[10]. Sie unterstützt entweder Einzelne finanziell oder durch Sachleistungen oder verbessert die Lebensbedingungen der Bürger allgemein durch Schaffung sog. öffentlicher Einrichtungen:
Beispiele:
Sozialrecht[11]; Zahlung von „BAföG“; Subventionsrecht (Förderung der Investitionen von Unternehmen); Bau von Kindergärten, Schulen, Hochschulen.
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Eine besondere Rolle kommt der planenden Verwaltung zu[12]. Sie will zukünftiges Geschehen beeinflussen oder gestalten, um ein in den Blick genommenes Ziel mit bestimmten Mitteln innerhalb eines festgelegten Zeitraums zu erreichen:
Beispiele:
Straßenbau; Festsetzung von Naturschutzgebieten.
3. Unterscheidung nach der Reichweite der Gesetzesbindung
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Weiterhin lässt sich die öffentliche Verwaltung nach dem Grad der für ihre Arbeit geltenden Gesetzesbindung beschreiben. Insoweit ist zu trennen zwischen gesetzesakzessorischer und gesetzesfreier Verwaltung. Die gesetzesakzessorische Verwaltung realisiert den in den Gesetzen niedergelegten Willen des Gesetzgebers. Sie betrifft den gesamten Bereich der Eingriffsverwaltung sowie Teile der Leistungsverwaltung und der planenden Verwaltung.
Beispiele:
• | Schaffung von Sicherheit durch die Anwendung des Polizeirechts (Eingriffsverwaltung); |
• | Erbringung der Leistungen nach dem SGB (Leistungsverwaltung); |
• | Erlass eines Bebauungsplans, wenn er für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist, § 1 Abs. 3 BauGB (planende Verwaltung, Sa. I Nr 300). |
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Die gesetzesfreie Verwaltung setzt Tatbestände ohne Gesetzesvollzug. Allerdings darf der Begriff der „Gesetzesfreiheit“ nicht dahingehend (miss-)verstanden werden, dass die Verwaltung insoweit nicht an vorhandene Gesetze gebunden sei. Der Vorrang des Gesetzes nach Art. 20 Abs. 3 GG gilt auch hier uneingeschränkt. Gemeint ist vielmehr, dass die öffentliche Verwaltung hier nicht umfassend durch Gesetze gesteuert wird, sondern ihr zumindest teilweise Gestaltungsspielräume verbleiben (dazu ausf. § 8)[13].
Beispiele:
Ausstrahlung von Fernsehsendungen; auswärtiger Dienst; sog. schlichtes Verwaltungshandeln wie zB Auskünfte (dazu ausf. § 19).
4. Unterscheidung nach der Gesetzesqualität
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Letztlich ist die öffentliche Verwaltung zu erfassen nach der Qualität der ihre Arbeit bestimmenden Rechtsnormen. Die bisherigen Ausführungen könnten den Schluss nahe legen, die öffentliche Verwaltung arbeite immer auf der Basis des öffentlichen Rechts. Dieser Schluss wäre falsch: Es gibt auch öffentliche Verwaltung auf der Grundlage des Privatrechts. Weil die Verwaltung davon häufig Gebrauch macht, haben Juristen früher sogar von einer „Flucht in das Privatrecht“ gesprochen. Wenn die öffentliche Verwaltung ihre Pflichten mit Hilfe des Privatrechts erfüllt, spricht man vom Verwaltungsprivatrecht (dazu ausf. § 23).
Beispiel:
Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge wie die Belieferung der Haushalte mit Strom, Wasser, Gas durch eine „Stadtwerke GmbH“.