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PROLOG Mein Jahr mit Donald

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Kurz nach meiner Ankunft in den USA hatte ich mir gedacht, das sei ein wahnsinnig guter Titel für ein Buch: „Mein Jahr mit Donald“. Nicht wegen Trump. Sondern wegen meines Nachbarn. Am Silvestertag 2016 – Trump war schon gewählt, aber Obama noch Präsident, man steckte in einem merkwürdigen Zwischenreich fest und fühlte sich wie in dem Witz über jenen Mann, der in einen hundert Meter tiefen Abgrund stürzt und zehn Meter vor dem Aufprall denkt, bisher sei noch alles gut gegangen – waren wir in die USA und in ein kleines möbliertes Haus gezogen, an den Stadtrand von Nashville, Tennessee: einem Staat im Süden der USA, bekannt für Countrymusic, Bourbon-Whiskey und die Gründung des Ku-Klux-Klans. Alle drei Dinge passten irgendwie auch ganz gut auf unser Viertel Sylvan Heights, das ein wenig so aussah, als hätte ein Regisseur die Kulisse für eine Dokumentation über Trump-Wähler errichten lassen, um ja nicht wirklich selbst einen Fuß in Trump-Country setzen zu müssen.

Nach einem Jahr zogen wir innerhalb der Stadt um. Das lag primär an dem Wasser, das ständig in den Keller lief. Aber es lag wohl auch ein bisschen daran, dass wir nicht besser waren als die Menschen, die ich in einem meiner letzten Bücher über „Die Politik der Echokammer“ beschrieben hatte: Als die Gelegenheit sich bot, übersiedelten wir, wenn auch gewiss nicht bewusst, in eine Nachbarschaft mit Leuten, die so waren wie wir, so lebten wie wir, so aussahen wie wir. Genauer gesagt zogen wir nach Hillsboro Village in der Nähe des Campus der Vanderbilt University, wo ich arbeitete: in ein Viertel mit Bürgersteigen (in den USA eine Seltenheit), vielen Coffeebars, Kinder-Yoga-Studios und einer französischen Bäckerei („Provence“). „Refugees Welcome“ steht in allen Fenstern der süßen kleinen Mode-Boutiquen; dort könnte der Geflüchtete dann für 150 Dollar ein bunt bedrucktes T-Shirt erstehen – aber es soll ja auch russische Oligarchen und afrikanische Potentaten auf der Flucht geben.

Zurück ließen wir Sylvan Heights, ein Viertel, das von alldem das Gegenteil war. Und wir ließen Donald zurück, meinen Nachbarn. Misstrauisch hatte er uns die ersten Monate von seinem Vorgarten aus beäugt. Mitte fünfzig, lange weiße Haare, hinten zu einem Pferdeschwanz geknotet, Basecap, blaue Jogginghose, stets zu Hause anzutreffen. Ich weiß nicht mehr, wie er und ich schließlich ins Gespräch kamen, aber sicher ist, dass mit Kindern alles leichter ist. Zu meinem Sohn hatte er als erstes einen Draht gefunden. „Wanna see my race car?“, fragte Donald eines Tages, als wir vom Einkaufen kamen, und zeigte auf seinen ramponierten Nissan, dessen Karosserie er mit Klebeband zusammenhielt, aber jeden Tag mit äußerster Hingabe wusch. Mein vierjähriger Sohn, in Autofragen äußerst versiert, ließ sich kein X für ein U vormachen und hatte den Hochstapler sofort durchschaut. „That’s not a race car!“ „Oh yes, it is!“, rief, nein brüllte Donald zurück. „No! It’s not“, erwiderte mein Sohn. „It is!“ … „It’s not!“

Ich hielt mich raus. Aber komischerweise war das Eis danach gebrochen. Wir schnackten jetzt manchmal über den Gartenzaun hinweg, sein Südstaaten-Englisch ein so breit gezogener Singsang, dass ich manchmal kaum ein Wort verstand. Jedes Mal ging er ins Haus, weil er mir etwas zeigen wollte – einen Pokal, den er gewonnen hatte vor vierzig Jahren in der Highschool; einen Zettel, den er irgendwo auf der Straße gefunden hatte und dessen Schrift er nicht entziffern konnte, aber meinte, es könnte Deutsch sein; einen Bierkrug von Löwenbräu, den er aus einem verlassenen Haus gerettet hatte. Wenn es regnete, fuhr er mich in seinem getapten Nissan für fünf Dollar die drei Meilen zur Uni.

