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Tritt in den Hintern

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Um die Finger von der Opferrolle und vom Basteln von Katastrophen zu lassen, was ja irgendwie ein und dasselbe ist, be-nötigt man in der Regel Hilfe in Form eines Tritts in den Hintern. Hartnäckige Fälle (wie ich) brauchen manchmal mehrere Tritte, bis man kapituliert, es kapiert und etwas unternimmt.

Mein Tritt kam in Form einer Krankheit. Das heißt, eigentlich wurde ich ‚nur‘ zu einer dringend notwendigen Entscheidung genötigt, oder, um beim Bild zu bleiben, getreten. Die Krankheit war vielleicht eher als Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten gedacht, die ich anderen mit dieser Entscheidung, als ich sie dann endlich fällte, bescherte. Immerhin war damit eine Trennung von Bett, Wohnung, Ehe und Lebenswegen verbunden.

Dass so viel daran hing, war einer der Gründe, weshalb ich die Entscheidung mangels Mut auf die lange Bank geschoben hatte, hoffend, dass sie sich eines Tages erübrigen würde.

(Praktischerweise stehen lange Bänke überall zur Verfügung und laden förmlich dazu ein, Dinge auf sie zu schieben und zu verdrängen. Setzen wir selbst uns im Alltag auch eher selten auf Bänke zum Verweilen, dann sollen sich wenigstens unsere Entscheidungen ausruhen dürfen. Wir sind da sehr sozial!) Als ich endlich begriff, dass ich bisher in jeder Beziehung und Hinsicht immer nur Rollen gespielt hatte, leidenschaftlich übertrieben und theatralisch, wurde besagte Entscheidung, nicht länger im falschen Film mitzuspielen, überfällig statt wie erhofft hinfällig. Das Theaterspiel ist auf Dauer einfach zu anstrengend, auch Schauspieler brauchen Pausen. Dumm nur, wenn man sich mit den gespielten Rollen (in meinem Fall ‚Opferrollenspielerin‘, ‚überlastete Karrierefrau auf Stöckelschuhen‘ – ich hasse Stöckelschuhe! – ‚perfekte Hausfrau und Mutter‘, um nur einige zu nennen) total identifiziert und gar nicht weiß, wer man wirklich ist. Was würde übrig bleiben, wenn ich Masken, Stöckelschuhe und Rollen ablege? Es war höchste Zeit, es herauszufinden. Also sagte ich laut und deutlich ja zum Rollenwechsel und nein zum Theaterspiel im falschen Film - und fühlte mich total erleichtert und befreit, aber…

So unspektakulär das vielleicht tönt, in Wahrheit ist es eine sehr schwerwiegende Entscheidung. Insbesondere für jemand, der aus Angst vor Strafe (für allfälliges Fehlverhalten – man weiß ja ohne konkrete Anleitung fürs Leben nicht so recht, wie man damit umgehen soll!) lieber einem Motto wie ‚ich will nicht, aber ich muss‘ folgte. Entsprechend heftig war denn auch die Reaktion meiner Instinkte. Legt man nämlich jahrhundertealte Rollen plötzlich ab, wird das von ihnen nicht gern gesehen. Sie lieben die Routine, den Alltagstrott, Kontinuität – einfach alles, was ihnen ein Gefühl von Sicherheit verschafft.

Dieses trügerische Sicherheitsgefühl kam ihnen bei meiner Entscheidung abhanden, sie waren hochgradig alarmiert.

„Verflixt! Wer weiß, was da alles geschehen könnte? Tu‘ das nicht! Versteck dich! Renn weg!“.

Ihre Befürchtungen waren ansteckend. Drum kam es mir trotz Erleichterung vor, als schwämme ich aufs offene Meer hinaus, unter mir Tonnen von Wasser und wer weiß wie viele Haie. Stress pur! Wie sich Stress über längere Zeit auf den Körper auswirkt, ist bekannt. Meiner reagierte mit Entzündungen an unzugänglicher Stelle, die ebenfalls über einen längeren Zeitraum mit jodhaltigen Wundspülungen behandelt wurden.

