Читать книгу Dave Gahan - Trevor Baker - Страница 6

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Composition Of Sound hatten vor Daves Einstieg schon einige Auftritte zu dritt bestritten – mit Andy am Bass und Vince und Martin an den Synthesizern. Für ihr Publikum waren sie in erster Linie eine Kuriosität. Das erste Konzert fand an der Schule statt, wo sie von Kindern umringt wurden, die noch nie zuvor einen Synthesizer gesehen hatten und versuchten, auf die Knöpfe zu drücken, um herauszufinden, was passierte. Sie hatten keinen Schlagzeuger – hauptsächlich deshalb, weil sie niemanden kannten, der ein Schlagzeug besaß, aber auch, weil ein Schlagzeug viel zu viel Lärm gemacht hätte. Sie probten immer bei Vince zuhause mit Kopfhörern, doch Vince’ Mutter beklagte sich trotzdem noch über das Klackern der Tasten.

Als Dave einstieg, dauerte es nicht lange, und sie beschlossen, ganz auf Elektronik umzusteigen, und überredeten Andy, vom Bass zum Synthesizer zu wechseln. Vince liebte reine Popmusik, aber die Tatsache, dass sie vollelektronisch spielten, verlieh ihnen einen leicht experimentellen Touch. Keyboard-Bands steckte man gemeinhin in die so genannte „Futuristen“-Schublade. Sie waren damit zwar nicht ganz glücklich, zogen es jedoch der Alternative vor, die bedeutet hätte, dass man sie der aufkommenden New-Romantics-Bewegung zugerechnet hätte, die sich mehr für Klamotten als für Musik interessierte.

Der Begriff „New Romantics“ war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geprägt worden, doch in Clubs wie dem Londoner Billy’s gab es bereits eine Gruppe trendbewusster Jugendlicher, die als Reaktion auf die Hässlichkeit der Spätsiebziger-Punkszene einen androgyneren, glamouröseren Stil entwickelten. Später beförderten Bands wie Spandau Ballet, Duran Duran oder Adam and the Ants die New-Romantics-Bewegung in den Mainstream. Depeche Mode liebäugelten zwar mit dem Stil, hatten jedoch nie ein Interesse daran, in diesem Sinne als cool zu gelten.

Zu Beginn ihrer Karriere kam der Gruppe die christliche Orientierung von Martin, Andy und Vince sehr gelegen. Als Vince’ Mutter die Proben im Hause satt hatte, übten sie in der örtlichen Kirche. „Man musste nett und höflich sein, und man durfte nicht laut spielen“, sagte Dave später. Im Mai 1980 hatten sie in der St. Nicholas School, die Andy und Martin besucht hatten, endlich ihren ersten Auftritt als Quartett. Es gab nur ein einziges Problem: Sie traten gemeinsam mit The French Look auf, und Martin spielte in beiden Bands. Dies hatte in der Vergangenheit bereits für Reibereien gesorgt, und der ehrgeizige Vince drängte Martin, er solle sich entscheiden. Der Bandleader hatte zudem seine eigenen Probleme.

„Wenn es um diesen Abend geht, erinnere ich mich vor allem daran, dass jemand Vince zusammenschlagen wollte“, sagte Andy 2009. „Einer unserer Freunde, der ein guter Kämpfer war, sprang für ihn ein und verprügelte den anderen Kerl!“ Der Rest der Band war außerdem überrascht zu sehen, dass der äußerlich so großspurige Dave vor dem Auftritt ungeheures Lampenfieber bekam. Er kaufte sich ein paar Dosen Bier und stand draußen. Immer wieder murmelte er vor sich hin: „Ich will es nicht machen, ich will es nicht machen.“

Sobald sie die Bühne betraten, verschwand seine Nervosität jedoch. Es war kein besonders schwieriges Publikum. Die meisten der Zuschauer waren Freunde, abgesehen von denjenigen, die Vince verprügeln wollten. Trotzdem ernteten sie begeisterten Applaus. Martin gelang es sogar einigermaßen, von einer Band zur nächsten zu wechseln, indem er sich in der Konzertpause umzog und ganz anders zurechtmachte.

