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»Hiermit erkläre ich Eden, die weltweit erste unberührte Zone, für versiegelt. Vor menschlicher Einmischung versiegelt. Versiegelt vor dem schädlichen Einfluss, den wir seit Jahrhunderten auf unseren Planeten hatten. Wir geben diesen Ort der Natur zurück, in der Hoffnung, dass sich die Natur wiederfindet und uns irgendwann unsere Sünden vergibt.«

Auszug aus der Rede von Ekow Kufuor, dem Obersten Vorsitzenden des Vereinten Zonenrats, am offiziellen Gründungstag von Eden

»Siebzehn Minuten«, sagte Poke. Eine Nachmittagsbrise wehte durch die Bäume und kühlte den Schweiß auf ihren Körpern. Kleine Zweige wiegten sich, Blätter raschelten. Dylan fragte sich, was das Land wohl über sie tuschelte.

Wie in solchen Momenten voller Erwartung auf das bevorstehende Abenteuer und der daraus folgenden Anspannung üblich, dachte er an Kat. Vor langer Zeit hatten sie solche Momente miteinander geteilt. Abgesehen von Jenn war es die wichtigste Sache gewesen, die sie miteinander verbunden hatte.

Er vermisste es. Er vermisste seine Frau.

Dylan hatte Kat seit fast neun Jahren nicht mehr gesehen und seit sechs nicht mehr mit ihr gesprochen. Ein Grund, warum er das alles hier tat, war die Suche nach ihr. Es war eine passive Suche, eine vergebliche Hoffnung darauf, dass er ihr irgendwo – in einem abgelegenen Bahnhof, einem Basislager, einer durchnässten Hütte mitten in einem der wenigen verbliebenen Dschungel dieser schrumpfenden, vergifteten Welt – zufällig in die Arme laufen würde. Ab und an erfuhr er davon, dass sie durch ein kleines Andendorf oder eine Siedlung in Alaska gereist war oder auf dem Weg zu diesem oder jenen Ort gesehen worden war, ein aus absolut nicht zusammenpassenden Leuten bestehendes Team von Athleten oder Entdeckern im Schlepptau. Ihre Gemeinschaft aus Extremsportlern und Adventure Racern war zwar über den ganzen Globus verteilt, aber überraschend klein. Eine Leidenschaft für das Abenteuer hatte Kat und ihn zusammengebracht und ganz egal was sie auseinandergetrieben hatte – ein weiteres Element von Dylans Suche war auch, sich damit abzufinden –, es freute ihn, dass sie sich diese Liebe bewahrt hatte.

Der Tag, an dem Kat ihn und Jenn verlassen hatte, blieb der schlimmste seines Lebens. Manchmal hasste er sie immer noch für den Schmerz, den sie ihm und seiner Tochter zugefügt hatte. Doch der Hass saß unbehaglich neben der Liebe, die immer bestehen bleiben würde.

»Es ist wunderschön«, sagte Jenn, als sie sich neben ihn stellte.

»Das ist es immer«, erwiderte er. »Was wollte Poke?«

»Poke?«

»Sie hat dich seltsam angesehen.«

»Sie ist eine seltsame alte Frau. Denkst du an Mum?«

Dylan seufzte. »Natürlich.« Es kam selten vor, dass sie über Kat sprachen, doch Momente wie dieser fühlten sich persönlich und voller Potenzial an. Wie eine Zeit, um sich zu öffnen.

Er war davon überzeugt, dass seine Tochter im Laufe der Jahre mit Kat kommuniziert hatte, doch er wusste nicht genau, ob sie wusste, dass er es wusste. Wenn Jenn es ihm sagen wollte – und wenn es etwas Erwähnenswertes gäbe –, hätte sie es getan. Das Schweigen bereitete ihr bestimmt ein schlechtes Gewissen und er wollte das nicht verschlimmern. Seine Beziehung zu Jenn war ihm kostbar. Er liebte sie zu sehr, um sie auch noch zu verlieren. Kats Weggang hatte ihn schon hart genug getroffen. Nur ungern dachte er darüber nach, wie es Jenn als Jugendliche beeinflusst haben musste, dass ihre Mutter sie verlassen hatte und untergetaucht war. Sie war zu einer klugen und fähigen Frau herangewachsen, einer der stärksten, die er kannte. Doch innerlich musste die Erinnerung an diese Zeit wie Glut lodern.

