Читать книгу Dave Gahan - Trevor Baker - Страница 9

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Als Depeche Mode ins Studio gingen, um ihr zweites Album A Broken Frame einzuspielen, mag ihnen schmerzlich bewusst gewesen sein, welch himmelweiter Unterschied zwischen den brillanten Chartstürmer-Singles von Yazoo und den eher geistlosen Songs bestand, die sie ohne Vince komponiert hatten. Wenigstens hatten sie eine Entschuldigung. Martin Gore war gezwungen gewesen, innerhalb weniger Wochen ein komplettes Album zu schreiben.

„Wir strampelten uns ab, ohne zu wissen, wohin die Reise eigentlich gehen sollte“, sagte Martin 2001. „Es war das erste Mal, dass ich mich als Songwriter versuchte, und heraus kam ein regelrechter Mischmasch. Ein paar Nummern waren alt, mit das Erste, was ich überhaupt jemals geschrieben hatte, andere wiederum fielen mir spontan während der Aufnahmen ein.“

Sie nahmen erneut im Blackwing Studio auf, doch dieses Mal machte die Arbeit weitaus weniger Spaß. „Das ist schon ein seltsamer Ort“, sagte Dave damals. „Draußen im Garten steht eine Statue von Jesus am Kreuz, die jemand mit Blut angemalt hat. Wir haben eine Menge Fotos dort gemacht, aber keines davon ist etwas geworden. Das ist schon recht seltsam.“

Sie lebten alle noch in Basildon, also nahmen sie jeden Morgen den Zug zur London Bridge und abends dann den letzten Zug zurück. Inzwischen waren ihre Gesichter allerdings in sämtlichen Musikzeitschriften erschienen, und sie waren häufig im Fernsehen gewesen, also wurden sie oft erkannt, was nicht immer vorteilhaft war. Viele Fahrgäste waren so genannte „Essex-Typen“, die seit Feierabendbeginn in London getrunken hatten. „Wir gerieten ständig in Schlägereien“, sagte Martin. „Manchmal, weil man uns erkannte, aber meistens war es die ganz normale Gewalt, die in Essex an der Tagesordnung ist.“

Dave beklagte sich später, die Leute hätten sie hängen gelassen. Bei ihrem zweiten Album habe es im Studio an Begeisterung gemangelt. Sie wussten, dass sie nicht mehr als Teenie-Pop-Idole betrachtet werden wollten, wussten aber nicht, wodurch sie Vince’ Sound ersetzen sollten. Sie hatten die vage Vorstellung, dass sie ein bisschen „düsterer“ als bisher sein wollten, und doch waren Songs wie „See You“ beinahe klebrigsüß. Martins Aufgabe wurde dadurch erschwert, dass er immer noch in Vince’ Schatten stand. Er gibt zu, dass er anfangs (vielleicht unweigerlich) noch stark von dem Stil ihres ehemaligen Bandkollegen beeinflusst war. Sie wussten, dass es riskant war, sich allzu weit von dem Stil zu entfernen, mit dem sie bekannt geworden waren – denn dann bestand die Gefahr, dass sich niemand mehr für die Band interessierte.

Depeche Mode wollten beweisen, dass sie ohne Vince als Trio bestehen konnten. Bis jetzt war es noch nicht zur kreativen Zusammenarbeit mit Alan Wilder gekommen. Sie wollten unbedingt ernster, erwachsener klingen, doch dieser Versuch war nicht ausnahmslos von Erfolg gekrönt. Tatsächlich waren die Songs nicht „tiefgründiger“, sondern sogar noch ein wenig prätentiöser als die auf Speak And Spell.

Die vielleicht größte Schwäche des Albums ist, dass Martin noch keine Songs schrieb, die für Daves Stimme optimal geeignet waren. Die meisten waren sanfte, langsame Angelegenheiten, die er auch leicht selbst hätte singen können. Bei vielen der besseren Nummern – etwa „Monument“, „My Secret Garden“ oder „Satellite“ – klingt Dave uncharakteristisch zurückhaltend. Das gesamte Album ist sehr minimalistisch und zweidimensional. Wenn es mit dem schnelleren, opulenteren „Photographs Of You“ kurzzeitig aus diesem Muster ausbricht, klingt es abermals so, als würde jemand versuchen, einen Fünfzigerjahre-Pop-Song auf Spielzeuginstrumenten zu interpretieren.

