Читать книгу Dave Gahan - Trevor Baker - Страница 7

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Das Konkurrenzgerangel von Daniel Miller und Stevo um einen Vertrag mit Depeche Mode wurde schließlich beigelegt, als bei Stevo mit Soft Cell die andere große Pop-Hoffnung der Futuristen-Szene unterschrieb und Daniel sich bereiterklärte, beide Bands für das Album Some Bizzare zu produzieren. Nachdem Depeche Mode „Photographic“ neu aufgenommen hatten, nahm Miller sie mit in das Blackwing Studio im Süden von London, um dort mit ihnen ihre erste Single für Mute zu produzieren: „Dreaming Of Me“. Das Blackwing Studio war eine umfunktionierte Kirche in den Londoner Docklands und gehörte Eric Radcliffe, dem Yazoo später mit ihrem Album Upstairs At Eric’s ein Denkmal setzten. Er war einer der wenigen Toningenieure, die sich damals für synthetische Musik begeisterten und gewillt waren, Bands experimentieren zu lassen.

Insgesamt lief alles weit besser, als sie erwartet hatten. Die Fortschritte von Depeche Mode brachten allerdings neue Probleme mit sich. Insbesondere Dave stand vor einem Dilemma: Ihm gefiel es am Southend Art College viel besser als in der Schule, und es sah so aus, als hätte er seinen Weg gefunden. Er hatte bereits den British Display Society Award gewonnen, für ihn die Eintrittskarte ins „ordentliche“ Berufsleben als Schaufensterdekorateur eines großen Geschäfts in London. Leider hatte er die Ausbildung noch nicht abgeschlossen und schwänzte regelmäßig tagelang, um mit der Band zu proben. Schließlich blieb der Collegeleitung nichts anderes übrig, als ihn vom Unterricht auszuschließen.

Es war ein Augenblick großer Sorge. Dave konnte jedoch sehr überzeugend sein, und es gelang ihm, eine Trainee-Stelle in einer großen John-Lewis-Filiale auf der Oxford Street zu ergattern. Alle Mitglieder von Depeche Mode hatten damals feste Jobs. Martin arbeitete bei einer Bank, und Andy hatte einen gut bezahlten Job als Versicherungsangestellter. 1981 war das für Schulabgänger keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. Eine Anstellung zu kündigen oder dadurch zu gefährden, dass man häufig fehlte und nach Konzerten morgens erschöpft zur Arbeit kam, war ein großes Risiko.

Das erste Anzeichen dafür, dass es Depeche Mode schaffen könnten, kam von John Peel, der „Photographic“ in seiner Radiosendung spielte. In kommerzieller Hinsicht bedeutete das noch nicht viel, aber die Unterstützung durch den einflussreichen DJ hatte großes Gewicht bei der Kritik. Im Februar 1981, am Valentinstag, hatten Depeche Mode ihren bis dato prestigeträchtigsten Auftritt. Sie spielten als Vorgruppe von Ultravox im Londoner Rainbow Theatre. Der Abend war von Rusty Egan organisiert worden, der ihnen 50 Pfund für den Gig zahlte. Außer ihnen trat noch eine weitere Synth-Band namens Metro auf. Es war ihr erstes Konzert vor großem Publikum in London, und es gelang ihnen, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Der Erfolg von „Dreaming Of Me“ im Jahre 1981 trug ebenfalls dazu bei, dass sie ihre Zweifel bald vollends abschütteln konnten. Die Veröffentlichung erfreute sich recht ordentlicher Kritiken, obwohl die meisten DJs darin nur eine weitere coole, exzentrische Mute-Single sahen. Dann aber begann überraschenderweise Peter Powell von Radio One – nicht unbedingt ein Trendsetter unter den DJs – die Single zu spielen. Ende März stieg „Dreaming Of Me“ auf Platz 57 in die britischen Charts ein. Der Titel schaffte es zwar nicht in die alles entscheidenden Top 40, wurde aber Nummer eins in den Independent-Charts und schließlich die bestverkaufte Indie-Single des Jahres. Interessanterweise klingt die exzellente B-Seite viel mehr nach den späteren Depeche Mode als die berühmtere A-Seite.

