Читать книгу Cape to Cape - Tim Farin, Jonas Deichmann - Страница 14

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Endlich sind genug Aufnahmen im Kasten für Film, Buch und Social-Media-Accounts. Endlich kann es losgehen. Dass auf diesem windigen Eiland ein Rekordversuch startet, der zahlreiche Menschen elektrisieren wird, lässt sich an der Kulisse und an den Umstehenden nicht ablesen. Ein paar Angestellte des Hotels von gestern Nacht sind da. Ansonsten ist kaum ein Mensch zu sehen, als Deichmann-Hympendahl die 18.000-Kilometer-Strecke in Angriff nehmen. »Das hätte ich mir irgendwie spektakulärer vorgestellt«, erinnert sich Philipp.

Im nächsten Moment durchzieht die beiden aber ein tiefes Glücksgefühl. »Es ist so verdammt cool, jetzt hier zu sein und loszulegen«, entfährt es Philipp. Jonas kennt dieses Gefühl. »Das Schwierigste ist immer, an die Startlinie zu kommen. Vorher kannst du immer noch abspringen, aber wenn du unterwegs bist, ist alles abgehakt, ist erst einmal kein Platz mehr für Zweifel.« So rollen die beiden auf die E69 in Richtung Festland. Jonas ahnt an diesem sonnigen Sonntagmorgen noch nicht, dass ein Geheimnis mitfährt.

»Das Schwierigste ist immer, an die Startlinie zu kommen. Vorher kannst du immer noch abspringen, aber wenn du unterwegs bist, ist alles abgehakt, ist erst einmal kein Platz mehr für Zweifel.«

DIE RENTIERE SIND ÜBERALL

Sie sind froh, in die Pedalen zu treten. Die Landschaft raubt ihnen für einige Zeit sogar die Sprache, auf dem Rad erlebt man sie besonders intensiv. Ganz oben im Norden Europas gibt es keine Bäume mehr, sondern eine felsige, grüne und vor allem enorm hügelige Landschaft mit einer gut gepflegten Straße und klarem Licht, das strahlende Farben hervorbringt. »Das ist ein Naturspektakel«, staunt Jonas, der ja schon einiges gesehen hat. »Wenn man sich die Vegetation anschaut, lässt sich erahnen, dass wir mit den Bedingungen sehr viel Glück haben«, sagt Philipp. Es passiert durchaus, dass es hier oben im arktischen Kreis nicht nur stürmt, sondern auch schneit, im September ist das durchaus möglich. Deswegen ist das windig-helle Wetter für die beiden ein Glücksfall. Verkehr gibt es kaum, zumindest keinen Straßenverkehr. Allerdings wimmelt es nur so von Rentieren, sie sind überall in der Landschaft, auf den felsigen Grasflächen und auch auf dem Asphalt.

Nach etwa 45 Kilometern wird es zum ersten Mal ungemütlich. Es geht etwa drei Kilometer schnurgerade unter die Erde, in einen Tunnel, der 212 Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Der Tunnel verbindet die Nordkapinsel mit dem Festland. Und er bietet einen brutalen Vorgeschmack auf das, was kommen wird in den nächsten Tagen. Von ganz unten müssen Jonas und Philipp wieder fast drei Kilometer nach oben klettern. Mit vollem Gepäck an ihren Rahmen ist die Steigung von gut neun Prozent eine ordentliche erste Probe.

Weiter geht es entlang des Porsangerfjords, eines weiten und beeindruckenden Gewässers, an dessen westlichem Ufer die beiden nach Süden radeln. Sie sehen sanftes grünes Land, aber auch Geröllfelder an einem der längsten Fjorde Norwegens und überall die Kulisse der majestätischen Berge. Der Wind bläst genau in die für Philipp und Jonas falsche Richtung, genau in ihr Gesicht. Er macht dem Duo zu schaffen und hinterlässt auch Spuren in ihrem Kopf. Jonas rechnet schon. Zu spät sind sie vom Nordkap losgefahren, eigentlich, und die angepeilten täglichen zehn Stunden plus schaffen sie schon am ersten Tag nur mit Mühe. Vor allem kommen sie bei Weitem nicht auf das Distanzziel. Nicht einmal 200 Kilometer radeln sie an diesem Sonntag zusammen. Es wird hart in Skandinavien, das ist ihnen jetzt klar, und Philipp hat noch etwas, das die beiden belasten wird. Er hat es nur noch nicht verraten.

BIWAK HINTER DER TANKSTELLE

In Lakselv, ganz am südlichen Ende des Fjords, entschließen sich die beiden, für die Nacht Rast zu machen. Der Ort selbst ist unspektakulär, aber mit gut 2.000 Einwohnern für nordskandinavische Verhältnisse beinahe eine Metropole. Im Westen liegt der Stabbursdalen-Nationalpark, doch Jonas und Philipp denken nicht an Sightseeing. Sie suchen zweierlei: ein Restaurant und einen soliden Schlafplatz. Da es in Skandinavien meist zu teuer ist, ins Hotel zu gehen, werden sie ein Biwak im Freien machen. Hinter einer Tankstelle finden sie eine Holzveranda vor einem Verwaltungsgebäude, die sogar überdacht ist. So brauchen sie kein Zelt aufzuschlagen. Das hat Jonas zwar dabei – sie werden es aber in den kommenden Wochen nicht ein einziges Mal zusammen nutzen.