Später sollte man sich daher mehr an die Covergestaltung des Albums denn an die Musik erinnern. Trotz ihrer Meinung über das Artwork von Speak And Spell betrauten sie erneut Brian Griffith damit, das Titelfoto zu schießen. „Es war wundervoll von ihnen, dass sie mir die Stange hielten“, sagt Brian. „Denn das nächste wurde eines der berühmtesten Albumcover aller Zeiten.“ Das Cover von A Broken Frame fand später als Titelbild einer Sonderausgabe der Zeitschrift Life über die Farbfotografie des 20. Jahrhunderts Verwendung. Nach dem Fiasko mit dem Schwan auf Speak And Spell wollte die Band diesmal bei der Gestaltung mitreden. „Wir hatten deswegen mit Daniel und der Band eine Besprechung nach der anderen“, sagt Brian. „Schließlich kamen wir auf die Idee, dass wir einen Bauern in einem Kornfeld nehmen sollten.“

Trotz langwieriger Vorarbeit entstand das Coverfoto eher spontan, ganz nach Manier des Mute-Labels. Brians Stylist Jacqui Frye wurde am Freitag damit beauftragt, für den Fototermin am Montag ein Bauernkostüm herzustellen. Als sie an dem Kornfeld in der Nähe von Saffron Walden im Norden von Essex ankamen, bat sie ein ungeduldiger Landwirt, sie mögen sich bitte beeilen, weil er mähen wolle. An jenem Tag regnete es die meiste Zeit über, doch als die Wolken aufbrachen, schoss Brian ein perfektes Bild von dräuenden Wolken und leuchtendem Getreide.

„Ich hatte großes Glück, dass die Wolken so wunderbar aufbrachen und ich diese Magie einfangen konnte“, sagt Brian. „Als ich das Polaroid sah, flippte ich aus. Ich konnte es kaum glauben. Wir luden Daniel Miller in mein Studio ein, damit er sehen konnte, wie es geworden war. Wir saßen zusammen in einer Ecke und warteten gespannt auf seine Reaktion: ‚Mach schon, Daniel, sieh mal in den Leuchtkasten und schau’s dir an.‘“

Technisch gesehen war es ein großartiges Bild. In seiner Überhöhung der Arbeit hatte es beinahe sozialrealistische Züge (mit dem Cover ihres nächsten Albums sollten sie noch einen weiteren Schritt in diese Richtung tun). Für den Augenblick hatte A Broken Frame seine Aufgabe erfüllt. Es war zwar bei Weitem kein Klassiker, doch hatte das Album gezeigt, dass Depeche Mode als kreative Kraft noch lange nicht am Ende waren. „Ich halte das zweite Album nicht gerade für ein Meisterwerk“, gestand Martin Jahre später. „Wir kamen schlicht und einfach gerade so damit durch.“

„Wir alle finden, dass A Broken Frame rückblickend betrachtet unser schwächstes Album ist“, sagte Dave 1990. „Es ist ziemlich zusammengestückelt. Zu dieser Zeit bekamen wir das Etikett, eine sehr düstere Band zu sein. Wir lernten damals noch. Das Album war ganz naiv. Es war Martins Erstlingswerk als Songwriter. Ehrlich gesagt, wurde er damit ins kalte Wasser geworfen.“

Es gelang ihnen damals, das Album halbherzig zu bewerben, indem sie behaupteten, es zeige einen Reifeprozess. Dave: „Der Kram auf dem letzten Album war Euro-Macho-Tanzmusik, tanzbare Synthesizermusik, doch in unserem neuen Album steckt viel mehr, es ist viel tiefgründiger.“

