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2.

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Carl Sullivan stand im ›Pints‹ hinter dem Tresen und spülte Gläser. Der Pub befand sich in einem alten zweistöckigen Backsteingebäude in Portlands Old Town, unweit der 1896 eröffneten Union Station. Der bei Touristen beliebte Pearl-District mit seinen umgebauten Lagerhäusern und den vielen kleinen hippen Geschäften, war nur ein paar Blocks entfernt. Doch es verirrten sich nur selten Touristen ins ›Pints‹. Über dem Pub hatten zwei Rechtsanwälte und ein Häusermakler ihre Büros bezogen. Es war 15.30 Uhr. In einer halben Stunde würde er den Pub öffnen. Das ›Pints‹ hatte Sonntag bis Freitag immer von 16.00 Uhr bis 21.00 Uhr geöffnet. Sullivan fand, genau die richtige Zeit für die nach einem Feierabendbier dürstenden Angestellten der umliegenden Büros und Geschäfte. Nicht selten ließen sie nach einem schnellen Bier ihre Growler befüllen, wenn sie einen weiten Heimweg hatten. Nicht alle konnten es sich leisten, hier in der näheren Umgebung zu wohnen. Samstags war Open End. Es ging aber selten länger als bis drei Uhr.

Die herbstliche Nachmittagssonne zeigte sich als milchiger runder Fleck zwischen grauen Wolken. Es nieselte. Sullivan fragte sich gerade insgeheim, ob er die Eingangstür wieder abgeschlossen hatte, als die Frage beantwortet wurde. Die Tür öffnete sich und eine schmächtige Person betrat den Raum. Im Gegenlicht war von der Gestalt nicht viel zu erkennen. Sullivan blinzelte. Erst als sich die Tür wieder schloss und das Tageslicht aussperrte, konnte er in dem schummrigen Licht besser sehen. Da stand ein alter Mann. Sullivan schätzte ihn um die achtzig oder drüber. Dünn, weißhaarig und er legte nicht viel Wert auf akkurat sitzende Anzüge. Der des Alten war jedenfalls ein, zwei Nummern zu groß. Vielleicht hatte er ihm mal in jüngeren Jahren gepasst. Der Alte sah sich unsicher um. Er schien sich nicht entscheiden zu können, an welchen der Tische er sich setzen sollte. Keiner war durch andere Gäste besetzt. Wie auch, Sullivan hatte den Pub ja gerade erst aufgeschlossen. Eigentlich wäre es Barts Aufgabe gewesen, doch montags konnte man bei Bart nie wissen, wann er auftauchen würde.

Carl Sullivan stand abwartend am Tresen und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. Zu seinem Verdruss lichteten sich seine blonden Haare dort schon etwas. Er musterte den alten Mann, darauf wartend, welche Entscheidung er treffen würde. Der Alte schlurfte mit müden Schritten in den hinteren Raum. Wenig später hörte Sullivan eine Sitzbank knarren. Es gab nur eine Bank, die so knarrte. Er hatte Bart gebeten, sie zu reparieren. Das war jetzt fast ein Jahr her. Sie stand in der hintersten Ecke des Pubs vor der uralten kleinen Bierbrauanlage, die er dort als Deko hatte stehen lassen. Gemächlich trat Sullivan hinter dem Tresen hervor und ging zu dem Tisch, an den sich der alte Mann gesetzt hatte. Er trat an den Tisch und sah auf den Gast hinunter. Das Gesicht, von unzähligen großen und kleinen tiefen Falten zerfurcht, kam ihm bekannt vor. Eine jüngere Version mit noch nicht ganz so tiefen Furchen geisterte durch seine neblige Erinnerung. Aber er bekam es nicht zu fassen. Der alte Mann sah stur geradeaus.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Sullivan.

Leise, mit brüchiger Stimme, ohne Sullivan dabei anzusehen antwortete der Alte: »Sully, ich habe Ihren Vater gekannt.« Erst da sah er Carl Sullivan direkt ins Gesicht.

Der musterte ihn gleichgültig.

»Schön, ich auch.« Es sollte witzig sein. Dann wurde Sullivan ernst. »Aber nur Freunde nennen mich Sully.«

Der Alte schwieg. Nach einer kurzen Pause sagte er: »Es regnet.«

»Irgendwo regnet es immer«, erwiderte Sullivan. Der Alte war ihm ein Rätsel.