Sie hat einen dunkleren, kraftvolleren Sound – eine Eigenschaft, die bewirkte, dass der Song bis 1984 fester Bestandteil des Live-Programms blieb. Das poppige „Dreaming Of Me“ war der Anfang vom Ende ihrer Reputation als coole Außenseiter. Zwischen den Bands der entstehenden Indie-Szene und Pop-Gruppen wie Depeche Mode hatte sich bereits eine stetig wachsende Kluft aufgetan.

„Es gab eine Nord-Süd-Trennlinie zwischen uns und den Leuten aus Manchester, der Regenmantel-Brigade, wie wir sie nannten“, sagt Rusty Egan. „Das waren energische, von sich selbst überzeugte junge Leute, die Dostojewski und Sartre lasen. Pop-Platten mit Synthesizermusik zu machen, betrachtete man dort wahrscheinlich als Ausverkauf. Dann kamen New Order mit ihrem Drumcomputer daher und hatten größeren Erfolg als alle anderen zusammen.“

Die Kluft zwischen Indie und Pop war vielleicht nicht ganz so groß, wie ständig behauptet wurde. Martin Gore begann zumindest später, ebenfalls Bücher von Hermann Hesse, Camus, Kafka und Brecht zu lesen. Für Publikum und Kritik sah es jedoch so aus, als hätten Depeche Mode unumkehrbar einen Weg in Richtung Mainstream-Pop eingeschlagen. Freilich kümmerte sie das wenig. „Dreaming Of Me“ war fast ein Hit, und sogar außerhalb Großbritanniens begann sich nun die Musikindustrie für die Gruppe zu interessieren.

Im April 1981 war der mächtige amerikanische Musikmanager Seymour Stein im Land. Er hatte bereits in der Vergangenheit mit Daniel Miller zusammengearbeitet und nahm sich stets die Zeit, sich im Rough-Trade-Laden ein Bild des aktuellen Stands der Indie-Szene zu verschaffen. Daniel schlug ihm vor, ein Konzert von Depeche Mode zu besuchen. So landete der Mann, der später die Talking Heads, die Pretenders und schließlich sogar Madonna entdeckte, an jenem Abend im Club Raquel’s in Basildon. Nach dem Auftritt wollte er die Band im Backstage-Bereich kennen lernen, doch der Laden war so klein, dass es dort keinen richtigen Backstage-Bereich gab. Also unterhielten sie sich im Treppenhaus. Stein war stark beeindruckt. Er machte ihnen an Ort und Stelle zwar kein Angebot, sagte jedoch, sie würden in Verbindung bleiben.

Trotz ihres wachsenden Erfolges hatte Dave niemals vorgehabt, seinen bürgerlichen Beruf an den Nagel zu hängen. Nach einem Vorfall 1981 überlegte er es sich jedoch anders. Er arbeitete gerade bei John Lewis im Schaufenster, als jemand an die Scheibe klopfte und fragte: „Bist du nicht bei Depeche Mode?“ Das hätte ihm eigentlich schmeicheln sollen, doch stattdessen kam er sich eher ein bisschen lächerlich vor und kündigte noch am selben Nachmittag.

Ihre zweite Single „New Life“, die abermals im Blackwing Studio aufgenommen wurde, rechtfertigte zweifellos diese Entscheidung. Sie war ultra-clean und poppig, mit einem Refrain, der wesentlich eingängiger war als alles, was ihre Kollegen auf dem Some Bizzare -Sampler bislang zu Wege gebracht hatten. Es war wenig verwunderlich, dass ihnen mit diesem Song der Sprung aus dem Art-Pop-Ghetto ins Tagesprogramm im Radio gelang. „New Life“ erreichte Platz elf in den Charts und verkaufte sich weit über 200 000 Mal. Es brachte der Band auch den Heiligen Gral für alle Pop-Gruppen der Achtziger ein – einen Auftritt in Top Of The Pops. Depeche Mode waren „angekommen“.

