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3. Zersa

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Zersa zitterte am ganzen Körper. Einen Moment blieb sie am Boden hocken, den gespannten Bogen in der Faust, einen noch nicht abgeschossenen Pfeil auf der Sehne. Das Ding war geflohen, sie konnte noch immer seine Schritte hören, die durchs Unterholz krachten, sein raues Keuchen. War es auf zwei Beinen geflohen oder auf vier? Was war es überhaupt gewesen, das diesen Menschen angefallen hatte? Zersa atmete tief durch, dann nahm sie langsam den Pfeil von der Sehne und steckte ihn in ihren Köcher zurück. Vorsichtig erhob sie sich, entspannte den Bogen und schob auch ihn in den Köcher. Geduckt bewegte sie sich auf den Menschen zu, der reglos vor ihr im Moos lag. Sie konnte das Blut riechen, das aus den Wunden an seinem Bein und seiner Brust sickerte. Ein leises Fauchen stieg in ihrer Kehle auf.

Er würde sterben, wenn sie ihn so liegen ließ, wenn nicht am Blutverlust, dann am Wundfieber. Aber er war ein Mensch. Einer von denen, die die Veränderungen in die Dörfer der Uruni gebracht hatten. Einer von denen, die den Glauben verbreitet hatten, die Ata seien von Dämonen besessen. Zersa hockte sich nieder und wiegte ihren Oberkörper langsam vor und zurück. Starb er, dann war ein Mensch weniger in ihrem Wald. Ließ sie ihn sterben, dann handelte sie gegen den Willen der Waldmutter, die ihr das Wissen um heilende Kräuter und Früchte gegeben hatte.

Ich bin Heilerin. Ich darf ihn nicht töten. Und nichts tun bedeutet, ihn zu töten. Er kann ohne Hilfe nicht leben.

Sie schüttelte sich, dann kroch sie entschlossen näher.

Der Mann war größer als sie, aber schlanker und zierlicher als die meisten Menschen, denen sie bisher begegnet war. Auch trug er keine dieser schimmernden Panzer aus Metall und Kettengliedern, keinen Überwurf aus buntem Stoff mit Stammeszeichen oder Symbolen der Menschengötter. Das, was er noch an Kleidern am Leib hatte, war aus einfachem Stoff in gedeckten Farben. Eine schlichte Hose und Hemd, darüber eine zerrissene weiche Lederweste, die ihn kaum geschützt hatte. An den Füßen trug er abgetragene Stiefel aus festem Leder. Zersa betrachtete ihn kurz, dann fasste sie seine Schulter und zog. Er kam halb zu sich, ächzte, als sie ihn berührte, wimmerte, als sie ihn herumrollte. Ein Blick aus hellen Augen traf sie, eine seltsame Mischung aus dem Blau des Himmels und dem Grün frischer junger Blätter. Sein Blick war verschleiert. Er wollte die Hand heben, schaffte es aber nicht. Er wollte sprechen, aber aus seinem Mund drang nur ein leises Stöhnen, dann rollten seine Augen in den Höhlen, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Zersa nickte zufrieden. Es war gut, dass er nicht ganz zu sich gekommen war, die Wunden mussten schmerzen wie ein Waldbrand.

Zersa ließ ihre Umhängetasche von der Schulter gleiten und holte ihren Wassersack und ihre Kräutertasche hervor, die sie immer mitnahm, wenn sie allein unterwegs war. Zu leicht konnte man sich in diesen Wäldern verletzen – oder verletzt werden. Jeder Uruni wusste das. Zersa schluckte, als sie an die alten Sagen dachte, in denen die Ata die Lehrerin der Kinder war. Die, die zeigte, wie man mit dem Wald lebte. Bis der Neid derer erwachte, die nicht Ata waren. Und mit ihm das Misstrauen.

Dann waren die Menschen gekommen.

Sie biss die Zähne zusammen und schälte den Menschenmann aus den Resten seiner Kleider. Die Wunden waren tief, Bisse und Kratzer. Gelber Schleim hing an den Wundrändern. Sie spülte ihn mit Wasser fort, dann säuberte sie die Wunden mit dem vergorenen Saft der Feuerblume. Der Mann zuckte leicht, trotz seiner Bewusstlosigkeit musste er spüren, wie der Saft brannte. Fast bedauerte Zersa ihn. Er sah noch so jung aus. Seine Haut war blass, sein Haar rabenschwarz. Sie riss den Blick von seinem blassen, schweißüberströmten Gesicht los und holte dünnen Faden aus Spinnenseide und eine zierliche Knochennadel aus ihrem Bündel. Geschickt nähte sie die tieferen Kratzer und die klaffenden Wunden an Bein und Schulter, dann rieb sie alles mit Heilsalbe ein. Das Rezept stammte von ihren Ahnen und war von der Mutter an die Tochter weitergegeben worden. Alle Frauen in Zersas Familie waren Heilerinnen gewesen. Ihr Clan hatte sie geschätzt. Bis ...

Sie seufzte. Vorsichtig verband sie die Wunden mit den weichen aber festen Blättern des Lederbaumes und umwand sie mit feinen Lederschnüren, damit Blätter und Salbe an ihrem Platz blieben. Erst, als sie sicher war, dass sie den Fremden so gut versorgt hatte, wie es ihr im Wald möglich war, sah sie sich um. Den Unterschlupf im Baum zu entdecken kostete sie keine Mühe. Menschen hinterließen so viele Spuren im Wald! Sie schnaubte.

Stümper. Sie können im und vom Wald leben, aber nicht mit ihm.