»Immer? Irgendwo? Sie meinen in Seattle.« Sein Lachen war ein rasselnder Husten. »Vermutlich gibt es deswegen dort keine Biergärten. Man weiß nie, wann der nächste Regen kommt.«

Sullivan verzog seinen Mund zu einem müden Lächeln. »Sie wissen also, wie mich Freunde nennen und kannten meinen Vater.« Er musterte den Alten spöttisch. »Schön, und weiter?«

Der Alte reagierte nicht.

Sullivan wartete, dann sagte er: »Mein Vater war ein Cop. Den haben viele gekannt.«

Der alte Mann nickte. »Genau wie Sie, bis Sie dann das Handtuch geschmissen haben, um lieber Bier zu brauen und diesen Pub zu betreiben.«

»Die beste Entscheidung meines Lebens.«

»Ich habe gehört, dass Sie Freunden auch mal einen Gefallen tun.«

Auf einmal konnte Carl Sullivan das Gesicht zuordnen. Senator John Roony. Oder besser Ex-Senator. Er war mit den Gewerkschaften Anfang der 60er Jahre groß geworden. Und dann, mit knapp Anfang dreißig, in die Politik gewechselt. Wie viele vor ihm und nach ihm. Die Honigtöpfe riefen und nur die wenigsten konnten widerstehen. Roony gehörte nicht dazu. Wie alt dürfte er jetzt sein? Mitte, Ende 80? Oder doch schon 90?

»Wie Sie schon sagten, Senator, Freunden tue ich mal einen Gefallen und die dürfen mich auch Sully nennen. Für Sie heiße ich Mister Sullivan.«

»Was ja nicht ist, kann ja noch werden.«

»Glaub ich kaum.«

Der alte Mann sah Carl kalt an. Die blassgrauen Augen unter den buschigen Brauen wirkten leblos wie Steine, trotz der leicht geröteten Augenlider.

»Na gut, wenn nicht ich, dann Pete, Ihr Musikerfreund.«

»Was hat Pete damit zu tun?«, fragte Sullivan unruhig. Etwas in dem Tonfall des Senators hatte ihn nervös gemacht.

»Eigentlich nicht viel«, entgegnete John Roony. »Außer, Sie helfen mir nicht. Dann wäre es das Ende für seine Musikerkarriere. Ohne Zunge und Hände wird es schwierig.«

Die kalten Augen des Alten hatten einen verträumten Blick bekommen.

Sullivan musterte ihn finster. »Was ist das für ein kranker Scheiß, Senator!«

Der Alte hielt Carls Blick ohne eine Regung stand.

»Sie sind wirklich ein alter kranker Mann«, wiederholte Sullivan.

»Mag sein, aber das ändert nichts an der Situation.«

»Die Top Ten der Hitparaden interessieren ihn nicht«, sagte Sullivan. Es war ein hilfloser Versuch.

Der Alte quittierte ihn mit einem geringschätzigen Lächeln, was Carl klar machte, das hier war kein Scherz. Es beunruhigte ihn mehr, als ihm lieb war. Er und Pete waren schon sehr lange befreundet. Ihre gemeinsamen Herkunft hatte sie in Portland zusammen geführt. Beide stammten aus New Orleans. Pete hatte einen deutschen Nachnamen. Fichte, die deutsche Bezeichnung einen Nadelbaum, den es auch hier im Nordwesten gab. Und in Maine, Vermont und im Osten Kanadas. Petes Urgroßeltern stammten aus Bremen, einer Hafenstadt in Deutschland. Während Carls Vorfahr, sein Ururgroßvater Fionnbharr O’Sullivan, ein irischer Landarbeiter gewesen war, der die Heimat während der großen Hungersnot 1847 verlassen hatte. Bei der Einbürgerung ging das O verloren und aus Fionnbharr wurde Finn. Seitdem sind noch Franzosen und Deutsche zum weit verzweigten Familienstammbaum der Sullivans hinzugekommen. Alles gläubige Katholiken. Aber es war schon lange her, dass Carl Sullivan in eine Kirche gegangen war. Carls Vater, Liam Sullivan, war mit ihm aus New Orleans weggezogen. Er hatte gegen korrupte Cops ausgesagt und war nur knapp einem Anschlag entgangen. Liam Sullivan musste feststellen, dass er nicht mehr sehr beliebt in seiner Stadt war, schon gar nicht bei den Kollegen des 8. Districts im French Quarter. Seine zweite Ehe zerbrach darüber. Carl ging mit seinem Vater nach Portland. Zu diesem Zeitpunkt war er 16 Jahre alt. Kurz vor seinem Tod sagte sein Vater zu ihm: »Der Hurrikan Katrina war nicht das Schlimmste, was New Orleans passierte. Die Menschen haben viel mehr zerstört, schon vor Katrina und auch danach.« Es war das einzige Mal, dass er darüber sprach. Sein Vater hat New Orleans nie wiedergesehen. Carl schon. Und Carl Sullivan wusste, beide hatte die Sehnsucht nach dieser Stadt nie verlassen.