Als sie ihre ersten richtigen, bezahlten Auftritte in Southend hatten, zuerst im Scamps und dann im Pub Alexandra, waren sie alle schon viel selbstsicherer. Das Alexandra war eine Biker-Kneipe, in der unter dem Titel „The Top Alex“ regelmäßig im kleinen Rahmen Konzerte stattfanden, meist Blues und Rock. Doch zu ihrer eigenen Überraschung gelang es ihnen, das Publikum für sich zu gewinnen. Danach entfalteten Daves Verbindungen in Southend ihre Wirkung, und die Engagements in der Stadt und der Region nahmen rasch zu.

Am 16. August 1980 hatten sie ihren ersten Auftritt in einem Club, der für ihren frühen Erfolg eine Schlüsselfunktion haben sollte: Croc’s Glamour Club in Raleigh, in der Nähe von Southend. Diesen und ähnliche Clubs bezeichnete man später als „Blitz in der Pampa“, weil sie dem legendären New-Romantics-Schuppen The Blitz im Londoner Stadtteil Covent Garden ähnelten. Damals war der Begriff New Romantics noch nicht besonders weit verbreitet, aber die Gäste des Croc’s waren aufgetakelt, stark geschminkt und fuhren auf Popmusik mit Synthesizern ab. David Bowie, Roxy Music und Kraftwerk waren sehr beliebt, ebenso Visage, die Band der Blitz-Gründer Steve Strange und Rusty Egan. Das Croc’s hatte zudem eine weitere bizarre Hauptattraktion: zwei lebendige Alligatoren in einem Glaskasten am Eingang.

Am 24. September 1980 gelang Composition Of Sound mit einem Auftritt im Bridge House ein weiterer Schritt nach vorn. Über die Jahre hatten in dem Londoner Vorort-Club alle möglichen Bands gespielt, von Heavy-Metal- und Hard-Rock-Gruppen der ersten Stunde bis zu Vertretern des Mod-Revivals. 1980 war er indes eher als Spielstätte für so genannte „Oi“-Bands bekannt. Oi war ein Punk-Ableger, dessen sich der Sounds-Journalist Gary Bushell angenommen hatte. Die Anhänger dieses Stils waren das genaue Gegenteil der Blitz Kids. Oft waren es Skinheads, die schwere Stiefel trugen und Synthie-Bands als Lackaffen verspotteten. Es war also kaum überraschend, dass die ersten Auftritte von Composition Of Sound dort nicht immer gut besucht waren. „Anfangs wussten wir nicht, wie wir sie einordnen sollten“, sagte der Veranstalter des Bridge House, Terry Murphy. „Es war etwas völlig Anderes. Sie waren ziemlich mutig, in einem Club wie dem Bridge House aufzutreten.“

Ohne die Unterstützung ihrer treuen Fans aus der Southend-Szene hatten sie schon Glück, wenn das halbe Dutzend Freunde, das ihnen nachreiste, zum Konzert kam. Daves Freundin Joanne lebte in der Gegend, also überredete auch sie ein paar ihrer Freundinnen, vorbeizukommen, doch der Laden war alles andere als voll. Terry erinnert sich daran, dass sie am Abend ihres ersten Auftritts wie versteinert wirkten. Die normale Klientel war eine Mischung aus Skinheads, Hippies und Schwarzkitteln, und verglichen mit ihnen erschienen die Jungs aus Essex extrem uncool.

„Sie kamen herein wie vier Büroangestellte, die gerade ihren ersten Job angefangen hatten“, sagt Terry. „Sie waren sehr schüchtern. Dave hatte immer entsetzliches Lampenfieber. Man sah es ihm an. Der Rest der Band hatte ja wenigstens etwas zu tun, aber Dave stand nur da, richtete seinen Blick starr nach vorn und klammerte sich ans Mikrofon.“

Von einigen Skinheads im Publikum gab es Buhrufe, doch Terry mochte die Band, sodass er ihr eine zweite Chance gab. Die Überreste der Punkszene, die immer noch bei ihm herumhingen, langweilten ihn. Es lag zweifellos eine Veränderung in der Luft, und er überlegte sogar, ob er die Gruppe nicht für sein eigenes Label Bridge House Records unter Vertrag nehmen sollte. Es war allerdings klar, dass es ein paar Dinge gab, an denen sie noch arbeiten mussten. Terry legte Dave nahe, seine Bühnenpräsenz zu verbessern und etwas mit seinen Händen zu tun, anstatt ängstlich das Mikrofon zu umklammern. Nach und nach gewannen sie jedoch mehr Selbstvertrauen.

