Читать книгу Vergisst mich Gott, wenn ich Gott vergesse? - Tim van Iersel - Страница 9
Unzureichende Antworten
ОглавлениеVielleicht ist die Demenz ein Mittel, das uns hilft, uns als Menschen weiterzuentwickeln. Wir sagen nach einer Krankheit oder einer Phase, in der wir einen Angehörigen gepflegt haben, manchmal: „Es hat mich bereichert. Ich bin weiser geworden.“ Und manchmal haben wir sogar das Gefühl, Gott näher gekommen zu sein. Dadurch wird die Demenz zu etwas Gutem. Sie ist dann eine Art Segen durch die Hintertür, wofür man sogar dankbar sein muss. Trauer, Schmerz und Mühsal werden aber ignoriert.
Deshalb tut diese Antwort oftmals sehr weh.11 Natürlich kann eine Krankheit oder die Fürsorge für einen Kranken unseren Charakter prägen. Und natürlich können wir manchmal sagen: „Die Krankheit hat mich reicher gemacht.“ Aber das ist eher eine Begleiterscheinung, nicht die Begründung.
Wie viel Schmerz diese Antwort bereiten kann, erleben wir am eigenen Leib, wenn uns jemand direkt und ohne nachzudenken ins Gesicht sagt: „Ja, es ist wirklich schlimm. Aber es ist doch eine wichtige Lebenserfahrung, die dich klüger macht.“ Oder: „Du lernst dadurch, die wichtigen Dinge des Lebens mehr zu schätzen.“ Man fühlt dann sehr direkt, dass das keine hilfreiche Reaktion ist. Im Gegenteil: Sie schmerzt und jemand richtet damit mehr Unheil an, als Gutes zu bewirken.
Vielleicht ist Demenz die Folge des Sündenfalls? Weil Adam und Eva damals in die Irre gegangen sind, haben wir jetzt das Nachsehen. Die ersten Menschen machten einen Fehler und jetzt muss die gesamte Menschheitsfamilie die Verantwortung dafür übernehmen. Oder sogar ich als einzelner Mensch. So empfindet es Christa, die im Fernsehinterview fragt: „Was habe ich in meinem Leben falsch gemacht, dass ich so viel abbekomme?“ Vor Kurzem erzählte mir eine Frau, deren Partner schwer erkrankt ist, dass sie ständig Angst hat, etwas Falsches zu tun. Sie hat Angst, dass ihr Partner dann noch kränker wird.
Wenn es so wäre, würde das bedeuten, dass ein Mensch selbst schuld ist an seiner Krankheit.12 Die Krankheit ist dann eine verdiente Strafe. Sie wird begleitet von Schuldgefühlen und dem Eindruck, dass man nicht klagen darf, denn man ist ja selbst für sein Los verantwortlich. Die Demenz ist Folge deiner eigenen Fehler und des Fehltritts der ersten Menschen.
Auch diese Antwort ist schmerzhaft. Die Krankheit ist hier schlicht und einfach der Fehler des Menschen selbst. Mit Gott hat sie nichts zu tun. Klagen ist nicht angebracht. Die Stimme der Kranken und Pflegenden wird erstickt.
Glücklicherweise sagt Christa im Interview: „Daran glaube ich nicht.“
Im Grunde bewirken beide Antworten mehr Negatives als Positives. Sie ähneln sehr den Versuchen der Freunde Hiobs im gleichnamigen Buch der Bibel. Hiob erlebt unendliches Leid und seine Freunde scheinen sehr gut zu wissen, warum. Aber auch damals war schon deutlich: Die allzu einfachen Antworten helfen nicht weiter.
Und so bleibt die Frage im Raum stehen: Warum?