Читать книгу Birdie - Tracey Lindberg - Страница 13

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Vier Nächte in Folge wiederholt sich der Traum von der Eule. Voller Liebe wacht sie am vierten Morgen auf. Als habe sie sich über Nacht verliebt. Sie fühlt sich umarmt und fragt sich, ob sie einen Traum mit Jesse vergessen hat. Es kommt ihr jedoch irgendwie anders vor, sie hat schließlich schon oft von ihm geträumt und ist dann ganz verliebt aufgewacht. Diesmal fühlt sich die Wärme an, wie ein Zuhause sich in ihrer Vorstellung anfühlen sollte. Irgendjemandes Zuhause zumindest.

Wenn sie sich an ihre Mutter erinnert, ist Maggie meistens in der Küche. Leichtfüßigkeit, sämige Soße und Schweigen. Traurige Seufzer. Es fällt schwer, sich Maggie als junges Mädchen vorzustellen, das in dem viel zu großen, geerbten Kleid zum Abschlussball geht. (»Das Kleid ist zu alt für dich«, hatte ihr Begleiter gesagt. Bewundernd und vorwurfsvoll zugleich.) Sie ist sehr zierlich, vogelartig, ihre schmalen Knochen hat auch ihre Tochter geerbt, zart angeordnet und schon früh unter immer neuen Fettschichten versteckt. Ihre zierliche Statur wurde dem Raum, den sie einnahm, nie gerecht. Oder eher dem Raum, den ihr Geist einnahm. Zu leben forderte so viel Kraft von ihr und erschöpfte sie sichtlich. Hinzu kamen Kinder, Nichten, Neffen und eine Tochter, und trotz ihrer innigen und reinen Liebe, spürten sie alle die Last. Im Weg zu sein.

Der Bereich, den sie für sich beansprucht, lässt sich nicht räumlich festlegen, aber Bernice spürte es deutlich, wenn sie an etwas rührte, das ihre Mutter für sich haben wollte. Leere Schokoriegelverpackungen in einer Handtasche, deren köstlicher Inhalt nie zu Hause ankam. Oder noch schlimmer. Aufgefuttert wurde, wenn niemand zugegen war. Bernice kam das vor wie Verrat, dieses Hamstern von Leckereien, die sie niemals zu Gesicht bekommen würde. Niemals probieren würde. Es war wie ein Verleugnen der Mutterrolle, das Bewahren eines Geheimnisses.

Aus dunklen Winkeln krochen weitere Geheimnisse hervor. In hitzigen Schimpftiraden wurden sie wie Schrot auf jeden bedauerlichen Mann abgefeuert, der gerade in der Nähe trank; Maggie schrie, sie halte es mit »diesen verdammten Kindern« nicht mehr aus. Als sei Bernice gar nicht ihr eigenes Fleisch und Blut. Als wären die Nichten und Neffen nicht mit Maggie verwandt. Nicht ihre Verantwortung. Ihr »diese Kinder« trieb einen Keil zwischen sie. Oder wenn ihre Mom betrunken in Erinnerungen schwelgte und ihr offenbarte, dass sie doch damals bloß ihren Freund aus Jugendjahren hätte heiraten sollen (war es der, der ihr Abschlussballkleid als zu erwachsen empfunden hatte?, fragte sich Bernice), dann wäre sie jetzt ein kleines spanisches Baby. »Aber dann wäre ich doch gar nicht ich, Mom, oder?«, hatte Bernice die stumm vor sich hin brütende Maggie gefragt.

Das alles fügte sich zu der – so tief wie die Schokoriegelverpackungen in der Handtasche vergrabenen – Erkenntnis, dass Maggie sich etwas Anderes wünschte. Ein Anderes. Ein anderes Leben. Mit weniger Nichten, Neffen und Bernicen um sich. Mit weniger lauten Kindern. Mit einem Kind, das sie nicht eines Abends nach dem Essen dabei erwischte, wie es sich händeweise Kartoffelbrei einverleibte, sodass ihr die abgelegte Kinderkleidung von der Verwandtschaft nicht passte und sie jedes Mal, wenn sie wieder zugenommen hatte, neue Sachen brauchte. Und das geschah häufig.