„Sie mussten verdammt hart arbeiten, weil sie keine Gäste zogen“, sagt Terry. Russel Lee hingegen, ein früher Fan und späterer DJ im Croc’s, sagte gegenüber dem Autor, dass sie bereits damals etwas Besonderes gewesen seien. „Meine erste Erinnerung an sie ist, dass ich dachte, wie phantastisch die Songs doch seien“, sagt er. „Total eingängig. Verdammt, ich weiß noch, dass ich dachte: Kann es denn sein, dass es diese Jungs da nicht schaffen? Sie müssen es einfach schaffen!“

Auf ihre Art und Weise hatten Composition Of Sound mehr mit Punk Rock und Underground zu tun als viele der kommerziell orientierten Punkbands des Jahres 1980. Ihre Synthesizer ließen sich viel leichter transportieren als die Tonnen von Gerät, die eine traditionelle Rock-Gruppe mit sich herumschleppte, sodass sie zu Auftritten häufig in einem einzigen Auto oder mit dem Zug fuhren.

„Ohne es zu wissen, machten wir auf einmal etwas vollkommen anderes“, erinnerte sich Dave später einmal. „Wir hatten diese Instrumente gewählt, weil sie sehr bequem waren. Man nahm seinen Synthesizer, klemmte ihn sich unter den Arm und ging zu einem Auftritt. Dort schloss man ihn direkt ans Mischpult an. Man brauchte keinen extra Verstärker, also brauchten wir auch keinen Kleinbus.“

Außerdem schrieb Vince nun immer bessere Songs, doch der Rest der Band war bisweilen frustriert von seinem schwankenden Selbstvertrauen. Er spielte ihnen Demos vor, die ihnen sehr gefielen, entschied dann aber plötzlich, dass er sie eigentlich doch nicht aufnehmen wollte. Einige dieser Songs spielten sie sogar im Bridge House, und viele davon waren Lieblingstitel der Fans – etwa das leicht punkige „Television Set“, mit dem sie damals ihre Konzerte eröffneten („Television Set“ und andere verlorene Songs von Depeche Mode, darunter „Reason Man“, „Let’s Get Together“ und „Tomorrow’s Dance“, sind auf einem Bootleg eines Konzerts im Bridge House erschienen).

Nach und nach bauten Composition of Sound eine solide Fanbasis auf, wenngleich sie immer noch Schwierigkeiten hatten, Auftritte in der Londoner Innenstadt zu bekommen. Dafür spielten sie im Croc’s und im Bridge House vor einem stetig wachsenden, begeisterten Publikum. Dies schlug sich auch in der Höhe der Gage nieder, die man ihnen zahlte.

„Für ihr erstes Konzert zahlte ich ihnen fünfzehn Pfund“, sagt Terry. „Dann stockte ich auf zwanzig auf. Als sie anfingen, Leute zu ziehen, gab ich ihnen siebzig Prozent vom Eintritt. Dann begannen wir, den Eintrittspreis auf dreißig oder vierzig Pence zu erhöhen. Sie verdienten also zwischen sechzig und achtzig Pfund pro Abend.“

Sie waren bemerkenswert anders als die meisten Bands, die man damals auf der Bühne sah. Viele der Punk- und Mod-Gruppen pflegten einen Rock’n’Roll-Lebensstil, tranken nach Konzerten gemeinsam bis morgens früh um vier und schliefen dann ihren Rausch aus. Die Attitüde von Composition Of Sound war eine ganz andere. „Sie blieben nie länger hier, um noch etwas zu trinken“, sagt Terry. „Sie torkelten nicht besoffen im Bridge herum. Ein paar von ihnen hatten feste Jobs, also mussten sie am nächsten Morgen wieder zur Arbeit. Bei vielen anderen Bands schimpfte man nach dem Konzert: ‚Scheiß Band, macht jetzt endlich, dass ihr rauskommt!‘ Bei ihnen dauerte es hingegen zwanzig Minuten, maximal eine halbe Stunde, dann waren sie weg.“