Der Unterschlupf oben im Geäst war sicher, aber Zersa wusste beim besten Willen nicht, wie sie den Mann dort hinaufbekommen sollte, also suchte sie in der Nähe einen geschützten Platz, richtete aus Moos und weichen Blättern ein Lager und tarnte alles mit Blattwedeln und Ästen. Es war nicht leicht, den Mann in den Unterschlupf zu zerren, unmöglich, ohne ihm noch einmal Schmerzen zu bereiten. Er stöhnte, als sie ihn unter den Achseln fasste und in die Höhle aus Blattwerk schleifte, keuchte, als sein verwundetes Bein an einer Baumwurzel hängenblieb.

Entschuldige ...

Zersa biss sich auf die Lippen. Als sie den Mann endlich im Unterschlupf hatte, glänzte ihre Haut vor Schweiß. Sie bettete den Verletzten auf das Mooslager, schob ihm ein Moospolster unter den Kopf, dann zog sie ihre Decke aus ihrem Bündel und breitete sie über ihn. Schließlich verspritzte sie aus einem Fläschchen noch einen weiteren Pflanzensaft, der einen frischen Duft verbreitete. Das würde die Mücken fernhalten und dafür sorgen, dass der Menschengeruch und der Geruch nach Wunden und Blut keine ungebetenen Gäste anzogen. Zersa zögerte einen Moment, dann legte sie ihren Wassersack neben den Fremden und dazu einige ihrer Proviantpäckchen, die süßes Wegebrot und ein wenig getrocknetes Fleisch enthielten. Einen Moment zögerte sie, dann hob sie die Hand und strich ihrem Patienten das schweißnasse, schwarze Haar aus dem Gesicht, betrachtete den Mann und lauschte auf seinen schnellen, flachen Atem. Das Biest musste Gift an den Klauen gehabt haben. Vielleicht würden Feuerblumensaft und Kräutersalbe helfen. Vielleicht nicht. Zersa berührte seine Stirn, sie war warm, fast heiß. Sein Gesicht war weich, ohne Bartstoppeln, wie das eines Uruni-Mannes. Ob er sich täglich rasierte, wie die Menschenmänner im Dorf? Zersa schüttelte den Kopf. Die Kleider dieses Menschen sahen aus, als sei er schon länger im Wald unterwegs, ebenso seine Hände. Er schien sich regelmäßig zu waschen, dennoch roch er nach Wald und er hatte Erde unter seinen kurzen Fingernägeln. Zersa zögerte wieder, dann hielt sie den Atem an und strich ihm über die Wange. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass er für einen Menschen recht ansehnlich war. Beinahe schön. Beinahe zu schön. Seine Züge waren fein geschnitten, ohne weich oder fraulich zu wirken, das Kinn war fest, die Wangenknochen hoch, der Mund sinnlich.

„Wer bist du? Was machst du hier ... und was hast du gesehen? Du bist nicht wie die anderen. Du bist anders.“ Zersa berührte noch einmal sein Gesicht, dann schob sie ihre Hand unter die Decke und tastete nach seinem Herzschlag. Sie spürte das Pochen, ein wenig zu schnell, aber es fühlte sich kräftig und regelmäßig an.

„Du hast ein starkes Herz“, flüsterte sie. „Möge es weiter schlagen. Ich will wissen, wer du bist. Ich werde dir Fragen stellen, wenn ich wiederkomme, also schlafe jetzt und erwache nicht, bis ich zurück bin.“

Sie berührte seine Stirn, während sie ihm die Worte zuflüsterte. „Schlafe. Und werde wieder stark und gesund. Die Waldmutter helfe dir und wache über dich.“

Täuschte sie sich, oder wurde sein Atem ein wenig tiefer und ruhiger? Zersa beobachtete ihn noch einige Augenblicke, dann legte sie einen ihrer Pfeile neben den Fremden und kroch aus der Blätterhöhle.

Draußen war es dunkel geworden, aber Zersa konnte die Konturen um sich herum noch gut erkennen. Gut genug für eine Jagd. Der Geruch des Biestes hing noch immer in der Luft und die Schneise, die es bei seiner Flucht ins Unterholz getrampelt hatte, war wie ein Wegweiser. Zersa kletterte auf den Baum, auf dem der Fremde sein Lager errichtet hatte, und legte dort ihren Bogen, die Tasche und ihre Kleider ab. Nackt kletterte sie wieder hinunter. Der Nachtwind streichelte ihre Haut. Sie erschauerte leise, als sie ihn fühlte, wie die forschenden Finger eines Geliebten, der sie überall berührte und auch vor den verbotenen Stellen nicht haltmachte. Einen Moment schloss Zersa die Augen und gab sich mit einem leisen Seufzen dem Atem des Windes hin, ließ ihn den Geist der Ata in ihr wecken. Erregung durchströmte sie und ließ sie erschauern. Zitternd sank sie auf Hände und Knie und hieß die Veränderung ihres Körpers willkommen, spürte den Schmerz, als ihre Wirbelsäule sich streckte, ihr Rücken sich krümmte, ihr Gesicht sich leicht nach vorn schob und ihre Fuß- und Fingernägel länger wurden.

Sie grub ihre Krallen in den Boden und hob witternd die Nase in den Wind. Ihre Schnurrhaare fächerten sich auf, sie spitzte die Ohren, während sie die Geräusche und Gerüche des Waldes in sich aufsog.

Da.

Da war er. Der Geruch des Menschen, der Geruch nach Blut, Wunden und Heilkräutern. Der Geruch von etwas Faulendem, Schlechten. Falschen. Ein Knurren stieg in der Kehle des Pantherweibchens auf. Ihre Schwanzspitze zuckte, jeder Muskel in ihrem geschmeidigen Körper spannte sich. Und dann sprang sie, verschmolz mit der Dunkelheit.

Nachtjägerherz und Nachtjägerseele

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