Читать книгу Der Narrenturm - Tomàs de Torres - Страница 7

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Miguel Hermano klappte das Buch zu, aus dem er die alten Stiche – die natürlich keine jungen, nackten Frauen, sondern bekleidete Männer unbestimmbaren Alters zeigten – und die zugehörigen Zitate entnommen hatte. Er musste zu seiner eigenen Orientierung noch eine Skizze anfertigen, die die Lage der Klinik, des Turms und der Straße festhielt, doch das konnte er auch morgen erledigen.

Mittlerweile war später Nachmittag. Miguel war kein Schnellschreiber. Er kannte Kollegen, die bis zu 15 Seiten pro Stunde »schafften«, während er selbst sich mit drei bis maximal vier Seiten zufriedengab. Schließlich musste er nicht, wie mancher andere, jede Woche einen kompletten Roman abliefern.

Sein Blick fiel auf den Kalender. Sonntag, der elfte Juni. Er hatte den »Narrenturm« am Freitag, dem neunten, beginnen lassen. Er hatte es sich angewöhnt, die Handlungszeit seiner Romane möglichst nahe an die Gegenwart zu legen; das warf am wenigsten Probleme auf.

Als er das ausgedruckte Manuskript in Händen hielt, fiel ihm plötzlich ein, dass er etwas vergessen hatte: die Widmung! Der Brief des »großen Unbekannten« hatte, wenn auch verklausuliert, keinen Zweifel daran gelassen, dass ihm diese Widmung unendlich wichtig war – das Ego des Entführers, folgerte Miguel, schien nach Anerkennung regelrecht zu hungern. Vielleicht gab es da etwas in seiner Kindheit; etwas, das mit seinem Vater zusammenhing … Miguel legte diese Erkenntnis unter der Rubrik »Psychologisches« in seinem Gedächtnis ab. Vielleicht, dachte er, konnte das irgendwann einmal von Nutzen sein.

Die Widmung warf natürlich ein Problem auf: Wem sollte er den Roman widmen? Schließlich hatte der Entführer keinen Namen genannt!

»Scheißegal«, knurrte Miguel, während er eine neue Seite zu Beginn der Textdatei einfügte. Hinter Titel und Autor setzte er nach kurzer Überlegung die Zeilen:

GEWIDMET

dem »großen Unbekannten«,

ohne den dieser Roman niemals entstanden wäre.

»Völlig bescheuert!«

Aber die paar Zeilen kosteten nichts, und wenn er den Entführer dadurch ihm – und María! – wohlgesinnt machen konnte, war es der Mühe mehr als wert.

Gewohnheitsgemäß las er das Kapitel Korrektur, wobei er einige im Fluss des Schreibens stets unterlaufende Tippfehler ausmerzte. Dann rief er das Mailprogramm auf und gab die im Brief angegebene Adresse ein.

»warden@foolstower.ph«

Er war fast sicher, dass man »Narrenturm« nicht als »foolstower« ins Englische übersetzte – die Begriffe »madhouse« und »lunatic asylum« kamen ihm in den Sinn –, aber das war schließlich nicht sein Problem. In der E-Mail schrieb er einfach nur »Gefangen im Narrenturm, 1. Kapitel« und hängte dann grußlos die Textdatei an. Er klickte auf »Senden«, und bereits eine Sekunde später war der Romanbeginn unterwegs – wohin auch immer.

»Gewiss nicht auf die Philippinen«, murmelte er.

Nun konnte er nur noch warten.

Daran, die Polizei zu benachrichtigen, dachte er nicht mehr.

Der Narrenturm

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