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Tag 5 – Donnerstag, 3. August
ОглавлениеFrau Berger kam am nächsten Morgen um halb neun, die Handwerker zehn Minuten später. Ich verbrachte die folgenden Stunden in meinem Büro Schrägstrich Wachzimmer und sah ihnen über die Kameras bei der Arbeit zu.
Sie waren schnell und schwitzten unter der glutheißen Sonne wie die Schweine. Einer der Männer verschwand in einem Busch, wahrscheinlich zum Pinkeln. Ein anderer schaufelte sich mit beiden Händen Wasser aus meinem Pool ins Gesicht – ich runzelte die Stirn und überlegte, ob ich das Wasser einmal komplett austauschen sollte. Wollte ich fremden Männerschweiß auf der Haut haben, wenn auch in homöopathischer Verdünnung?
Gegen Mittag waren die Gärtner fertig und gingen. Frau Berger folgte ihnen bald darauf, ich studierte die Bedienungsanleitung für mein neues Bewässerungssystem. Als auch Kasimir sein kugelrundes Bäuchlein durch die Hecke gequetscht hatte und mein Rasen wieder verlassen war, justierte ich über den Computer die Sprenger auf der linken Seite nahe der Haustür so, dass sie alle einen bestimmten Busch unter Wasser setzen. Zeitgesteuert, in drei Minuten, und diese Zeit nutzte ich, um mir die Waffe aus dem Tresor im Erdgeschoss zu holen. Ich brauchte sie eigentlich nicht, hatte ich doch ein anderes, viel wirkungsvolleres Mittel, um mich zu wehren - doch so weit war Sam dann doch noch nicht gegangen.
»Scheiße!«, rief Sam, als die gebündelten Strahlen von drei Sprengern seinen Busch in einen Regenwald verwandelten. Er brach tropfend aus den Blättern hervor, ich verzog den Mund, als er mit seinen heute dezent schwarzen Tennisschuhen meinen schön gerechten Kies zertrampelte.
»Ich empfange hier niemanden«, sagte ich, die Waffe auf Sam gerichtet, die Augen starr auf den Boden vor seinen Füßen. Er hatte nur noch ein kurzes Leben zu erwarten, aber ich konnte es mir dennoch nicht erlauben, ihn anzusehen, in ihn einzutauchen: Dann war ich geistig weg, abgelenkt von Magensäure und den Szenen seiner Zukunft. Und 'weg sein' vertrug sich nicht gut damit, dass man eine geladene Waffe in der Hand hatte und einen Einbrecher im Garten. Einen Einbrecher, dessen Lebenszeit unaufhörlich vor sich hin tickte, der nicht viel zu verlieren hatte.
»Gehen Sie. Diese Richtung«, sagte ich und zeigte mit der Waffe zum Tor.
»Bitte«, sagte Sam und machte ein paar Schritte auf mich zu. Zertrampelte mehr Kies, streifte einen Busch, von dem hitzemüde Blütenblätter zu Boden rieselten. Ich hob meinen Blick etwas und behielt seine Hände im Blickfeld: tropfnass, auf Höhe der Hüfte.
»Raus«, sagte ich und richtete die Waffe wieder auf Sam.
»Bitte. Nur eine Stunde. Ich habe das Geld dabei.«
»Machen Sie einen Termin«, sagte ich, er lachte bitter.
»Wann war noch mal was frei? Im Januar, oder? Prima, ganz prima.«
»Raus.«
»Verstehen Sie doch ...«, setzte er an und kam noch näher, ich zog den Sicherungshebel der Waffe nach unten, was auch in meinen Ohren kalt und bedrohlich klang. Sam empfand das scheinbar ähnlich, denn er wich zurück und nahm sogar die Hände hoch. Ich ließ meine Augen aufwärts wandern, starrte auf seinen flachen Bauch und die in der Luft schwebenden Ellenbogen.
»Sie verstehen nicht«, gab ich zurück. »Jeder, der vor meiner Tür steht, hat ein Problem. Das größte Problem der Welt, weil er der wichtigste Mensch der Welt ist. Und ich soll das Problem lösen. Umsonst, und wenn's schnell geht, macht das nichts. Aber das kann ich nicht, und ich will auch nicht. Ich kann nicht jedes einzelne, verkorkste Leben so ummodeln, dass es dem zufälligen Besitzer gefällt. Und das hier ist mein Haus, der einzige Platz, an dem ich mich frei bewegen kann. Machen Sie mir das nicht kaputt. Gehen Sie und kommen Sie nie wieder.«
Sam zögerte, dann drehte er sich um und wandte sich zum Tor. Ich blickte jetzt auf seinen Rücken und seinen Hinterkopf: Wasserperlen lagen auf den kastanienbraunen Haaren und funkelten in der Sonne, große Flecken hatten das graue T-Shirt unter seiner geborgten Gärtner-Latzhose schwarz gemacht.
»Wieso können Sie sich nur hier frei bewegen?«, fragte er, was mich frustriert den Kopf schütteln ließ. Ich hatte zu viel gesagt, und biss mir jetzt zu spät strafend auf meine vorlauten Lippen. Dann seufzte ich, denn ich ahnte, dass Sam erst gehen würde, wenn ich geantwortet hatte, aber eine plausible Ausflucht wollte mir nicht einfallen. Machte es etwas, wenn ich ihm ein wenig Wahres sagte? Nein, denn nach jetzigem Stand der Dinge würde Sam dieses Wissen bald mit ins Grab nehmen.
»Weil ich mir nicht aussuchen kann, ob ich Menschen in die Zukunft schaue«, erwiderte ich schließlich.
Sam wandte seinen Kopf, blickte mich über die Schulter an. Ich senkte meine Augen sofort, schaffte es, dieses verdammte Abtauchen gerade noch zu umgehen und fühlte mich dabei, wie ich mich immer fühlte, wenn ich das tun musste: Klein, schwach, unterlegen.
»Sehen Sie mich deswegen nie an?«
»Gehen Sie«, sagte ich, und meine Stimme war so kalt, wie sie nur sein konnte.
Er ging.