Jenn schien angespannt zu sein, mehr als gewöhnlich zu Beginn einer Expedition. Vielleicht war es dieser Ort. Eden schien etwas Unheimliches auszustrahlen, ein Gefühl von Fremdartigkeit, das ihrer Umgebung eine Schärfe und Reinheit verlieh, die er nur selten zuvor erlebt hatte. Die Luft war so klar, als wäre sie noch nie von Menschen geatmet worden.

»Also was ist es?«, fragte er.

Doch es war nicht Jenn, die antwortete.

»Es gibt etwas, das ihr wissen solltet«, sagte Poke. »Ihr alle.«

Als sich Dylan zu ihr umdrehte, bemerkte er, wie ihn Jenn mit weit aufgerissenen Augen ansah. Was beunruhigt mein Mädchen so?, dachte er. Dann sah er Poke an und ihm wurde klar, dass doch etwas zwischen ihnen stand.

»Sie haben es versprochen«, protestierte Jenn.

»Nein. Du hast gefragt. Ich habe nichts versprochen.«

»Es ist Kat, nicht wahr?«, fragte Dylan, weil ihm nichts anderes einfiel, das Jenn so beunruhigen könnte.

»Sie ist in Eden«, sagte Poke. »Deine Tochter weiß das.«

Niemand sprach. Bis auf Selina und Cove, die Kat kannten, hatten die anderen nur von ihr gehört. Dennoch wussten sie, worum es ging.

Jenn sah traurig zu ihrem Vater und flehte ihn stumm an, ihr zu vergeben oder es zu verstehen. Und irgendwie tat er das auch.

Dennoch hatte Jenn sie alle angelogen.

»Was zum Teufel?«, entfuhr es Selina schließlich.

»Tut mir leid, Mädchen«, sagte Poke. »Ich weiß nichts über dich oder deine Gründe, es geheim zu halten, aber ich weiß, dass man keine Lüge im Herzen seines Teams haben darf. Nicht, wenn man nach Eden will. So etwas pflanzt die Saat des Verfalls und man verbringt schließlich mehr Zeit und Mühe damit, die Lüge geheim zu halten, als damit, zu überleben. Und es wird euch all eure Zeit und Mühe kosten, zu überleben. Ich habe euch einen Gefallen getan.«

»Danke für nichts«, erwiderte Jenn, doch sie klang nicht wütend. Sondern traurig.

»Die Lüge ist immer noch da«, beharrte Lucy. »Mit dem einzigen Unterschied, dass wir jetzt davon wissen.«

»Lucy …«, begann Jenn, doch die verzog nur ihr Gesicht und drehte sich weg. Die beiden standen sich so nah und Dylan wünschte, Lucy hätte Jenn einen Funken Unterstützung entgegengebracht. Jemand musste es tun.

»Jenn«, sagte Dylan. »Du weißt, dass ich auch mitgekommen wäre, wenn ich es gewusst hätte.«

»Du schon, Dad. Aber du hättest es dem Team gesagt und wir schaffen es nicht allein. Wenn ihr anderen denkt, wir tun das aus den falschen Gründen … Ich hatte einfach Angst, ihr würdet kneifen.«

»Wann wolltest du es uns sagen?«, fragte Cove.

»Bald«, antwortete Jenn. »Wenn wir drin sind. Vielleicht sogar schon heute.«

»Und … was bedeutet das jetzt?«, fragte Gee.