Doch während wir uns näherkamen, wuchs mein schlechtes Gewissen. Er konnte schließlich nicht wissen, dass ich ihn insgeheim längst zum Objekt meiner wissenschaftlichen Begierde auserkoren hatte. Denn Donald (das musste doch ein Zeichen sein, oder?) hatte immer noch ein „Trump/Pence 2016“-Schild in seinem Fenster, für jedermann gut sichtbar in dieser Nachbarschaft, wo sonst nicht wenige Fenster verrammelt waren. Ich fantasierte davon, wie mich Donald seinen Freunden und Verwandten vorstellte, wir gemeinsam zu „Make America Great Again“-Veranstaltungen gehen würden, dabei wie in einem dieser amerikanischen Roadmovies durch die Landschaft fahren und er mich immer tiefer (so wie das weiße Kaninchen Alice ins Wunderland gelotst hatte) in den Kaninchenbau des konservativen Amerikas hineinführen würde.

Doch Donald blieb stumm. Wann immer ich auf Politik zu sprechen kommen wollte, wurde er wortkarg, brummte Unverständliches vor sich hin und wechselte das Thema. Nur einmal, wenn auch nicht direkt von ihm gewollt, bekam ich doch einen Einblick in die Gedanken welt, in der er sich vermutlich bewegte. Wir hatten Donald und sein girlfriend („my lady“ nannte er sie) zum original deutschen Weihnachtskaffee eingeladen, es war das Ende des ersten Jahres und auch schon fast so etwas wie ein Abschied. Wir tauten Apfelstrudel und Donauwelle von „Äldi“ auf und spielten auf Spotify „O Tannenbaum“. Donald hatte unseren Kindern Schokolade und Spielzeug mitgebracht. Seine Freundin kam inmitten der weihnachtlichen Idylle dann allerdings ohne Umschweife gleich zur Sache: Aus Deutschland käme ich. Sehr schön sei es da, habe sie gehört. Immer habe sie hinreisen wollen, aber nun sei es wohl zu spät: In den meisten größeren Städten herrsche ja jetzt die Scharia, ja, das habe sie gelesen. Im Internet. Wo wir schon mal dabei waren: Nicht, dass es den USA besser ginge. Es werde kommen wie in Namibia: Die Schwarzen würden bald das Land zurückfordern und dann gäbe es Bürgerkrieg. Wir anderen begannen nervös auf unseren Stühlen rumzurutschen, am meisten Donald, dessen Sensibilität ich eindeutig unterschätzt hatte; ihm war das alles sichtlich unangenehm. In einem verzweifelten Versuch, das Thema zu wechseln, lobte er ausgiebig den Kuchen („Good cake, really good cake!“), aber seine Freundin kannte einfach kein Erbarmen: Sie und ihre Freunde seien jedenfalls auf alles vorbereitet. Naja, sie sei zu alt. Aber ihre Freunde, die übten jeden Tag im Wald. Mit der Miliz. „Das ist ja sehr interessant“, meinte ich und versuchte, mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen, fragte aber gleich, ob ich da vielleicht einmal dabei sein könnte. Aus den Augenwinkeln sah ich die Gesichtszüge meiner Frau entgleiten. Klar, sagte Donalds Sweetheart, das sei im Übrigen auch alles sehr familienfreundlich, ich sollte unbedingt die Kinder mitbringen.

