Читать книгу Cape to Cape - Tim Farin, Jonas Deichmann - Страница 17

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Erste Grenze: Von Norwegen nach Finnland geht es noch mit einem Lächeln – bei Jonas.


Katalog-Skandinavien: Seen, Holzhäuser, klares Licht – die Idylle des Nordens motiviert das Duo.



RENNEN GEGEN DEN EIGENEN ANSPRUCH

Doch als es am nächsten Morgen weitergeht, bleibt Philipps Mund verschlossen. Um 5.30 Uhr klingelt der Wecker, zum Frühstück gibt es Trockenessen in Wasser aufgelöst, ein Rindfleischtopf mit Graupen aus der Tüte, den Jonas mit Wasser präpariert. Philipp erlebt, wie Jonas schon im Rekordmodus aufs Rad steigt. »Er fährt morgens einfach los, als wäre nichts gewesen«, wundert sich der ältere Mitfahrer. Jonas pusht. Er erklärt das ganz rational, wahrscheinlich ist über Nacht die Erkenntnis vom ersten Tag zu seinen Berechnungen im Vorfeld gekommen: »Der harte Teil kommt erst noch, und der wird noch lang werden. Wir dürfen jetzt nichts verlieren, denn unser Spielraum ist enorm klein.« Einen halben Tag kann man unterwegs schnell gegenüber dem Plan einbüßen, einholen lässt sich dieser Rückstand dann nur mit Mühe und über Wochen. Es ist vom ersten Augenblick an ein Rennen mit einem Gegner, den Jonas selbst in die Welt gesetzt hat: dem Anspruch, den Rekord um mehr als einen Monat zu unterbieten. Es ist zugleich reine Fiktion und doch jederzeit spürbare Last. Das Vorhaben ist so groß, dass es sich kaum fassen lässt.

Getüftelt hat Jonas an diesem Vorhaben bereits, als er im vergangenen Herbst südwärts durch die Anden fuhr, während seiner Rekordfahrt von Alaska nach Ushuaia am Kap Hoorn, tief im Süden Argentiniens. Jonas hatte während dieser Reise längst einen zotteligen Bart im Gesicht stehen, seine Leistung zog die Aufmerksamkeit vieler Medien auf sich, doch er dachte schon an das Danach. »Ich brauche immer etwas, was als Nächstes kommt, sonst würde ich in ein Loch fallen«, erklärt er diese enorme Lust auf Wagnisse. Anfang 2019 begann er dann, die Details der Route nach Kapstadt zu studieren. Er bemaß die mögliche Rekordzeit anhand des Studiums der Strecke. Er wollte mindestens zehn Stunden pro Tag fahren und berechnete, basierend auf den Höhenmetern und den Windwerten der Regionen, einen Schnitt von 25 Stundenkilometern. So einfach kann ein Plan sein.

DROHT DAS FRÜHE ENDE?

Doch schon vor der finnischen Grenze bei der Ortschaft Karigasniemi, die Jonas und Philipp an diesem Morgen des 9. September anpeilen, zeigt sich ein Fehler in der Vorbereitung. Skandinaviens Geografie hat ihre Tücken. Jonas kannte zwar die Summe der Höhenmeter, aber die Anforderungen der einzelnen Anstiege konnte er nicht erahnen. »Das sind ja richtige Rampen, das habe ich unterschätzt«, sagt er selbstkritisch. Man muss solche Stiche bergan mit dem schweren Bikepacking-Gerät erst einmal meistern. An der finnischen Grenze hält er für ein Foto an, Philipp fährt derweil weiter, er ist angeschlagen, er hat brutale Schmerzen im Knie. Jetzt geht es wieder einen solch steilen Berg hinauf, drum herum dichter Wald aus Birken und Fichten. Er kann nur noch ein Bein belasten. Er quält sich unter Schmerzen die Landstraße hinauf. »Ich habe gedacht, dass ich jetzt aussteigen muss.« Philipp hat Tränen in den Augen. Er hat Angst vor dem Urteil seines Begleiters und vor dem Urteil aller anderen.

Oben angekommen, rückt Philipp raus mit der Sprache. »Und ich bin erleichtert«, sagt er, »denn Jonas hat wirklich super reagiert.« Jonas ist ein Meister darin, das Positive aus der negativen Botschaft herauszuschälen und die Mühen in seiner großen Geschichte umzudeuten. In einem Moment wie diesem macht er von dieser Einstellung, die er seit Jahren pflegt, Gebrauch. »Das wird schon wieder«, sagt er zu Philipp. »Du musst eben eine Weile in meinen Windschatten, dann geht es auch bald wieder.« Jonas hat dafür eine einfache Formel. Probleme wie dieses gehören zu Mammutprojekten dazu. In neun von zehn Fällen erledigen sie sich von selbst, wenn man sich nur darauf einlässt. Philipp bekommt in seiner großen Krise am zweiten Tag ein Live-Coaching vom erfahrenen Bühnenredner. »Ich wollte ihn auf positive Gedanken bringen und nicht, dass er von einem Problem zum nächsten fährt.« Kaum etwas ist unüberwindbar, wenn man es in kleine Portionen verwandelt und die Techniken anwendet, um die kleinen Herausforderungen immer ein Stück weit zu meistern.

Es ist ein früher Moment, doch es ist ein entscheidender für die kommenden Aufgaben. Die Knieschmerzen sind durch gutes Zureden nicht verschwunden, aber Philipp kann mit ihnen umgehen. Jonas lenkt den Fokus auf die einfachen, kontrollierbaren Dinge. Jeden Tag zehn bis elf Stunden im Sattel. Schnell aus der »kritischen Zone«, wie er sagt. Ganz oben im Norden Finnlands kann auch jetzt noch jederzeit der Winter einbrechen. Drei, vielleicht vier Tage muss das Duo mit dieser Gefahr klarkommen, ihr im Geiste entkommen. Philipp geht in Schonhaltung, in den Windschatten. Er dreht und dreht die Kurbel hinter dem erfahrenen Mann mit dem braunen Bart, der so klar weiß und sagt, was er will. Eine Last ist Philipp los, jetzt kann er sich auf das Kämpfen konzentrieren.

»Das wird schon wieder«, sagt er zu Philipp. »Du musst eben eine Weile in meinen Windschatten, dann geht es auch bald wieder.« Jonas hat dafür eine einfache Formel. Probleme wie dieses gehören zu Mammutprojekten dazu.

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