»Wer weiß.« Selina sah Jenn an. »Würdest du uns bitte mal aufklären?«

Hilfesuchend sah Jenn zu ihrem Vater. Dylan runzelte nur die Stirn. Dann nickte er. Ja, klär uns auf.

Er sah an Jenn vorbei auf die Landschaft von Eden, die sich vor ihnen ausbreitete. Sie hatte sich verändert. Nun wusste er, dass Kat hier war. Vielleicht kletterten sie und ihr Team über einen der Berge, die er in der Ferne sehen konnte, deren Hänge in Hitzeflimmern und Nebelschwaden verborgen lagen, so flüchtig, dass es sich am äußeren Rand seiner Sicht auch um Wolken handeln könnte. Vielleicht war sie in einem der Täler vor ihnen, verloren in ihrer Tiefe, oder sie verlor sich mit Absicht an der Wildnis. Sie waren zu lange getrennt, als dass er ihre Motivation noch kennen würde.

Und offenbar kannte er seine Tochter ebenfalls nicht so gut, wie er geglaubt hatte.

Es war erst zehn Wochen her, dass Jenn das Team dazu zu drängen begonnen hatte, Eden als ihr nächstes Abenteuer anzugehen. Sie hatten in den letzten Jahren oft darüber gesprochen, grobe Pläne geschmiedet und es war definitiv auf ihrem Radar gewesen. Doch dann hatte Jenn sie gedrängt, zusammenzukommen und die Reise anzutreten. Er hatte sich gefragt, ob sie einen Punkt in ihrem Leben erreicht hatte, an dem echte Gefahr zu einem bloßen Abenteuer wurde. Als ihr Vater hatte er sich deswegen Sorgen gemacht und mit ihr darüber geredet. Doch sie hatte darauf beharrt, dass es sich um keine überstürzte Entscheidung handelte und dass Eden nur für jene gefährlich war, die es nicht mit Respekt behandelten. Das war der Unterschied zwischen ihrem Kernteam und einigen anderen, denen sie begegnet waren. So exotisch und wundervoll die Zonen auch waren, gab es immer noch viele Leute, die in ihnen nichts als ihre persönlichen neuen, wilderen Spielplätze sahen. Zu ihnen hatte Jenn nie gehört. Sie sah die Zonen bereits als andere Welten. »Diese Orte gehören uns nicht mehr«, sagte sie oft und die bloße Vorstellung ließ ihre Augen leuchten.

»Vor drei Monaten hat sie mir gesagt, sie würde nach Eden gehen«, erzählte Jenn. »Ich wusste nicht, wann, wie oder mit wem. Sie hat mir nur eine einzige Nachricht geschickt, in der stand: ›Eden ist mein letztes Ziel.‹«

»Wie lange ist es her, dass sie reingegangen ist?«, fragte Dylan Poke.

»Zwei Monate.«

Dylan runzelte die Stirn. Wenn sie vor zwei Monaten hineingegangen und es bis zur anderen Seite geschafft hätten, hätte sich das inzwischen in der kleinen Abenteurerwelt herumgesprochen.

Es war heiß und die Luft schwirrte vor Insekten und einer bedrückenden Anspannung. Cove und Selina hatten Kat gekannt und die anderen wussten über sie Bescheid, also waren sich alle darüber bewusst, wer sie war und was sie getan hatte. Jetzt ihren Namen zu hören, so nah an Eden und der größten Herausforderung ihres Lebens, fühlte sich an, als hätte jemand eine Handgranate in die Gruppe geworfen.

»Was wissen Sie sonst noch?«, erkundigte sich Dylan.

Poke zündete sich noch eine ihrer stinkenden Selbstgedrehten an, sah auf ihre Uhr und zog eine kleine Karte über ihr Display. Dann sah sie ihn durch den Tabakrauch hindurch an.

