Читать книгу Schlachtbank Düppel: 18. April 1864. - Tom Buk-Swienty - Страница 14

3. Der Schlachtplan

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Ein großer schlanker Mann mit hohen Schläfen und einem gepflegten Bart, der sich um sein Kinn zog, traf um genau zwölf Uhr mittags am Hvilhøj Kro in der Nähe von Nybøl ein. Bereits anwesend waren die preußischen Generäle Canstein, Raven, Schmidt und Goeben, darüber hinaus die Kommandeure der Angriffstruppen, der Artillerie und der Pioniereinheiten. Ergeben begrüßten sie den Mann mit der ranken Figur, der aufgrund seiner Kleidung, die er auch an diesem Tag trug, kaum zu verwechseln gewesen sein dürfte: eine rote Husarenuniform mit weißen Schnüren, weißen Schulterriemen, weißem Gürtel und langen schwarzen Stiefeln mit schimmernden Sporen. Es handelte sich um den sechsunddreißig Jahre alten Prinzen Friedrich Karl von Preußen, bekannt als ›Der Rote Prinz‹. Den Beinamen hatte er bekommen, weil er stets eine rote Husarenuniform trug. Er war der Oberbefehlshaber des preußischen Heeres und hatte diese Unterredung einberufen. Er kam direkt zur Sache.


Abb. 6: Prinz Friedrich Karl von Preußen, preußischer Oberbefehlshaber bei Düppel.

»Morgen, meine Herren, erhalten Sie die Ehre«, sagte er, »die Schanzen einzunehmen, Seine Königliche Hoheit der König hat mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, dass er im Geiste mit uns ist und für uns beten wird.«

Während des Feldzugs gegen Dänemark hatte sich der Prinz mehrfach unsicher und nervös gezeigt. An diesem Tag jedoch wirkte er gelassen und selbstsicher. Am 18. April sollte die Entscheidung fallen. Der Zeitpunkt schien richtig gewählt zu sein.

»Ich wurde«, erklärte der Prinz später, »während des Feldzugs gehärtet.«

Der Rote Prinz war bei weitem nicht das erste Mal im Feld. Nach einem zweijährigen Universitätsstudium in Bonn hatte man den blutjungen Prinzen während des preußischen Feldzugs gegen Dänemark im Deutsch-Dänischen Krieg 1848 dem Militärstab von General von Wrangel zugeteilt. Der zwanzigjährige Prinz im Rang eines Majors hatte einige Monate als Adjutant gedient und bei der Schlacht von Schleswig ein so gutes Urteilsvermögen bewiesen, dass ihm die Tapferkeitsmedaille verliehen wurde. Darüber hinaus hatte er an der Niederschlagung der Badischen Revolution durch die Preußen teilgenommen und dabei eine Verwundung erlitten. Er galt als mutiger junger Mann mit einer gehörigen Portion Todesverachtung, die ihn zum Vorbild der Soldaten werden ließ; und die Treue, die seine Männer ihm erwiesen, wurde verstärkt durch die Aufmerksamkeit und Fürsorge, die er ihnen entgegenbrachte: Friedrich Karl verkörperte das Ideal des preußischen Offiziers, der seine Soldaten als seine eigenen Kinder betrachtete. Das hieß nicht, dass es nicht zu Züchtigungen kam – Züchtigungen galten als gängige Praxis im preußischen Heer, diese Art der Bestrafung wurde als notwendiger Bestandteil des Erziehungskonzepts insgesamt angesehen. Gleichzeitig hatte sich der ideale Offizier aber in allen Belangen um seine Männer zu kümmern.

1856 wurde Friedrich Karl zum Generalleutnant ernannt und 1860 zum Kommandeur des 3. Brandenburgischen Armeekorps befördert. Während des Feldzugs gegen Dänemark stand er zunächst an der Spitze des 1. Armeekorps, im Laufe des März 1864 wurde er jedoch zum eigentlichen Kommandeur der gesammelten preußischen Kräfte vor Düppel.

Die Anteilnahme des Prinzen am Schicksal der gemeinen Soldaten ging bisweilen so weit, dass einige seiner älteren Generäle ihn für rückgratlos und wankelmütig hielten. Tatsächlich erwiesen sich beide Vorwürfe als durchaus zutreffend – und er selbst war der Erste, der es zugab. Friedrich Karl litt, wenn die Soldaten unnötig allzu großen Gefahren ausgesetzt waren. In den Nächten, in denen die dänischen Batterien den preußischen Granatenbeschuss erwiderten, konnte Prinz Karl Friedrich nicht schlafen.

Sein Mitleid mit den Soldaten lag auch daran, dass er inzwischen ein erhebliches persönliches Unbehagen verspürte, wenn er sich mitten im Kampfgeschehen befand. Am 2. Februar hatte er mit annähernd 10000 Mann die Dänen in einer vorgeschobenen Schanzenstellung bei Missunde am Danewerk angegriffen; und abgesehen von der großen Zahl Infanteristen hatte ihm dabei ein geradezu gigantisches Angebot an Feldartillerie zur Verfügung gestanden: 66 Kanonen. Seine Übermacht war gewaltig gewesen: Die Dänen hatten in dem Schanzenabschnitt, den er angriff, 20 Kanonen und lediglich ein einziges Regiment – ungefähr 2500 Soldaten. Und doch misslang dem Prinzen alles.