Ich bin dann doch nicht zum Schießen in den Wald gegangen. Ich bin überhaupt Donald in keinen Kaninchenbau gefolgt. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn wir in Sylvan Heights wohnen geblieben wären, aber eigentlich glaube ich das nicht. Der eine Grund war, dass mir, je länger ich Donald kannte und er mir aus seinem Leben berichtete, umso klarer wurde, dass sich an ihm nichts Grundsätzliches vorexerzieren oder etwas Allgemeines erzählen ließ – denn in seinem Leben war so viel verkehrt gelaufen und auch tragisch Schlimmes passiert, dass sich daraus keine Typologie des typischen Trump-Wählers erstellen ließ.

Der zweite Grund aber war, dass ich schon damals ahnte, dass eine solche Expedition in die Lebenswelten der Trump-Wähler niemand mehr braucht. Es war eine romantische Idee – die bereits dutzendfach realisiert worden ist. Es gibt wirklich keinen Mangel an Reportagen über depressive Stahlarbeiter in Michigan und wütende Kohlekumpel aus West Virginia, über verrückte Waffennarren in Colorado und evangelikale Frömmler aus Alabama; manches auch wirklich gut, einiges aber auch eher nicht, vieles davon in Buchform vorliegend, auf Deutsch und auf Englisch. USA-Erkundungen dieser Art waren immer schon populär, aber seit dem November 2016 sind sie eine Massenindustrie geworden, entstanden in der guten Absicht, zu verstehen, was das eigentlich für Menschen sind, die Trump in das Weiße Haus gewählt haben.

Es ist, zumindest für den Augenblick, ein erschöpftes Genre. Und es ist vielleicht kein Zufall, dass einige der fiktionalsten Geschichten aus der Feder des großen „Spiegel“-Fälschers Claas Relotius ausgerechnet über die USA berichteten und dabei die altbekannten Zutaten zusammenrührten: amerikanische Kleinstadt, ihre gottesfürchtigen Bewohner, die Härten der Wirtschaftskrise, die, bei aller vorgespiegelten Empathie, genüssliche Schilderung der Beschränktheiten der Trump-Wähler. Kein Wunder, dass zunächst niemandem die dreiste Fälschung aufgefallen ist – denn so oder ähnlich haben wir es bereits tausend Mal gelesen; es hätte wahr sein können. Das war der eigentliche Grund, warum mich bei der Bekanntschaft mit Donald sofort eine reflexhafte und letztlich ganz falsche Aufregung befallen hatte, denn er erinnerte mich an eine Figur, die mir in irgendeiner Geschichte längst schon einmal begegnet war. Es gibt in diesen Geschichten überhaupt – auch da, wo sie durchaus Wahrheiten enthalten – einen bedenklichen Überhang eines ganz bestimmten Trump-Wählers: des in seinem sozialen Status bedrohten Angehörigen der Arbeiterklasse mit niedrigem Bildungsstand, der irgendwo auf dem platten Land oder im deindustrialisierten rust belt der Vereinigten Staaten lebt. Das blendet die Millionen äußerst gut situierter Amerikaner aus, die in wohlhabenden Vororten des Landes wohnen, keine sozialen Härten zu ertragen haben, ziemlich genau wissen, welche Art von Person Donald Trump ist – aber ihm trotzdem ihre Stimme gegeben haben.

Jedenfalls soll dieses Buch keine weitere USA-Reportage sein, kein Bericht „aus dem Inneren“, schon gar keine Exkursion in die vermeintlich so exotische Lebenswelt des Trump-Wählers, jenes angeblich forgotten American, der vor und nach der Wahl gefühlte 100 000-mal interviewt wurde und in ebenso vielen Reportagen zu Wort kam. Das heißt nicht, dass das Buch völlig auf meine persönlichen Erfahrungen der letzten dreieinhalb Jahre verzichten würde, dass es nicht auch impressionistische Einschübe gibt, wo sich etwas durch unmittelbar Erlebtes besonders eindrücklich darstellen lässt. Aber im Ganzen soll doch ein anderer Weg eingeschlagen und danach gefragt werden, welche strukturellen Bedingungen überhaupt eine Figur wie Trump ins Weiße Haus bringen konnten.