Der Tag, an dem die berühmte Fernsehsendung aufgezeichnet werden sollte, gestaltete sich indes ganz anders, als die junge Band es erwartet hatte. Sie hatten von Mute keinerlei Vorschuss bekommen, also mussten sie von Basildon aus mit dem Zug nach London fahren und dann die U-Bahn quer durch die Stadt nehmen. Martin und Andy übten ihre bürgerlichen Berufe noch aus und wirkten nicht gerade wie Popstars. Sie trugen Hemd und Krawatte und sahen von Kopf bis Fuß aus wie Angestellte an ihrem freien Tag. Als sie in den BBC-Studios eintrafen, gelang es ihnen nur mit einiger Mühe, die Portiere davon zu überzeugen, dass sie einen Termin hatten. Vom Moderator Peter Powell als „Depesch-ey Mode“ angekündigt (sie bestanden auf dieser Aussprache), absolvierten sie ihren Dreh trotzdem mit gewaltigem Enthusiasmus. Außerdem hatte ein Brotberuf zumindest eine gute Seite, die Dave nun entging – als Andy am nächsten Tag zur Arbeit kam, empfingen ihn seine Kollegen mit stehenden Ovationen.

Die Band wurde immer bekannter, und selbst Daves ängstliche Mutter musste zugeben, dass es nun so schien, als hätte er das Richtige getan. Die Vorstellung eines vaterlos aufgewachsenen Kindes, das in Musik und Auftritten vergeblich nach Zuneigung sucht, ist freilich ein Klischee, doch auf Dave Gahan trifft es wenigstens ein Stück weit zu. Als er älter wurde, akzeptierte er, dass der Wunsch nach Anerkennung eine der treibenden Kräfte seiner Persönlichkeit war. Er war sich trotzdem nie ganz sicher, ob alles anders gekommen wäre, wenn sein Vater bei ihnen gewesen wäre. Seine Mutter achtete stets darauf, dass all ihre Kinder in einem stabilen Umfeld heranwuchsen, sodass seine Entwicklung nicht gestört war. Nach den ersten Erfolgen mit Depeche Mode erwachte sein Interesse an Len von neuem. Also fragte er Sylvia, ob sie irgendwelche Fotos hatte. Sie zeigte ihm eines, auf dem er in einem Pub zu sehen war. Als Dave die Ähnlichkeit erkannte, sagte er trocken: „Ja, das ist wohl ganz offensichtlich mein Alter.“

Durch ihren Auftritt in Top Of The Pops betrachtete man Depeche Mode nun im gesamten Familien- und Freundeskreis als Erfolgsunternehmen. Mitte der Achtziger war es fast so, als existierten Bands gar nicht, bevor sie in der Sendung auftraten. Die Band selbst wusste aber, dass sie noch einen weiten Weg vor sich hatte. Noch in derselben Woche gingen sie wieder in das Blackwing Studio und verbrachten dort zusammen mit Daniel Miller sechs Wochen, um ihr Debütalbum zu produzieren. Das Resultat unterschied sich deutlich von allem, was sie im weiteren Verlauf ihrer Karriere abliefern sollten. Sie hatten die Songs bereits fertig und spielten sie seit anderthalb Jahren live. Sie mussten also nur noch ins Studio gehen, die Kopfhörer aufsetzen und sie spielen, wie sie es auf der Bühne schon so oft getan hatten.

Das Ergebnis war eine seltsame Mixtur aus Avantgarde-Einflüssen und Pop-Melodien. Bis auf zwei Songs stammten alle von Vince Clarke, der einen ausgesprochen ungewöhnlichen Geschmack hatte. Er liebte saubere, helle Klänge und hasste alles, was übermäßig dunkel oder prätentiös war. Sein Material klang sehr zuckrig und schwül, doch Daves jungenhafter Gesang mit dem typischen Essex-Einschlag bildete bei Songs wie „New Life“ einen guten Gegenpol zu den leichten Melodien.

