Читать книгу Mentoring - im Tandem zum Erfolg - Tinka Beller - Страница 17

Wer mit wem aus welchen Gründen?

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Wenn im Idealfall von allen interviewten Personen ausführliche Profilbögen (siehe Kapitel 3) erstellt sind und eine größere Anzahl von MentorInnen zur Verfügung steht, als für das Programm benötigt wird, beginnt der tatsächliche »Zauber des Matchings«. Hier stehen eindeutig die potenziellen Mentees und ihre Themen im Vordergrund. Und das, was zwischen oder hinter den einzelnen Problemen oder Zielen steht. Eine Gefahr im Matching besteht darin, dem (wichtigen) ersten Eindruck zu viel Bedeutung beizumessen.

Das bedeutet beispielsweise, dass eine Mentee mit dem Thema »Vereinbarkeit von Familie und Beruf« fast reflexartig nach einer weiblichen Begleitung, am allerliebsten mit eigenen Kindern, fragt. Und fast ebenso reflexartig reagiert in den meisten Fällen die Projektgruppe, die unter den MentorInnen besonders intensiv nach einer Mutter, in jedem Fall aber nach einer Frau sucht. Es kann durchaus sein, dass dieser Mentee ein Role-Model als Mentorin helfen würde. Ein weibliches Vorbild, das die gleichen Erfahrungen gemacht hat. Ebenso wahrscheinlich ist jedoch, dass hinter diesem primären Thema »Vereinbarkeit von Familie und Beruf« weitere Aspekte stehen, die von einer Mentorin mit oder ohne Kinder oder auch von einem Mentor optimal begleitet werden können. Dies kann etwa das Thema Führung sein. Vielleicht benötigt die Mentee mehr Vertrauen in ihre eigenen Führungskompetenzen, um Aufgaben zu delegieren. Ebenfalls ist denkbar, dass sich das Problem reduziert, wenn Meetings in der Kernarbeitszeit stattfinden oder sie an einem Tag in der Woche im Home-Office tätig sein kann. Vielleicht stellt sich die Frage nach dem nächsten Karriereschritt; auch hier kann ein männliches Pendant unter Umständen hilfreicher sein als eine Frau in einer ähnlichen Situation.


Spontan werden oft Wünsche in Bezug auf persönliche Präferenzen bedient: Eine sensible Mentee wird mit einer für ihre Empathie und Ruhe bekannten Mentorin gematcht, ein zielstrebiger junger Mann mit deutlichen Karriereambitionen bekommt eine im Unternehmen anerkannte männliche Führungskraft, die für eine entsprechende Vernetzung hilfreich ist. Auch hier ist ein zweiter Blick sinnvoll: Welche Kompetenzen können noch gefördert werden? Welche Themen finden im Alltag zu wenig Raum, um bearbeitet zu werden? Häufig ist der erste Gedanke nicht der »perfect match«.

Matching ist ein Prozess, der Zeit und Kreativität benötigt. Die Tandems haben einen langen gemeinsamen Weg vor sich, dessen Erfolg primär durch ein optimales Matching ermöglicht wird. Dem Projektteam muss seine Verantwortung in diesem Fall sehr deutlich sein. Das Zusammenstellen der Tandems bedeutet, zwei Personen für einen langen Zeitraum (meistens ein Jahr) zusammenzubringen. Die Erfahrung zeigt, dass sowohl Mentees als auch MentorInnen sich innerhalb des Programms deutlich verändern. Ein gutes Matching erfordert Mut zum Querdenken und Fantasie. Sind die PartnerInnen sich zu ähnlich, ist die Chance, dass sie sich sympathisch sind, sehr groß. Ebenso groß ist die Gefahr, dass sie nicht zu optimalen Ergebnissen kommen, weil eine gewisse zwischenmenschliche Reibung fehlt. Zu viel Unterschiedlichkeit zwischen Mentee und MentorIn garantiert zwar diese Reibung, sorgt jedoch vermutlich dafür, dass das Tandem ebenfalls kaum zum Arbeiten kommt, weil die beiden mit Auseinandersetzungen beschäftigt sind.8 Für ein optimal agierendes Tandem benötigt es eine »konstruktive Unähnlichkeit«.