Das zweite Album von Depeche Mode erschien im September 1982, genau ein Jahr nach ihrem Debüt. Die Reaktionen waren im Allgemeinen sehr positiv, und es kletterte sofort auf Platz acht der Charts. Die Singles „The Meaning Of Love“ und „Leave In Silence“ liefen ebenfalls recht ordentlich und erreichten Rang 12 und 18, konnten sich jedoch nicht lange in den Hitlisten halten. Kurz nach der Veröffentlichung spürte die Band, dass das Interesse wieder abebbte. Tief im Herzen wussten sie, dass A Broken Frame kein besonders gutes Album war. Zunehmend haftete ihnen den Ruf an, „Weicheier mit Synthies“ zu sein. Zumindest in Daves Fall war dies zwar sehr weit von der Wahrheit entfernt, doch etliche ihrer Fotos und Promo-Auftritte trugen nur wenig zur Aufbesserung ihrer neuen Reputation bei. Einmal ließen sie sich in voller Kricket-Montur für Smash Hits ablichten. Es war ein Bild, das für sie später zum Symbol ihrer missverstandenen Bereitschaft wurde, alles zu tun, was man in Sachen Promotion von ihnen verlangte.

„Als wir anfingen, waren wir äußerst naiv, doch beim Erscheinen von A Broken Frame begriffen wir langsam, dass das Musikgeschäft zu großen Teilen eine reine Farce ist“, sagte Dave. „Auf einmal sahen wir die ganze Korruption, die Geschäftemacherei und die Marketingkampagnen.“

Ihre Reaktion war typisch: Sie machten sich wieder an die Arbeit. Für eine Band, die über ihre „Faulheit“ oft Witze machte (der offenkundig hart arbeitende Alan Wilder war hier allerdings nie gemeint), hatten sie in ihren Anfangsjahren eine erstaunliche Arbeitsmoral. Sie meckerten vielleicht hinterher über die Videodrehs und Fototermine, doch an Ort und Stelle waren sie der Traum eines jeden PR-Mannes. Die Musik war zwar ihre Domäne, aber alles andere überließen sie Außenstehenden. In Bereichen wie der Videoproduktion etwa hatten sie einfach nicht genügend Selbstvertrauen, um den Mund aufzumachen, wenn ihnen etwas nicht gefiel.

„The Meaning Of Love“, die erste Single, die nach A Broken Frame erschien, war auch das erste Video, in dem Alan zu sehen war. Es war ein weiterer interessanter oder verstörender Einblick in die seltsame Welt von Depeche Mode: Julien Temple hatte beschlossen, die Suche nach „der Bedeutung der Liebe“ wörtlich zu nehmen, also stellte er Dave als eine Art Wissenschaftler dar. Das Video beginnt mit einer Szene, in der er ein Buch liest. Um noch glaubhafter als Eierkopf zu sein, trägt er sogar eine Brille. Für den Fall, dass Kinder dadurch abgeschreckt werden könnten, zieht sich dazu noch ein bizarres, zusammenhangloses Kinderspielzeugmotiv durch das Video.

Die nächste Single, „Leave In Silence“, hatte ein noch unpassenderes Video. Es ist eine langsame, dunkle Nummer – einer der Songs, die für die Wandlung des Rufs der Gruppe von kindlichen Popstars zu Düstermännern verantwortlich waren. Umso seltsamer erscheint es da, dass Julien Temple sich offenbar vom Kinderfernsehen und The Generation Game inspirieren ließ. Das Video zeigt ein Förderband mit grellbunten Objekten, auf das die sehr ernst dreinblickenden Musiker mit hölzernen Löffeln einschlagen. Dann beginnen sie, Bälle umherzuwerfen, und schließlich jagen sie einander auf Hüfpbällen nach. Das mag ihren damaligen Geisteszustand vielleicht ziemlich gut widergespiegelt haben – Depeche Mode waren eine Band, die noch lange nach Beginn ihrer Profikarriere vor Konzerten gelegentlich „Fangen“ spielte. Aber es war sicher nicht der Imagewechsel, den sie benötigten.

