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Es lebe das Projekt!

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Noch bevor das Agile Manifest verfasst wurde, hatten gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts die Wirtschaftswissenschaftlerin Ève Chiapello und der Soziologe Luc Boltanski den Einzug einer neuen Managementkultur diagnostiziert – und nachfolgend eine Veränderung der damit einhergehenden Werte, Lebensentwürfe und Vorstellungen. Was früher die Fabrik war, so konstatieren sie, sei heute das Projekt. Nur konsequent, wenn Unternehmen heute empfohlen wird, sich gleich selbst als Projekt oder Reihe an Projekten neu zu erfinden. Was etwa in der Filmbranche Tradition hat – Teams treffen temporär zusammen für ein Projekt und gehen danach wieder auseinander –, wird quer durch alle Branchen adaptiert. Dabei werden die Arbeitsgruppen bzw. -teams je nach Priorität und Bedarf neu zusammengesetzt. Das führt dazu, dass jeder an der aktuellen Leistung im Projekt gemessen wird.

Im Zuge der Projektorientierung werden Selbstoptimierung, lebenslanges Lernen, unternehmerische Validierung der eigenen Arbeitskraft und Biografie für jeden Einzelnen zu ständigen Begleitern. Agilität wird in allen Lebenslagen gefordert, Managementmethoden dringen ins Privatleben vor und zwingen uns auch da in Rollen hinein, die dem Projektmanagement entstammen. Das eigene Selbst wird zum Humankapital und muss auch dementsprechend betriebswirtschaftlich optimiert werden. Wir werden so zu Product Ownern unserer eigenen Unternehmung, bringen die Kundenperspektive ins Projekt unseres Lebens hinein und exerzieren Projektmanagement an uns selbst. Zudem sind wir dazu aufgerufen, uns zu vermessen, Diät zu halten, ins Fitnessstudio zu gehen – kein Aspekt des Lebens entgeht der Optimierung. Die viel zitierte Vermessung des Selbst wird Alltagspraxis: Wie viele Schritte bin ich heute gegangen?, fragen wir uns. Wie kommen wir voran mit dem großen Projekt unseres Lebens, läuft alles nach Plan? Wie sieht unsere Kompetenz aus, kommunizieren wir genug?

Die emotionale Seite der Agilität darf auch nicht fehlen, mit der – wen wundert’s – ein eher weibliches Publikum angesprochen wird: »Lösen Sie sich, begrüßen Sie Veränderung und prosperieren Sie in Arbeit und Leben!«, ruft die Autorin des Bestsellers Emotionale Agilität, Susan David, aus und proklamiert agile Methoden für das Selbstmanagement.14 Die Resilienz, also die Fähigkeit des Einzelnen, Krisen durch Mobilisierung persönlicher und sozialer Ressourcen zu bewältigen, ist auch schon genannt worden. Für den Soziologen Ulrich Bröckling ist Resilienz, also »die Fähigkeit eines Systems, sich selbst zu organisieren, zu lernen und sich anzupassen«, eine Haupttugend unserer Zeit.15 Komplettiert wird das Bild noch durch die Achtsamkeit, einem populären Ratgeber zufolge »die höchste Form des Selbstmanagements«.16

Vor über einhundert Jahren machten schon einmal Methoden von Tracking und Kontrolle in der Arbeitswelt Furore – damals ging es allerdings noch ums Herumtragen von Roheisen in den Stahlfabriken von Bethlehem Steel, nicht um das Bearbeiten kognitiver Mikro-Aufgaben, sogenannter Tickets, im Kontext von agilen Arbeitsabläufen. Frederick W. Taylor revolutionierte mit seinem Scientific Management die industrielle Arbeitswelt.17 Er hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Arbeitsabläufe minutiös zu analysieren, zu rationalisieren und maximal zu beschleunigen – mit der Stoppuhr als berühmt-berüchtigtem Symbol. Diese Zurichtung, Taktung, Vermessung und Beschleunigung war immer auch Mittel zur Beherrschung und Kontrolle der Belegschaften. Auch der Erfinder des wissenschaftlichen Managements von Arbeitsabläufen versprach seinen Auftraggebern damals eine Erhöhung der Geschwindigkeit – twice as fast war damals schon Thema.