»Nichts.« Die Zigarette hing in einem Mundwinkel. Sie zuckte mit den Schultern. »Irgendwas kam mir an deiner Kleinen bekannt vor. Hat mich eine Weile verwirrt, bis mir einfiel, was es war. Dass sie wie Kat aussieht. Ich bin nicht mehr so jung, wie ich mal war, weißt du?« Sie tippte sich an den Kopf.

»Woher wollen Sie wissen, dass sie die Durchquerung nicht geschafft hat und an der anderen Seite wieder rausgekommen ist?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Poke. »Ich weiß nur, dass sie hier nicht wieder rausgekommen ist.«

»Ich weiß es aber«, sagte Jenn.

»Und woher?« Dylan suchte nach Antworten und wurde immer wütender. Wut gehörte nicht in eine solche Gruppe, besonders nicht wenige Minuten bevor sie vorhatte, eine gefährliche Grenze zu überwinden. Sie hatten drei andere unberührte Zonen durchquert, dieses gut eingespielte Team von sieben Leuten, und er wusste, dass sie genau deshalb gut zusammenarbeiteten, weil jeder sein Ego in Schach hielt und die Kommunikation reibungslos und unbehindert von persönlichen Problemen verlief. Natürlich gab es auch mal Spannungen, das war bei jeder Gruppe dieser Größe vollkommen normal. Aber nichts wirklich Ernstes. Trotz der Lüge war Dylan ihr Anführer und vor den anderen jetzt die Beherrschung zu verlieren würde sie alle nur in Gefahr bringen.

»Ich weiß es einfach, Dad«, sagte Jenn. »Mum … du weißt, dass ich ab und an von ihr gehört habe, oder?«

»Natürlich weiß ich das.« Plötzlich stand zwischen ihnen eine Mauer der Verlegenheit und sie wurde immer dicker. Das ist jetzt einer dieser alles verändernden Momente, dachte Dylan. Er hatte genug von ihnen durchlebt, um ihn zu erkennen.

»Erst sechsmal, seit sie weg ist«, fuhr Jenn fort. »Jedes Mal, wenn sie eine der anderen unberührten Zonen durchquert hat. Als ich noch klein war, haben wir darüber gesprochen, es zusammen zu tun, erinnerst du dich? Wir wollten versuchen, alle zu durchqueren. Also schickt sie mir ein Bild von sich und ihrem Team, wie sie auf einer Straße oder in einem Wald stehen oder zusammen an einem Tisch sitzen und trinken. Sie hält dabei immer eine Karte in die Kamera, auf der eine rote Linie durch die Zone geht. So was wie ›Geschafft!‹ Manchmal lächelt sie.« Jenns Stimme verlor sich, als ihr das Schweigen der anderen bewusst wurde.

Aaron trat einen Schritt näher und legte ihr die Hand auf die Schulter und Dylan verspürte einen Anflug von Dankbarkeit. Er kannte Aaron seit fünf Jahren, seit Jenn ihn ins Team gebracht hatte. Er mochte ihn und wusste, dass er Jenn guttat. Wie die anderen wartete er darauf, dass sie weitersprach.

»Und daher weiß ich, dass sie diese Durchquerung nicht abgeschlossen hat. Kein Foto, nur die Zeile ›Eden ist mein letztes Ziel‹. Eine Absichtserklärung. Seither habe ich nichts mehr von ihr gehört.«

»Ist das alles?«, hakte Dylan nach.

»Das ist alles«, versicherte Jenn. Doch er wusste, dass sie immer noch log. Es gab noch etwas, das sie ihm nicht sagte, und jetzt, wo die Lüge über Kat ans Licht gekommen war, wusste er nicht, ob er ihr jemals wieder trauen konnte.

Sie wusste, dass wir herkommen würden, um ihrer Mutter zu folgen, und sie hat nichts gesagt!

Aber hier und jetzt vor den anderen konnte er sie nicht darauf festnageln. Dafür war später noch Zeit. Wenn das Team überhaupt weitermachen wollte.

