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Das Agile Manifest

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Im Februar des Jahres 2001 traf eine Gruppe von Leuten aus der Softwarebranche zusammen, um nichts weniger als eine Revolution einzuleiten. Auf einer Skihütte in einem Wintersportgebiet im US-Bundesstaat Utah entstand ihr Manifest für Agile Softwareentwicklung, das Gründungsdokument der agilen Bewegung. In zwölf Geboten hielten die Jünger der neuen Projektentwicklungsreligion fest, wie ihrer Ansicht nach in Zukunft gearbeitet werden sollte:

1.Unsere höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung verwertbarer Software zufriedenzustellen.

2.Begrüße sich ändernde Anforderungen, selbst spät in der Entwicklung. Agile Prozesse nutzen Veränderungen zum Wettbewerbsvorteil des Kunden!

3.Liefere funktionierende Software regelmäßig innerhalb weniger Wochen oder Monate und bevorzuge dabei die kürzere Zeitspanne!

4.Fachleute fürs Geschäftliche und Entwickler müssen während des Projektes täglich zusammenarbeiten.

5.Errichte Projekte rund um motivierte Individuen! Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen, und vertraue darauf, dass sie ihre Aufgabe erledigen!

6.Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an und innerhalb eines Entwicklungsteams zu übermitteln, ist im Gespräch von Angesicht zu Angesicht.

7.Funktionierende Software ist das wichtigste Fortschrittsmaß.

8.Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung. Die Auftraggeber, Entwicklerinnen und Benutzer sollten auf unbegrenzte Zeit ein gleichmäßiges Tempo halten können.

9.Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design fördert Agilität.

10.Einfachheit – die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren – ist essenziell.

11.Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams.

12.In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann, und passt sein Verhalten entsprechend an.8

Zu den Unterzeichnern des Manifests gehört der schon erwähnte Sutherland, der zusammen mit Ken Schwaber die ersten Versionen von Scrum entwickelte, eine der erfolgreichsten Methoden, die als Folge der agilen Revolution weltweit populär wurden. Mit von der Partie waren auch Kent Beck und Howard Cunningham, Erfinder des Extreme Programming, einer Programmiermethode, die auf direkter Zusammenarbeit zu zweit oder zu mehreren basiert. Letzterer gilt seinerseits als Erfinder von Wikis, webbasierten Informationssammlungen, die von den Nutzern selbst bearbeitet werden können, das Konzept ist durch Wikipedia allgemein bekannt. Des Weiteren Dave Thomas und Andy Hunt, Autoren des einflussreichen Pragmatic Programming, das sich wiederum gegen zu starre Anwendung von Methoden und Prozessen aussprach. Die agilen Revolutionäre waren alle schon etwas ältere, zwischen 1940 und Mitte der 1960er geborene Babyboomer, fast ausschließlich US-Amerikaner und allesamt Programmierer, Softwareentwickler, Buchautoren und anerkannte Experten auf ihrem Gebiet.9 Phoebe Moore, Professorin für Politische Ökonomie und Technologie an der Uni in Leicester, bezeichnet Agilität daher als »Grassroots-Bewegung«. Das Manifest war tatsächlich ein Produkt von Softwarearbeitern, die sich auskannten, und eine von der codenden Arbeiterbewegung betriebene Umwälzung von unten.

Für ein revolutionäres Manifest verblüffend: Eine Entthronung des Königs findet nicht statt, im Gegenteil. Gleich zu Anfang wird geradezu ein Kotau vor König Kunde gemacht: Er soll von Anfang an eingebunden werden, Änderungswünsche während der Laufzeit des Projekts sind nicht nur erlaubt, sondern willkommen. Er wird nicht erst bei Projektende mit dem fertigen Ergebnis konfrontiert, sondern ständig mit funktionierenden Zwischenlösungen versorgt (continuous deployment).


Der agile Arbeitszyklus

Dies stellt einen deutlichen Bruch mit traditionellen Methoden dar, in deren Projektverlauf der Kunde nur am Anfang und am Ende überhaupt eine Rolle spielte. Üblicherweise alle zwei bis drei Wochen gilt es nun, ein lauffähiges Zwischenprodukt mit klar erkennbaren Entwicklungsschritten (increment) fertigzustellen und durch den Kunden evaluieren zu lassen. Die Forderung nach regelmäßiger Auslieferung von funktionsfähigen Prototypen durch schrittweise nachprüfbare Produktverbesserungen stellt einen weiteren radikalen Bruch dar mit dem klassischen Credo, das Projekt sei eben erst zum Schluss fertig.

