Читать книгу Aareschwimmen - Tony Dreher - Страница 7

Kapitel 2

Оглавление

Mike blickte während der kurzen Fahrt mit der historischen Drahtseilbahn zur Altstadt von Bern aus dem Fenster herauf zum Bundeshaus und hinab zum Freibad an der Aare. In der Hand drehte er nachdenklich sein ausgeschaltetes Handy. Nachdem er die Sitzung mit Hans Werdenberger hatte platzen lassen, wusste er, dass auf seiner Combox mindestens eine Meldung auf ihn wartete. Er konnte sich deren Inhalt vorstellen.

Wenige Minuten später stieg er aus der Bahn auf die Bundesterrasse, setzte sich im Schatten auf eine alte Holzbank und hielt das Handy noch eine Weile in der Hand, bevor er es endlich einschaltete.

»Hier ist Werdenberger. Wo zum Teufel stecken Sie, Honegger? Sie hatten um halb fünf einen Termin bei mir, jetzt ist es schon Viertel vor fünf. Ich kann mir keinen guten Grund vorstellen, dass Sie nicht hier vor mir stehen, außer Sie liegen im Koma im Spital! Morgen um acht in meinem Büro.«

Auf ihn wartete eine weitere Meldung. Er erkannte die kratzige Raucherstimme seiner Arbeitskollegin. »Mike, hier ist Verena. Wo steckst du denn nur? Der Werdenberger dreht fast durch vor Wut. Deine Artikel seien immer noch nicht fertig und du seist nicht in seinem Büro, flucht er immer wieder. Mit ihm ist jetzt wirklich nicht zu spaßen. Pass auf, was du tust! Tschüss.«

Mike wählte die Nummer des Büros. Es nahm niemand ab. Der Telefonbeantworter nannte die Öffnungszeiten der Redaktion. Es mussten inzwischen alle nach Hause gefahren sein.

Werdenberger referierte bereits bei Verspätungen von fünf Minuten gerne und lange über die Wichtigkeit von Pünktlichkeit und Genauigkeit im Berufs- wie auch im Privatleben. Mike wusste, dass ihm eine geplatzte Sitzung, ohne vorherige Abmeldung, nicht nur eine besonders lange Rede, sondern weiteren Ärger einbringen würde. Er hoffte weiterhin, ein Exklusivbericht über den Fund einer Leiche beim Marzili würde als Erklärung für sein Fehlverhalten genügen. Mike entschloss, er hätte selbständig und unternehmerisch gehandelt. Ganz im Sinne des Zeitungsverlags. Wie es Werdenberger immer predigte, aber doch nicht zuließ. Er musste morgen pünktlich um acht Uhr in seinem Büro erscheinen, sich gut verkaufen und den Artikel über den ertrunkenen Mann – oder vielleicht ermordeten Mann? – vorlegen. Das musste genügen, um den alten Werdenberger zu besänftigen, und den geplatzten Termin wieder gutzumachen. Er machte sich aber nichts vor. Bis dahin musste er einiges recherchieren und hart daran arbeiten, einen handfesten, druckreifen Artikel zu schreiben.

In seiner Wohnung im dritten Stock des grauen Blocks im Breitenrainquartier verschlang er in der Küche den warmen Kebab, den er auf dem Heimweg in der Stadt gekauft hatte. Er musste als Nachtessen genügen, da er sich sofort an das Schreiben machen wollte. Mit einer großen Flasche Eistee aus dem Kühlschrank ging er in das mit einfachen Möbeln spärlich eingerichtete Wohnzimmer und setzte sich an seinen Arbeitstisch vor dem Fenster. Während sein Computer hochfuhr, nahm er sein Handy in die Hand und wählte Verenas Nummer.

»Hast du meine Meldung abgehört? Wo bist du denn geblieben, Mike? Ich sag dir, du, der Werdenberger ist fast ausgerastet.«

»Auch du musstest also an einem Feiertag bei Werdenberger antraben, was?«, fragte Mike.