Konstruktive Unähnlichkeit

Konstruktive Unähnlichkeit ist das Ideal zwischen Ähnlichkeit und Unähnlichkeit bei Mentee und MentorIn. Es ist die große Herausforderung für die Projektgruppe, zwei Personen zu einem Tandem zusammenzustellen, die den größtmöglichen Mehrwert miteinander haben. Dieses Fingerspitzengefühl ist das, was »Zauber des Matchings« genannt wird. Hierfür benötigen die Verantwortlichen den Mut, wirklich alle Konstellationen »zu denken« und nicht bereits im Vorfeld zu selektieren. Diese unbewusste Voreingenommenheit ist menschlich und nachvollziehbar, aufgrund verschiedener Faktoren (u.a. Gesetz der Sympathie und Halo-Effekt, auf die später noch eingegangen wird) entstehen Eindrücke, die als Realität wahrgenommen werden. In der Mentoring-Beziehung ist es durchaus erwünscht, dass beide TeilnehmerInnen sich ein Stück weit aus ihrer Komfortzone und ihren üblichen Gedankengängen herausbewegen. Dies erfordert von Mentees und MentorInnen den Mut, sich auf das Abenteuer neuer Erfahrungen einzulassen – und von den Verantwortlichen die Courage, sich von feststehenden Meinungen zu lösen. Auf den ersten Blick unpopuläre Entscheidungen in Bezug auf die Tandems können zu den besten Ergebnissen führen. Ist die Wahl von MentorIn und Mentee nach den geschilderten Parametern vorgenommen worden und transparent für alle Beteiligten, sollte sie akzeptiert werden, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar erscheint.

Wie weit genau die Unähnlichkeit gehen kann, muss mit Empathie und Feingefühl eruiert werden. Hier helfen sowohl Lebens- und Berufserfahrung als auch die Vorstellung, wie ein Tandem zusammenarbeitet. Sind sich beide zu ähnlich, beispielsweise zurückgenommen und tendenziell schüchtern, wird es nicht zu einer energievollen Zusammenarbeit kommen können. Mentee und MentorIn bestärken sich im Zweifelsfall in ihren Eigenschaften, es findet keine Bewegung statt, die einen neuen Blick auf die Situation oder auf Verhaltensweisen ermöglicht. Wichtig ist hier, dass es nicht um eine Be- oder Abwertung bestimmter Charakterzüge geht. Alle Mentees und MentorInnen sollten in ihrer Persönlichkeit und ihren Dispositionen respektiert und wertgeschätzt werden.

Beim Matching der Tandems geht es primär um die Kombination verschiedener Eigenschaften, die sich ergänzen. Ein sehr ruhiger Mentee kann durch einen extrovertierten Mentor aus seiner Komfortzone bewegt werden, während das Matching »extrovertierter Mentee mit extrovertiertem Mentor« wieder kontraproduktiv wäre. Zwei Tandempartner, die ein großes Geltungsbewusstsein haben und sich viel mitteilen möchten, werden vermutlich keinen intensiven Austausch ermöglichen können, in dem sie wirklich hinhören und gemeinsam nach möglichen Wegen suchen.

Eine häufige Aussage von Mentees in den ersten Feedback-Telefonaten ist: »Ich habe so ein Glück gehabt mit dem Matching! Wir passen optimal zueinander!« An dieser Stelle geben wir gerne noch einmal den Hinweis, dass das Matching nicht nach dem Zufallsprinzip stattgefunden hat, wir weder gewürfelt noch mit Dartpfeilen geworfen, sondern nach einer Vielzahl von Kriterien die jeweiligen Tandems zusammengestellt haben. Und häufig bekommen wir dann so tolle Aussagen wie die einer Mentee der Bremer Senatsverwaltung:9 »Nach fast einem Jahr Mentoring und vielen Gesprächen mit meinen Mit-Mentees habe ich den Eindruck, dass die Mentorin beziehungsweise der Mentor nicht allein der Schlüssel zum Erfolg ist, sondern tatsächlich das Kriterium für den Erfolg darstellt.«

Um dieses Potenzial entfalten zu können, braucht es eine(n) MentorIn, der/die zur Mentee »passt« – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Interessant ist aber die Frage, was mit »passen« überhaupt gemeint ist. Hierzu einige Gedanken einer von uns betreuten Mentee:

• Als Role-Model ist ein(e) MentorIn nur mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen geeignet: Ein »Über«-Vater oder eine »Über«-Mutter erscheint unglaubwürdig in der persönlichen Perfektion oder sorgt für den Eindruck der eigenen Unzulänglichkeit. Zudem: Wer möchte schon gerne bemutternd behandelt werden, wenn er selbst Interesse an einer Führungsaufgabe hat?

