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Me and my piano

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Ich erinnere mich nicht, wann genau ich auf die Details dieser Erinnerungen stieß, ich erinnere mich nur …

… wie ich einen Weg entlang gehe, barfuß über Stock und Stein. Schaue ich auf meine nackten Füße, sehe ich, sie sind schmutzig, mit einer dicken Schicht Hornhaut an den Sohlen.

Offensichtlich bin ich grundsätzlich ohne Schuhe unterwegs.

Mein ‚Ich‘ ist ein dünner schlaksiger Junge, mit dunkeln, etwas ungepflegten Locken, in kurzer, ziemlich fadenscheiniger, aber heute frisch gewaschener Hose. Mein Aussehen ist mir völlig egal, beschwingt und fröhlich pfeifend ziehe ich von dannen, völlig von den Socken, nicht nur, weil ich keine anhabe. Ich bin nämlich unterwegs zu meinem Patenonkel, dem Pfarrer, bei dem ich von jetzt an wohnen und im Haus und Stall arbeiten soll. Der Bruder meiner Mutter versprach, mir zur Belohnung das Klavierspiel und auch sonst allerlei Nützliches beizubringen. Ich kann es kaum erwarten! Mein Leben wird sich jetzt um einiges verbessern, trotz der harten Arbeit.

Auch hartes Arbeiten bin ich längst gewohnt, nicht jedoch, dafür belohnt zu werden. Das wird eine neue und ganz besondere Erfahrung für mich sein.

Ich bin der jüngste Spross einer fleißigen, jedoch armen Familie und habe viele Geschwister, fast so viele wie Finger an beiden Händen. Es gibt selten für alle genug zu essen, vielleicht kommt es mir auch nur so vor, ich bin ständig hungrig.

Deshalb soll ich nun zu meinem Onkel, dann bleibt mehr für die anderen, und ich freue mich. Bei meinem Onkel gibt es nämlich nebst dem geliebten Objekt, dem Klavier, immer ausreichend zu essen. Als Pfarrer bewohnt er ein kleines Haus ganz für sich allein. Es gibt nicht nur wie sonst üblich einen Raum, den er mit seinen Haustieren teilen muss wie wir, sondern mehrere Räume. Und ich darf ganz allein in einer Kammer neben der warmen Küche schlafen, was im Winter richtig angenehm ist, da in der Küche immer ein Feuer brennt. Die Leute bringen ihm Essen und Kerzen und allerlei schöne Dinge, auch Tiere, Hühner und manchmal ein Ferkel oder Zicklein. Die muss ich leider an Feiertagen schlachten und das mag ich nicht. Den Braten hingegen mag ich umso mehr.

Das Klavier ist schon alt, aber gut gepflegt. Ich interessiere mich schon von klein auf dafür. Immer wenn wir meinen Patenonkel besuchten, entlockte ich ihm Töne und manchmal hämmerte ich sogar wild darauf herum, um das Klavier singen zu hören. Mein Patenonkel sagte mal, irgendwann würde ich bestimmt mit dem Klavier im Duett singen können. Er lachte dabei fröhlich übers ganze Gesicht. Er ist überhaupt sehr fröhlich, mein Onkel. Nun sind meine Hände groß genug, mit langen Fingern, ideal zum Spielen, aber ungeeignet fürs Schlachten von Tieren.

Es folgen Jahre voller Musik. Mein Patenonkel stellt eines Tages einen Knecht fürs Grobe an, der auch das Schlachten übernimmt, ‚damit ich meine Hände schonen könne und mehr Zeit fürs Klavierspiel hätte‘ wie er sagt. Ich habe nichts dagegen, im Gegenteil, es macht mich überglücklich.

Der Onkel sagt, ich sei ein Naturtalent am Klavier, und er ist nicht der Einzige, der das findet. Die edlen Damen des Ortes lassen sich von mir vorspielen und laden mich zu Musikabenden ein, wo ich ihre Gäste mit Musik und Gesang unterhalte.

Da erhalte ich nicht nur ungewohnte und leckere Speisen, sondern manchmal sogar eine Münze. Längst bin ich keine dürre Bohnenstange mehr, ausreichend Nahrung hat meinen Körper wohlgeformt. Mein Haar ist ordentlich in Form geschnitten und mit einem Band gezähmt. Meine Kleidung ist zwar immer noch einfach, aber um einiges besser als früher. Ich besitze sogar zwei Paar Schuhe, ein Paar für alle Tage und eines nur für Feiertage, was ziemlich verschwenderisch ist. Doch ich kann es mir leisten.

Eines Tages vermischt sich meine Leidenschaft für die Musik mit der Liebe zu einem Mädchen. Sie wird nach einer Zeit der Werbung meine Frau und ist von da an immer an meiner Seite, begleitet mich überallhin, zu Auftritten in Salons und zu Feierlichkeiten, manchmal sogar zu richtigen kleinen Bühnen-konzerten. Das macht mein Glück perfekt.

Obwohl wir keine Kinder haben, sind wir glücklich. Es gibt so viele Kinder hier im Ort, die uns besuchen, darunter auch die Kinder meiner Geschwister. Vor allem haben wir einander und das bringt meine Seele ebenso zum Klingen wie das Klavier.

Als mein Onkel stirbt, hinterlässt er mir das Haus samt Klavier. Wahrscheinlich bin auch ich Pfarrer, oder vielleicht Mu-siklehrer, aber daran erinnere ich mich nicht. Beruf und Haus gehören jedenfalls zusammen. Am Ende dieses erfreulichen – und wie mir scheint langen – Lebens blicke ich zurück auf eine völlig aschefreie Zeitspanne voller Musik und Liebe. Davon würde meine Seele noch lange zehren, ja zehren müssen, denn nach dieser Atempause von den Dramen würde es ein Weilchen keine mehr geben.

Ohne Beipackzettel fürs Leben

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