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„A republic, if you can keep it“

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Merkwürdig, aber wahr: Es ist noch gar nicht allzu lang her, da beklagten sich die Intellektuellen in Europa über ein Zuwenig an politischem Streit und ein Zuviel an Konsens. Zwar distanzierten sich alle in einem pflichtschuldigen Ritual von Francis Fukuyamas „Ende der Geschichte“1 – einem übrigens oft missverstandenen Buch, denn der US-amerikanische Politikwissenschaftler war niemals so naiv-optimistisch, wie seine Kritiker ihm unterstellten. Und doch atmeten nicht wenige Debatten der 2000er-Jahre genau jenen Geist der posthistoire. Mehr als einen direkten Angriff auf die Demokratie durch einen rechten Autokraten fürchtete man die sogenannte Postdemokratie: eine stillgelegte politische Maschinerie, aus der die passiv gewordenen und politikverdrossenen Bürger sich längst verabschiedet hatten, während die Politik selbst zur reinen Technokratie verkommen war.2 Kein Buch symbolisierte den Geist der Zeit vermutlich so gut wie Stéphane Hessels „Empört Euch!“3: ein ebenso moralischer wie vage und hilflos bleibender Aufruf, sich endlich über die Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaftsordnung zu entrüsten und zur Tat zu schreiten. Aber zu welcher? Es war eine Aufforderung, die niemandem wirklich weh tat und vielleicht auch deswegen, in viele Sprachen übersetzt, einige Millionen Mal über den Ladentisch ging.

Es heißt, man soll vorsichtig sein, was man sich wünscht – es könnte nämlich wahr werden. Wenn an einem heute kein Mangel mehr besteht, dann sind es wohl empörte Bürger. Und auch die Idee, wir erstickten an zu viel Konsens, scheint wie ein Gedanke aus sorgloseren Zeiten. Doch glücklich gemacht hat die neue Polarisierung nur jene, die sich zuvor mit ihren politischen Ideen marginalisiert und isoliert gefühlt haben: die nationalistische Rechte. Während man dort angesichts des Aufbrechens alter und neuer Konfliktlinien sein Glück kaum fassen kann, herrscht anderswo große Ernüchterung. Denn die herbeigesehnte Repolitisierung kam auf ganz anderen Wegen, als man im liberalen Justemilieu gehofft hatte: nicht als linker Aufbruch gegen die vermeintliche Hegemonie des Neoliberalismus, sondern als Bürgerkrieg der Identitäten.

Wer die neuen politischen Bruchlinien unserer Gegenwart verstehen will, der muss nach Amerika schauen; und zwar nicht, weil dort nun das it girl4 des globalen Rechtspopulismus im Weißen Haus sitzt, sondern weil man auf der anderen Seite des Atlantiks bereits einen Schritt weiter ist – auch wenn es ein Schritt in Richtung Abgrund sein könnte. In den USA sind schon seit Längerem jene gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Kräfte am Werk, die jetzt auch anderswo ihre zentrifugale Wirkung entfalten. Spätestens seit den 1990er-Jahren mit ihren konservativen „Kulturkriegen“ gegen Abtreibung und Homosexualität und dem Versuch der Republikaner, den demokratischen Präsidenten Bill Clinton wegen der Affäre mit einer Praktikantin mittels Impeachment-Verfahren des Amtes zu entheben, bestimmt die tiefe Spaltung des Landes den politischen Tageskommentar, ist sie auch das Oberthema aller politikwissenschaftlichen Symposien. Auf Clinton folgte George W. Bush, auf diesen wiederum Barack Obama, und stets hieß es nach dem Ende ihrer Präsidentschaften, dass die Spaltung des Landes einen neuen Höhepunkt erreicht habe.