Wenn es dieses Andere gäbe, hätte Bernice sie vielleicht nicht allabendlich auf dem Rücken liegend im Bett entdeckt, den Blick starr auf die Zimmerdecke gerichtet, als könne sie diese nicht sehen, von dem Leben träumend, das sie hätte haben können. Vor Bernice’ innerem Auge ziehen wie Schnappschüsse Erinnerungsbilder von wichtigen Momenten vorbei. Glücklicherweise kann sie diese Bilder jederzeit aufrufen. Seitdem sie untergegangen ist, fließt sie mühelos durch Vergangenheit und Gegenwart wie Wasser durch ein Regenrohr. In den Tagen zwischen Edmonton und Gibsons hat sich die Zeit verflüssigt. Bernice hat keine Erinnerung daran – sie kann darauf nicht zurückblicken wie auf ihre Zeit in Little Loon. Nicht wie auf das Leben in der Anstalt. Es ist anders. Die Zeit fließt, aber nicht mit der Eile eines Flusses. Sie driftet dahin wie ein Bächlein, das Bernice mitnimmt, sie kann zurückpaddeln und mit einer anderen Strömung wieder von Neuem beginnen. Gibsons war eine Art Nebenfluss, der von dem tosenden Strom ihrer Vergangenheit abzweigte. Träge lässt sie sich treiben, wird von irgendwelchen Strudeln mitgerissen. Nach Gibsons brachte sie ein sanfter Nebenfluss des reißenden Gewässers, das von Loon nach B.C. rauschte. Sie in Lolas Café schwemmte. Dort paddelte sie auf der Stelle, bis Freda kam und begann, neben ihr in der kleinen Bäckereiwohnung Wache zu halten. Bernice spürte ihre Cousine neben sich, die versuchte, ihr Halt zu geben – eine feste Gestalt aus zierlichen Knochen, die Biegung ihres Rückens neben ihr auf dem Bett. Bernice liegt im Bett, bewegungslos, aber sie bemerkt die sanfte Strömung des Wassers, als sie ihren Weg flussaufwärts antritt. Vorbei an ihrer Vergangenheit. Es fühlt sich friedlich an. Sie weiß, dass sie sich manchmal den Weg flussaufwärts wird erkämpfen müssen. Bislang schwebt sie, fühlt sich frei. Bislang, das weiß sie, reicht es aus, weiterzugleiten, nur nicht unterzutauchen. Bislang bleibt sie im Bett, und keine der um sie versammelten Frauen ahnt etwas von ihrer Reise. Bernice spürt tief in ihrem Inneren, dass sie unterwegs ist. Ob sie sich auf einen Ort zu oder davon wegbewegt, vermag sie nicht zu sagen. Sie weiß nur, dass Wasser weiblich ist. Schützend. Sie fürchtet sich nicht, unterzugehen. Nicht, weil es nicht passieren könnte, sondern weil es ihr lieber wäre als offenes Gelände. Lola hat es natürlich bemerkt. Sie muss Freda angerufen haben. Freda, die nie in Panik gerät, muss Auntie Val verständigt haben. Und jetzt wechseln sich die drei ab, sie sitzen auf, stehen bei oder warten an der Matratze. Sich ins Bett (»ihr Krankenbett«) zu begeben, fiel Bernice so leicht oder sogar noch leichter als atmen. Diese un/bewusste Entscheidung wurde von ihrem Geist getroffen. Als es an der Zeit war, als der Zorn ihrer Vergangenheit ihrer Zukunft vorauspreschte, legte sie sich einfach hin.