Ihre Hartnäckigkeit und Professionalität wurde schließlich mit einem Auftritt im Ronnie Scott’s belohnt, einem berühmten Londoner Jazzclub. Es sollte ein bedeutender Meilenstein in ihrer Karriere werden, und sie traten zum ersten Mal unter einem neuen Namen auf — Depeche Mode. Der neue Gruppenname war ein Vorschlag von Dave gewesen. In seiner College-Zeit war ihm einmal eine französische Modezeitschrift mit diesem Titel in die Finger gekommen. Er klang cool, wenngleich er nicht ganz genau wusste, was er bedeutete. Es war jedoch immer noch besser als Composition Of Sound und viel, viel besser als die anderen Vorschläge für einen neuen Bandnamen wie Peter Bonetti’s Boots, The Lemon Peels, The Runny Smiles und The Glow Worms.

Mit ihrer Karriere schien es zwar steil bergauf zu gehen, doch Depeche Mode mühten sich immer noch ab, Konzerte im Herzen von London zu bekommen. Es half auch nicht viel, dass sie ständig in Clubs und Konzertschuppen rannten, um den Betreibern ein von ihnen aufgenommenes Demoband mit drei Stücken vorzuspielen – zwei Instrumentalnummern und einen von Vince’ besten Songs, „Photographic“.

Die Nummer war nervös, schnell und unheimlicher als alles andere, was er bislang geschrieben hatte. Diese unterschwellige Kälte wurde durch Daves monotonen Gesang noch unterstützt, der dem Sound anderer Elektronikbands wie The Human League weit mehr ähnelte als sein späterer Stil. Vince und Dave gingen mit dem Demoband auch bei Plattenfirmen in London hausieren, wo sie auf eine ähnlich unterkühlte Resonanz stießen wie in den Clubs. Ohne einen verabredeten Termin betraten sie die Büros und baten darum, dass man sich dort ihr Band anhörte. Oft schlug ihnen die Empfangsdame höflich vor, ihre Kassette zu hinterlegen, worauf sie gestehen mussten, dass sie nur ein einziges Exemplar besaßen. Vielleicht noch bizarrer mutet an, dass einige A&R-Abteilungen ihnen tatsächlich Einlass gewährten, um das Band vorzuspielen.

Eines Tages klapperten sie ohne jeden Erfolg zwölf Labels ab. In ihrer Verzweiflung statteten sie sogar den berühmten Rough Trade Records einen Besuch ab. Es war nicht ihre erste Wahl gewesen, da die Indie-Ästhetik der Plattenfirma nicht ganz zu Vince’ Vorstellung von Pop passte. Sie dachten, dass sich ein Label, das so viele kommerzielle Flops gelandet hatte, bestimmt nicht zu fein wäre, auch sie unter Vertrag zu nehmen. Dass Rough Trade ganz bewusst einen antikommerziellen Kurs fuhr, hatten sie nicht gecheckt.

In der Dokumentation Do We Have To Give Up Our Day Jobs (Müssen wir unsere bürgerlichen Berufe aufgeben) beschrieb Dave Rough Trade als „letzten Ausweg“. Die Person, die sie im Büro antrafen, reagierte jedoch ausgesprochen positiv. Es war Scott Piering, der durch seine Zusammenarbeit mit Bands wie den Smiths, KLF und vielen anderen später zu einem der meist geachteten Promoter im Musikgeschäft werden sollte. Er klopfte mit dem Fuß im Rhythmus der Musik und wirkte ehrlich beeindruckt. Dave und Vince blickten einander an, überzeugt, dass sie nun am Ziel waren. Doch als das Band zu Ende war, schüttelte Piering den Kopf. Er sagte, es sei gut, passe jedoch nicht ins Programm von Rough Trade. Stattdessen schlug er vor, sie sollten es bei dem Mann versuchen, der soeben eingetreten war – Daniel Miller.

