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2.2 Mittelalter: Begnadet und begabt
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Am Beginn des sog. Mittelalters steht ein „Kampf der Kulturen“ (S. P. Huntington), der diesen reißerischen Namen wirklich verdient. Die Geschichtsschreibung spricht von der Völkerwanderung. Gemeint ist das oft gewaltsame Eindringen germanischer Stämme in das Stück für Stück auseinanderbrechende Imperium Romanum. Wenngleich sich die Hunnen, Goten, Franken, Alemannen und die übrigen Volksgruppen längst nicht so barbarisch, kulturlos und assimilationsfeindlich aufführten, wie uns Zerrbilder glauben machen wollen, waren die Verheerungen tiefgreifend und langwierig. Man rechnet rund fünf Jahrhunderte, bis ungefähr 1000 n. Chr., bis sich die Regionen Europas in sozio-kultureller Hinsicht von den Folgen der kriegerischen Umwälzungen zu erholen begannen. Fast alle bedeutenden Kulturleistungen, die wir auf das Konto des Mittelalters schreiben – im Bildungsbereich etwa die Anfänge des institutionalisierten Schulwesens und die Grundsteinlegung der Universität –, treten erst in der zweiten Hälfte der Epoche zutage. Dennoch waren die unmittelbar vorangegangen 500 Jahre kulturgeschichtlich alles andere als unbedeutend. In dieser Zeit wuchs das Christentum – in der Antike noch die brutal bekämpfte Religion einer verschwindend kleinen Bevölkerungsgruppe – zur monopolistischen Informations-, Deutungs- und Ordnungsmacht heran, deren weltgeschichtliche Bedeutung kaum zu überschätzen ist. Völkerwanderung und Christianisierung haben dem europäischen Kulturraum unstrittig ein neues Gesicht gegeben, eines freilich, in dem Züge des heidnischen Altertums nicht zu übersehen sind. Auch in den mittelalterlichen „Begabungs“-Konzeptionen kommt einem einiges bekannt vor.