Es war grauenhafter Tag für Friedrich Karl; er fühlte sich krank durch den Nebel, die Kälte und den Druck, für das Wohl und Wehe so vieler Menschen verantwortlich zu sein und seine Entscheidungen allein treffen zu müssen. Er hätte bis in die Knochen gefroren, schrieb er später, und seine Laune verbesserte sich durch die erbitterte Gegenwehr, mit der die Dänen seine Truppen empfingen, durchaus nicht.

Die Kanonen dröhnten bei Missunde. Die Erde bebte, der Pulverdampf mischte sich mit dem Nebel, der immer dichter wurde. Rauchwolken und Flammen stiegen in dunklen Säulen am Horizont auf. Der Ort Missunde brannte lichterloh. Preußische Einheiten rückten näher auf die Schanzen vor – aber der dänische Widerstand wurde nicht gebrochen. Als der Prinz zum Sturm auf die Schanzen von Missunde blasen ließ, bäumten sich die dänischen Artilleristen in einer geradezu übermenschlichen Kraftanstrengung auf. Granaten und Kartätschen explodierten in der Luft, pfiffen über den Boden und schlugen auch dort ein, wo Friedrich Karl sich befand. Er war verunsichert und verwirrt und musste erkennen, dass es trotz der Übermacht, über die er verfügte, unmöglich war, die dänischen Stellungen einzunehmen. Der Prinz hatte notgedrungen den Befehl zum Rückzug zu geben, ein an Menschenleben teures Manöver. Kartätschen schlugen in die retirierenden Reihen und zahlreiche deutsche Soldaten blieben auf der gefrorenen Erde liegen.

Ein Fiasko. Der erste Angriff auf die dänischen Stellungen war fehlgeschlagen, und Friedrich Karl wusste, mit welchem Ernst diese Niederlage in den leitenden Kreisen in Berlin aufgenommen werden würde. Die Kriegsskeptiker hatten reichlich Gelegenheit, den König und seinen Minister Bismarck zu kritisieren, die sich auf einen Krieg gegen diese Skandinavier eingelassen hatten.

Elend hatte der Prinz sich auch Ende März gefühlt. Das schwere, regnerische dänische Wetter zehrte an seiner Gesundheit und an seiner Stimmung. In seinem Hauptquartier auf Schloss Gråsten schlief er schlecht, außerdem fror er den ganzen Tag. Als gäbe es keine Wärme in diesen Breitengraden, schrieb er später.

Zusammen mit Stabschef Oberst Blumenthal war er einer der führenden Betreiber eines groß angelegten Angriffsplans, der Ende März umgesetzt werden sollte: das sogenannte Ballebro-Projekt. Laut Plan wollte man die Dänen mit einem Angriff über den Alsenfjord überraschen, mit dem Ziel, das dänische Heer zu umzingeln und niederzuschlagen. Von dem kleinen Fährhafen Ballegård sollten große Truppeneinheiten nach Alsen gebracht werden, um dem dänischen Heer von dort aus in den Rücken zu fallen. Der Prinz ging davon aus, dass die Dänen sich aufgrund ihrer Überlegenheit zur See auf Alsen sicher fühlten. Sie würden sich nicht vorstellen können, dass Preußen auf eine derart riskante Idee wie ein Übersetz-Manöver kam. Die Überraschung wäre vollkommen, und mit einem raschen Kneifzangenmanöver ließen sich die dänischen Truppen auf Alsen und in Düppel aufreiben.

Der Gemeine Wilhelm Gather und seine Kompanie gehörten zu den Soldaten, die an diesem Manöver teilnehmen sollten. Sie fürchteten sich vor dem Angriff, und auch Friedrich Karl gefiel der Plan nicht wirklich. Einerseits war er begeistert von dem Gedanken an einen glorreichen Sieg – gelänge der Plan, würde er den Ruhm als großer Heerführer davontragen. Auf der anderen Seite war und blieb er wankelmütig. War es nicht doch ein zu gewagtes Projekt? Laut Plan wollte man nicht an der schmalsten Stelle über den Sund setzen – hier standen die Dänen bereit, um sich zu verteidigen –, sondern an der breitesten Stelle des Fahrwassers, am Alsenford. Dort allerdings bestand die Gefahr, dass die dänischen Kriegsschiffe eingriffen, wenn es nicht gelang, den Feind vollständig zu überrumpeln. Der groß angelegte Angriff könnte somit auch zu einer totalen Niederlage werden. Der Prinz wurde krank bei dem Gedanken, und er wurde krank, sich nicht entscheiden zu können. Mehrere seiner Generäle und Ratgeber stimmten gegen das Übersetzen, was ihn noch unschlüssiger werden ließ. Die Tage vergingen. Es kam der 1. April, es kam der 2. April. Ungefähr 160 Ruderboote lagen bei Ballegård bereit. Schwere weitreichende Festungsartillerie hatte man in den Stellungen verankert, um die dänischen Kriegsschiffe zu empfangen. Tausende deutscher Soldaten waren zusammengezogen worden, außerdem wurde ein Scheinangriff auf die Schanzen als Ablenkungsmanöver vorbereitet.