Sie beschlossen, die Platte Speak And Spell zu nennen, nach einem ungeheuer beliebten Lernspiel der späten Siebziger und frühen Achtziger. Es war ein Titel, der das Album fest in der Zeit seines Entstehens verankerte.

Die Synthesizer, die sie einsetzten, waren dem Spielzeug technisch kaum überlegen, und doch gelang es der Band, ihnen ein paar außergewöhnliche Sounds zu entlocken. Später taten sie Speak And Spell häufig als Beginn einer langen Lernkurve ab, und doch kann man das Album über weite Strecken auch heute noch recht gut hören. Die technischen Beschränkungen verleihen ihm sogar einen gewissen naiven Charme. Zugegeben: Die Platte hat auch ihre Schwächen. Die pseudo-schwulen Hymnen „Boys Say No!“ und „What’s Your Name?“ klangen bemüht und unausgegoren. Niemand in der Band war wirklich schwul, doch für Vince schien das augenzwinkernde Liebäugeln mit der Schwulenszene zum kleinen Einmaleins der Popmusik zu gehören, wie er später auch mit Erasure bewies.

Rückblickend waren beide Titel leider nur Trockenübungen für Vince’ spätere Arbeit mit Erasure. Die ebenfalls schwul angehauchte Pop-Nummer „Just Can’t Get Enough“ hingegen war etwas ganz Anderes. Es sollte der einzige Song aus den ersten vier Jahren ihrer Karriere werden, den sie bis in die Neunziger und sogar weit darüber hinaus noch gerne spielten. Als die Single im September 1981 noch vor dem Album erschien, war sie die Nummer, welche die Gruppe in die Pop-Stratosphäre katapultierte. Depeche Mode büßten ihren Platz in der Some Bizzare -Gemeinde endgültig ein und fanden sich dafür in den Herzen und den Plattensammlungen heranwachsender Mädchen in ganz Großbritannien wieder, was weitaus lukrativer war.

Das dazugehörige Video markiert darüber hinaus die Geburtsstunde des von Dave einmal als „schwulen Lederlook“ bezeichneten Kleidungsstils, den sie viel zu früh aufgaben, wie ihnen später bewusst wurde. Damals mag man sie dafür verspottet haben, doch war er auf jeden Fall viel besser als die Anzüge, die sie später trugen. Während der ersten Hälfte ihrer Karriere schien es Depeche Mode schwer zu fallen, die Band als Einheit visuell zu kommunizieren. Die Gestaltung von Speak And Spell zeigt dies ganz deutlich. Daniel Miller schlug vor, mit dem Fotografen Brian Griffin zusammenzuarbeiten. Er war für seine Arbeit mit Bands wie Echo And The Bunnymen sehr bekannt. Es war mit sein Verdienst, dass diese Liverpooler Gruppe eine unverkennbare visuelle Identität entwickelt hatte.

Als sich Brian mit Depeche Mode traf, war er genau so, wie sie sich einen Künstler vorstellten. Er trug einen großen Schlapphut und fuchtelte aufgeregt mit den Armen herum. Er sagte, er habe eine Vision von einem fliegenden Schwan. Sie waren beeindruckt und sorgten sich lediglich darum, was das Ganze wohl kosten würde. Das Resultat war am Ende jedoch nicht ganz das, was sie erwartet hatten. „Die Idee klang wirklich klasse“, sagte Brian gegenüber dem Autor dieses Buches. „Aber als es fertig war, sah es aus wie ein Schwan in einer Plastiktüte! Es sollte alles ganz hübsch und romantisch sein, aber es war einfach nur komisch. Ich wusste nicht recht, was ich tun sollte. Es wurde zu einem der schlechtesten Plattencover aller Zeiten gewählt! Es war echt mies.“

