Читать книгу Stalingrad 1942/43 - Torsten Diedrich - Страница 10
[33]Die Wehrmacht nach dem Scheitern von »Barbarossa«
ОглавлениеIm Frühjahr 1942 war das Ostheer nur noch ein Schatten jener Wehrmacht, mit der HitlerHitler, Adolf 1941 in die UdSSR eingefallen war. Der Kampfkraftverlust der Verbände wurde bei den Heeresgruppen Nord und Mitte auf je ein Drittel geschätzt, bei der Heeresgruppe Süd lag er sogar bei 50 Prozent. Über 1,1 Millionen Tote, Verwundete und Vermisste, also einen Verlust von 35 Prozent ihrer Gesamtstärke, hatte die Wehrmacht bis Ende März 1942 zu verbuchen. Konnte der Generalstab beim Angriff 1941 immerhin 65 Prozent der Divisionen als voll einsatzbereit bewerten, waren es Ende März 1942 höchstens noch 5 Prozent. Nur acht von 162 Divisionen galten als für alle Einsatzaufgaben geeignet. Das Rückgrat des Heeres, die Infanteriedivision, zählte im Normalfall 16 500 Mann. An der Front war die Personalstärke in den heftigen Abwehrkämpfen im Winter zum Teil auf unter 50 Prozent gesunken. Es fehlten etwa 35 Prozent der Truppen bzw. bis zu 7000 Mann pro Division. Die Hoffnung, den Personalmangel bis Jahresende auszugleichen, blieb eine Illusion. Daher wurden Einheiten der Heeresgruppe Nord und Mitte abgezogen, um die Divisionen im Süden der Ostfront aufzufüllen.
Die intern erhobenen Bedenken dagegen, den Feldzug in diesem Zustand zu eröffnen, wehrte das OKW ab. Die Nachteile würden durch »die im Winter gezeigte hohe moralische und körperliche Leistungsfähigkeit, die Durchbildung der Führer- und Kämpfereigenschaften« ausgeglichen. Sorgen machte sich HalderHalder, Franz auch über die Versorgung der Truppe. Schon im Frühjahr war klar, dass es angesichts des wenig ausgebauten sowjetischen Eisenbahn- und Straßennetzes kaum möglich sein würde, die Versorgung für die kommende Offensive vollkommen sicherzustellen. Trotz aller Zweifel aber wagte HalderHalder, Franz nicht, gegen HitlerHitler, Adolfs Vorhaben zu opponieren. Folglich blieb im OKH und in den Führungsstellen der Versorgung unterschwellig die Befürchtung bestehen, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei, falls die Offensive 1942 scheitern sollte.
Im Juni 1941 hatte die Wehrmacht im Osten mit 203 Divisionen angegriffen, deren jeweilige Stärke bei ca. 13 800 Mann lag. Ein Jahr später standen durch Kontingente der Verbündeten 229 Divisionen zur Verfügung, doch deren Kampfstärke war auf 11 800 Mann gesunken. Italien, Rumänien, Ungarn und die Slowakei stellten 51 Divisionen für die Ost[34]front, auch eine spanische Freiwilligendivision stand vor Leningrad. Mit der Einbeziehung der Verbündeten gelang es, im Südabschnitt eine numerische Überlegenheit gegenüber der Roten Armee zu schaffen, insbesondere bei der Zahl der Panzer und Flugzeuge. Dies lag auch daran, dass StalinStalin, Josef die neue Offensive der Wehrmacht von Kursk und Orel Richtung Norden auf Moskau und Gorki erwartete und dementsprechende Abwehrschwerpunkte im Norden setzte. Dagegen schätzte die Abteilung Fremde Heere Ost, die im OKH mit der Feindaufklärung betraut war, die operativen Reserven der Roten Armee im Mai 1942 auf insgesamt nur 60 Divisionen.
Bespannte Truppenteile der Wehrmacht auf dem Marsch an der Ostfront im März 1942
Die materielle Lage des Ostheeres war keineswegs befriedigend. Von den 3648 Kampfpanzern der Typen I bis IV an der Ostfront waren 3254 völlig zerstört worden oder mussten repariert werden. Nach Auslieferung von 732 neuen und der Rückführung instand gesetzter Panzer fehlten im Januar 1942 noch 1547 Panzer, also fast die Hälfte des Panzerbestandes vom Sommer 1941. Schlimmer wirkte sich das Fehlen von Radfahrzeugen aus, von denen über 74 000 ausgefallen waren. Schon 1941 [35]waren die Divisionen mit Kraftfahrzeugen und schweren Waffen für den Bewegungskrieg untermotorisiert. Diese Problematik hatte sich nun verschärft, sodass Huf und Stiefel die üblichen Fortbewegungsmittel der Infanterie und Artillerie blieben. Mangel herrschte auch bei Infanterie- und Artilleriewaffen, denn die deutsche Kriegsproduktion hinkte den Verlusten der Wehrmacht hinterher. Im Jahr 1942 wurden mehr und mehr Beutewaffen verwendet, weshalb die Einheiten unterschiedlich gut ausgerüstet waren.