Daniel Miller war ein Produzent und Musiker, der sein eigenes Label Mute Records beinahe durch Zufall gegründet hatte: Er veröffentlichte die Aufnahmen seines Projekts The Normal in Eigenregie, und da er auf dem Cover der Single „Warm Leatherette“ (1978) eine Adresse abdruckte, schickte man ihm bald Demos zu. Dies ermutigte ihn, mehr Platten zu veröffentlichen, darunter Musik des einflussreichen Elektronik-Künstlers Fad Gadget und später seiner eigenen Band Silicon Teens. Die Silicon Teens waren seine Vision einer perfekten Pop-Gruppe, nämlich vier Teenager mit Keyboards. In Wahrheit spielte er sämtliche Parts selbst ein, aber die Musikindustrie brauchte eine Weile, bis sie den Witz kapierte. Er vertrieb seine Platten über Rough Trade, doch an dem Tag, als er Dave und Vince dort über den Weg lief, war er in keiner besonders guten Stimmung. Es gab anscheinend Probleme mit dem Plattencover von Fad Gadget, und er wollte herausfinden, was los war. Er musterte sie kurz und vergaß das Ganze wahrscheinlich wieder. Dave nahm seine desinteressierte Reaktion persönlich, was typisch für ihn war. „Er sah uns an und sagte ‚oho‘“, erinnerte er sich später. „Wir dachten nur: ‚Wichser!‘“

Ihr Problem war, dass sie offensichtlich mit nichts vergleichbar waren, was sich damals auf der Szene tummelte. Die anderen Elektronikbands waren zumeist supercoole Futuristen, für die der Keyboardeinsatz ein künstlerisches Statement darstellte. Depeche Mode spielten Keyboards, weil sie tolle Popmusik machen wollten. Die Futuristen-Szene verwirrte sie nur. Sie hielten das Ganze für gekünstelt, und da sie noch Teenager waren, erschienen ihnen die oft in ihren Zwanzigern befindlichen Musiker ohnehin wie von Gestern.

„Ich mag diese Szene überhaupt nicht“, sagte Dave später in einem Gespräch mit Betty Page, einer frühen Bewunderin. „Die ganzen Bands, die damit assoziiert werden, hängen in einem Klüngel zusammen und werden deshalb nie über ihren eigenen Horizont hinausschauen können. Soft Cell sind vielleicht die einzigen, die eine gute Chance haben. Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber Naked Lunch zum Beispiel kochen schon seit Jahren nur im eigenen Saft.“

Trotzdem war der nächste wichtige Schritt der Band ein Auftritt im Vorprogramm von Fad Gadget im Bridge House. Fad Gadget, mit bürgerlichem Namen Frank Tovey, war ein Musiker, den sie respektierten. Seine Musik war definitiv künstlerisch, aber er war gleichzeitig auch äußerst geistreich und hatte eine ausgezeichnete Bühnenpräsenz. „Für uns war es, als hätten wir es endlich geschafft“, sagte Dave. „Wir würden die Bühne mit Fad Gadget teilen, und das war ganz schön aufregend.“ Außerdem war es eine neue Chance, Daniel Miller zu beeindrucken. Er mischte den Sound für Fad Gadget, also waren Depeche Mode zuversichtlich, dass er sich auch ihren Auftritt ansehen würde. Ein Fan, Russell Lee, schätzt, dass etwa 30 Zuschauer wegen Fad Gadget ins Bridge House kamen. Davon trafen ganze zehn rechtzeitig zum Konzertbeginn von Depeche Mode ein.