Von ihrem Bett aus stellt sie sich manchmal ihre Mom auf den alten Bildern von Indianerinnen vor, die sie in Geschichtsbüchern und anthropologischen Texten gesehen hat. Gut passt sie dort hinein – so dunkel und ernst, mit zwei schwarzen Zöpfen, die lang und dick an ihrem Rücken hinunterhängen. Sie hatte richtig schokoladenbraune Haut, keine milchkaffeebraune wie Bernice. Sie war ständig in Bewegung und hätte sicher nur einen kurzen Moment für die Aufnahme stillgehalten: ein zierlicher Wirbelwind auf lichtempfindlichem Film.

Manchmal kann Bernice beim Blick in den Spiegel Maggies Knochen erkennen. Meist sind sie allerdings eher wie Fischgräten, unsichtbar und trotzdem da. Diese tief in ihr vergrabenen Knochen beschützen sie, ohne dass es jemand ahnt.

Da ist Bernice anders als ihre Cousinen oder Tanten, die ihre Knochen wie eine Rüstung tragen. Die Knochen von Cousine Freda stechen überall hervor. Sie sieht aus, wie man sich die typische Indianerin vorstellt. Wie eine Kriegerin. Wangenknochen, Hüftknochen, Schlüsselbeine, sie alle ragen bedrohlich hervor. Auf Bernice wirkt es, als seien Fredas kleine Knochen wütend. Nimm mich wahr! Nimm mich wahr! Nimm mich wahr!

Bernice und Auntie Val sind nicht der Typ, den man fotografieren würde – der Typ, an den man sich erinnert und erinnern möchte. Eine fette Indianerin mag niemand. Na ja, die Männer schon, aber niemand druckt sie auf Postkarten oder andere Andenken für die Lieben daheim. Vielleicht galt Fett einfach nicht als edel. In gewisser Weise war Bernice sogar stolz darauf. Sie und ihre Tante ähnelten den Pionieren, die »allein Neuland betraten«, denkt sie und legt sich die Hand auf den Mund, um ein Lachen zu unterdrücken, das Freda und Lola ein Stockwerk weiter unten darauf aufmerksam machen könnte, dass sie in ihrem Körper anwesend ist.

Diese Bilder laufen vor ihrem inneren Auge ab. Äußerlich ganz ruhig, ist Bernice innerlich aufgewühlt, lebendig. Eine aufgeladene Batterie in einer pausierenden Maschine, nur ihr Körper wartet im Leerlauf. Auf ein Zeichen. Auf Erfüllung. Auf den Moment. Wenn sie sicher ist. Bilder und Erinnerungen verschwimmen miteinander wie bei einer Diaschau. Val und Freda aktiv, ihre winzige Mom passiv, sie fällt fast aus dem Rahmen. Eine Aufnahme ihres Vaters, der sich entfernt. Während Bernice sich an sie erinnert, immer und immer wieder, schreitet sie die Grenzen ihres emotionalen Ground Zero ab, geht nie weit genug darauf zu und schaut nie direkt hin, doch sie hofft Überlebende des Ortes zu finden, dem sie entkommen ist.

Ein anderes Bild. Ein heißer Sommer in Alberta, als ihre Mom und Auntie Val ziemlich angetrunken waren, und laut, lauter, richtig laut wurden nach einem alkoholisierten Abend. Sie konnte diese Verbindung zwischen dem Trinken und der Freude, die aus der Küche strömte, nicht richtig verstehen und malte sich die beiden Schwestern aus, wie sie nah beieinandersaßen und wie beste Freundinnen über fast leeren Gläsern miteinander lachten. Die Flasche Canadian Club stand in ihrer Vorstellung zwischen den beiden, während sie abwechselnd kicherten, die schwarzen Haare über die Schulter zurückwarfen und sich vor Lachen krümmten.

Sie waren so ehrlich in ihrer gegenseitigen Wertschätzung und Liebe zueinander, dass Bernice sich ganz benommen fühlte. In jener Nacht hatte sie überlegt, Freda zu wecken, damit auch sie diese Freude sah, aber Freda schlief den süßen Schlaf des reinen Gewissens. Das sie nicht hätte haben dürfen, wie Bernice sich selbst in Erinnerung rief.

