Читать книгу Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein - Till Angersbrecht - Страница 15
Mariona
ОглавлениеDa wurde heftig gegen die Tür geklopft. Beide sprangen sie aus dem Bett, wo sie sich gerade wieder sündig vergnügten und warfen die Kleider über. Als sie die Tür geöffnet hatten, trat ihnen eine junge Frau mit schmalem, aber energischem Gesicht entgegen, der Ego zuvor noch nie begegnet war. Über ihn, den Mann, blickte sie hinweg, als wäre er gar nicht vorhanden. Stattdessen wandte sie sich an Ella, der sie einen gelben Ausweis entgegenstreckte, um sich dann als Mariona vorzustellen.
Ihre Haare besaßen die Farbe hellen Silbers, dementsprechend selbstbewusst trat sie auf, denn die Silberhaarigen aus dem Nordviertel des Ersten Reifs bilden sich empörender Weise ein, besonders intelligent zu sein, obwohl sie in Wahrheit mit allen übrigen Frauen – die wenigen Gebürtigen natürlich ausgenommen – genetisch identisch sind, sieht man einmal von dem einzigen Unterschied ihrer Haare ab. Ella dagegen stammt aus dem Südviertel des Ersten Reifs, sie hat schwarze Haare, und die Schwarzhaarigen werden in unserer Stadt allgemein als eher schwer von Begriff belächelt – wie gesagt, ein völlig unwissenschaftliches, schlechterdings absurdes Vorurteil, das es eigentlich in Marsopolis, der fortschrittlichsten Stadt des Universums, überhaupt nicht geben dürfte.
Mariona trug ein gelbes Hemd und dazu einen gelben Rock. Schon von weitem sah man ihr deshalb an, dass sie aus dem Dritten Reif geschickt worden war, wo das Glück verwaltet wird: eine aus dem Stab der Ministerinnen. Mit ihren kalten blauen Augen machte sie einen furchteinflößenden Eindruck. So unterstrich sie durch ihre Erscheinung, dass die Verwalterinnen des Glücks aus dem Dritten Reif wenig beliebt sind – um es einmal vorsichtig auszudrücken.
Welch ein Gegensatz zu den Holden vom Fünften Reif! Die waren bei allen beliebt, jede sah in ihnen höhere Wesen, die für Harmonie und den Einklang der Herzen sorgen. Im Dritten Reif aber gab man sich mit Politik und den Tagesgeschäften ab. Wie es offiziell heißt, verwaltet frau dort das kostbarste Gut der Stadt, nämlich das Glück ihrer Bewohner, aber Politik war den meisten Frauen nun einmal verhasst.
Ich erkläre nichts, begann Mariona. Ich darf euch auch nichts erklären. Du, sagte sie zu Ella, und auch der da – mit der Hand vollführte sie eine flüchtige Bewegung in Richtung zu Ego – ihr beiden werdet mir auf der Stelle folgen. Wir verlassen die Stadt.
Sie trug ein gelbes Hemd und war damit eine Abgesandte der Regierung. Jeder Widerspruch wäre in einem solchen Fall ganz unmöglich, ja geradezu selbstmörderisch gewesen.
Hastig machten Ella und Ego sich fertig, während Moosaars heilige Totenmesse ihnen noch immer Tränen der Rührung in die Augen trieb. Nur die Augen Marionas blickten so kalt wie zuvor. Die beiden Liebenden fürchteten sich vor diesem Blick und wagten es daher nicht, ihr irgendwelche Fragen zu stellen. Nachdem sie die Kleider zum Ausgehen übergestreift und die Helme nebst den Sauerstoffflaschen ergriffen hatten, verließen sie Marsopolis durch das VIP-Tor, das Ella bis dahin niemals durchschritten hatte und einem Männchen wie Ego eigentlich ganz verwehrt war, denn dieser Ausgang wurde ausschließlich von den Holden im Fünften Reif, den Genies aus dem Zweiten und den Verwalterinnen des Dritten Reifs benutzt. Doch Mariona lief ihnen voran, sie hatten ohne Widerrede zu folgen.
Ego war noch von seinem Traum aufgewühlt, er warf einen verstohlenen Blick zu Ella hinüber.
Was hat das alles nur zu bedeuten?
Aus dem Autoradio des Rovis, der mit ihnen über den grauen Wüstensand jagte, waren noch immer die tieftraurigen Klänge der heiligen Messe zu hören. Mariona schwieg, und so brachten auch die beiden nicht ein einziges Wort über die Lippen, während sie durch den frischen Morgen fuhren. Nach einiger Zeit begann der Wüstensand in der aufgehenden Sonne zu funkeln, die Hügel traten ihnen mit bläulichen Schattenseiten entgegen.
Kein Zweifel, sie fuhren denselben Weg wie gestern in Richtung zur Quelle des Himmlischen Lichts. Nach etwa zwanzig Minuten waren sie genau dort wieder angelangt, wo sie sich schon gestern Nacht befunden hatten. Mariona stieg aus und reckte dem Himmel die fünf Finger der rechten Hand entgegen, ihre beiden Begleiter taten dasselbe. So entboten sie Eana und ihren vier Gespielinnen den Gruß des neugeborenen Morgens. Der hochragende Bagronitfels war um diese Zeit nichts als eine unansehnliche Wand, worauf das Morgengrauen seine trüben Schimmer ergoss. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, die Niagaras um diese Zeit zu besuchen. Tagsüber gab es dort ja absolut nichts zu sehen.