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Herrschaft durch Juristen

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Aber leider begrenzt sich das Phänomen der Herrschaft durch ungewählte Menschen, die sich den Wählern gegenüber nicht verantworten müssen, nicht auf die Ministerien und Einrichtungen der Exekutive.

Eine ebenso besorgniserregende Entwicklung, die die Demokratie in den USA bedroht, ist die wachsende Herrschaft durch Rechtsanwälte und Richter. Ein Schlagwort dafür ist die „lebendige Verfassung“, ein Begriff, der unter Juraprofessoren, Juristen sowie politisch Progressiven große Zustimmung findet. Das Konzept der lebendigen Verfassung wird von uslegal.com auf eine gängige Art definiert: „Die lebendige Verfassung ist ein Terminus, der sich in der Idee gründet, dass die Verfassung der USA relevante Bedeutung außerhalb des ursprünglichen Textes in sich birgt, dass sie ein sich entwickelndes Dokument ist, das sich mit der Zeit verändert, um die Bedürfnisse jeder neuen Generation zu decken. Also muss man die Perspektiven der heutigen Gesellschaft in Betracht ziehen, wenn man wichtige Wendungen und Formulieren in der Verfassung deutet.“ Der Begriff der lebendigen Verfassung, also einer Verfassung, die an und für sich keine Bedeutung hat, die aber ständig neu interpretiert werden muss, um festzustellen, was sie in jedem neuen Zeitabschnitt bedeutet, unterhöhlt im Endeffekt das amerikanische politische System, und zwar völlig. Es verwandelt den amerikanischen Staat in eine inhärent tyrannische Willkürherrschaft der Richter, die die Verfassung nach ihrem eigenen Geschmack uminterpretieren und sich damit faktisch die legislative Gewalt widerrechtlich anmaßen.

Die Richter, die das letzte Wort über die Deutung der Verfassung sprechen, sind die neun Richter des Supreme Courts (Bundesverfassungsgericht). Der Präsident ernennt sie. Mit dem Tod Antonin Scalias im Februar 2016, eines Bundesverfassungsrichters, der die fundamentale Rolle der Verfassung wie sie geschrieben ist als das amerikanische Grundgesetz verstanden hat, wurde auf unerwartete Weise die Wichtigkeit der Wahl im November 2016 verdeutlicht. Donald Trump hat im September 2016 eine Liste von 21 Personen veröffentlicht, die er möglicherweise zu Richtern des Supreme Courts ernennen würde. Sie waren alle Menschen, die den willkürlichen Begriff der lebendigen Verfassung ablehnen. Mit der Ernennung von Neil Gorsuch zum Bundesverfassungsrichter hat Trump dann nach seiner Amtsübernahme sein Versprechen eingelöst. Gorsuch ist ein ehrenwerter und renommierter Richter, der die Verfassung sowie die richtige Funktion der rechtsprechenden Gewalt versteht. Hillary Clinton hat auf der anderen Seite zahllose Male klargemacht, dass sie in Übereinstimmung mit fast allen ihren progressiven Mitstreitern eine überzeugte Verfechterin der lebendigen Verfassung ist.

Kurz noch eine Schlussbemerkung zu diesem Thema: Obwohl die Verfechter der „lebendigen Verfassung“ fast alle auf der linken Seite des politischen Spektrums stehen, sollte dies eigentlich keine Links-gegen-Rechts Frage sein. Warum würde man schließlich den neun Bundesverfassungsrichtern die Macht geben wollen, unsere Verfassung nach Belieben zu manipulieren, also das Dokument, auf dem unser ganzes Staatssystem beruht, ohne jedwede effektive Rechenschaftspflicht gegenüber dem amerikanischen Volk? Die Antwort findet sich in der Unterschiedlichkeit der Weltbilder. Im Grunde stellt die Debatte über die lebendige Verfassung einen weltanschaulichen Konflikt dar – es ist ein Konflikt über das Wesen der Wahrheit. Gibt es eine Wahrheit, die objektiv und allgemeingültig ist, oder hat jeder das Recht, für sich selber zu entscheiden, was „seine“ oder „ihre“ Wahrheit ist? Hat ein Text, wie der der Verfassung, eine bestimmte, fixierte Bedeutung, oder bringt unumgänglich jeder Leser eines Textes seine eigene Bedeutung zu einem Text hervor?

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