• Hilfreich scheint jemand zu sein, den/die ich als open-minded beschreiben möchte, also jemand, der/die tatsächlich an einem Austausch interessiert ist, der/die sich noch an eigene Erfahrungen zu Beginn seiner/ihrer Leitungsaufgaben erinnert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich hieraus oft eine diskurshafte Betrachtung von Situationen ergibt, die zu einem individuellen Lösungsvorschlag führen kann.

• Ich suche mir dann und wann »partielle Vorbilder«, das heißt Menschen, bei denen ich bestimmte Eigenschaften schätze und als nachahmenswert ansehe. Bei einer Leitungsaufgabe habe ich auch Bilder vor Augen. Mit meiner Mentorin habe ich jemanden kennengelernt, der für den Bereich der Leitungsaufgaben als »partielles Vorbild« geeignet ist. Zum Beispiel besitzt sie die Fähigkeit, die eigenen Leistungen zu hinterfragen und von mehreren Seiten zu beleuchten. Für mich ist dies eine sehr wertvolle Eigenschaft, für eine Führungsaufgabe scheint sie mir erstrebenswert zu sein.

Gesetz der Sympathie:

Wahrnehmungsfehler in der Personalentwicklung

Menschen nehmen selektiv wahr. Das, was gut zu den eigenen Erwartungen und Erfahrungen passt, wird eher registriert als etwas, was nicht in das gewohnte Bild passt. Das »Gesetz der Sympathie« besagt zum Beispiel, dass das Vertrauen in Personen größer ist, wenn sie uns sympathisch sind. Gleiches gilt für die angenommene Kompetenz und Glaubwürdigkeit. Ohne jede faktische Begründung werden hier positive Eigenschaften vorausgesetzt. Bei diesem Gefühl handelt es sich um etwas, das nicht bewusst steuerbar ist, sich also außerhalb der rationalen Wahrnehmung befindet. Aus diesem Grund ist eine gezielte Änderung des Gefühls nur sehr bedingt möglich. Die Gründe für eine empfundene Sympathie (oder auch Antipathie) entziehen sich dem Bewusstsein und lassen sich nur eingeschränkt nachvollziehen.

Das menschliche Gehirn wäre schlichtweg überfordert, wenn bei jedem Eindruck, bei jedem persönlichen Kontakt das ganze »Programm« ablaufen müsste: Freund oder Feind? Fliehen oder Bleiben? Ganz abgesehen von den »Details« wie: Mann oder Frau? Bekannt oder unbekannt? Alt oder jung? Gepflegt oder ungepflegt? Diese Liste lässt sich fast beliebig fortsetzen. Bevor man in der Lage wäre, auch nur einen Menschen in dieser Ausführlichkeit zu erfassen, wäre viel zu viel Zeit vergangen. Das Gehirn hat sich hierfür etwas sehr Pragmatisches einfallen lassen: Es clustert, steckt alle Informationen, die es aufgenommen hat, in gemeinsame »Erfahrungsschubladen«. Dies ermöglicht einen Alltag, in dem nicht jeden Tag aufs Neue jeder noch so flüchtige Kontakt bewusst abgescannt werden muss. Der positive Effekt dieser Einordnung in verschiedene Kategorien ist, leichter mit der Komplexität von Eindrücken und Begegnungen umgehen zu können. Ein negativer Aspekt ist, dass diese unreflektierten Bewertungen über Stereotype zu einer Diskriminierung bestimmter Personengruppen führen.

Auch dies ist prinzipiell gut nachvollziehbar: Stereotype Gruppen können zum Beispiel Frauen, Männer, Menschen mit Migrationshintergrund, Rentner oder Jugendliche sein. Diese Stereotype gelten also zunächst nur der Zuordnung bestimmter Personen zu einer Gruppe. Interessant wird es dann, wenn dieser Gruppe feste Eigenschaften zugewiesen werden, beispielweise:

• Frauen interessieren sich nicht für Technik.

• Männer sind grobmotorisch.

