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Vorwort

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Blut.

Blut ist der rote Faden dieser Geschichte. Das Blut junger Männer, das auf den Schlachtfeldern des Krieges vergossen wurde. Das Blut von Zivilisten – alten und jungen, Männern und Frauen –, das überall in Europa in die Rinnsteine von Städten, Gemeinden und Dörfern floss. Das Blut der Millionen von Menschen, die in den Pogromen und Todeslagern des Holocaust vernichtet wurden.

Aber es geht auch um das Blut als Idee. Die Nazis glaubten – so absurd und obszön dies heute auch erscheinen mag – an »gutes Blut«, das wertvolle Sekret der Götter, das es ausfindig zu machen, zu bewahren und zu verbreiten galt. Und daraus folgte sein unvermeidliches Gegenstück, das »schlechte Blut«, das identifiziert und dann erbarmungslos ausgerottet werden musste.

Ich bin ein Kind – ein deutsches Kind – eines Krieges, der um Blut geführt wurde und in Blut versank. Ich wurde 1941 mitten im Zweiten Weltkrieg geboren. Aufgewachsen bin ich unter seinem Eindruck – und im Schatten seines brutalen und sogar noch langlebigeren Nachkommens, des Kalten Krieges.

Meine Geschichte ist die Geschichte von Millionen vergleichbarer Männer und Frauen. Wir sind ebenso die Opfer von Hitlers Blutbesessenheit, wie wir vom Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit profitiert haben, das unsere zerstörte und geächtete Nation in den Motor des modernen Europas verwandelte.

Unsere Geschichte ist die einer Generation, die im Schatten der blutigen Schande aufwuchs, aber einen Weg fand, um sich für Ehrlichkeit und Anstand einzusetzen.

Meine eigene Geschichte ist jedoch auch die einer sehr viel geheimeren Vergangenheit, einer Episode, die noch immer vom Mantel des Schweigens bedeckt und schambehaftet ist. Sie birgt eine Warnung davor, was geschieht, wenn das Blut als die entscheidende Substanz verehrt wird, die den Wert eines Menschen bestimmt, und folglich als Rechtfertigung für die schrecklichsten Verbrechen dient, die der Mensch dem Menschen angetan hat.

Denn ich bin ein Kind des Lebensborns.

»Lebensborn« ist ein altes deutsches Wort, dessen Sinn von den Wortschöpfern des Nationalsozialismus völlig verdreht und zu einem überaus verstörenden Begriff in dem so umfangreichen wie bizarren Vokabular von Hitlers Reich gemacht wurde. Welche Bedeutung hatte er im nationalsozialistischen Wörterbuch des Wahnsinns? Was bedeutet er heute? Die Suche nach den Antworten – und nach meiner eigenen Geschichte – hat mich auf einen langen und leidvollen Weg geführt. Es war zum einen natürlich eine ganz reale Reise über die Landkarte des modernen Europas, aber zum anderen auch eine historische Expedition, die eine oftmals unangenehme Konfrontation mit dem Deutschland von vor mehr als 70 Jahren ebenso notwendig machte wie eine Rückkehr in die bewegte Geschichte der Länder, die von Hitlers Truppen überrannt worden waren.

Die Frage, wer ich bin und wer ich einmal war, hat mich außerdem gezwungen, mich auf eine psychologische Reise zu begeben und alles, was ich zu wissen glaubte und womit ich aufgewachsen bin, intensiv zu untersuchen: Nötig wurde eine fundamentale Infragestellung meiner selbst sowie dessen, was es heißt, eine Deutsche zu sein.

Ich werde nicht so tun, als sei dies eine einfache Geschichte: Es wird – und kann – nicht immer leicht sein, sie zu lesen. Doch wenn – falls – Sie es tun, denken Sie bitte daran, dass es auch nicht leicht war, sie zu erleben.

Von Natur aus bin ich nicht übermäßig emotional. Gefühle auszudrücken – was in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts so gang und gäbe ist – fällt mir eher schwer. Ich habe, glaube ich, mein Leben lang versucht, mein inneres Selbst zu unterdrücken und meine Empfindungen sowohl den Verhältnissen, in denen ich aufgewachsen bin, als auch den Bedürfnissen anderer unterzuordnen.

Aber diese Geschichte, daran glaube ich ganz fest, muss gehört werden. Sehr viel wichtiger noch: Sie muss verstanden werden. Sie ist nicht einzigartig, denn auch andere haben vieles von dem durchgemacht, was mein Leben und die Zeiten geprägt hat. Doch im Leben gibt es verschiedene Stufen von Einzigartigkeit (was einer strengen Definition des Begriffs widersprechen mag). So habe ich zwar mit Tausenden anderer Menschen, die dem verabscheuungswürdigen und perversen Experiment des Lebensborns ebenfalls ausgesetzt waren, etwas gemeinsam, doch so weit ich weiß, hat niemand sonst die ganz speziellen Wechselfälle des Schicksals, der Geschichte und Geographie erlebt, die mein Leben auf Erden bestimmt haben.

Lebensborn. Das Wort ist der rote Faden meines Lebens wie das Blut, das in meinem Körper zirkuliert; ein geheimnisvoller und mächtiger Strom, dessen Bewegung und Verlauf für das bloße Auge unsichtbar ist. Ihn zu erkennen und zu verstehen erfordert sehr viel mehr als eine nur oberflächliche Untersuchung. Wenn man seine Quelle – und damit die Wurzeln dieser Geschichte – finden will, muss man auch die verborgensten Winkel intensiv und eindringlich erforschen.

Und beginnen müssen wir in einer kleinen Stadt und in einem Land, das es nicht mehr gibt.

Hitlers vergessene Kinder

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