Nach dem Wahlsieg Obamas im Jahr 2008 kursierte für einen Moment die Hoffnung, dass die Nation politisch heilen und man bald zur konsensorientierten Normalität der amerikanischen Politik zurückkehren könnte. Schließlich hatte der entscheidende Kern von Obamas Wahlkampferzählung auf der Losung basiert, dass die Polarisierung des Landes nur ein Kunstprodukt sei, am Leben gehalten von Spindoktoren, Journalisten und anderen Profiteuren der Spaltung – während die Amerikaner in Wahrheit viel mehr eine als trenne: „There is not a liberal America and a conservative America“, sagte Obama. „There is the United States of America.“ Doch Obamas Erzählung, das war die bittere Schlusspointe seiner Präsidentschaft, wirkte selbst polarisierend: Während die einen darin eine große Geschichte von Vergebung und Versöhnung sahen, nahm die andere Seite diese Devise mit ihrem hegemonialen Anspruch, eine Vernunft zu repräsentieren, die über dem kleinlichen Parteienhader stand, als stille Kriegserklärung wahr. Nach acht Jahren Obama war das Land jedenfalls tiefer gespalten als zuvor.

Nur Donald John Trump hat wohl niemand je als Symbol nationaler Einheit gesehen; all des patriotischen Getöses zum Trotz nicht einmal seine eigenen Anhänger, die ihn nicht zuletzt deswegen liebten und weiterhin lieben, weil er die andere Seite so sicher in den Wahnsinn treibt. In der Tat scheint seine Wahl ins Weiße Haus 2016 den vorläufigen Höhepunkt der Spaltungstendenzen der amerikanischen Gesellschaft zu markieren. Alle uns verfügbaren Daten weisen jedenfalls auf einen in der jüngeren Geschichte der USA präzedenzlosen Höchst stand dieser Polarisierung hin. Und es geht dabei nicht nur um einfache Divergenzen über politische Inhalte, so gravierend sie auch sein mögen. Viel markanter und auch dramatischer sind die messbaren Antipathien zwischen den Anhängern der beiden Parteilager und ein wechselseitiges Misstrauen, das Fieberschübe der Paranoia ausgelöst hat. Vieles davon war schon vor Trump messbar: Fast die Hälfte der jeweiligen Partei anhänger von Demokraten und Republikanern meinte bereits 2016, dass die andere Seite eine „Gefahr für das Wohlergehen der Nation“ darstelle.5 Seit Trumps Amtsantritt allerdings geht es tatsächlich um Fragen der politischen Legitimität und damit um die Substanz der Demokratie. Kaum ein Satz wird in den USA derzeit so häufig zitiert wie jene Antwort von Benjamin Franklin, einem der amerikanischen Gründerväter, auf die Frage, welche Staatsform die junge Nation annehmen werde: „A republic, if you can keep it.“

Und: Können die Amerikaner ihre Republik bewahren? Was früher zum Rüstzeug der Hysteriker gehörte, ist heute zu einer zumindest nicht mehr gänzlich an den Haaren herbeigezogenen Frage geworden. Beinahe jeder zweite Anhänger beider Parteien hält die Gegenseite laut einer Umfrage mittlerweile nicht einfach nur für „schlecht für das Land“, sondern für „einfach nur bösartig“. Immerhin ein Fünftel, wiederum in beiden Parteien, stimmt der Aussage zu, dass den Anhängern der Gegenseite „Eigenschaften fehlen, um als Menschen zu gelten“, und sie sich „wie Tiere“ benähmen. Zwanzig Prozent der Demokraten und 16 Prozent der Republikaner sind der Meinung, es sei für das Land besser, „wenn große Teile der anderen Partei einfach wegsterben“. Und schließlich: Über 18 Prozent der Demokraten und fast 14 Prozent der Republikaner sind der Auffasung, dass Gewalt gerechtfertigt sei, wenn die andere Partei 2020 die Präsidentschaftswahl gewinnen sollte.6 Bisweilen scheint es, dass in den USA keine politischen Parteien gegeneinander antreten, sondern verfeindete Stämme.

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