• Menschen mit Migrationshintergrund bleiben lieber für sich.

• Rentner gehen immer einkaufen, wenn Berufstätige an den Kassen stehen.

• Jugendliche sind respektlos Älteren gegenüber und nur mit ihrem Handy beschäftigt.


Diese Eigenschaften können richtig oder falsch, begründet oder unbegründet, positiv oder negativ sein. Sie helfen im Alltag, die Fülle von Informationen, mit denen jeder konfrontiert ist, zu bewältigen. Einzelne Personen werden als Mitglieder dieser Gruppe mit den dazugehörigen Eigenschaften wahrgenommen, nicht als Individuum.

Diesen Stereotypen folgend, entstehen unbewusst Vorurteile: Wenn Frauen sich nicht für Technik interessieren, sind sie auch für Berufe, in denen zum Beispiel technisches Verständnis nötig wäre, ungeeignet. Gleiches gilt für Männer, die den Stereotypen folgend etwa für Aufgaben, in denen Feinmotorik unabdingbar ist, nicht geeignet wären. Solche Vorurteile führen dazu, dass gleiches oder ähnliches Verhalten von Männern und Frauen aufgrund ihres Geschlechts unterschiedlich wahrgenommen und bewertet wird. Was bei einem Mann als durchsetzungsstark und hartnäckig gilt, erscheint bei Frauen schnell als penetrant oder nervig. Und während eine Frau als sensibel gilt, wenn sie über ihre Gefühle spricht oder diese zeigt, wird ein Mann schnell zu einem nicht belastbaren Softie.10 Selbst wenn diesen Bewertungen häufig ein Fünkchen Wahrheit zugrunde liegt, können sie den individuellen Eigenarten eines Menschen nicht wirklich gerecht werden.

Im Extremfall kommt es so zu einer (mittelbaren) Diskriminierung bestimmter Gruppen, zum Beispiel dadurch, dass Frauen bei der Besetzung technischer Berufe oder Männer bei Berufen, für die scheinbar männeruntypische Eigenschaften vorausgesetzt werden, gar nicht berücksichtigt werden. Im Mentoring beziehungsweise für das Matching bedeutet das, dass viele Konstellationen von den Projektverantwortlichen gar nicht erst in Erwägung gezogen werden. Mentor X ist Experte für Controlling? Dann passt er nicht zu Mentee Y, deren Thema Work-Life-Balance ist. Dass Mentor X Elternzeit genommen hat oder das Thema Home-Office in seiner Abteilung vorbildlich gehandhabt wird, wird bei diesem ersten Eindruck übersehen. So begrenzen sich die Verantwortlichen selbst und schließen bestimmte Konstellationen von vornherein aus.

Bei der möglichen Option, dass sich Mentees und MentorInnen ihre TandempartnerInnen selbst suchen, spielt Sympathie eine sehr große Rolle. Ein Faktor für Sympathie ist Ähnlichkeit. Diese kann sich in verschiedenen Ausprägungen zeigen: Gleiche Interessen, Zugehörigkeit zu einem bestimmten Verein, ähnliche Herkunft und/oder Bildung, Ideologien oder auch Übereinstimmungen im Aussehen führen dazu, dass wir uns zu einzelnen Personen hingezogen fühlen. Gibt es die Wahl zwischen einer Person, mit der Übereinstimmungen festgestellt werden, und einer anderen, bei der dies nicht der Fall ist oder die den eigenen Vorstellungen konträr entgegensteht, entscheidet »der Bauch« und wählt das, was bekannt und damit vertrauenswürdiger ist. Besteht diese Wahlmöglichkeit nicht, weil eine Person, wie zum Beispiel ein Mentor, bestimmt wurde, und besteht keine grundsätzliche Sympathie, wird es schwierig, ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. Sind sich zwei Personen aufgrund der genannten Umstände sympathisch, führt dies dazu, dass man sich kompromissbereiter verhält, Fehler toleranter bewertet und das Gesagte aufmerksamer wahrnimmt. Dies geschieht alles aufgrund des Gefühls. Reale Fakten, wie sie für die Auswahl eines Tandempartners ebenfalls nötig sind, werden in diesem Moment vollständig ausgeblendet und nicht wahrgenommen. Man kann diese Sympathie auch als »positives Vorurteil« bezeichnen.