„Ich wollte sie mir eigentlich nicht ansehen“, sagte Daniel Miller Jahre später. „Ich wollte mit Frank Tovey einen Hamburger essen gehen. Doch dann betrat diese Band die Bühne, jeder von ihnen an einem Mono-Synthie auf Bierkisten. Dave stand stocksteif da. Er hatte eine Art indirekter Beleuchtung, die ihn von unten anstrahlte und ihn irgendwie gruselig wirken ließ. Ich dachte: Dieser Song ist richtig gut, aber es ist nur der erste Song. Ich bin sicher, sie spielen ihre besten Songs am Anfang. Aber es ging einfach immer weiter und weiter mit diesen unglaublich arrangierten Pop-Songs. Sie waren noch Kinder, und Kinder machten damals keine elektronische Popmusik. Das taten meistens Leute, die die Kunstschule besucht hatten, aber Depeche Mode hatten mit dieser ganzen Ästhetik nichts am Hut. Sie machten einfach nur Popmusik auf Synthesizern. Und das funktionierte unglaublich gut.“

Unter den etwa zehn Zuschauern befanden sich auch der Szenegänger Stevo (der kurz zuvor sein Label Some Bizzare gegründet hatte) und Daniel Miller, doch zu diesem Zeitpunkt war sich Terry Murphy bereits sicher, dass er sie selbst unter Vertrag nehmen würde. „Wenn ich schnell zugegriffen hätte, hätte ich sie bekommen“, sagt er. „Aber ich hatte damals viel zu viel mit der Plattenfirma zu tun. Ich hatte andere Bands. Ich wusste, dass ich sie erst aufbauen müsste. Was bringt es, die Platte jetzt zu veröffentlichen? Niemand wird sie kaufen!“

Mute und das hauseigene Label von Bridge House waren zwar kleine, unabhängige Plattenfirmen, aber Mute hatte den Vorteil, dass Fad Gadget bei ihnen unter Vertrag war. Er war Depeche Mode stilistisch viel näher als die Musik von Bridge House. Mute war ein Label, das für Bands wie Depeche Mode wie geschaffen war.

Nach dem Auftritt ging Daniel in die Garderobe, um sich mit ihnen zu unterhalten. Er begrüßte zuerst Dave, weil er annahm, dass der Frontmann vermutlich auch der Songwriter wäre, doch der Sänger war seit ihrer Begegnung bei Rough Trade immer noch beleidigt und verwies ihn brüsk an Vince, der still in einer Ecke saß. „Ich glaube, ich sagte zu ihm, er solle sich verpissen“, sagte Dave später.

Es belustigte sie, dass er so „normal“ aussah, wie sein alter Bandname klang. Zu jener Zeit war es für die Anhänger der Futuristen- und New-Romantic-Szene ein absolutes Muss, Make-up und ausgefallene Kleider zu tragen. Sogar der normalerweise eher konservative Fletch sagte später, dass zu seinem Bühnenoutfit eine lila Bluse gehört habe, die Vince’ Mutter umgenäht hatte. „Dazu weiße Fußballsocken und schwarz angemalte Pantoffeln.“

Trotz allem konnte der begeisterte Miller die Gruppe schließlich für sich gewinnen. Im Grunde hatten sie ja auch nichts zu verlieren. Er sagte einfach, er werde ihnen helfen, eine Platte herauszubringen. „Was wollt ihr?“, fragte er. „Wir wollen in die Charts und im Radio laufen“, antworteten sie. Er versprach, sein Bestes zu tun.

Tatsächlich hatte er sie gerade noch zur rechten Zeit erwischt. Wenig später zeigten auch andere Plattenfirmen Interesse an der Band. Mit Vince’ außerordentlichem Händchen für Pop-Songs und Daves äußerlichem Saubermann-Image ließen sie sich bestimmt hervorragend vermarkten. Sie boten eine Kombination aus dem immer noch relativ neuen Stil der elektronischen Popmusik und etwas viel Älterem – eine Gruppe von vier jungen Burschen, die vor allem bei jungen Mädchen gut ankamen. Zahlreiche Vertreter der großen Plattenfirmen luden sie zum Abendessen ein und boten sogar große Geldsummen als Vorschuss. Es war verlockend. Sie waren pleite und gingen alle noch einer geregelten Erwerbstätigkeit nach. „Einer von denen, die uns ein Angebot machten, nahm später Wham! unter Vertrag – was für ein Fiasko“, sagte Martin Gore. „Wenn wir bei einem dieser Major Labels unterschrieben hätten, gäbe es uns heute nicht mehr, da bin ich ganz sicher. Nach unserem zweiten oder dritten Album hätte man uns fallen gelassen.“