»Und du wolltest, dass wir ihr Konkurrenz machen?«, fragte Selina. »Sie finden? Was?«

Jenn zuckte mit den Schultern. Vielleicht wusste sie das selbst nicht.

»Vielleicht ist es eine Einladung«, sagte Aaron. »Sie will, dass Jenn es auch versucht.«

»Du wusstest es?«, fragte Cove.

»Hat er nicht!«, erwiderte Jenn. »Diese Sache geht allein auf meine Kappe.«

»Aber warum nach all dieser Zeit?«, fragte Selina.

Jenn blinzelte und schaute auf ihre Füße. Da steckt definitiv noch mehr dahinter, dachte Dylan und schwor sich, sie danach zu fragen, sobald sie allein waren.

»Wie lange ist es genau her?«, fragte Dylan Poke.

Die alte Frau sah aus, als wäre ihr das Gespräch unangenehm. Zum ersten Mal spürte sie, wie nah sich die Gruppenmitglieder standen, und fühlte sich wie eine Fremde unter ihnen. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr und tippte ein paarmal darauf herum. »Acht Wochen, zwei Tage.«

Eden war etwa fünfhundert Kilometer breit, eine Wildnis aus Wäldern und Tälern, Bergen und Schluchten, Flüssen, Seen und Sümpfen. Ihre östliche Grenze bestand aus einer wilden, unzugänglichen Küste, aus zerklüfteten, hundert Meter hohen Klippen, vor denen im Lauf der Jahrhunderte zahllose Schiffe gesunken waren. Im Norden erstreckte sich eine hohe Bergkette und Edens westliche Grenze folgte einem tiefen Tal, das an manchen Stellen mehr einer Schlucht glich, mit einem viele Kilometer langen, reißenden Fluss. Sie betraten die Zone über die relativ leicht zugängliche südliche Grenze und beabsichtigten, ihre Durchquerung in weniger als zwanzig Tagen abzuschließen.

Kat war vor fast sechzig Tagen hineingegangen.

»Sie könnte immer noch da drin sein«, sagte Dylan.

»Nach acht Wochen?«, wandte Cove ein.

Dylan zuckte mit den Schultern. Es war Coves gutes Recht, Zweifel anzumelden, doch das verfestigte nur die Vorstellung, dass Kat tot sein könnte. Sie und ihr gesamtes Team. Die Zonen waren gefährlich genug, vor allem Eden, und durch sie hindurchzueilen erhöhte diese Gefahr, manchmal auf ein unzumutbares Maß. Zwei Jahre zuvor waren sie am Boden eines Kliffs in Eritrea auf die Überreste eines Teams gestoßen, ihre Körper zerschmettert und in der Verwesung zu einer Einheit verschmolzen.

»Wir wissen, dass sie reingegangen ist«, sagte Jenn. »Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht wieder rausgekommen ist. Davon müssen wir ausgehen. Und das ändert nichts an dem, was wir tun.«

»Dann sind wir jetzt also eine Suchmannschaft?«, fragte Lucy. »Versteh mich nicht falsch, ich bin echt sauer, dass du uns angelogen hast, aber das ist deine Mutter da drin. Wir sollten zum Landepunkt zurückgehen und meine Kiste holen. Ich habe da Sachen drin, die uns nützen könnten.«

»Du hast da Sachen drin, die noch nicht mal erfunden wurden«, sagte Gee.

Dylan schmunzelte, jemand anders lachte und alle waren dankbar für die Aufmunterung. Von jemand anders als Gee hätte ein solcher Kommentar deplatziert gewirkt.

»Keine Suchmannschaft«, entschied Jenn. »Dad?«

»Keine Suchmannschaft«, wiederholte Dylan. »Kat kann auf sich selbst aufpassen.« Es war eine Feststellung.

»Wir können ja trotzdem die Augen offen halten, wenn wir da drin sind«, sagte Cove.