Der Halo-Effekt

Um ein ähnliches Phänomen handelt es sich beim »Halo-Effekt«. Auch hierbei wird eine Person aufgrund eines einzelnen Attributs verzerrt wahrgenommen. Ist der erste Eindruck eines Menschen positiv, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diesem Menschen weitere positive Eigenschaften zugeschrieben werden, sehr groß. Diese Eigenschaften müssen in keinerlei Zusammenhang zueinander stehen. Jemandem, der zum Beispiel während eines Vortrags als kompetent wahrgenommen wird, werden auch Attribute wie Intelligenz, Souveränität oder Fachkenntnisse in anderen Bereichen zugeschrieben. Einem Hundebesitzer unterstellt man Tierliebe, einem ausgezeichneten Schwimmer generell Sportlichkeit. Ob der Hundebesitzer nur seinen eigenen Hund und keinerlei andere Tiere mag oder der Schwimmer tatsächlich noch über andere Talente als Schwimmen verfügt oder nur in dieser Disziplin eine Koryphäe ist, ist dem Gehirn »total egal«. Das (unbewusste) Ziel, die eigenen Erfahrungen und Erwartungen in Einklang mit der aktuellen Situation zu bringen, wird nicht als solches wahrgenommen.

Eine objektive und differenzierte Betrachtung von Personen ist so per se nicht möglich, was zu deutlichen Fehleinschätzungen führen kann. Es gilt also, sich dieses Effekts bewusst zu werden. Studien11 zeigen, dass zum Beispiel die Attraktivität einer Person bei der Einschätzung ihrer Kompetenz eine große Rolle spielt. So werden attraktive Professoren von ihren Studierenden für kompetenter gehalten als weniger attraktive. Gleiches gilt umgekehrt für Lehrkräfte: Nehmen sie ihre Schüler als freundlich und attraktiv wahr, neigen sie zu einer besseren Benotung als bei durchschnittlich oder weniger attraktiven Schülern. Die eine überragende Eigenschaft, etwa Attraktivität oder Sportlichkeit, überstrahlt im wahrsten Sinne des Wortes die anderen vorhandenen Eigenschaften. In der Wahrnehmung des Beobachters werden diese eventuell nicht zu den eigenen Vorstellungen passenden Attribute verdrängt.

Angenommen wird jeweils das, was für den Einzelnen relevant ist. Ist die Eigenschaft »Fleiß« ein wichtiges Element im eigenen Wertesystem, wird dies einem anderen Menschen, der (aus ganz anderen Gründen) als sympathisch wahrgenommen wird, zugeschrieben. Ist Großzügigkeit ein hoher eigener Wert, wird einer sympathischen Person diese Eigenschaft zugewiesen. Diese Eigenschaften müssen überhaupt nichts mit der Realität oder den Aussagen dieser Person zu tun haben.

Im Umkehrschluss kann diese Wahrnehmung auch negative Folgen haben. Entspricht eine Person aufgrund ihres Aussehens nicht der Norm oder weicht sie in anderen Bereichen vom eigenen Idealbild ab, werden ihr entsprechend weniger positive Merkmale zugeschrieben. So wird (unbewusst!) einer extrem übergewichtigen Person häufig mangelnde Willensstärke oder Durchsetzungskraft zuerkannt, was sich in einem Vorstellungsgespräch durchaus auswirkt. Ob die betreffende Person Experte auf dem eigenen Gebiet ist, wird nicht mehr so stark berücksichtigt, wie es bei einer positiveren Wahrnehmung der Fall wäre. Einem Anwalt, der seine Kanzlei in einer sozial schwachen Wohngegend betreibt, wo die Wände mit Graffiti besprüht sind und die Haustür defekt ist, wird vermutlich nicht die Vertretung eines seriösen Immobilienmaklers angeboten – auch wenn er auf seinem Gebiet eine Koryphäe ist. Ist der Auftraggeber selbst eher alternativ eingestellt, kann das gleiche Umfeld mit entsprechenden Assoziationen (keinerlei Statussymbole, Konzentration auf das Wesentliche, mitten im Leben stehend) wiederum als durchaus positiv wahrgenommen werden. Es liegt also tatsächlich und ausschließlich im Auge des Betrachters, was wahrgenommen wird.

