Читать книгу Ahrenshooper Narrenspiel - Tilman Thiemig - Страница 6
1. Kaspar
ОглавлениеDer Bote vertraut dem Admiral. Auch wenn jener an Land kämpft. Auf wenigen Quadratmetern. In seiner Box, umgeben von Gestänge und Plankenholz. Bodenhart und Gitterrost. Seine Arena. Sein Ring.
Er ist stark. Groß. Schwarz. Muskeln. Sehnen. Fesseln. Hufe. Zorn. Ein Vulkan. Im Ausbruch. Eine einzige, ewige Eruption. Schweiß strömt an den Flanken. Augen drängen aus Höhlen. Die Nüstern beben.
Nur ein wenig hat er nachhelfen müssen. Forcieren. Mit der Forke Spitz. Der furiose Tanz wird vom inneren Rhythmus getaktet. Bestimmt. Als ob der Hengst darauf gewartet hat. Lange schon. Erwartet. Diesen Moment. Diesen Waffengang. Allein mit seinem Herrn, Besitzer, Peiniger, für den nun die Minuten der Abrechnung angebrochen sind.
Es scheint zu stimmen, was er gehört, gelesen, gefunden hat. Dass jener nicht gut zu seinen Pferden ist. Den eigenen ebenso wenig wie zu den anderen, den Logiergästen. Ein Scheusal. Unbeherrscht und brutal. Jähe Raserei.
Doch das ist eigentlich gleichgültig. Für ihn, den Boten. Bedeutungslos für das Geschehen. Darum geht es ihm ja nicht. Selbst wenn die furore Rache des Admirals seine Aufgabe erleichtert. Zudem hat er sich nie sonderlich für Pferde interessiert, gar Gefühle gefunden. Obwohl oder gerade, weil sein Vater sie ihm nahebringen wollte. Ihm auch die Bücher gab, aus seinem Schrank. »Mein Freund Meteor«, »Meine Pferde und ich« und manch einen anderen Band, den er von Freunden aus dem Westen bekommen hatte. Thiedemann. Winkler. Schockemöhle auch. Damals. Als sein Vater noch vom eigenen Ruhm im Sattel geträumt, es jedoch nicht einmal mehr zum Triumph als Tonnenkönig gereicht hatte.
Und auch die Kaltblüter auf dem kleinen Hof der Eltern hatten ihn kaltgelassen. Lotte und Selma. Die ihn über die Wiesen, den Strand getragen hatten. Auf breitem Rücken. In ruhigem Schritt.
Lange her. Er wollte kein »söchtener Reuter wer’n«, wie sein Vater einer gewesen war. Bis ihm Skåne die Zügel aus den Händen genommen hatte.
Oktober 1967. Im Darßwald. Wo er helfen wollte. Nein, er wollte nicht helfen. Kein Reiter sein, sondern ein Bote. Wandernd. Der dem Galopp zuschaut. Der nun beinahe am Ziel. Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp. Über Stock und über Steine. Brich dir aber nicht die Beine.
Dir nicht. Sondern ihm. Und nicht nur die Beine. Was nun beinahe vollbracht ist. Im Fell des Admirals sprengselt sich Rot. Sprengselt? Nein, es mäandert. Und das Stroh changiert in vagem Grau. Frieden kehrt ein. Das Pferd verschnauft. Sein Opfer? Verschwindet. In welchem Jenseits auch immer. Lässt nur Haut und Knochen zurück. Schmutz, Lumpen und Loden.
Nicht einmal ein Echo. Hat der Bote ihn doch bereits zuvor verstummen lassen.
Ein Knopf seines Trachtenjankers hat sich retten können. Ist durch die Gitter gehüpft. Hirschhorn. Ohne Blut. Ohne Hirn. Kurz erwägt der Bote, ihn einzustecken. Doch sein Erinnern bedarf keines Mitbringsels. Seine Freude keiner Trophäe fürs Daheim. Die Siegeszeichen wird er zurücklassen.
Er denkt wieder an das Bild im Flur. Über dem Tischchen mit dem Telefon. Es hing schon immer da. Schaute ihn an seit frühen Kindertagen. Erzählte seine Geschichte und die seines Malers, der ein Großonkel von Mutti war, wie sie wieder und wieder stolz betont hatte. Der Onkel Schorse. Von dem noch andere Bilder im Haus hingen. Der Heilige Franz. Ein Mann mit Geige. Eine Frau auf einem Pferd. Doch am besten gefiel ihm das über dem Telefon. Schon immer. Genau! Es ist so, als ob ihn das Bild anrufen würde. Ihm sagt, was er zu tun hat. Jetzt.
Und er ist vorbereitet. Greift zum Rucksack, holt die Möhren hervor. Und die Schere. Geht zu den anderen Pferden.
Den Admiral lässt er noch zur Ruhe kommen. Zuerst Montana. Dann Bella und Domino. Nun die Shetlands. Björk und Avalon. Schließlich Maestro und Sunshine. Zum Abschluss dann den Admiral. Die Krönung.
Jedes Mal die gleiche Prozedur: Möhren. Kraulen. Streicheln der Mähne, der Flanken und Kuppe. Behutsam. Sanfte Worte, die ihr Vertrauen wecken. Wimpernblick. Und dann das Kappen des Schweifes. Nicht zu nah an den Wirbeln, doch lang genug. Damit das Rosshaar etwas hermacht. Wenn es dann mit rotem und grünem Band geflochten ist. Gebunden. Vor den Boxen abgelegt. Wie die Strecke nach der Jagd. Nur dass die gestreckten Schweife noch nicht das Ende markieren, das Finale. Sondern den Auftakt, den Aufbruch, das Anblasen des Treibens.
Der Bote betrachtet sein Werk. Die Nachricht. Seine Botschaft. Lies, wenn du es verstehst! Prüfe, wenn es gefällig ist!, wie seine Oma immer geraunt hatte. Märenhaft. Orakelt. Er ist zufrieden. Wirft einen letzten Blick in das Geviert des Admirals. Vergewissert sich, dass dort im Rappen das einzige Leben pulsiert. Verlässt den Stall.
Draußen empfängt ihn Nacht. Abnehmender Mond. Merkur und Saturn. Der Kadaver des Hundes. Es tut ihm leid, ihn erschlagen zu haben. Es war nötig gewesen. Er nimmt das tote Tier, auffällig schwer ist er, der Dobermann. Bettet ihn auf die Ladefläche des Land Rovers. Er wird ihn begraben. Später. Beerdigen. Bestatten. Vielleicht findet er einen Feldrain mit letzten Sonnenblumen. Oder Herbstastern aus einem Bauerngarten. Zur Not eine Nachttankstelle. In Wismar. Mit Blüten im Folienkleid.
Zuvor nimmt er jedoch das Schlüsselbund. Geht zum Herrenhaus, öffnet die Tür, sucht und findet schließlich das Büro. Findet Papier und Stift. Hinterlässt zwei Notizen in Druckschrift: Namen, Datumsangaben, Telefonnummern. Drapiert die Zettel sichtbar. Doch willkürlich positioniert auf dem Schreibtisch. Zettels Traum. Verlässt das Zimmer. Das Gebäude. Schließt ab, greift seinen Wanderstecken, steigt dann in den Wagen mit dem Schriftzug Reitergut Wohlbehagen.
Wohlbehagen. Ein Lächeln huscht über seine Lippen. Er startet den Motor. Verlässt ohne Licht das Gehöft und fährt in den neuen Tag.