Nach und nach wichen die Szenegänger im Publikum von Depeche Mode waschechten Pop-Fans, doch zu Beginn des Jahres 1981 rechnete man sie immer noch vage der Avantgarde-Elektronikszene zu. Ein früher Auftritt in London fand im Cabaret Futura in Soho statt, zusammen mit den Performancekünstlern der Event Group. Das Hauptziel des Cabaret Futura war es, gleichzeitig zu provozieren und zu unterhalten. Eine der Lieblingsgruppen der Veranstalter nannte sich A Haircut, Sir? (einen Haarschnitt gefällig, der Herr?), bei deren Auftritten ein Gruppenmitglied kopfüber von einem Mast gehängt wurde und rituell den Kopf rasiert bekam. Der Macher des Cabaret Futura, Richard Strange, schrieb auf seiner Homepage über die Truppe: „Neben dem festen Kern aus diesen zwei Mitgliedern gehörten manchmal auch acht E-Bassisten oder zweiundzwanzig Kricketspieler in voller Montur zu der Gruppe.“

Das war von dem, was Depeche Mode machten, meilenweit entfernt. Während sie spielten, bemerkten sie zu ihrem Entsetzen, dass von den Balkonen über ihnen etwas herunterspritzte, das aussah wie Urin. Sie hofften inständig, dass es nur eine gelbe Flüssigkeit war, die die Event Group mit Schläuchen auf sie nieder regnen ließ. Es war ein Hinweis darauf, dass der weit gefasste Begriff des Futurismus auch solch extreme Performancekünstler wie Throbbing Gristle mit einschloss. Depeche Mode hatten noch beileibe nicht alle davon überzeugt, dass sie ganz anders waren.

Ein neuer Fan jedoch, der DJ Rusty Egan, war überzeugt, dass etwas Besonderes aus ihnen werden könnte. Auch er versuchte sofort, sie unter Vertrag zu nehmen, wie er dem Autor dieses Buches erklärte. „Ich sah Depeche Mode bei diesem Auftritt und fand sie neu und originell und brillant und flippte aus und versuchte, sie unter Vertrag zu nehmen und Stars aus ihnen zu machen. Also sagte ich: ‚Ich finde euch toll, ich möchte, dass ihr für mich spielt, ich möchte, dass ihr dieses und jenes macht.‘“

Rusty war der Schlagzeuger der Rich Kids gewesen, jener Band, die Glen Matlock nach den Sex Pistols gegründet hatte, doch inzwischen war er durch und durch ein Jünger der neuen Elektronik-Welle. Er war neben Steve Strange als DJ im Club The Blitz äußerst einflussreich und veranstaltete in weniger hippen Stadtteilen Londons zahlreiche Clubnächte. Das seiner Meinung nach gekünstelte Gehabe und Getue großer Teile der Avantgarde-Musikszene war ihm zuwider. Vielmehr hatte er sehr klare Vorstellungen davon, was Popmusik war und was nicht.

„Was mich betraf, war ‚The Model‘ von Kraftwerk ein Pop-Song und hätte eine Nummer eins werden sollen“, sagt er. „Ich interessierte mich aber nicht für Tangerine Dream, sondern für Popmusik, die von Engländern auf Synthesizern gespielt wurde – und nicht für Giorgio Moroder, der für kränkliche Divas Discomusik produzierte.“

Die von den Blitz Kids geschaffene Szene war äußerst elitär, doch paradoxerweise war es eine demokratische Elite. Jeder konnte sich anschließen, wenn er sich denn die Mühe machen wollte. Depeche Mode entsprachen nicht dem, was man sich unter coolen Szenetypen vorstellt, doch die Musik, die sie spielten, hinterließ bleibenden Eindruck. Rusty Egan war überrascht, wie weltfremd sie waren. Er war den Umgang mit den extrem selbstbewussten New Romantics und Futuristen gewohnt. Depeche Mode wirkten wie nette Jungs.