Der mit Stoppuhr und Klemmbrett bewaffnete, überwachende und kleinteilig managende Vorgesetzte ist in agilen Arbeitswelten verschwunden – und niemand weint ihm eine Träne nach. Aber wohin ist er verschwunden, ist er vielleicht nur unsichtbar geworden bzw. ins Innere verlagert? Exerzieren die Teams etwa das wissenschaftliche Management nun quasi an sich selbst? In der schönen neuen Welt der selbststeuernden Teams, in denen Information ungehindert zirkulieren kann, die keinen Chef mehr benötigen, erlebt gleichzeitig die Kybernetik eine Renaissance. Deren Ideal von selbststeuernden Systemen findet Widerhall in der agilen Welt, die nicht nur metaphorisch Starrheit, Gehorsam, Kommiss überwindet, und in der das Management nur noch höchst indirekt, von weitem, zuschaut.

Hierarchie ist zunehmend out, und das hat auch etwas mit dem Gegenstand zu tun: Geht es um die Produktion von Programmcode, user experiences und digitalen Anwendungen, also um das kontinuierliche Ausliefern eines breiten Stroms an intellektuellen Arbeitsergebnissen, verliert sie ihren Sinn. Die Überwachung der Herstellung exakter Kopien des Immergleichen tritt in den Hintergrund zugunsten der (Selbst-)Organisation kollektiver Kreativprozesse. Mit den agilen Methoden bekommt das Management ein Werkzeug an die Hand, das für die Ausbeutung kognitiver Arbeit wie geschaffen ist. Agilität reiht sich so in die lange Geschichte der Beherrschung und Akzeleration der Arbeit durch das Kapital ein, auch die Parole des Managements hat sich kaum geändert und lässt sich auf die zeitlose Formel bringen: velocity & control.

Aldous Huxley entwarf in seinem Roman Brave New Worldaus dem Jahr 1932 eine Welt allseitig zufriedener Konsumenten, die von den World Controllers mithilfe von Gentechnik, Gehirnwäsche, Sex und Drogen ruhiggestellt werden – ein Klassiker dystopischer Weltentwürfe. Es scheint kaum vorstellbar, sich auf diese »Neue Welt« positiv beziehen zu können – der Agilitätsberater Aaron Dignan jedoch schafft es. In seinem Brave New Work betitelten Buch – und das ist nicht ironisch gemeint – glorifiziert er die schöne neue Arbeitswelt, mit ihrem kontinuierlichen Wandel, mit ihrer »selbstverwalteten technologischen Evolution« und ihrem »Training von Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit«. In Dignans mutiger neuer Welt ist kein Platz mehr für klassische Budgets, sie ist partizipatorisch gestaltet, Arbeitsteams funktionieren ganz ohne Manager, und Angestellte bestimmen ihre Aufgaben selbst und legen sogar ihre eigenen Gehälter fest.18

Würden diese Prinzipien umgesetzt, stelle sich – ganz ohne Soma, die seligmachende Droge aus Huxleys Vorlage – Glück und Erfüllung des Einzelnen in der »neuen Arbeit« ein. »Wir müssen einfach nur das Betriebssystem tauschen«, dann sind bald auch »Philanthropie und Business […] nicht mehr orthogonal«. Wer angesichts solcher nach New Age klingenden Heilsversprechen vermutet, dass auch Grundeinkommen und Blockchain zu Dignans Welt gehören, hat richtig geraten: Ein »universelles Grundeinkommen« soll ermöglichen, »unsere Grundbedürfnisse zu befriedigen und uns gleichzeitig ermutigen, unsere Gaben zu nutzen und zu teilen – durch Unternehmertum, Dienst und Gemeinschaft.«19

So sieht es also aus, das Szenario eines agilen Kapitalismus, in dem Kapital und Arbeit, Entrepreneurship und Charity miteinander versöhnt sind und Profite mit der schönen neuen Welt der agilen Projekte koexistieren. So sieht sie aus, die Zukunftsvision eines agilen Kapitalismus, in dem die Individuen zu agilen Entrepreneuren ihrer eigenen kognitiven Fähigkeiten werden, die sie behutsam zu pflegen und agil auf den Markt zu tragen haben.

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