Petes Gründe, nach Portland zu ziehen, waren andere. Er hatte in New Orleans in einer Band gespielt, die nur dort und auch nur mäßig erfolgreich war. Die ›House Travellers‹. Nebenbei jobbte er im Record Ron’s, dem ältesten Plattenladen in der Decatur Street. Die Band hatte sich nach einer wenig erfolgreichen Platte aufgelöst und auch den Laden gab es bald nicht mehr. Er hörte er von der Musikerszene in Portland und machte sich auf den Weg. Bald darauf hatte er das Gefühl, hier könnte er hingehören. Und hier in Portland hatten sie sich getroffen. Sullivan erinnerte sich noch genau, es war im Dante’s, einem Musikclub in der Burnside. Sie waren ins Gespräch gekommen, der Musiker und der Cop, und waren schnell beim Thema Blues. Von da war es nicht mehr weit bis nach New Orleans. Es wurde ein Abend der Erinnerungen und Sehnsüchte und mit sehr viel Bier. Das war inzwischen fast zehn Jahre her. Carl Sullivan sah den Senator an. Es gab immer noch keine Regung in den milchig grauen Augen, sie schwammen still in dem kleinen zerfurchten Gesicht.

»Ich muss mal kurz telefonieren.«

»Sicher, machen Sie das, Sully.« Roony lächelte herablassend und korrigierte sich dann, die Worte genüsslich in die Länge ziehend: »Entschuldigung. Natürlich Mr. Sullivan.«

Sullivan griff zu seinem Handy und wählte Petes Nummer. Nach ein paar Freizeichen wurde abgenommen.

»Pete, ich brauch dich hier.«

»Man Alter, das geht nicht. Ich bin nicht in der Stadt, Sully. Hab drei Gigs.«

»Davon hast du mir gar nichts gesagt.«

»Kam plötzlich. Ein Angebot, was ich nicht ausschlagen konnte. Bringt ne Menge Kohle.«

»Und wo bist du?«

»Noch unterwegs nach Paonia.«

»Wo liegt das denn?«

»Ein kleines Kaff in Colorado«

»Haben die da überhaupt einen Musikclub?«

»Ja Mann, und ne Pizzeria.«

Carl Sullivan sah zu dem Senator. Der starrte nur stumm vor sich hin. Vermutlich hatte der bereits gewusst, wo Pete steckte, wenn nicht sogar diese Auftritte arrangiert. Sullivan war klar, er würde Pete nicht dazu bringen können umzukehren. Es würde vermutlich auch nichts nützen. Der Senator meinte es ernst und er kannte die richtigen Leute. Sullivan überlegte kurz. Er wusste zwar noch nicht, was John Roony von ihm wollte, aber wenn der solch schweres Geschütz auffuhr, war es etwas Brenzliges. Da war er sich sicher. Es würde mehr als ein paar Stunden seiner Zeit beanspruchen.