Sie hatte den Stimmen aus der Küche gelauscht und sich vorgestellt, wie die Frauen einander die Haare flochten und sich Geheimnisse zuflüsterten, wenn es still im Zimmer wurde. Sie presste ihr Ohr gegen die Wand, die die Küche von ihrem winzigen Zimmer trennte, und hörte:

Ihre Tante, die voller Gefühle sagte: »Schwester, wirst du mir die Kinnhaare zupfen, wenn ich alt bin? Versprich es mir!«

Maggie antwortete daraufhin mit dem Ernst einer Braut vor dem Altar. »Ja, Schwester. Das werde ich.«

An diesem Abend lernte Bernice zwei Dinge. Erstens: Sie würde vermutlich im Alter ein Gesichtshaarproblem bekommen. Das war in Ordnung, sie hatte schließlich auch eine Schwester (also Skinny Freda eben). Außerdem würde sie lernen müssen, in ihrem Leben etwas für eine andere Person zu tun. Sie würde jemanden finden, mit dem sie feierliche Versprechen austauschen konnte, wenn sie angetrunken war. Damit auch sie in ihrer Erinnerung lebendig wären.

Das Geklapper aus einer anderen Küche und die aufsteigende Backofenhitze lassen sie auf ihrer Erinnerungsreise einen Augenblick innehalten. Sie macht eine Bestandsaufnahme. Keine Inventur, das Ganze gleicht eher einer Patchwork-Decke. Wo sie auch beginnt, mit ruhigem Körper und regem Kopf, die Gefühle in Alarmbereitschaft, sie endet immer in Loon. Fredas wildes Lachen bahnt sich einen Weg die Treppe hinauf, landet erwartungsvoll auf ihrer Bettdecke. Bernice bewegt sich nicht, will es nicht spüren. Wird es nicht unter der Decke willkommen heißen. Sie kennt dieses Lachen.


Das Aufheulen der Rennboote hat sie noch immer im Ohr. Wasser. Sonnenschein. Auntie Val. Freda. Vor ihrem inneren Auge laufen wechselnde und sich auswechselnde Bilder ab. Diese lenken ihre Aufmerksamkeit auf das Wasser. Sie sieht, wie der Motor wütenden Schaum aufwirbelt, auf dem ein geröteter Mann entweder mit furchtloser Geschmeidigkeit oder leichtsinniger Gleichgültigkeit dahinhüpfte. Eine junge Frau in einem bunten Bikini feuerte ihn an – das Aufblitzen weißer Zähne, weißer Haare und brauner Haut, brauner als die Haut von Bernice. Der Skifahrer klatschte spektakulär ins Wasser, sein Körper wurde abrupt und vollständig abgebremst, als er sich in einen Wellenkamm pflügte. Sie erinnert sich an diesen Tag.

»Lass’as Seil los!«, riefen Auntie Val, Skinny Freda und Bernice wie aus einem Mund.

Bernice schälte eine Orange und versuchte die blonde Bikini-Frau telekinetisch von ihrem Sitz, auf dem sie gesund und ihre Haarpracht schwenkend saß, in das aufgewühlte Kielwasser hinter dem Außenbordmotor zu befördern.

»Echt ’ne schlimme Sache mit Willie Belcourt, findet ihr nicht?«, sagte da gerade Skinny Freda, wodurch der blonde Bikini einen Augenblick lang vor Bernice’ Zorn in Sicherheit war.

»Hä?« Auntie Val zog eine Augenbraue hoch. Skinny Freda war zwar eigentlich ihre Nichte, zugleich aber Valenes beste Freundin und adoptierte Tochter und dafür bekannt, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen, wenn sie einer guten Geschichte im Weg stand. Val bot ihr einen Keks an und bedeutete Skinny Freda, fortzufahren. Bernice erinnert sich noch mit besonderem Entzückentsetzen an den silbrig glitzernden Zweiteiler, den ihre Tante stolz und mit einer Selbstverständlichkeit trug wie andere Leute ein Büffelfell.