Die Munitionsfertigung reichte nach Berechnungen des Generalquartiermeisters Eduard WagnerWagner, Eduard bei den wichtigsten Kalibern nicht mehr aus, um den Verbrauch zu decken. Generaloberst FrommFromm, Friedrich prognostizierte im Januar 1942, dass die Neufertigungen nie für den ganzen Monat genügen würden und eine grundlegende Besserung nicht zu erwarten sei. Den Wehrmachtverbänden des Jahres 1942 fehlte es somit erheblich an Mobilität und Feuerkraft.
Ende Juni 1942 verfügte die Heeresgruppe Süd über 103 Divisionen, von denen allerdings 16 nicht vollständig waren oder nur als Sicherungs[36]divisionen dienten. Unter den 10 Panzerdivisionen waren drei ungarische leichte in der Reserve der Heeresgruppe. 4 Divisionen waren motorisiert. Im Bestand befanden sich zudem 12 rumänische, 6 italienische und eine slowakische »Schnelle Division«. Das Gros der deutschen Panzer und Kraftfahrzeuge blieb in motorisierten Divisionen konzentriert.
»Schnelle Truppen«
Mit der Einführung der Panzer entstand in der Wehrmacht die Truppengattung der »Schnellen Truppen«. Zu ihr gehörten neben der Panzertruppe die Panzerjäger, die Kavallerie und die Aufklärungsverbände.
Die Infanteriedivisionen (mot.) wurden im Zuge der Mechanisierung der Wehrmacht zur Erhöhung ihrer Mobilität mit Lastkraftwagen ausgestattet und sollten die Panzerdivisionen bei ihren Vorstößen unterstützen.
Die »Leichten Divisionen« ersetzten die Kavallerie und waren ein Bindeglied zwischen den Infanteriedivisionen (mot.) und den Panzerdivisionen. Sie verfügten anfangs über zwei Kavallerieschützenregimenter, ein Aufklärungsbataillon, ein Artillerieregiment und eine Panzerabteilung. Da sie sich im Feldzug gegen Polen nicht bewährten, wurden sie allerdings schrittweise in Panzerdivisionen umgewandelt.
1943 wurden die »Schnellen Truppen« zugunsten der »Panzer-Truppen« aufgelöst. Aus den Infanteriedivisionen (mot.) wurden Panzergrenadierdivisionen. In der Roten Armee vollzog sich mit motorisierten und mechanisierten Verbänden ab 1942 eine ähnliche Entwicklung der Mobilisierung und Kampfwertsteigerung der Infanterie.
Schaut man sich die Panzerwaffe an, spricht der formale Vergleich auf den ersten Blick sowohl nach technischen Daten als auch in der Menge für die sowjetische Seite. Über schwere Panzer verfügte die Wehrmacht nicht. Standard waren die mittleren Panzer III mit 5-cm-Kanone und Panzer IV mit kurzer 7,5-cm-Kanone. Der zusätzlich verwendete tschechische Beutepanzer T-38 war 1942 veraltet. Der leichte Panzer II hatte auf dem Gefechtsfeld keine Chance mehr und diente lediglich der Aufklärung. Mit der Serie von Sonder-KfZ 250 waren verschiedene Schützenpanzerwagen im Einsatz, die sich 1941/1942 bewährt hatten. Doch [38]es kam nicht nur auf die Leistung der Kanonen und die Panzerung an, sondern vor allem darauf, wie die Panzer eingesetzt wurden. Der Vorteil im taktischen Einsatz lag in dieser Hinsicht klar auf Seiten der Wehrmacht. Die deutschen Panzer waren per Funk miteinander verbunden, sodass ihr Einsatz im Gefecht koordiniert werden konnte.
Sturmgeschütze III auf dem Vormarsch mit aufgesessener Infanterie im Juli 1941
Bewährte Allzweckwaffen der Infanterieunterstützung waren die seit 1941 in Abteilungen zusammengefassten Sturmgeschütze. Das mit 10 000 Stück am häufigsten produzierte Sturmgeschütz III, das oft den Infanteriedivisionen zugeordnet wurde, diente als Durchbruchs- und Jagdpanzer sowie als fahrende Artillerie. Leichte Panzer rüstete man als [39]Selbstfahrlafetten mit Beutegeschützen um. Die Artillerie der Wehrmacht war kriegserprobt und leistungsstark. Die Panzerabwehrkanone 3,7 cm (Pak) allerdings wirkte nur gegen ältere Panzertechnik und wurde von den Landsern seit dem Auftauchen des Panzers T-34 als »Panzer-Anklopf-Gerät« verspottet. An seine Stelle trat 1942 die wirkungsvolle 7,5-cm-Pak. Zur Panzerbekämpfung optimal geeignet war die Flugabwehrkanone (Flak) 8,8 cm.