Damit rückt automatisch eine Reihe von zentralen Fragen in den Mittelpunkt: Was sind die Gründe für die tiefe Spaltung des Landes, das früher einmal als Land des Pragmatismus galt, das sich, anders als Europa, stets ferngehalten hatte von gefährlichen Utopien? Und was hat es mit Trump selbst auf sich? Gibt es Vergleichbares in der Geschichte, oder bleibt Trump eine singuläre Figur? Wie gefährdet ist die Demokratie in Amerika, könnte Ähnliches auch bei uns passieren? Und wie könnte eine Welt nach dem Hagelsturm dieser Präsidentschaft aussehen? Um es zuzuspitzen: Dieses Buch handelt mindestens ebenso stark von der Vergangenheit und der Zukunft wie von der Gegenwart. Denn: Bei dem Tempo der Geschehnisse seit November 2016 ist es ohnehin aussichtslos, mit der Gegenwart mithalten zu wollen. Das Buch stellt somit auch einen Kontrast dar zu den ebenfalls bereits reihenweise verfassten Nacherzählungen der bisherigen Trump-Präsidentschaft. Trumps Weißes Haus leckt seit dem ersten Tag an allen Ecken und Enden wie ein verrostetes Schiff. Niemals zuvor wurde man so voyeuristisch perfekt bedient wie von dieser Regierung, deren personelle Kabalen und ständige Personalwechsel eine Rekordzahl von Aussteigern produziert haben, die, bar jeder Loyalität zu einer Sache oder Person, nur zu gern auspacken über all die Merkwürdigkeiten dieser Regierung und ihres Präsidenten. Es sind unterhaltsame Bücher; aber jedes von ihnen ist nach wenigen Monaten schon wieder überholt, genauer: überrollt von einer neuen Welle des Ungeheuerlichen.

Es soll dabei, wie schon angedeutet, keineswegs allein um die USA gehen. Die besseren Amerika-Bücher sind immer jene gewesen, die das Eigene im Fremden gesucht haben. Das war auch bei dem französischen Publizisten und Politiker Alexis de Tocqueville so, der mit seiner Studie „Über die Demokratie in Amerika“ im 19. Jahrhundert glaubte, die Zukunft Frankreichs antizipieren zu können. Damals ging es um die Auswirkungen, die die Ideen von Gleichheit und individueller Freiheit auf gesellschaftliche und politische Strukturen haben würden. Wenn wir heute in die USA blicken, dann stellen wir uns eher bang die Frage, ob auch bei uns ein Trump möglich wäre – und ob, wenn er dann käme, unsere Demokratie ihn aushalten würde.

Allgemeiner gefragt, geht es um die Gründe für die extreme Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft und Politik – eine Polarisierung, die bereits unübersehbar war, als man in Europa noch die Gleichförmigkeit der politischen Parteien und das Abschmelzen ehedem klarer weltanschaulicher Grenzen beklagte. Die Frage lautet daher, wie viel von der Spaltung des Landes sich spezifisch US-amerikanischen Phänomenen verdankt – davon soll vor allem Kapitel 1 handeln – und was wiederum mit sozialen Desintegrations prozessen zu tun hat, die sich auch in anderen modernen Demokratien beobachten lassen, in den USA aber vielleicht nur sehr viel weiter fortgeschritten sind. Es ist vor allem der letzte Punkt, der mich interessiert, weil ich glaube, dass man in den USA seit einiger Zeit eine Entwicklung beobachten kann, die sich nicht auf dieses Land beschränkt, sondern dort nur früher und radikaler begonnen hat: dass es gerade die Zuwächse an individueller Freiheit sind, die dazu geführt haben, dass sich die Amerikaner ganz besonders mit anderen Gleich gesinnten in ihren ideologischen Echokammern eingerichtet und die Zugbrücken zur Gegenseite hochgezogen haben. Man könnte auch sagen: Sie wählen, nicht ständig die Wahl haben zu müssen – ein Prozess, den man als „paradoxe Individualisierung“ bezeichnen könnte. Davon handelt Kapitel 2 dieses Buches.