Bernice beachtete den Keks nicht und wandte ihre geschlossenen Augen der Sonne zu. Sie hatte sieben Pfund abgenommen, am meisten davon an den Beinen, und an diesem Tag wagemutig eine kurze Hose angezogen. Sie war seit einem Monat in Loon und musste erst in sechs Wochen wieder an die Christ’s Academy. Und das auch nur, wenn sie bis dahin das Geld für ein weiteres Schuljahr zusammenbekämen. Sie hoffte, dass der Gewichtsverlust und die gebräunten Beine ihr die anderen vierzehnjährigen Mädchen vom Leib halten würden.

»Also«, begann Skinny Freda, ganz die geübte Geschichtenerzählerin, »er ist mit dieser weißen Frau nach St. Albert.« Freda sagte das mit dem ihr eigenen singenden Tonfall und vollkommen wertfrei. Sie selbst hatte sich schließlich auch mit ein paar moniawak4 verabredet, seitdem Val ihr erlaubt hatte auszugehen. Bernice schielte zu ihr hinüber; ihre Schwestercousine kam ihr wie ein Gegenbild ihrer selbst vor. Bernice war immer davon ausgegangen, dass Freda unter ihren Wangenschatten und spitzen Knochen vor Selbstbewusstsein überfloss. Dass eine Mischung aus graziler Sicherheit und dem Dürrenglück der Zeitschriftenmodels genau da aus ihr heraussickerte, wo Bernice unter all dem Schweigen und der Polsterung etwas fehlte. Erst mit den Jahren verstand sie, dass der Zerrspiegel ihrer gemeinsamen Kindheit bestimmte, wie sie sich selbst wahrnahmen, und verbog, was andere in ihnen sahen.

»Jetzt erzähl schon, Freddy.« Bernice’ Worte klangen ungeduldiger, als sie war. Sie erinnert sich an den verstohlenen Blick ihrer Tante, die sich vermutlich über ihre Erregung wunderte.

»Also«, sagte Skinny Freda betont langsam, »er lässt Flora wie jedes Jahr allein, aber dieses Jahr hat er diese weiße Frau auf seiner Jagdroute.«

Sie sah erst Valene und dann Bernice erwartungsvoll an.

Auntie Val versucht sich ihre offensichtliche Neugier nicht anmerken zu lassen. Freda konnte widersprüchlich sein, die Sorte Mensch, die Bannockbrot auf ihrem Teller liegen lässt, obwohl sie genau weiß, dass man es gern essen würde, es einem jedoch nicht anbietet, bis man schon vorhat, es aufzugeben. Eine Art Cree-typische passive Aggressivität, die Bernice nur zu gut kennt. Val, die das Manöver durchschaute, heuchelte Desinteresse. »Und …?«, drängte sie widerwillig.

»Als er aus St. Albert zurückkommt, um mit Flora den Winter zu verbringen, wohnt doch glatt dieser fette weiße Kerl bei ihr!«

Auntie Val war begeistert. »Flora? Die ist doch noch nie fremdgegangen!«

Skinny Freda überschlug sich fast vor Eifer. »Und sie leben zusammen im Reservat.«

»Nein!«, riefen Valene und Bernice fast gleichzeitig.

»Und …«

»Sag’s nicht, sag’s nicht! Sie …« Valene gestikulierte in ihrer unnachahmlichen Dickgeschmeidigkeit wild herum und zog dadurch die Blicke der Leute am Strand auf sich.

»… hat sich von ihm schwängern lassen!«, vollendete Skinny Freda triumphierend, nahm Vals Zigarette und schnipste eine Fingerlänge Asche in den Sand, während sie das gluckernde Lachen genoss, dass aus Vals beträchtlichem Bauch emporstieg.

»Echt?«, fragte Bernice.

»Ja. Sie hat ihn bei diesem Wohltätigkeitsding in Loon kennengelernt, ihr wisst schon, was diese Umweltschützer veranstaltet haben. Wegen Pimatisewin«, fügte Skinny Freda hinzu, als ob weitere Einzelheiten es glaubwürdiger machen würden.