Noch vor der Veröffentlichung der Platte hatten Depeche Mode Gelegenheit, sich auf ihrer ersten NME-Titelseite ganz anders darzustellen. Damals war der NME eine ungeheuer beliebte Zeitschrift mit einer Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren. Die Redaktion war außerdem für einen gewissen Zynismus bekannt, und eine Band wie Depeche Mode, die aus ihrem Bestreben, Popstars zu werden, keinen Hehl machte, passte nicht recht zu dem Post-Punk-Ethos des Blattes. Dies drückte sich vielleicht im Coverfoto aus, auf dem Dave Gahan vor den übrigen Bandmitgliedern zu sehen war. Zweifellos freute ihn das – bis zu jenem Mittwochmorgen, als er sein Exemplar der Zeitschrift erhielt und feststellte, dass er auf dem Bild verschwommen war, der Rest der Band hingegen gestochen scharf. Das verstand er nicht.

„Ich war sehr enttäuscht“, sagte er später. „Ich stand ganz vorne … und doch wieder nicht. Das war ganz schön gerissen von dem Fotografen. Das ganze Foto überforderte mich komplett. Ich erinnere mich, dass ich dachte: ‚So ein Wichser! Ich bin da ja völlig unscharf drauf.‘“ Fairerweise muss man sagen, dass dem Fotografen die Musik von Depeche Mode überhaupt nicht gefiel. Er war ein junger holländischer Knipser, der durch seine Arbeit mit Joy Division bekannt geworden war. Sein Name war Anton Corbijn. Viele, viele Jahre später sollte er in der Geschichte von Depeche Mode eine bedeutende Rolle spielen.

Sie waren nicht die einzige Elektro-Band, die in jenem Jahr an der Schwelle zum ganz großen Erfolg stand: Mit ihrem Album Dare sollten The Human League zu Popstars werden, Soft Cells Coverversion von „Tainted Love“ entwickelte sich zu einem der größten Hits der Achtziger, Architecture And Morality war das bis dato bestverkaufte Album von OMD, und in Übersee verkauften Künstler wie Yello und Jean-Michel Jarre Millionen von Platten. Als „Just Can’t Get Enough“ im September 1981 als Single erschien, wurde Depeche Mode zu einem Markennamen. Gleichzeitig grenzte sie der Song aber auch von ihren cooleren Zeitgenossen ab. Der Rolling Stone-Autor David Fricke fasste dieses Phänomen später in einem Artikel über die erste Welle englischer Synth-Pop-Alben Anfang der Achtziger zusammen: „Verglichen mit dem Schmuddel-Pop von Soft Cell ist Speak And Spell von Depeche Mode durch und durch jugendfreie Kost. Als saubere britische Vorstadtjungs haben sie weder die Ambition von Orchestral Manœvres In The Dark noch den unverblümt kommerziellen Reiz von The Human League.“ Fricke betrachtete den britischen Synth-Pop-Trend jedoch als „Eintagsfliege“ und erklärte in einer spektakulären Verkennung der Tatsachen: „Wenn diese paar Platten ein Hinweis sind, dann wird es wohl keine Synthesizer-Revolution geben.“

Depeche Mode hatten offensichtlich jegliche Kritikergunst verspielt, derer sie sich in der Vergangenheit vielleicht einmal erfreut hatten. Sie befanden sich nun in einer vollkommen anderen Welt: der Welt von Duran Duran, Spandau Ballet und anderen Synth-Gruppen, die keine New Romantics oder Futuristen mehr waren, sondern nur noch Pop-Gruppen. Trotzdem vergaßen sie die wenigen Enthusiasten nicht, die sie am Anfang unterstützt hatten.