Und ja: Es geht auch um Donald John Trump. Einem ersten Impuls folgend, ist man geneigt, ihn einmal rauszulassen aus allem. Haben wir nicht schon zu viele Worte über ihn verloren, und hat er uns mit seinen Banalitäten und Obszönitäten nicht schon genügend Lebenszeit gestohlen? Trump ist der Verkehrsunfall am Straßenrand: Alle wissen, dass es falsch ist, hinzuschauen, aber kaum einer kann es lassen. So hat er uns zu den Voyeuren seiner täglichen Twitter-Tiraden gemacht und damit auch zu den heimlichen Komplizen seines politischen Dadaismus. Damals, nachdem das Unvorstellbare passiert war, Trump die Wahl gewonnen hatte und man kaum wusste, woran man sich noch festhalten sollte in dieser Woge des Surrealen, da lautete eine der beruhigenderen Erzählungen, dass Trump schon bald in der Realität ankommen werde. Erst einmal konfrontiert mit den Mühen des Regierungsalltags und im Besitz des Koffers mit den Abschusscodes für das gesamte Nukleararsenal einer Supermacht, werde er schließlich doch noch erkennen, dass die Präsidentschaft kein Reality-TV ist. Die Wirklichkeit selbst, kurzum, werde schaffen, was Hillary Clinton, den Demokraten, den Wahlen nicht gelungen war: Trump auf den Boden der Tatsachen zu holen, ihn einzunorden in die Welt, wie sie nun einmal ist, und nicht, wie er sie sich vorstellte.

Die Wahrheit aber ist, dass Trump in den frühen Morgenstunden des 9. November 2016 keineswegs in unserer Welt aufgewacht ist – sondern wir seitdem jeden Morgen in seiner. Wie schön wäre es doch, wenn man ihn einfach nur als Agenten der kapitalistischen Klasseninteressen oder als Marionette Putins interpretieren könnte. Doch all das ist Trump nicht. Er ist Herr seiner eigenen, wenngleich nicht immer konsistenten Eingebungen. Und der Aufstieg einer solchen Figur ist nun einmal – allen strukturellen Gründen für die Blüte des Populismus zum Trotz – weiterhin das größte Rätsel unserer Zeit.

Wie das Buch zeigen wird, ist es gewiss sehr richtig, Trump ganz primär als Symptom, nicht als Ursache der offenkundigen politischkulturellen Verschiebungen in den westlichen Demokratien zu sehen: Nicht Trump hat die Polarisierung geschaffen, sondern sie ihn. Aber es ist wohl nicht zu kühn, wenn man voraussagt, dass künftige Historiker seine Wahl dennoch als Zäsur beschreiben werden, denn er hat schon jetzt die Maßstäbe dessen, was wir überhaupt unter Politik verstehen, weit verschoben. Welchen weiteren Schaden er noch anrichten mag: Die Welt unserer Vorstellungen hat er bereits ruiniert. Man wird vor allem verstehen müssen, woraus das Band besteht, das Trump zwischen sich und seiner treuesten Anhängerschaft schon früh gespannt hat. Zwar ist an Trump vieles in grotesker Weise überzeichnet, aber im Kern lässt sich an ihm eben doch etwas Generelles studieren über den Populisten und seine Gefolgschaft. Die Natur dieser Beziehung ist jedoch gerade nicht identisch oder auch nur teilweise verwandt mit der Beziehung zwischen Führer und Gefolgschaft im Faschismus, sondern folgt ganz eigenen Logiken: Daher geht es in Kapitel 3 um „Trump und die populistische Entfesselung“.