„Sie waren die nettesten, höflichsten und freundlichsten Typen, die man sich nur vorstellen konnte“, sagt er. „Dave war mit einem Paar Handschellen an seine Freundin gekettet, im übertragenen Sinne. Sie folgte ihm überall hin, und sie waren sehr verliebt. Da hieß es dann: ‚Das kann ich nicht beantworten, da muss ich zuerst mit meiner Freundin reden.‘ Das waren keine vier jungen Burschen, die es wirklich wissen wollten und Dinge sagten wie ‚Gehen wir zu mir nach Hause und unterhalten uns ein bisschen‘ oder ‚Kommt, wir hauen uns die Nacht um die Ohren‘. Vielmehr hieß es: ‚Nein, da muss ich mit meiner Freundin sprechen.‘“

Rusty sagte Dave, er könne ihnen Auftritte im Flicks besorgen, seinem Club in Dartford, doch das Croc’s war immer noch ihre wichtigste Bühne. Es war zwar nur eine Kopie des Blitz, was aber nicht bedeutete, dass es ein schlechterer Club gewesen wäre, da die New-Romantics-Bewegung im Großen und Ganzen eine Erscheinung der Vororte war. Zu den Stammgästen gehörten Boy George und Culture Club, doch Depeche Mode wurden schließlich zu den Stars ihrer eigenen kleinen Szene.

„Es war eben das Blitz in der Pampa“, sagt Rusty Egan. „Man darf nicht vergessen, was das Blitz war – ein Club für arbeitslose Leute aus der Arbeiterschicht, die sich in irgendeiner Form für talentiert hielten und dachten, sie könnten sich einbringen. Der No-Future-Schick war vorbei, drei Millionen Leute hatten keinen Job. Es war die Zeit, als Factory Records und Manchester und diese ganzen grauen, trostlosen Orte auf einmal einen neuen Sound — Industrial — hervorbrachten, der zum Grundstein von Mute Records wurde. Im Croc’s traf man genau dieselben Leute wie im Blitz.“

Im Croc’s begegneten Depeche Mode auch immer wieder Stevo vom Some-Bizzare-Label. Stevo gefiel „Photographic“, und sie waren überrascht, dass er die Band als Teil seiner ungewöhnlichen, verschrobenen Pop-Szene betrachtete. Er war gerade dabei, eine Compilation mit Bands wie Soft Cell und Blancmange zusammenzustellen, die den schlichten Titel Some Bizzare tragen sollte. Er und Rusty hatten beide ein Faible für elektronische Musik, aber Stevos Geschmack war wesentlich ausgefallener.

„Er hielt sich für einen großartigen DJ“, sagt Rusty. „Er legte Cabaret Voltaire auf und erklärte, wie genial diese Musik doch sei. Ich hingegen meinte: ‚Ja, aber das fegt die Tanzfläche leer, Stevo!‘ Man muss Platten auflegen, zu denen die Leute tanzen können. Er spielte Platten von Suicide und Throbbing Gristle, die regelmäßig die Tanzfläche leerten.“

Zu diesem Zeitpunkt waren Depeche Mode in Sachen Musikgeschmack eher mit Rusty auf einer Wellenlänge. Als Stevo vorschlug, „Photographic“ in seine Compilation aufzunehmen, waren sie erfreut, aber auch ein wenig verwirrt.

„Wir sind keine bizarre Band“, protestierte Vince.

Außerdem wollte Steve sie für eine Albumproduktion auf seinem Label unter Vertrag nehmen. Er konnte ihnen sogar einen Platz im Vorprogramm von Ultravox in Aussicht stellen, was durchaus verlockend war. Das Ganze hätte zu einer vertrackten Situation führen können, da Stevo im Bridge House eine Clubnacht veranstaltete und oft mit Daniel Miller zusammenarbeitete. Am Ende ging der Mute-Chef siegreich aus dieser Schlacht hervor. Er begriff, was Depeche Mode wollten – nämlich schlicht und einfach eine Platte herausbringen.

Obgleich sie Stevo und Terry Murphy respektierten, schien es viel einfacher, es mit Mute zu versuchen. Große Plattenfirmen empfanden sie ohnedies als verwirrend. Die Abmachung mit Daniel wurde einfach per Handschlag besiegelt, aber sie waren glücklich damit. Später munkelte man, dieser Deal solle sogar noch besser als der gewesen sein, den Paul McCartney für sich ausgehandelt hatte.

Dave Gahan

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