Читать книгу Schlachtbank Düppel: 18. April 1864. - Tom Buk-Swienty - Страница 10

EINLEITUNG: DER VETERAN

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Als das Dampfschiff Kegnæs passiert, einen halbinselartigen Vorsprung der Insel Alsen, blickt der berühmte dänische Dichter und Autor Holger Drachmann über den Horizont und sieht in der Ferne die Düppeler Höhe, die, wie er meint, »einem gestrandeten Riesen-Wal ähnlich sieht, der dort liegt und mit dem Tode ringt«.

Es ist der späte Nachmittag des 18. April 1877. Drachmann ist auf dem Weg nach Sønderborg und Düppel, um sich mit eigenen Augen das Schlachtfeld anzusehen, auf dem das dänische Heer dreizehn Jahre zuvor ums Überleben gekämpft hat. Für Drachmann und seine dänischen Zeitgenossen haben ›Düppel‹ und ›18. April‹ einen schicksalsträchtigen Klang. Einen Klang nach Tod und Schmerz.

Als er kurz nach seiner Ankunft in Sønderborg in dem alten Schanzengelände umherwandert, begleitet ihn ein einheimischer dänischer Kriegsveteran als Führer. Der ehemalige Soldat hatte sich während des Granatenbeschusses in den Apriltagen 1864 in der dänischen Stellung aufgehalten und auch den Beginn der Erstürmung erlebt. Am 17. April war er mit seinem Regiment in eine Schanze an die lädierte linke Flanke verlegt worden, wo er bis zum 18. April bleiben musste.

»Und wie haben Sie sich damals gefühlt?«, möchte Drachmann wissen. Der Soldat ist journalistische Fragen offensichtlich nicht gewohnt, und schon gar keine Fragen, bei denen es um Gefühle geht.

»Sie fragen so seltsam!«, antwortet er. Und doch löst die Frage eine ganze Reihe an Erinnerungen an diese Stunden und Tage aus, an denen er gerade nichts gefühlt hatte. Erst zögernd, dann in einem Redestrom, erzählt der Veteran von den Stunden bis zum Angriff, in denen die preußischen Kanonen unablässig die dänischen Stellungen beschossen.

»Wir waren jetzt so taub, und wir sahen aus, als hätten wir in einem Misthaufen gelegen – was ja auch der Fall war. Nachts hörten wir, wie die Preußen gruben und in der Erde wühlten, nur ein paar hundert Schritte vor unserer Brustwehr. Am Tag zuvor hatten sie unsere Schützengräben eingenommen, und wir hatten sie nicht verjagen können. Sie rückten uns direkt auf den Leib, das wussten wir. Und wir wussten auch, dass es nun bald losgehen würde. Das war auch gut so, denn wir hielten es nicht mehr aus. Wir saßen, lagen oder trödelten herum und waren so dreckig wie die Kehrichtfahrer. Niemand hätte uns für dänische Soldaten gehalten. Mir selbst war warme Gehirnmasse ins Gesicht gespritzt, als beim letzten Schuss meinem Nebenmann der Kopf weggerissen wurde … Wir feuerten nachts mit unseren letzten Granaten ein paar Schuss in die Schützengräben, dorthin, wo wir die Preußen vermuteten … Wir glaubten, nun kämen sie, und ich kann mich erinnern, wie meine Finger juckten. Aber sie kamen noch nicht. Sie deckten uns nur mit ihren Granaten ein. Bis der Tag graute, das war das Furchtbarste, was wir je erlebt hatten. Sie machen sich keinen Begriff davon, was sie auf uns herabregnen ließen. Und ich kann Ihnen das wirklich nicht erklären, weil Sie es einfach nicht verstehen können.«

Der Veteran macht eine Pause, als würde er nach Worten suchen. Dann fährt er fort: »Es war, als würde sich ein Schleifstein in meinem Kopf drehen, und er dreht sich immer noch, wenn ich daran denke.«

Drachmann und der Veteran schweigen eine Weile, der Satz bleibt in der Luft hängen.

Drachmann bricht das Schweigen. Zusammen blicken sie über die Landschaft. Die Sonne geht allmählich unter, und lange Schatten legen sich über das Land: »Und was haben Sie empfunden, als die Deutschen angriffen?«

Wieder sieht der alte Soldat Drachmann verblüfft an. »Das weiß ich nicht …«

Aber wieder ist es laut Drachmann offensichtlich, dass innere Bilder in dem Veteranen aufsteigen. Und plötzlich spricht er, als müssten diese Erlebnisse einfach heraus: »Sie kamen in langen Reihen vor uns aus dem Boden, sprangen ebenso schnell auf, duckten sich und stürmten los; die Vordersten mit gefällten Gewehren, die anderen hielten sie vor der Brust … Wir schossen ihnen mit unseren Gewehren ins Gesicht, und dann waren sie unter uns.«

Der Veteran hält in seiner Erzählung inne, holt tief Luft und fährt fort: »Wir schlugen sie nieder, aber sie standen wieder auf. Sie kämpften hart und es waren so entsetzlich viele. Ich weiß, dass ich ihnen direkt ins Gesicht gesehen habe, und doch erinnere ich mich nicht an ein einziges Gesicht wirklich. Sie knirschten mit den Zähnen und brüllten, und wir haben vermutlich dasselbe getan. Aber, und das würde ich beschwören: Wir waren nicht betrunken. Aber vielleicht verhalten sich bei so einer Gelegenheit alle wie Betrunkene. Viel mehr gibt es eigentlich nicht zu erzählen. Denn das Ganze ist wie ein Brei. Wir kämpften auf der Brustwehr und unten in der Schanze. Solange wir noch Gewehre hatten, benutzten wir sie wie richtige Soldaten. Ich behielt meins, aber ich sah andere neben mir, die mit geballter Faust zuschlugen oder sich gegenseitig in die Kehlen bissen. Ein großer hübscher preußischer Kerl sprang mit seinen Stiefeln auf die Brust eines unserer Männer und zertrampelte sein Gesicht. Ich jagte ihm mein Bajonett in den Bauch, er fiel auf mich, und ich musste mich mit einem Stiefeltritt befreien. Tritt um Tritt, aber im Grunde mag ich nicht daran denken … So war das, bis einer mir mit einem richtig dicken Knüppel einen ordentlichen Hieb auf den linken Arm verpasste … das Blut rann mir über die Finger … Um mich herum wurde geschossen, geschrien und in Hörner geblasen, aber das weckte mich auch nicht auf. Ich war in einem totalen Dämmerzustand.«


Abb. 3: Eingegrabene deutsche Batterie vor den Düppeler Schanzen.

Schlachtbank Düppel: 18. April 1864.

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