»Ja, heute waren die meisten dran! Es ist ja jedes Jahr dasselbe. Aber los, erzähl mal, warum bist du nicht aufgetaucht?«

Er fasste zusammen, was er an der Aare erlebt hatte und fragte: »Hattest du vielleicht noch Gelegenheit im Büro die neusten Meldungen durchzulesen?«

»Ja, ich war nach der Sitzung noch eine Weile dort und habe sie überflogen.«

»Ist von der Polizei die Meldung über den Ertrunkenen eingegangen?«

»Nein, zu einem Ertrunkenen in der Aare wurde nichts gemeldet. Warum meinst du?«

»Die Polizei hätte doch eine Meldung veröffentlichen sollen. Sie sucht sicher nach den Angehörigen oder nach Zeugen. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass an dieser Sache etwas faul ist.«

»Was soll denn daran faul sein?«

»Ein angekleideter Mann, ohne Ausweis, am helllichten Tag in der Aare beim Marzili ertrunken? Da kann doch etwas nicht stimmen.«

Verena überlegte kurz, bevor sie fragte: »Wohin haben sie die Leiche geschickt?«

»Die Beamtin hat sie ins Institut für Rechtsmedizin geschickt.«

»Die Rechtsmedizin in der Länggasse kommt immer zum Zug, wenn eine Person nicht eines natürlichen Todes stirbt. Auch wenn der Mann verunfallt sein sollte, die Polizei will die genaue Todesursache herausfinden.«

»Ich sag’s ja. Etwas stimmt nicht.«

»Das ist nur eine Vermutung. Vergiss lieber deinen Termin morgen nicht, Mike. Der ist jetzt wichtiger als dein Erlebnis heute Nachmittag. Was ist übrigens mit deiner Artikelreihe los? Warum bist du damit noch nicht fertig?«

»Ich weiß es auch nicht. Ich recherchiere dafür schon lange, aber eine Artikelreihe über die Geschichte der Vororte von Bern begeistert mich einfach zu wenig. Mein Vater war zwar Historiker, aber mich interessiert Schweizer Geschichte oder Weltgeschichte. Bei den Vororten der Stadt harzt es einfach noch und ich schiebe die Arbeit ohne Inspiration so vor mich her. Komme einfach nicht vom Fleck.«

»Das habe ich auch schon erlebt. Öfters als mir lieb ist, glaube mir. Aber höre auf meinen Rat! Wenn du morgen von Werdenberger nicht zermalmt werden willst, so packe die Artikel heute Nacht noch an! Bis morgen früh kannst du einiges hinkriegen. Musst halt die ganze Nacht durcharbeiten. Es ist deine einzige Rettung.«

»Ich werde ihm einen Artikel über den Toten bringen.«

»Nein, Mike, tue das nicht! Du kennst ja den Werdenberger. Er möchte genau das sehen, was er bestellt hat. Nie mehr und nie weniger.«

»Schon okay. Danke für den Rat.«

Mike öffnete im Computer den Entwurf eines seiner Artikel, trank von der Eisteeflasche und starrte auf den Titel: ›Die Geschichte des Berner Vororts Ostermundigen‹. Er las den Entwurf mehrmals durch, in der Hoffnung, so in Gang zu kommen. Unbewusst richtete er wiederholt seinen Blick über den Bildschirm durch das Fenster zum gegenüberliegenden Block, der genau so grau war wie seiner.

Die Polizei hatte den Vorfall an der Aare erfasst. Die Beamtin hatte vom Polizisten sogar dringend einen Bericht verlangt. ›Vor sechs‹, hatte sie ihm befohlen. Wenn die Meldung beim Zeitungsverlag nicht eingegangen war, so musste sie wenigstens von der Polizei selbst veröffentlicht worden sein. Er öffnete die Website der Kantonspolizei Bern und durchsuchte den Bereich Aktuelles. Autounfälle, Diebstähle, Einbrüche. Das heute leider Übliche. Von einem Ertrunkenen in der Aare war aber nichts zu lesen. Auf den Websites von Boulevardblättern und Pendlerzeitungen war auch nichts zu erfahren. Niemand hatte über den Vorfall berichtet.