Das Agile Manifest proklamiert enge Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Disziplinen, besonders Techniker und Businessleute sollen miteinander reden. Dem Team kommt zentrale Bedeutung zu, sein Alltag soll durch persönliche Kommunikation und tägliches physisches Zusammentreffen geprägt sein. Es erhält große Freiheiten, seine Arbeit selbst zu organisieren, aufzuteilen und abzuarbeiten, das Management muss seinerseits dafür Sorge tragen, dass die Arbeitsbedingungen für die optimale Performance des Teams gewährleistet sind. Feedback zur Teamoptimierung ist wichtig, die langfristige Produktivität des Teams muss gewährleistet werden. Dazu gehören neue Rollendefinitionen bis hin zu passender Architektur: eher Werkstattcharakter, offene Räume und flexible Arbeitsplätze als geschlossene Einzelbüros. So etwas gab es bis dato nicht.

Die agilen Werte und Prinzipien waren von den Autoren als allgemeine Grundsätze gedacht, allerdings entwickelten sich im Zuge der Verbreitung des Manifests zahlreiche detaillierter ausgearbeitete Methodenlehren, die als agile Methoden oder agile Frameworks im engeren Sinne bezeichnet werden. Zu den beliebtesten gehören Scrum, Kanban, Crystal, Dynamic Systems Development und Feature Driven Development. Scrum ist dabei sicherlich das populärste, nicht zuletzt, weil seine Erfinder agile Revolutionäre der ersten Stunde waren. Jeff Sutherland zufolge basiert Scrum auf einem einfachen Prinzip: »Wenn Sie ein Projekt starten, sollten Sie regelmäßig prüfen, ob das, was Sie tun, in die richtige Richtung geht, und ob es tatsächlich das ist, was die Leute wollen. Und fragen Sie sich, ob es Möglichkeiten gibt, wie Sie das verbessern können, was Sie tun, und wie Sie es besser und schneller tun können und was Sie möglicherweise davon abhält, dies zu tun.«

Zur Herkunft des Namens Scrum schreibt Sutherland: »Der Begriff stammt aus dem Rugby und bezieht sich auf die Art und Weise, wie eine Mannschaft zusammenarbeitet, um den Ball über das Spielfeld zu bewegen.«10 Auf Französisch heißt die Figur beim Rugby mêlée, was auch Handgemenge oder Tumult bedeutet, die Wahl des wilden raufenden Haufens als Bild stellt durchaus an sich schon einen sportlich-spielerischen Affront gegen klassische hierarchische Projektorganisation dar. Der physische Aspekt bei Scrum ist dabei durchaus ernst gemeint, die körperliche Co-Präsenz aller Teamplayer in einem Raum wird hochgehalten, die agile Softwareentwicklung sei durchaus als »kollektiver, körperlicher und öffentlicher Prozess«11 gedacht, betont der Soziologe Robert Schmidt. Die Ursprünge von Scrum liegen Sutherland zufolge zum einen im Toyota Produktionssystem, das bei uns als Lean Management bekannt ist, und zum anderen in einer Handlungsanweisung in der militärischen Luftfahrt, dem OODA-Zirkel: observe (beobachte), orient (orientiere dich), decide (triff eine Entscheidung), act (handele)! Der OODA-Zirkel bezeichnet eine antrainierte Verhaltensweise, die in Extremsituationen instinktiv abgerufen werden kann und immer aufs Neue durchlaufen wird.


Scrum beim Rugby12

Sutherland absolvierte die Militärakademie in West Point und diente als Bomberpilot im Vietnamkrieg, bevor er ins Softwarefach wechselte. Erste Erfolge in Menschenführung gelangen ihm bereits während seiner Akademiezeit, dort war es ihm nach eigener Aussage geglückt, aus dem schlechtesten Exerzierzug den besten zu machen; seine Methode schon damals: Team-Empowerment durch selbstgesteckte Ziele und sanfte Führung. Auch seine Erfahrungen als Pilot beschreibt Sutherland als prägend für seine zukünftige Laufbahn als agiler Evangelist. Erfolge beim Schleifen einer Exerziertruppe und das Überleben von Kampfeinsätzen im Krieg scheinen dafür zu qualifizieren, zum Guru einer neuen kollaborativen und kommunikativen Arbeitskultur zu werden. Durchaus beängstigend, wie schnell doch beim Management und im Büroalltag Militärisches durchkommt – um mit Stromberg zu sprechen: »Büro ist Krieg.«

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