Die neue Ernsthaftigkeit ihres zweiten Albums wirkte bisweilen zwar noch ein wenig altklug, doch sie wurden nun sehr schnell erwachsen. Sie waren praktisch pausenlos unterwegs und nutzten eine kurze Unterbrechung, um Ende 1982 ins Studio zu gehen und eine weitere Single mit dem Titel „Get The Balance Right“ aufzunehmen. Sie waren nicht unbedingt scharf darauf, das zu tun, doch ihre amerikanische Plattenfirma Sire ließ sie wissen, dass sie einen Tanzhit bräuchten, wenn sie es in den Staaten schaffen wollten.

Das Resultat war die schwierigste Erfahrung, die sie im Rahmen ihrer Studioarbeit bis dato gemacht hatten. Die neue Technologie, die nun zur Verfügung stand, bot zwar viele Vorteile, doch brachte sie es leider mit sich, dass auch viel mehr schief gehen konnte. Besonders Dave hatte seine Schwierigkeiten damit. Er war kein Studiocrack, also saß er einen Großteil der Zeit einfach nur herum, während Martin, Alan und Daniel Miller die Knöpfe drehten.

Obwohl sie das Ergebnis in gewisser Weise als Enttäuschung empfanden, hatte die Nummer doch unüberhörbar den kräftigsten, modernsten Beat von allem, was sie bislang gemacht hatten. Erst später fanden sie heraus, dass die Maxi-Single ein heimlicher Renner in den Clubs von Detroit gewesen war und Künstler wie Derek May inspiriert hatte, der schließlich zu einem Paten des Techno wurde.

„Ich weiß nicht, was den Leuten daran gefiel“, sagte Dave Jahre später. „Wir konnten uns nie ganz damit identifizieren.“ Das ist verständlich. Als Song war „Get The Balance Right“ nicht besonders stark. Er hatte eine eher schwache Melodie, und der Gesangspart bot auch sonst nichts, wo sich Dave hätte ausleben können. Wenngleich ihnen der Titel also nicht sonderlich gefiel, so wies ihnen das Studioexperiment „Get The Balance Right“ doch den Weg in die Zukunft.

Der relative Erfolg ihrer ersten beiden Alben hatte es ihnen ermöglicht, das sündhaft teure und topmoderne Synclavier einzusetzen, das auch „bandloses Tonstudio“ genannt wurde, weil man darauf einen kompletten Song programmieren konnte. Es verfügte zudem ab Werk über ein breites Spektrum vorprogrammierter Sounds. Noch wichtiger für die Entwicklung von Depeche Mode jedoch war, dass es ihnen gestattete, fremde Klänge aufzunehmen und zu verändern.

Dies bedeutete unter anderem auch, dass sie nun akzeptieren mussten, dass Alan mehr war als nur ein Tour- und Studiomusiker. Er hatte an der Studioarbeit weitaus mehr Freude als die anderen. Dave war es angesichts seiner wachsenden Bedeutung für die Band immer unangenehmer, dass sie ihm nur einen lächerlichen Wochenlohn zahlten. „Sicher habe ich sie irgendwann unter Druck gesetzt und gefordert: ‚Lasst mich mitmachen, sonst gehe ich woanders hin‘“, hat Alan einmal gesagt. „Ich möchte eigentlich kein Teilzeitmusiker sein.“ Nach der Veröffentlichung von „Get The Balance Right“ verkündeten sie schließlich offiziell, dass Alan nun ein vollwertiges Bandmitglied sei. Dann ging es zurück ins Studio.

Zu Beginn des Jahres 1983 unternahmen Depeche Mode ihre erste Fernost-Tournee. Dies sollte sich als weiterer wichtiger Einfluss auf das nächste Album erweisen. Bei einem Trip nach Thailand waren sie schockiert von der Armut, die sie sahen, der Straßenprostitution und der Gier und Korruption westlicher Geschäftsleute.

„Man fliegt dorthin, und alle Hotels sind voller, na ja, Geschäftsleute, und die behandeln Menschen in der Regel so, als wären sie Dreck“, sagte Martin. „Alles, was sie interessiert, sind ihre Geschäfte – das ist es, was ich an der globalen Wirtschaft so hasse: dass die Menschen gar nicht mehr zählen. Es geht nur noch ums Geld.“

Es sollte das erste Album sein, das sie in der neuen Besetzung einspielten. Große Veränderungen lagen vor ihnen.

Dave Gahan

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