Draußen im Hof krachten die ersten Knallkörper, am Himmel explodierten Raketen in allen Regenbogenfarben. Die Schweiz feierte ihren ersten August.

Früh am nächsten Morgen machte Mike auf dem Weg ins Büro zuerst halt am Kiosk nebenan. Zu einem lauwarmen, wässrigen Industriekaffee in einem wackligen Plastikbecher durchforstete er an einem Stehtischchen die aktuellen Tageszeitungen und suchte nach Berichten über die Ereignisse von gestern. Keine der Zeitungen hatte über einen ertrunkenen Mann in der Aare geschrieben. Gestern war zwar ein Feiertag gewesen, trotzdem hätten die Zeitungen heute darüber berichten können. Der Tod eines Menschen war ja immer ein beliebtes Thema für Schlagzeilen. Dass keine Zeitung darüber schrieb, war zwar merkwürdig, bedeutete aber auch, dass er weiterhin exklusiv berichten konnte.

»So nicht, Honegger!« Hans Werdenbergers Wut hatte über Nacht nicht abgenommen. »Haben Sie von mir in Sachen Pünktlichkeit und Genauigkeit im Leben noch gar nichts gelernt? Wie oft muss ich mich denn wiederholen?«

Mike kannte Werdenberger gut genug, um zu wissen, dass er die Rede, die folgte, ohne ein Wort zu erwidern über sich ergehen lassen musste. Es schien ihm trotzdem eine Ewigkeit, bevor Werdenberger seufzte und endlich fragte: »Also, warum sind Sie gestern nicht aufgetaucht?«

Mike erklärte ihm detailliert, was vorgefallen war und weshalb er sich nicht gemeldet hatte. Dann legte er ihm stolz den Artikel über den Fund der Leiche in der Aare auf sein Pult. Werdenberger hörte mit grimmiger Miene zu und ignorierte den Artikel. Als Mike fertig war, sagte er: »Sie sind also nicht aufgetaucht, weil Sie glaubten, ein ertrunkener Mann sei für unsere Zeitung ein passendes und interessantes Thema? Sind wir denn nicht mehr eine angesehene Zeitung mit langer Vergangenheit, die für sich in Anspruch nimmt, hochkarätigen Journalismus zu bieten? Sind wir neuerdings zu einem Boulevardblatt verkommen, das mit persönlichen Katastrophen auf der Titelseite ihre Leser verführt? Und glauben Sie wirklich, das rechtfertige, einen Termin mit mir ohne Abmeldung platzen zu lassen?«

»Ich denke, er wurde ermordet!«, versuchte Mike sich zu rechtfertigen.

Werdenberger begann mit den Händen zu gestikulieren. »Sehen Sie, das ist ja noch schlimmer. Jetzt spekulieren Sie schon über die Todesursache. Was ist denn das für ein Niveau? Es ist sicher nicht das Niveau, das zu unserer traditionsreichen Tageszeitung passt! Dazu kommt noch, dass Sie den Auftrag, den ich Ihnen gegeben habe, nämlich eine Artikelserie zu schreiben, immer noch nicht ausgeführt haben. An fehlender Zeit scheint es ja nicht zu liegen, wenn Sie in der Aare baden gehen können und Wegwerf-Gesellschafts-Artikel wie diesen schreiben können!«

Er stand hinter seinem Pult auf, ging zum Fenster und blickte lange hinaus.