»Das werden wir«, sagte Dylan. »Natürlich. Aber wir sind mit einem anderen Ziel hergekommen und schulden es uns selbst, es zu erreichen. Das erste Team, das Eden durchquert. Den Richtwert setzt. Der Grund, warum wir es jetzt gerade tun … Ich bin mir nicht sicher, ob das eine Rolle spielt. Und es ist auch nicht so, als hätte einer von euch überredet werden müssen. Richtig?«

»Richtig«, stimmte Aaron zu. »Wenn es Kat nicht bereits gelungen ist.«

»Zweihundertfünfzigtausend Quadratkilometer«, sagte Dylan. »Ja, wir werden unsere Augen offen halten.«

»Nichts für ungut, aber … Acht Minuten«, unterbrach Poke.

»Sind alle einverstanden?«, fragte Dylan.

»Nein«, sagte Selina. »Ich bin überhaupt nicht einverstanden. Ich mag keine Lügner.«

Dylan sah, wie seine Tochter zusammenzuckte, und wusste, dass es an der Zeit war, diese Sache hinter sich zu lassen. »Also?« Er sah sich in der Runde um. Er hatte Selina übergangen. Ihm war klar, dass er später dafür bezahlen würde. Doch jetzt sagte sie erst mal nichts mehr und niemand stieg aus. Dieses Team war zusammengekommen, sie hatten all ihre Erfahrung und Kompetenz vereint, Geld und emotionale Anstrengungen investiert und für diesen Moment geplant. Sie wollten diese Sache durchziehen. »Gut. Dann los.«

Eine halbe Minute lang bereiteten sie sich schweigend vor. Nur Aaron und Jenn standen dicht beieinander, Stirn an Stirn, und flüsterten sich Worte zu, die niemand sonst hören konnte. Gee hüpfte auf der Stelle, um sich aufzuputschen. Cove und Lucy standen nebeneinander und blickten auf den seltsamen Ort jenseits des Tals.

Selina trat an Dylan heran und er lächelte sie an. Er wollte nicht, dass es sich unangenehm für sie anfühlte, denn zwischen ihnen war etwas, auch wenn keiner von ihnen beiden so richtig wusste, was daraus werden würde. Sie hatten mehrfach miteinander geschlafen, doch zwischen den einzelnen Malen hatte immer viel Zeit gelegen. Zwischen den Expeditionen kehrte Selina nach Madrid zu ihrer Dozentenstelle und ihrer alten Mutter zurück und oft vergingen Monate, in denen sie sich kaum sprachen. Manchmal fühlten sie sich wie ein Liebespaar, manchmal wie beste Freunde. Es half nicht, dass er so wenig über sie wusste, abgesehen von ihrer absoluten Leidenschaft für die Umwelt und wie deren anhaltender Verfall Selinas eigene regelmäßige Depressionen widerspiegelte. Sie machte kein Geheimnis aus ihrer Vorgeschichte, doch sie sprach nur selten davon und das machte ihr gegenwärtiges Ich irgendwie unvollständig.

Lautlos formten seine Lippen die Worte Tut mir leid.

»Du bist der Anführer«, sagte Selina leise. »Und ihr Vater. Ich kann mir vorstellen, dass du wütender bist als wir alle zusammen.«

»Auf geht’s«, verkündete Poke und klatschte in die Hände. »Wie ihr gesagt habt, das sind zweihundertfünfzigtausend Quadratkilometer und das meiste davon ist anders als alles, was ihr jemals gesehen habt. Ich war einmal drin und das hat mir gereicht.«

»Wie bitte?« Dylan sah sie an. »Sie sind unsere Führerin.«

»Ja, und ich werde euch hinführen, wenn ihr mir folgt und alles tut, was ich sage.« Wieder sah sie auf ihre Uhr.