Zufrieden saßen sie eine Weile ganz still da und dachten über die Vergänglichkeit der Liebe nach. Irgendwann fingen Auntie Val und Skinny Freda an, andere Geschichten über romantische Abenteuer auszutauschen. Falls sie Bernice’ Schweigen überhaupt bemerkten, beachteten sie es nicht weiter und ließen sie in Ruhe.

Sie dachte an Pimatisewin und dieses Wohltätigkeitsding und fragte sich, ob der alte Baum wohl überleben würde. Es hieß, es gäbe vier davon, zwei in Nordamerika und zwei in Südamerika. Der am Loon Lake war in einem erbärmlichen Zustand. Sie hatte gehört, der in B. C. wäre auch kurz davor, abzusterben, wegen der Luftverschmutzung, wurde gemunkelt. Die Reservatsverwaltung und die gesamte Gemeinschaft hatten sich zusammengetan, um ihn zu retten. Sie hoffte, dass das Geld von der Wohltätigkeitsveranstaltung dabei helfen würde.

Sie nahm sich eine Cola, öffnete sie und reichte sie an ihre Tante weiter. Als Valene genug hatte, bot sie die Flasche Skinny Freda an, die den Kopf schüttelte und sie Bernice zurückgab. Gerade wollte sie ablehnen, als ein Flachskopf aus einer Horde Jugendlicher ihr zurief: »He, meinst du, das brauchst du wirklich?«

Skinny Freda war von der Decke aufgesprungen und auf die Gruppe zumarschiert.

»Fick dich!«, schrie Skinny Freda ihn an, was ihre Begleiterinnen ebenso überraschte wie die Jugendlichen, die noch jung genug waren, um sich von der Autorität oder Unvorhersehbarkeit Erwachsener beeindrucken zu lassen.

»Eine richtige Lady«, sagte Bernice beeindruckt.

»Wer sich keinen Respekt verschafft, der wird auch nicht respektiert«, ließ Auntie Val verlauten, als hätte sie selbst eingegriffen. Sie war stolz auf das Temperament ihrer Tochternichte.

Die drei packten ihr Hab und Gut zusammen, machten sich auf den Weg zu Skinny Fredas Pickup und ließen die verdatterten Jungs mit ihrem Gehabe in den Trümmern ihrer Großmäuligkeit zurück.


Irgendetwas ist mit diesem Sommer, irgendetwas sitzt in ihr fest, und sie kann es nicht richtig fassen. Eine Andeutung oder ein ganz leises Flüstern hat sich in ihren Kopf geschlichen, während sie in ihrer eigenen Unruhe in der Matratze versinkt. Das Gefühl, das sie in ihrem stillen Zimmer begleitet, ist beinahe Verlangen. Fast so etwas wie Sehnsucht. Sie wird sich ihres körperlichen Selbst bewusst, weil die Emotionen schmerzen.

Sie nimmt wahr, dass Freda immer wieder heraufkommt und heute von Mal zu Mal mehr redet, aber ihr ist nicht nach zuhören zumute. Vielleicht, dachte sie, lag das am Frugal Gourmet. Morgens hatte er »Pinienkerngebäck« gemacht. Zuletzt hatte sie bei der Totenwache ihres Onkels Gebäck gegessen. Bei Lola gab es zwar jede Menge davon, aber Bernice konnte nichts davon essen, seitdem sie nach Gibsons gekommen war. Seit der Totenwache, genauer gesagt. Essen kann einen zurückversetzen, denkt sie.

Essen ist für sie jedoch kein Problem mehr. In ihrem Wachschlaf-Zustand hat sie überhaupt kein Bedürfnis danach. Sie giert nach Alleinsein, wie ein trockener Alkoholiker nach einem Drink. Sie hat Appetit auf die Wandlung – bis der nicht gestillt ist, da ist sie ziemlich sicher, braucht sie kein Essen mehr. Auch wenn sie immer noch nicht wieder isst, fällt ihr das Schlafen leichter.

Birdie

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