Relevant werden diese Wahrnehmungsfehler erst dann, wenn die Fehlbeurteilung zu einer Irritation führt. Handelt die Person ganz anders als angenommen, wird es schwierig. Stellt sich zum Beispiel die als sympathisch und attraktiv wahrgenommene Person als erfolglos und unzufrieden dar, muss theoretisch die eigene Wahrnehmung als »falsch« erkannt werden. Das Revidieren dieser angenommenen »Fakten« ist etwas, was dem Gehirn schwerfällt. Der Wunsch, die Aussage »Ich hatte recht!« zu bestätigen, ist groß. Besonders schwer lässt sich diese Meinung revidieren oder aktualisieren, wenn noch der Faktor »sich selbst erfüllende Prophezeiung« hinzukommt. Nimmt jemand einen anderen beispielsweise als Egoisten wahr, wird diese negative Zuschreibung überproportional bestätigt. Solche negativen Eigenschaften werden ebenfalls wieder auf andere Bereiche der Persönlichkeit übertragen.

Der Halo-Effekt trägt maßgeblich zur Entstehung von Vorurteilen inklusive deren Konsequenzen bei. So kann zum Beispiel ein Matching, das aufgrund dieses Effekts zustande kam (MentorIn und Mentee konnten sich ihre PartnerInnen selbst auswählen und haben sich aufgrund bestimmter, als sehr positiv empfundener Eigenschaften entschieden), im Verlauf des Programms als negativ wahrgenommen werden. Dies ist dann der Fall, wenn sich herausstellt, dass die angenommenen positiven Eigenschaften nicht wie erwartet auf das Gegenüber zutreffen und dadurch die eigenen Wünsche nicht erfüllt werden. Hier kommt es zu Unzufriedenheit bei beiden PartnerInnen. Und zwar mehr, als es der Fall wäre, wenn das Matching ohne den eigenen Anteil (Selbstverantwortung durch Auswahl der Mentees/MentorInnen) stattgefunden hätte. Beim Matching durch eine objektive Projektgruppe wäre die Enttäuschung geringer als angesichts der Erkenntnis, dass der- oder diejenige nicht den eigenen Erwartungen entspricht. Auch wenn diese Annahme rein auf dem eigenen Gefühl beruhte und keiner sachlichen Überprüfung standgehalten hätte. In der Konsequenz führen das mangelnde »Wir-Gefühl« und der fehlende Erfolg zu einer negativen Wahrnehmung der gesamten Maßnahme. Diese Unzufriedenheit (»Ich habe meine Mentorin ganz anders eingeschätzt!«) kann eine totale Abwehr und Ablehnung (»Mentoring bringt überhaupt nichts!«) provozieren.


Es zeigt sich, dass der Halo-Effekt im Alltag nicht vermeidbar ist. Alle Menschen haben eigene Erfahrungen, die in ihre Bewertung einfließen. Das gilt selbstverständlich auch für Menschen, die im Personalbereich tätig sind. Möglich ist aber eine Sensibilisierung für diese Effekte. Neben einer notwendigen Selbstreflexion und Selbsterfahrung der Verantwortlichen spielt auch die im Vorfeld mehrfach erwähnte größtmögliche Objektivität eine Rolle. Diese kann zum Beispiel durch den Einsatz von externen ExpertInnen und das Mehr-Augen-Prinzip erreicht werden.

Bei Bewerbungsverfahren hilft eine Standardisierung, etwa, dass Unterlagen ohne Foto eingesendet werden, um eine Typisierung aufgrund des Aussehens zu vermeiden. Inwieweit Fotos bei der Bewerbung für einen Platz im Mentoring-Programm relevant sind, muss die jeweilige Projektgruppe entscheiden. Dabei geht es primär um die Sorgfalt, die ersichtlich ist (Passfoto, Urlaubsschnappschuss hinter Palmen oder ein professionelles Bewerbungsfoto?), und nicht um das Aussehen der Person. Handelt es sich bei den Verantwortlichen für die Bewerbungen und das Ranking um externe ExpertInnen, ist ein Foto spätestens vor dem Interview hilfreich, um zu wissen, mit wem man sich trifft. Zu diesem Zeitpunkt sind die BewerberInnen jedoch schon in der engeren Wahl und eine potenzielle Diskriminierung aufgrund des Aussehens kann nahezu ausgeschlossen werden.

Mentoring - im Tandem zum Erfolg

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