»Wir kennen uns mit solchen Orten aus«, sagte Cove. »Wir waren in Green Valley.«

Poke schnaubte. »Eine Parklandschaft, mehr nicht.«

»Wir haben die Husky Plains in unter dreißig Tagen geschafft, unabhängig und ohne Unterstützung«, fuhr Cove fort. »Fünf Tage schneller als jeder andere, selbst in einem Rennszenario. Und wir halten auch den Rekord für die Zona Smerti. Gleiches Team, gleiche Aufstellung. Wir wissen, was wir tun.«

»Tut ihr nicht«, entgegnete Poke. »Ihr wisst, was ihr tun wollt, aber Eden könnte andere Ideen haben.«

»Warum waren Sie nur einmal drin?«, fragte Dylan. Sie hatte sich ihm als Führerin angeboten, indem sie gesagt hatte, sie wisse genau, wie er und sein Team hineinkamen, ohne erwischt oder bemerkt zu werden. Zugegebenermaßen hatte sie nie behauptet, viel über Eden selbst zu wissen. Nur über seine Grenzen und Sicherheitsmaßnahmen.

»Weil das eine Mal schon zu viel war«, antwortete Poke. »Ihr wisst, warum diese unberührten Zonen eingerichtet wurden. Natürlich wisst ihr das, denn es sind Leute wie ihr, die sie als ihre persönlichen Spielplätze ansehen. Ihre Herausforderungen. Was auch immer. Aber diese Orte wurden vor Jahrzehnten eingerichtet und seither sich selbst überlassen, abgeschnitten vom Rest der Welt, um der Natur die Gelegenheit zu geben, sich selbst zu heilen. Da drin gibt es keine Menschen. Keinen, nicht mal …« Sie nickte Selina zu. »Wissenschaftler. Reiner geht’s nicht und es überrascht mich immer noch, dass man sich dazu entschlossen hat. Regierungen, große Unternehmen haben diese riesigen Landstriche verlassen und der Natur überlassen. Es musste natürlich sein. Vielleicht werden sie irgendwann zu den Lungen der Welt. Ist wohl so was wie unsere Entschuldigung an den Planeten. Aber …« Sie nahm einen Zug von ihrer Selbstgedrehten. Die glühende Spitze knisterte in der Stille. »… es ist anders da drin.«

»Einige sehen die Zonen als unsere letzte Hoffnung«, sagte Selina.

»Ja, klar, die letzte Hoffnung der Menschheit«, erwiderte Poke. »Niemand kapiert, dass der Planet sich erholen wird, egal wie sehr wir uns selbst schaden.«

»Auf lange Sicht«, sagte Lucy.

»Was für uns wahrscheinlich zu lang sein wird, für die Natur aber nicht mehr ist als ein Wimpernschlag«, ergänzte Selina.

»Was meinen Sie mit anders?«, hakte Dylan nach. Er konnte Pokes Angst sehen und was er sah, gefiel ihm nicht. Ihre Härte war nicht nur Fassade.

»Das eine Mal, als ich drin war, habe ich etwas gespürt«, sagte die Führerin. »Ich kann es nicht unnatürlich nennen, denn ich denke, es war absolut natürlich. Vielleicht war es unmenschlich. Ich weiß es nicht, aber es hat mich ziemlich mitgenommen. Hat mir Albträume beschert, die ich jetzt noch habe.«

»Was für Albträume?«, fragte Jenn, doch Poke ignorierte sie. Sie schien fast mehr mit sich selbst zu reden.

»Es gibt da diese jüdische Legende. Es heißt, dass Gott eine Ecke seiner Schöpfung unfertig ließ und jeden, der sich für größer hielt als ihn, herausforderte, sie selbst fertigzustellen. Ich bin zwar nicht gläubig oder so was, aber an der Idee ist was dran. Und wenn es einen Ort auf der Erde gibt, der zu dieser uralten Geschichte passt, ist es Eden.«

Sie verstummte. Niemand sprach. Dann sah sie auf die Uhr. »Drei Minuten.«

»Gut«, sagte Gee. »Ist mir eh zu viel Gequatsche. Lasst uns das Tageslicht nutzen.«

Eden

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