Von der übermäßigen Fixierung auf Trump war schon die Rede. Und was sich gerade in den USA vollzieht, ist ein gutes Beispiel dafür, dass die übermäßige Obsession mit dem „Feind“ nicht gerade förderlich ist. Man braucht keine falsche Äquivalenz herzustellen, um zu erkennen, dass die gesamte amerikanische Linke sich seit Trump ebenfalls verändert hat. In einer Art von Feindesimitation nimmt sie eine erschreckende Ähnlichkeit an mit dem, was sie eigentlich bekämpfen will. Auch die Demokraten haben sich spätestens seit der Ära Trump radikalisiert, und die Art und Weise, wie dies sich vollzogen hat, weist bestürzende Parallelen mit jener Entwicklung auf, die am anderen Ende des politischen Spektrums schon vor längerer Zeit begonnen hat: die von der Basis eingeforderten ideologischen Reinheitstests für ihre Politiker; die teils enthemmte Sprache; ja, sogar das: die Neigung zum Verschwörungsdenken. Gerade beim letzten Punkt ist der Abstand zum politischen Gegner allerdings noch beträchtlich; und so gilt bis auf Weiteres das, was ein kluger Beobachter der amerikanischen Politiker schon vor einiger Zeit feststellte: „The left’s gone left, but the right’s gone nuts.“ Doch das muss nicht so bleiben; und beobachtet man, was der Konflikt mit Trump mit dem liberalen Amerika gemacht hat, dann wird man bisweilen an einen berühmten Satz von George Bernard Shaw erinnert: Man sollte sich nicht mit einem Schwein im Dreck wälzen – beide werden dreckig, aber das Schwein hat saumäßig Spaß dabei. Kapitel 4 handelt daher vom Linksschwenk der Demokratischen Partei.

Im fünften und letzten Kapitel schließlich soll es um jene Frage gehen, die seit dem November 2016 schon unzählige Male gestellt worden ist, aber stets in Kaffeesatzleserei enden muss: Wie lange kann die amerikanische Demokratie diesen Zustand der extremen Polarisierung noch aushalten, ohne ernsthaften Schaden zu nehmen? Die Wahrheit ist, dass diese Frage niemand wirklich seriös beantworten kann, weil es sich einfach um eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten handelt. Aber man kann sich vielleicht annähern, indem man einmal systematisch durchdekliniert, was in den politischen Feuilletons ansonsten eher en passant geraunt wird: eine historische Einordnung der Gegenwart. In den letzten drei Jahren ist das Genre des Geschichtsvergleichs förmlich explodiert. Trump war schon ziemlich alles, am häufigsten wohl: Nero, Caligula, Cäsar, Ludwig XIV. und natürlich, immer wieder, Hitler. Auch die USA selbst haben einiges durchmachen müssen: Rom vor dem Umschlag von der Republik in die Diktatur bis zur Weimarer Republik in der Endphase und anderes mehr.

Das Spiel mit historischen Analogien kann oft irreführend und damit sogar gefährlich sein, da es Wiederholung insinuiert, wo doch in Wahrheit Neues am Werk ist. Dann stiftet es einfach nur zu Denkfaulheit an. Aber historische Analogien können, mit Vorsicht genossen, auch sehr nützlich sein, und zwar ironischerweise oft gerade dort, wo sie versagen. Sie vermessen den Raum des Bekannten – und machen gleichzeitig deutlich, wo das Unbekannte, die Zäsur, beginnt. So ist es auch mit Amerika in der Trump-Ära. Es gibt durchaus einige wenige Analogien, die nicht ganz abwegig sind und denen vielleicht tatsächlich ein paar bescheidene Weisheiten zu entnehmen sind. Dennoch gelangt man rasch an einen Punkt, an dem sich offenbart, wie heftig und nachgerade bestürzend tiefgreifend die Zäsur ist, die Trump markiert, und wie sehr er aus dem Raster fällt, mit dem historische Figuren in der Regel vermessen werden. Aber gerade das lässt das Neuartige an ihm umso schärfer hervortreten. Am Ende bleibt dann vielleicht dies: dass Trump wohl letztlich in keiner Tradition steht; dass aber sehr gut möglich ist, dass er der Beginn von einer sein könnte.

Amerika im Kalten Bürgerkrieg

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