»Nein, Honegger. Wir wissen beide seit einiger Zeit, dass wir nicht zusammenpassen. Suchen Sie sich eine Stelle bei einer Gratiszeitung. Dort können Sie in fünf Zeilen etwas über Mordfälle spekulieren, das jeder Pendler im Halbschlaf am Morgen im Zug konsumieren kann und nicht mehr als einen Grundwortschatz von 100 Wörtern voraussetzt. Aber nicht hier und nicht bei mir. Die Fortsetzung unseres Arbeitsverhältnisses ist aus meiner Sicht nicht mehr zumutbar. Es wäre also besser, wenn Sie Ihr Pult räumten. Sie haben eine Stunde Zeit, dann will ich Sie nicht mehr sehen. Das wäre alles. Sie können gehen.«

Seine Arbeitskollegen waren schockiert, als Mike ihnen kurz mitteilte, dass Werdenberger ihn soeben gefeuert hatte. Da dieser aber mit gekreuzten Armen unter dem Türrahmen seines Büros stand und wie ein Feldherr auf sein Schlachtfeld in das Großraumbüro starrte, getraute sich niemand, was zu sagen. Einzig Verena nahm ihr Headset ab und flüsterte ihm mit einem Lächeln voller Mitleid zu: »Ich rufe dich an.«

Mike ging zu Fuß zum Bahnhof, wo er sich auf dem Vorplatz an einen Restauranttisch setzte und einen Kaffee bestellte. Er konnte nicht fassen, was soeben geschehen war. Den Generationenunterschied zwischen ihm und Werdenberger hatte er schon seit Langem gespürt, wie seine Kollegen und Kolleginnen auch, und sie hatten auch nie richtig harmoniert. Dass er ihn jedoch feuern würde, hätte er nie gedacht. War er wirklich zu weit gegangen? Auch nach langem Überlegen beurteilte er seinen gestrigen Entscheid weiterhin als richtig. Als Journalist musste er jede Gelegenheit packen, um über Außergewöhnliches zu berichten, wann und wo immer sie sich auch bot, Sitzungstermine hin oder her. Er bestellte einen zweiten Kaffee. Den Toten in der Aare würde er nicht loslassen, dazu war er jetzt erst recht entschlossen. Er würde dem Fall nachgehen, herausfinden, wer der Mann war und einen erstklassigen Artikel darüber schreiben. Damit würde er eine neue Stelle suchen.

Die Polizeiwache Bern steht nicht weit vom Bundeshaus entfernt am Waisenhausplatz, in einem dreistöckigen, palaisähnlichen Gebäude, das bis fast Mitte des letzten Jahrhunderts als Knabenwaisenhaus diente.

»Wie kann ich Ihnen helfen?« Ein korpulenter Mann mit kurz geschorenen Haaren inspizierte Mike mit seinen kleinen schwarzen Augen durch das Panzerglas des Empfangsschalters. Sein abschätziger Blick verriet ihm, dass er von Mikes Jeans und T-Shirt nicht viel hielt.

»Ich bin Journalist und arbeite bei den ›Berner Nachrichten‹. Ich recherchiere den Todesfall von gestern im Marzili. Wem kann ich dazu einige Fragen stellen?«

»Wer sagt denn, dass es gestern einen Todesfall gegeben hat?«

»Ich habe die Leiche selbst gesehen und war dabei, als zwei Polizisten und eine Frau vom kriminaltechnischen Dienst sie untersuchten.«

Der Beamte zögerte einen Moment, schaute ihn misstrauisch an und fragte: »Was genau wollen Sie denn wissen?«

»Ich möchte mich über den Stand der Ermittlungen informieren. Meine Leser wollen wissen, ob der Mann inzwischen identifiziert wurde.«

Mit ›meine Leser‹ bluffte Mike erst recht. Nachdem er heute Morgen gefeuert worden war, hatte er keine Leser mehr. Er hoffte aber, seinem Anliegen damit mehr Gewicht zu verleihen.