Er wandte sich wieder an Pete und fragte: »Wie lange bist du weg?«

»Ich hab noch zwei andere Gigs dort. In Montrose und Durango.«

»Also wie lange?«

»Bestimmt ne Woche.«

»Und das konntest du mir nicht sagen?«

»Sorry Mann. Hab’s verpeilt. Kam ganz plötzlich.«

»So eine Scheiße!«, rief Sullivan. Er kratzte sich am Kopf. »Kennst du jemanden, der den Laden hier für ein paar Tage schmeißen kann?«

»Wo ist denn Bart?«

»Keine Ahnung. Es ist Montag.« Sullivan seufzte. »Und außerdem, du weißt, dass Bart mir eher die Kunden vergrault. Deswegen soll er sich ja auf das Brauen und Burgerbraten konzentrieren. Ich benötige jemanden, der mit Gästen kann und denen nicht gleich Prügel androht, bloß weil sie es wagen, ein IPA zu bestellen.«

Pete kicherte. Ja, die Beschreibung traf Bart ganz gut. Plötzlich brach die Verbindung ab.

Sullivan legte auf. Unschlüssig stand er da.

Da sagte der Senator leise: »Mein Sohn ist verschwunden.«

Sullivan warf ihm einen prüfenden Blick zu, wollte eine Regung im Gesicht des Alten erkennen. Er bemerkte keine.

»Er ist aus dem Hotel verschwunden und hat seine Freundin sitzenlassen.«

»Wie alt ist Ihr Sohn, fünfzig, sechzig? Meinen Sie nicht, er kann auf sich alleine aufpassen?«

»Er ist dreißig. Ich bin noch mal sehr spät Vater geworden.«

»Sie waren doch verheiratet«, erinnerte sich Sullivan. »Ihre Frau war in Ihrem Alter. Sie wird ihn wohl kaum geboren haben. Also?«

»Ein Seitensprung.« Senator Roony betrachtete interessiert seine manikürten Fingernägel. »Meine Frau hat davon nie erfahren. Als sie vor fünf Jahren starb, habe ich meinen unehelichen Sohn anerkannt.«

»Na, da wird er ja glücklich gewesen sein«, kommentierte Sullivan bissig. Er konnte nicht widerstehen. »Und warum kommen Sie damit zu mir und gehen nicht zur Polizei?« Er sah den Senator an. »Sie sollten dort genug Freunde haben.«

»Er sollte vor Gericht als Zeuge aussagen.«

»Bei welchem Prozess?«, fragte Sullivan, obwohl er es schon ahnte. Es stand seit Tagen in der Zeitung und war das große Gesprächsthema in der Stadt.

»Sean O’Rourke.«

»Aha«, war alles, was Carl Sullivan dazu einfiel. Er hatte das Gefühl, eine Lawine rollt auf ihn zu.

Als der Senator wenige Minuten später ging, hinterließ er auf dem Tisch ein Foto von Connor Roony, den Namen der Freundin seines Sohnes mit dazugehöriger Adresse und Telefonnummer auf einem Zettel und seine Visitenkarte. Zum Abschied sagte er: »Ich verlass mich auf Sie.«

Die Hand hatte er ihm nicht gereicht. Sullivan hatte nur die Arme verschränkt und geringschätzig das Foto auf dem Tisch betrachtet. Er hat nie verstanden, warum Politiker immer so einen Spruch ablassen müssen.

Jetzt stand er vor dem Tresen und überlegte, wie er vorgehen sollte. Als Erstes benötigte er mehr Informationen. Er langte hinter den Tresen und griff zum Festnetztelefon. Die Nummer, die er wählte, war die von Jean Pierre Castille, einem alten Freund seines Vaters und Reporter bei der ›Times-Picayune‹ in New Orleans. J.P. Castille hatte die Vorstellung gefallen, Carl Sullivan als Schwiegersohn zu haben. Für Maggie, seine Tochter. Das Leben hatte jedoch andere Pläne. Er war inzwischen seit zwanzig Jahren geschieden und Maggie lebte in Bella Coola, im Great Bear Rain Forrest mit einem Segelbootbesitzer zusammen, der für Touristen Segelturns anbot und auch mal ein paar Lieder auf der Gitarre zum besten gab. J.P. Castille konnte ihn nicht leiden.