Die Überdosis Jod wiederum brachte meine Schilddrüse zum Kollabieren, eine logische und nahe liegende Reaktion. Trotzdem kostete es mich eine Menge Blicke unter den Pulli, über Jahre, um die Ursache zu finden. Die behandelnden Ärzte kamen sogar nie darauf, sie widmeten sich ausschließlich dem entgleisten Organ.

Jedenfalls folgte auf die lange Bank eine lange Krankheitsphase. Möglicherweise gehören lange Bänke und lange Krankheitsphasen zusammen und kommen in der Natur nur paarweise vor. Ich gönne den beiden ihr Glück. Doch Noah hätte sie nicht auf seine Arche lassen sollen, dann wären sie heute ausgestorben. Allerdings wette ich, Wissenschaftler und Forscher hätten sie anhand versteinerter Gene längst wiederbelebt, weil das Leben nicht halb so spannend wäre ohne die beiden.

Die lange Krankheitsphase war jedoch mehr als nur eine unangenehme Sache oder eine Entschuldigung für Unannehmlichkeiten. Sie entpuppte sich als äußerst heilsam. Während ich Ursachenforschung betrieb, fand ich allerlei aufklärende Zusammenhänge rund um Körper, Geist und Seele. Ich erkannte beispielsweise, dass der Umgang mit meinem Körper bisher ebenso sehr zu wünschen übrig ließ wie mein Umgang mit dem Leben. Ich verhielt mich ausgesprochen rüde und rücksichtslos gegenüber meinen Gefühlen und Bedürfnissen.

Wen wundert’s? In meiner Lebenseinstellung war ja auch der Wurm drin. Ich fasste meine Ansicht darüber gern in dem ge-flügelten Wort zusammen, das Leben sei wie eine Hühnerleiter, kurz und beschissen. Was kann man von solch einem Leben schon erwarten? Sicher nicht, dass es Spaß macht.

Offenbar muss man manchmal erst krank werden, damit man richtig gesund werden kann, nicht nur körperlich.

Ein weiterer Schuppenfall enthüllte mir die wahre Natur des Lebens. Ach herrje! Wie hatte ich mich geirrt! Es ist tatsächlich neutral, weder positiv noch negativ. Es ist wie Lehm in meinen Händen, woraus ich – unter Berücksichtigung einiger Regeln und Gesetzmäßigkeiten – mein Dasein entsprechend meiner Vorstellungen und Wünsche gestalten kann. Wenn es auf diese oder jene Weise nicht klappt, klappt es eben auf eine andere. Es geht vor allem darum, nicht aufzugeben und nicht darum, dass man sein Ziel gleich erreicht. Außerdem verändern sich Ziele unterwegs und in scheinbaren Misserfolgen liegt nicht selten der Same für künftige Erfolge. Am meisten Erfahrungen sammelt man sowieso eher auf Umwegen als auf dem direkten Weg.

Was für ein herrliches Gefühl! Hätte ich das früher begriffen, wäre mir wahrscheinlich vieles erspart geblieben … An Ort und Stelle geblieben wären allerdings auch diverse Schuppen auf den Augen, denn, wie schrieb ein unbekannter Sprücheklopfer sinnigerweise? Wenn das Leben uns in den Hintern tritt, tut sich etwas in unseren Köpfen (zustimmendes Kopfnicken meinerseits!). In meinem Kopf tat sich nun einiges und ich konzentrierte mich fortan darauf, mein Leben von Grund auf zu verändern und ohne Masken und Verstellung in den Griff zu kriegen.

„Na also, geht doch!“ kommentierten ‚die da oben‘, holten sich eine weitere Schüssel Popcorn und machten es sich für die nächste Filmrunde bequem. Schnitt!

Ohne Beipackzettel fürs Leben

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