»Haben Sie auch schon etwas von Datenschutz gehört? Wenigstens das gibt es bei uns in der Schweiz noch.«

Der Mann wandte seinen Blick von Mike ab und wischte sich demonstrativ einige Krümel seines Frühstücks von seinem grauen Kittel, der einige Nummern zu klein wirkte.

»Hören Sie bitte zu. Ich bin Journalist und weiß, welche Informationen Sie herausgeben dürfen, ohne den Datenschutz zu verletzen. Suchen Sie jemanden, der mir Antworten liefern kann, oder nicht?«

Der Beamte runzelte seine Stirn und nahm provokativ langsam den Telefonhörer in die Hand. Er sprach leise, sodass Mike dem Gespräch durch die Glaswand nicht folgen konnte.

»Also dann. Es kommt gleich jemand. Dort ist der Warteraum.«

Mike musste nicht lange warten, bis ein uniformierter Polizist in den Warteraum trat.

»Sind Sie der Journalist, der nach einem angeblichen Unfall in der Aare fragt?«

Die höfliche Stimme wirkte künstlich aufgesetzt.

»Ja.«

Bevor Mike sich vorstellen konnte, hielt ihm der Polizist die Hand entgegen, als ob er an einer Kreuzung den Verkehr anhalten wollte.

»Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen. Gestern ist bei uns keine Meldung über einen angeblichen Badeunfall eingegangen. Es muss sich um einen Irrtum Ihrerseits handeln.«

Mike sah ihn erstaunt an.

»Nein, da muss es sich um einen Irrtum Ihrerseits handeln, denn ich war dabei, als die Leiche aus der Aare gezogen wurde und als Ihre Kollegen sie untersuchten. Und es war übrigens kein angeblicher Badeunfall.«

»Wie gesagt, es tut mir leid, Herr Honegger, uns ist nichts bekannt. Ich habe alle Meldungen von gestern selbst überprüft. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

Er schaute Mike direkt in die Augen und setzte erneut sein künstliches Lächeln auf.

»Was Sie sagen, stimmt nicht und Sie wissen es! Einer Ihrer Kollegen hat meine Personalien aufgenommen.«

»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich war ja, wie Sie wissen, selbst nicht anwesend. Abschließend kann ich nur wiederholen: Uns ist nicht bekannt, dass gestern jemand in der Aare verunfallt ist. Vielleicht war der Mann ja nur ohnmächtig und Sie glaubten, er sei tot gewesen. Solche Verwechslungen kann es geben und führen unweigerlich zu peinlichen Missverständnissen. Leider konnte ich Ihnen nicht weiterhelfen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«

Er verschwand durch den Türrahmen, und Mike hörte nur noch das Piepsen des Badgelesers, als er die Sicherheitstür ins Innere des Gebäudes öffnete.

Als Mike aus dem Wartesaal trat, ignorierte ihn der dicke Beamte am Schalter, der in irgendwelchen Papieren wühlte. Er verließ das Gebäude, ging die Stufen zum Vorplatz hinunter und spazierte nachdenklich durch den schönen Garten zum Eisentor und zum Waisenhausplatz, wo er sich auf eine Bank setzte und dem Wasser zuschaute, das über den Oppenheim-Brunnen plätscherte. Er spürte, dass der Polizist mehr wusste, als er zugab, und ihn angelogen hatte. Er hatte auch das Gefühl, dass ihm im Gespräch mit dem Polizisten etwas entgangen war, das ihm hätte auffallen müssen, etwas, das nicht stimmte. Gedanklich ging er das Gespräch mit ihm noch einmal durch, erkannte aber nicht, was es sein könnte.