»Wann kommst du mal wieder hier runter?«, fragte Jean Pierre Castille, als er Carls Stimme erkannte. »Vermisst du nicht die Luft, die Mangroven? Wir könnten Krebse fangen und dazu nen Sixpack Dixiebeer verdrücken.«

»Sehr verlockend, J.P.«, erwiderte Sullivan lachend. »Aber das Dixie wird seit Katrina nicht mehr in der Tulane gebraut, sondern irgendwo in einer Fabrik in Wisconsin und die Krebssaison ist auch schon lange vorbei.«

»Du kannst einem aber auch jede Illusion nehmen, Sully«, moserte Castille. »Und was ist mit lecker Austern essen auf der Frenchman?«

Carl musste über Castilles Hartnäckigkeit schmunzeln. Einen Moment später war er wieder ernst, als er sagte: »Und dann sind da noch die Ex-Kollegen meines Vaters.«

»Das Department ist nicht mehr so, wie es dein Vater kannte. Keiner von den alten Mistkerlen ist noch da.«

»Toll.« Sullivan klang nicht überzeugt. »Aber deswegen ruf ich nicht an. Ich brauch Material über John Roony, einen Ex-Senator aus Washington State, und Sean O’Rourke, eine Gangstergröße hier bei uns im Nordwesten.«

»Und da brauchst du mich, Junge? Hast du bei dir da oben keine Quelle?«

»Keine, die so clever ist wie du. Du hast den richtigen Riecher und weißt, wo du suchen musst.«

»Schleimer«, lachte Castille »So hat mich dein Vater auch immer gekriegt. Ich schau mal, was ich in den Archiven von euren Tageszeitungen so finde. Was habt ihr da? Den Portland Observer? Welche ist noch wichtig?«

Sullivan dachte kurz nach. »Die Portland Tribune, denk ich mal, und dann gibt’s noch kleinere Zeitungen, wie die ›Willamette Week‹ oder ›The BEE!‹ und verschiedene Internet-Blogs wie ›The Oregonian‹ und so.«

»Okay, bis wann brauchst du die Informationen?«

»Bis gestern!«

Castille lachte. »Alles klar, Großer«, dann legte er auf.

Einen kurzen Moment später wurde die Eingangstür aufgestoßen und Bart, mit verkatertem Schädel, tauchte im Türrahmen auf. Kurze weiße Stoppelhaare zierten seinen runden bayrischen Schädel. Er hatte früher für eine deutsche Firma Brauanlagen in alle Welt verkauft, bis er vor einigen Jahren durch Heirat hier gestrandet war. Die Ehe scheiterte. Seine Frau zog weg. Nach Seattle. Bart ist geblieben. Wie auch sein Rufname, die Kurzform von Bartholomäus, weil den keiner so richtig aussprechen konnte.

»Was treibst du heute?«, fragte Sullivan Bart, als der an den Tresen trat. Er schenkte es sich, ihn auf sein ›Mal wieder montags Zuspätkommen‹ anzusprechen. Bart hielt es mittlerweile für die montägliche Selbstverständlichkeit. Es war zu einem Ritual geworden. Und Carl Sullivan hat es hingenommen.

Bart grummelte nur: »Mahlzeit.« Er sah Sullivan mit seiner miesen Montagslaune an und fragte mürrisch: »Was meinst du mit, was treibst du heute so?«

Sullivan war nicht klar, was daran nicht zu verstehen war. »Na gut«, sagte er und seufzte. »Dann stell ich die Frage anders: Setzt du heute endlich den Sud an?«

»Was soll ich sonst machen, Sully?«, brauste Bart auf. »Ohne Brauen kein Bier, ohne Bier kein ›Pints‹.«

Sullivan zählte innerlich bis drei. Dann sagte er friedfertig: »Ist ja gut. In welchem Klub hast du gestern gespielt?«

Bart war Bassist in einer Amateur Bluesband. Sie musizierten aus Spaß an der Freude, konnten von ihren Auftritten nicht leben.

»Im Mississippi Studio.«

»Alles klar. Und danach warst du noch wo?«

Bart sah schuldbewusst drein. Sullivan hatte ihn mal wieder durchschaut.

»Bei den beiden Jungs von Stormbreaker Brewing. Ist ja nur zwei Blocks die Straße runter. Bin quasi dran vorbeigelaufen.«

»Na das bist wohl eher nicht.«

Bart ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Wir haben nett gequatscht. Bin dann dort versackt. Sie wollten eine fachkundige Meinung zu ihrem Stormtoberfestbier.«

»Und da kamst du als Bayer natürlich gerade recht«, stellte Sullivan fest. »Wie war’s?«

»Das Bier? Kann mich nicht mehr erinnern. Ich glaub, es war schön süffig.« Er lächelte verschmitzt.