Die deutsche Luftwaffe war technisch modern, ihre Piloten waren im Hinblick auf Können und Einsatzkonzept hochqualifiziert. Allerdings hatte sie im Luftkrieg gegen England schwere Verluste an Menschen und Material erlitten. Gut ausgebildete Piloten waren inzwischen rar geworden. Solange die deutsche Luftherrschaft an der Ostfront Bestand hatte, machte sich dieser Mangel zunächst nicht bemerkbar. Das Zusammenspiel zwischen Luftwaffe und Bodentruppen funktionierte hervorragend. Dabei kam mit dem Sturzkampfbomber Junkers Ju 87 (»Stuka«) ein zwar technisch veraltetes, aber trotzdem wirksames Mittel zum Einsatz. Die Stukas bewährten sich im Häuserkampf von Stalingrad bei der zielgenauen Bekämpfung gegnerischer Stellungen, während der Bomber Ju 88 massenhaft bei der Zerstörung der Stadt eingesetzt war. Als Jäger war die Messerschmitt Bf 109 den sowjetischen Jägern 1942 noch überlegen. Die technisch fortschrittlichere Focke-Wulf [40]Fw 190 kam im Osten erst spät zum Einsatz. Die Messerschmitt Bf 110 war hingegen 1942 an der Ostfront als Jagdbomber und Erdkampfflugzeug modernen Jagdflugzeugen nicht mehr gewachsen. Standardtransportflugzeug der Luftwaffe war die alte »Tante Ju«, die Junkers Ju 52. Sie und die Heinkel He 111 sollten den Kessel von Stalingrad hauptsächlich mit Nachschub und Proviant versorgen.
Behelfsreparatur einer Ju 88 des Kampfgeschwaders 51 »Edelweiß« auf einem Feldflugplatz an der Ostfront
In Fragen des operativ-taktischen Könnens war die Wehrmacht der Roten Armee 1942 überlegen. Das operative Konzept der Wehrmacht sah auch 1942 tiefe Panzervorstöße vor, wie man sie 1941 erfolgreich praktiziert hatte, die in Kombination von unterschiedlichen Truppengattungen oft als »Kampfgruppen« durchgeführt wurden. Die Speerspitze, in der Panzer, motorisierte Artillerie, Raketenwerfer und Luftwaffe als verbundene Waffen operierten, schuf jene Augenblicke der Überlegenheit, die viele Schlachten entschieden. Die Panzerspitzen rissen die Fronten des Gegners auf und kesselten dessen Verbände ein. Der »hölzerne« Stiel des Speeres, die nachrückende Infanterie, besetzte dann das Gelände, räumte die Kessel aus und führte die Gefangenen ab. [41]Die gepanzerte Speerspitze stieß derweil weiter vor. Diese Doktrin wurde auch 1942 noch effizient und erfolgreich angewandt. Allerdings traten während des Vormarschs 1942 verstärkt die Hindernisse auf, die schon 1941 das Vordringen erheblich verzögert hatten. In der Weite des Raums konnte die Infanterie den Panzerspitzen kaum folgen, auch die Versorgungseinheiten kamen nicht hinterher, und immer häufiger blieben die schnellen Truppen wegen Treibstoffmangels liegen.
Im taktischen Bereich waren die Offiziere und Unteroffiziere der Wehrmacht dank ihrer Ausbildung und des Führungsprinzips der Auftragstaktik den sowjetischen Einheitsführern weiterhin überlegen. Gemäß der Auftragstaktik wurden nur Ziele, Grenzen und Mittel vorgegeben, in der Umsetzung hatte der Befehlsempfänger relativ freie Hand. Das erlaubte eine flexible, an die reale Lage vor Ort angepasste Gefechtsführung. Sie erwies sich im Vergleich zu anderen Armeen als einzigartig und war das Geheimnis mancher Erfolge auch gegen überlegene Gegner. 1942 aber machte sich bemerkbar, dass viele erfahrene Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten ausgefallen waren, für die sich kein adäquater Ersatz mehr fand.
[42]Noch immer zeigten sich die deutschen Soldaten motiviert. Ihr Kampfgeist beruhte auf der Kriegserfahrung, professionellem Können und engen kameradschaftlichen Bindungen. Im Offizierkorps ebenso wie unter den einfachen Soldaten war der Glaube an den »Führer« Adolf HitlerHitler, Adolf weitgehend ungebrochen. Der Nimbus von der »unbesiegbaren Wehrmacht« erhielt in den Winterschlachten 1941/42 zwar erhebliche Kratzer, doch HitlersHitler, Adolf starrsinniger Haltebefehl hatte dazu geführt, dass die Wehrmacht die Ostfront im Februar 1942 stabilisieren konnte. Das gemeinsame Leid bei der erbitterten Verteidigung fremden Bodens verstärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Kameradschaft. Wenn der Winter überstanden wäre, davon waren viele überzeugt, würde die Wehrmacht den Krieg im Osten erfolgreich beenden.
Panzer und Infanterie im Winterkampf vor Wolokolamsk im Dezember 1941