Beim Abendessen ist die Stimmung gelöst. Mit Jonas und Philipp sitzt auch ihr norwegischer Kameramann Paul am Tisch, der sich noch immer über den ausgewählten Schlafplatz wundert. Es gibt Burger, dann geht es ins Quartier. Auch wenn die Kilometerzahl nicht beeindruckend war, sie haben den ersten Tag geschafft, den Anfang ohne Wintereinbruch. Jonas liegt in seinem Schlafsack und sagt: »Ich muss noch Social Media machen«, das gehört für ihn zu jeder längeren Pause – Kontakt pflegen und die Community über die Erlebnisse auf dem Laufenden halten. Philipp überlegt sich derweil, wie er die Kälte der ersten Nacht auskontern soll. Er legt sich in seinen Schlafsack und wickelt eine Isolierfolie außen herum, um die Kälte und Feuchtigkeit rauszuhalten.

Die Gefühle der beiden unterscheiden sich stark in diesem Moment, reden tun sie jedoch nicht darüber. Jonas ist im Abenteurer-Macher-Modus, ist froh. »Ich habe da gelegen und fand es einfach nur total geil, hier hinter dieser Tankstelle in Lakselv zu liegen«, erinnert er sich später. Er schläft gut in dieser Nacht. Philipp dagegen hat Probleme mit dem Einschlafen. Die niedrigen Temperaturen in Skandinavien vermitteln ihm körperlich, was auf ihn zukommt. Er spürt den Druck. »Mir gingen 1.000 Dinge durch den Kopf«, sagt Philipp hinterher. Besonders aber plagte ihn jenes Gefühl, über das er mit Jonas bislang noch gar nicht gesprochen hat. Denn es könnte alles ins Wanken bringen.

DER HINTERN MACHT PROBLEME

Philipp hat schon von Kindesbeinen an ungewöhnliche, bedrohliche und skurrile Erfahrungen gesammelt. Mit seinem Vater, dem Autor und Expeditionssegler Klaus Hympendahl, ist er mit Windkraft um die Welt gereist, war in der Südsee unterwegs. Philipp hat auf dem Fahrrad enorme Prüfungen bestanden, etwa Paris–Brest–Paris. Oder, gerade erst vor zwei Monaten, das Three Peaks, ein Rennen ohne Support von Wien nach Barcelona. Er hatte sich im Mai an Jonas gewandt, weil er den Extremsportler aus Schwaben gern als Fotograf auf dessen nächstem Wahnsinnsritt begleiten wollte. Und wenn er schon einmal dabei war, warum sollte er nicht gleich vorschlagen, dass die beiden den Rekord als Duo angehen. Als er jetzt in der kalten Nacht von Lakselv liegt, als Jonas neben ihm schläft, ist der Plan Realität geworden. Es ist Philipps größtes Abenteuer, und er hat Angst zu versagen.

Die Angst hat eine körperliche Ursache. Vor zwei Wochen war Philipp mit seinem neuen Titanrad zu einer Hochzeit in Koblenz gefahren. Was er dabei nicht bemerkt hatte, war das dezente Abrutschen seiner Sattelstütze während der Fahrt. »Ich habe erst später bemerkt, dass ich in eine völlig falsche Sitzposition gerutscht bin«, erinnert sich Philipp. Das fiel ihm erst auf, als er bereits Schmerzen in den Knien hatte – und wieder in Düsseldorf war. Als er einige gymnastische Übungen machte, merkte er: Mit dem Knie stimmt etwas nicht. Eine Woche später war er dann mit Jonas zur Promotion-Tour auf der Fahrradmesse Eurobike in Friedrichshafen. Philipp unterzog sich dem Trubel mit Schmerzen. Jonas merkte nichts davon. Die beiden hetzten von Termin zu Termin. »Da konnte ich kaum noch laufen«, sagt Philipp Monate später, »aber das durfte natürlich niemand wissen, vor allem Jonas nicht.«

Die Schmerzen sind immer noch mit dabei, und das macht Philipp in dieser Nacht in Lakselv am meisten Druck. Er hat Angst, Jonas einzuweihen in sein Problem. Er hat Sorge, abbrechen zu müssen. Er will nicht dastehen wie einer, der riesig tönt und dann jeden Nachweis der eigenen Leistungsfähigkeit schuldig bleibt. Der körperliche Schmerz wird in dieser Nacht und am nächsten Morgen überblendet von den seelischen Qualen.

Cape to Cape

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