„Ich muss weg, brauche hier eine Vertretung.“, wechselte Sullivan unvermittelt das Thema.

Bart sah ihn finster an. »Und warum nicht Pete?«

Carl Sullivan antwortete nicht. Er wusste, Bart tat sich schwer mit neuen Gesichtern. Dann fiel bei Bart der Groschen.

»Wo ist Pete?«

»Hat zwei, drei Gigs in Colorado«, antwortete Sullivan. Er versuchte, es so beiläufig wie möglich klingen zu lassen.

»Colorado?«

»Ja, ich war genauso überrascht wie du.«

»Ist er etwa mit seiner alten Rostkarre losgefahren?«

Carl Sullivan nickte.

»Das sind doch…« Bart überlegte kurz. »… bestimmt zwanzig Stunden Fahrzeit.«

»Na, er wird die garantiert nicht durchfahren, sondern irgendwo auf halber Strecke in Idaho oder Utah übernachten.«

Bart sah Carl niedergeschlagen an und fragte: »Zapfst du mir ein Bier?«

»Klar, welches willst du?«

»Das Missglückte.«

Sullivan machte sich an das Bierzapfen, während sich Bart auf einen der Hocker vor dem Tresen setzte. Sullivan verstand, was in Barts Kopf vorging. Natürlich gönnte Bart Pete jeden Gig. Genauso, wie er ihm eine große Musikerkarriere gönnen würde. Andererseits würde er dann vielleicht einen Freund verlieren. Die beiden waren wie ein altes Ehepaar.

»Es ist nur eine Woche. Dann ist er wieder hier«,sagte Sullivan mit fester Stimme. Er war sich nicht sicher ob er Bart damit trösten, oder er nur seine eigenen Zweifel vertreiben wollte. Er reichte Bart das Weißbier hinüber, welches für Bart keines war. Deswegen die Bezeichnung ›das Missglückte‹. Ihm fehlte der typische Geruch von Banane. Etwas beim Brauvorgang war schiefgelaufen. Bart hatte den Fehler schnell ausgemacht, doch da war es bereits zu spät. Bart hatte den Temperaturregler im Gärkeller falsch eingestellt. Was ihn richtig wütend gemacht hat. Über sich selber. Er wollte die ganze Chose wegkippen. Sullivan konnte es gerade noch verhindern, indem er sagte: »Wir nennen es einfach anders, Blondie zum Beispiel.«

Bart hatte gelacht und gemeint: »Sully, an dir ist ein Marketingexperte verloren gegangen.«

Seine Wut war genauso schnell verflogen, wie sie gekommen war. Das war Bart.

Sullivan ließ ihn in Ruhe die ersten Schlucke trinken, dann fragte er vorsichtig: »Und du machst dich heute an das Brauen des IPA?«

Bart fing an zu fluchen. »Du und dein verschissenes IPA.«

»Ja, und du braust es jetzt endlich!«

»Ja doch!«

»Es ist fast alle. Nur noch zwei Fässer und die Leute erwarten einfach, dass wir es am Hahn haben.«

»Du erwartest es«, brauste er wieder auf. »Ich hab doch gesagt, ich mach es.«

»Wirklich?«

»Geh mir nicht auf den Sack, Sully. Ich habs gesagt. In einer halben Stunde geht es los. Lass mich in Ruhe noch das Bier trinken, dann brau ich dir deine verkackte Hopfenbombe.«

»Halt dich an mein Rezept«, sagte Sullivan ernst.

»Ja, Boss«, entgegnete Bart und drehte ihm den Rücken zu.

»Du kannst manchmal so ein beschissener Sturkopf sein.«

»Nur manchmal? Da kennst du mich aber schlecht«, erwiderte Bart und drehte sich wieder zu ihm um. Ein Lächeln spielte um seinen Mund. Sullivan registrierte es erleichtert.

»Hast du nun eine Idee, wo ich von heute auf jetzt eine Tresenkraft herbekomme?«

»Am besten du fährst zum Safeway Market in der 13th Avenue. Da hängen ständig Stellenangebote. Und Gesuche auch.«

Er grinste schon wieder.

Bullen Blues

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