Eine Gruppe Touristen folgte dem von ihrer Reiseleiterin hochgehaltenen Sonnenschirm und hielt vor dem bekannten Brunnen an. Noch bevor die Reiseleiterin mit ihren Ausführungen beginnen konnte, knipsten schon unzählige Kameras. Hinter der Gruppe verließen drei Geschäftsherren mit Aktenkoffern in den Händen ein Schulgebäude. Mike schaute ihnen zu, wie sie sich voneinander verabschiedeten. Da fiel ihm ein, was ihm im Gespräch mit dem Polizisten entgangen war: Der Polizist hatte ihn mit seinem Namen angesprochen, Mike hatte sich aber in der Polizeiwache nicht namentlich vorgestellt. Der Polizist konnte seinen Namen unmöglich kennen. Außer … ja, der Polizist hatte den Bericht von gestern gelesen. Dort waren seine Personalien vermerkt, und deshalb kannte er seinen Namen.

Er schloss die Augen und dachte über den gestrigen Tag nach. Bei ihrer Ankunft an der Aare hatten sich die Polizisten und die Beamtin nicht vorgestellt. Aber danach … ja, jetzt konnte er sich wieder daran erinnern. Die Frau hatte den kleineren der beiden Polizisten neben der Leiche mit seinem Namen, Kunz, angesprochen. Und bei der Eröffnung des Protokolls in das Diktiergerät hatte sie ihren eigenen Namen genannt. Jacqueline irgendetwas. Meyer-Lang, ja, das war ihr Name gewesen. Er musste die beiden Polizisten und die Frau in Zivil finden. Die wussten genau, was geschehen war. Er öffnete die Augen und sah den Touristen nach, wie sie zum Bärenplatz in Richtung Bundeshaus weiterzogen. Dann nahm er sein Handy hervor.

»Kantonspolizei Bern, grüessech.« Er drückte es näher ans Ohr.

»Könnten Sie mich bitte mit Frau Meyer-Lang verbinden?«

»Moment bitte«, Mike hörte den Mann den Namen auf der Tastatur seines Computers schreiben. »Es tut mir leid, wir haben keine Frau Meyer-Lang bei uns. Sind Sie sicher, dass der Name stimmt?«

»Ja, ganz sicher. Können Sie noch einmal nachschauen?«

»Ich habe unter Meyer gesucht, mit i und mit y. Auch unter Lang finde ich niemanden. Kann Ihnen vielleicht jemand anders helfen?«

»Ja, da ist noch ein uniformierter Polizist namens Kunz. Könnten Sie mich bitte mit ihm verbinden?«

Wieder hörte Mike das Tippen auf der Tastatur.

»Kunz, Jürg. Ja, den habe ich gefunden. Ich verbinde.«

Das Telefon klingelte dreimal.

»Kantonspolizei Bern, Kunz.« Mike erkannte die Stimme sofort. Es war der Polizist von gestern.

»Guten Tag, Herr Kunz, ich bin Mike Honegger und war gestern dabei, als Sie die Leiche untersuchten, die in der Aare entdeckt wurde. Ich würde Ihnen gerne einige Fragen zu diesem Fall stellen.«

Kunz erwiderte nichts. Er hängte das Telefon auf.

Mike wählte die Nummer noch einmal und wurde wieder verbunden. Das Telefon klingelte und klingelte. Dann meldete sich ein Beantworter. »Der gewünschte Teilnehmer ist momentan nicht erreichbar. Bitte hinterlassen Sie nach dem Ton …«

Mike wartete das Ende der Meldung nicht ab und hängte auf. Frustriert schlug er mit der Faust neben sich auf die eiserne Bank. Jeder Versuch, etwas herauszufinden, führte in eine Sackgasse.

Sein Magen begann zu knurren, es war fast Mittag. Im nahe gelegenen Starbucks kaufte er sich ein Sandwich und einen Kaffee und setzte sich unter einen Sonnenschirm auf den Balkon. Die Sonne brannte heiß auf den Platz. Mike blickte auf die Menschen herab, die sich im Schatten der Bäume eine Pause von der Arbeit oder vom Einkauf gönnten. Kunz wollte nicht mit ihm reden, Meyer-Lang war bei der Polizei unauffindbar. Trotzdem musste er mehr über den Toten herausfinden. Aber, wie?

Aareschwimmen

Подняться наверх