Sollte er, sollte er nicht? Es herrschte Uneinigkeit unter den preußischen Generälen, vor allem der aufbrausende und temperamentvolle Blumenthal regte sich auf. Auch er war deutlich nervös und voller Zweifel, doch andererseits ertrug er die Wankelmütigkeit seines Vorgesetzten nicht. Er wollte das Ganze überstanden wissen. Abmarsch und kurzer Prozess. Er beschimpfte den Prinzen bei den Treffen des Generalstabs. Die anderen Generäle hörten staunend zu, als der Oberst brüllte: »So tun Sie doch etwas! Angriff!«

Friedrich Karl indes unternahm nichts. Am 1. April zog ein schweres Unwetter auf. Die Wellen türmten sich meterhoch im Sund, und Friedrich Karl betrachtete es als ein Eingreifen des Herrgotts, der ihm ein Zeichen gab. Die Überfahrt nach Alsen wurde ad acta gelegt und stattdessen beschlossen, die Stellungen bei Düppel durch einen Frontalangriff zu nehmen.

Allerdings waren die Strategen der Ansicht, die Schanzen wären zu stark, um sie lediglich anzugreifen, ohne sie zuvor unter systematischen Beschuss genommen zu haben. Friedrich Karl und die preußischen Generäle spürten gleichzeitig, dass die Zeit gegen sie arbeitete. In Berlin wuchs die Ungeduld. Wo blieb der große Sieg? Es musste bald etwas Entscheidendes geschehen auf dem Kriegsschauplatz im hohen Norden.

Und genau das – etwas Entscheidendes – wollte der Prinz am 17. April zustande bringen. Er und seine Offiziere hatten einen sinnreichen Schlachtplan ausgearbeitet; eine organisatorische Kraftanstrengung, bei der nichts dem Zufall überlassen bleiben sollte.

Seinen Generälen und den anderen hochrangigen Offizieren im Hvilhøj Kro gab er ganz spezielle Befehle, wie die Schlacht um die Düppeler Schanzen am nächsten Tag geschlagen werden sollte. Die Instruktionen lauteten:

In der Nacht zum 18. April rückt die erste Hälfte der Angriffstruppen um 1.30 Uhr bis Bøffelkobbel vor und bezieht von dort aus im Schutz der Dunkelheit und so lautlos wie möglich die preußischen Schützengräben (Parallelen) vor den Schanzen. Um 2.00 Uhr folgt die nächste Angriffskolonne. In den Parallelen legen sich die Truppen auf den Boden und bleiben so still wie möglich liegen – gleichzeitig wird das auf diesem Feldzug heftigste Artilleriefeuer auf die dänischen Schanzen eröffnet. 102 Kanonen werden mit unerhörter Vehemenz und Geschwindigkeit Feuer speien – Granaten und Brandbomben. Sechs Stunden soll dieses Inferno dauern. Um 10.00 Uhr wird der Beschuss der Artillerie für einen Augenblick unterbrochen, die Kanonen werden auf die dänischen Truppen hinter den Schanzen gerichtet. In dem Moment, in dem die Kanonen schweigen – Punkt 10.00 Uhr –, geht es los.

Die Generäle hörten zu. Sie waren bereit. Mehrere Tage hatten Pioniereinheiten den Sturmlauf auf Kopien der dänischen Schanzen trainiert, die man auf Broager und bei Nybøl nachgebaut hatte. Die Angriffstruppen waren aufmarschiert, alle Batterien in Stellung gebracht, die letzte Parallele gegraben.

»Noch Fragen, meine Herren?«, kam es vom Prinzen.


Abb. 7: Preußischer Artilleriepark bei Düppel.

Zunächst Schweigen. Dann durchdrang eine laute, selbstsichere Stimme den Kreis der Offiziere, die Friedrich Karl in einem Halbkreis umstanden. Adjutant von Geisler hielt die Begebenheit fest. Der Ton der Stimme, so von Geisler, war »so ruhig und geschäftsmäßig, als handle es sich um eine Frage nach der Aufnahme der Richtung. Wenn die vorderste Kolonne stutzt, Königliche Hoheit, so darf doch von hinten auf sie geschossen werden [um sie voran zu treiben]? Alles sah nach dem Sprecher hin, einem langen, hageren General mit eigentümlich spitzem Kopf, einer Brille auf der Nase und dem Habitus eines Schulmeisters. Es war Goeben. Der Prinz selbst schien einen Augenblick betroffen, doch bald erwiderte er: ›Das wird nicht vorkommen!‹ Und gleich darauf nochmals mit einer Handbewegung: ›Das wird nicht vorkommen.‹«

Schlachtbank Düppel: 18. April 1864.

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