„Sie verhielten sich mir oder Steve Strange gegenüber niemals abweisend oder unhöflich“, sagt Rusty. „Da gab es ganz Andere, die sich als große Rockstars oder Popstars aufspielten. Depeche Mode hingegen bedankten sich immer artig für meine Unterstützung und die ganzen Gigs am Anfang ihrer Karriere.“

Depeche Mode scherten sich nicht allzu sehr darum, was gerade „in“ war. Sie wollten einfach nur gute Songs schreiben. Leider war genau der Mann, der ihren Teenager-freundlichen Sound am meisten zu verantworten hatte, Vince Clarke, derjenige, der mit ihrem neuen Status ganz und gar nicht glücklich war. Er hatte noch nie gerne Interviews gegeben und konnte nun mit den – wie er es sah – unangenehmen Einschnitten in ihrem Privatleben nicht umgehen.

Nach einem Interview mit Rick Sky vom Daily Star war für Vince der Gipfel erreicht. Rick fragte, ob er es für vorteilhaft halte, gut aussehend zu sein, und Vince erwiderte, dass dies natürlich der Fall sei. „Rick Sky drehte es so hin, als hätte Vince gesagt, dass es hässliche Bands niemals schaffen und man nur gut aussehen muss, um es auf Platz eins zu schaffen“, sagte Dave später. Vince fühlte sich durch dieses noch relativ harmlose Beispiel für Boulevardjournalismus zutiefst verletzt. Einige Wochen lang verließ er nur selten seine Wohnung. Danach überließ er die Interviews seinen Bandkollegen. Sie machten sich zwar Sorgen um ihn, erwarteten aber in keiner Weise, dass er so reagieren würde, wie er schließlich reagierte. Zu diesem Zeitpunkt waren sie mit Promotion und Konzerten mehr als beschäftigt.

Dave war immer noch 19, Martin und Andy hingegen waren schon 20 Jahre alt. Vince war 21. Sie besaßen noch nicht das notwendige Selbstbewusstsein, um ihre Karriere selbst zu steuern oder Kritik zu ignorieren. Brian, der viele Jahre mit ihnen zusammenarbeitete, sagt, er habe bei jenen ersten Treffen nur einen sehr schwachen Eindruck davon bekommen, wie sie wirklich waren.

„Sie wirkten einfach wie ganz junge Burschen aus Basildon. Sie waren nicht ungezogen oder aufmüpfig wie viele andere junge Bands, sondern ziemlich diszipliniert.“

Mit der Veröffentlichung von „Just Can’t Get Enough“ waren ihre Auftritte im Croc’s gezählt. Es war eine aufregende Entwicklung, die einem zuweilen aber auch Angst einjagen konnte. Dies traf insbesondere auf Dave zu, der bei den Fans im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Einmal bat man ihn zu einer lockeren Signierstunde mit Jugendlichen in den Camden Palace. Wenige Monate zuvor wäre dies einfach und vergnüglich gewesen, doch das Publikum hatte sich gewandelt.

„Es war ziemlich beängstigend“, beschrieb er die Signierstunde in der Zeitschrift Sounds. „Als ich hineinkam, verstellte man mir den Weg. Die Leute rissen an meinen Kleidern und zogen an meinen Haaren – ich bekam es dermaßen mit der Angst, dass ich aufs Klo rannte und mich dort einschloss. Ich wollte nicht wieder rauskommen. Ich glaube, das war eine meiner schlimmsten Erfahrungen – diese Erkenntnis, dass die Kids einen umbringen könnten.“

Trotzdem ließen sich Depeche Mode nicht entmutigen. Sie hatten jenes Arbeitsethos, das man bekommt, wenn man einen langweiligen Job hat. Was auch immer geschah, sie wollten keinesfalls wieder dorthin zurückkehren. Besonders Dave, der nun einen Vorgeschmack auf das Leben als Popstar bekommen hatte, hatte es überhaupt nicht eilig, wieder als Schaufensterdekorateur zu arbeiten.

Im November 1981 sah es jedoch so aus, als würde genau das passieren.

Dave Gahan

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