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Grundmotive

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Mark saß bereits an der Bar, als Klaus das GlückundSeligkeit betrat. Er stieg von seinem Barhocker und ging seinem Freund entgegen: „Hallo Klaus, Du bist ja pünktlich wie ein Maurer.“ „Jau. Sag mal, was ist denn das hier für ein Laden? Das sieht ja verschärft aus.“ „Das war früher mal eine Kirche, die 2004 zu einem Gastronomiebetrieb umgebaut wurde. Als das Ding eröffnet wurde, gab es einen ziemlichen Medienrummel. Verschiedene deutsche TV-Sender und sogar das japanische Fernsehen berichteten darüber. Eine umgebaute Kirche dieser Größenordnung in ein Restaurant war zu diesem Zeitpunkt einzigartig.17 Komm mal mit, ich zeige Dir meinen Lieblingsplatz!“

Sie gingen eine Treppe hinauf und erreichten eine Empore. Dort gab es weitere Bars und einige bequeme Sitzgelegenheiten. „Das ist die Lounge“, erklärte Mark. „Hier sitze ich sehr gerne, allerdings nur, wenn es nicht so voll ist. Leider ist das die Raucherzone und es ist ziemlich nervig, wenn man als Nichtraucher eingenebelt wird.“ Klaus war beeindruckt: „Wow, von hier oben ist die Atmosphäre ja noch gigantischer.“ „Wenn Du willst, können wir hier bleiben. Oder sollen wir in den Biergarten gehen?“ „Heute ist es ziemlich warm und da würde ich den Biergarten vorziehen.“ „Das sehe ich auch so, Klaus. Also wieder runter.“

Nachdem beide im Biergarten Platz genommen und ihre Bestellung beim Kellner aufgegeben hatten, griff Klaus das Gespräch vom Vortag auf: „Gestern sagtest Du, dass Du mit aller Macht gegen die drohende Pleite angegangen bist, weil zwei Häuser daran hingen. Auf der anderen Seite hättest Du am liebsten alles hingeschmissen. Warum wolltest Du das tun? Welchen Vorteil hättest Du vom Hinschmeißen gehabt?“ „Ich hatte einfach die Schnauze voll. Trotzdem machte ich immer weiter, weil ich meine Ex-Frau und ihren Onkel nicht hängen lassen konnte.“

„Das verstehe ich. Du wolltest auf keinen Fall, dass jemand wegen Dir zu Schaden kommt. Trotzdem scheint ja momentan gerade das einzutreten, was Du unbedingt vermeiden wolltest.“ „Ja, das ist ja der große Mist. Jahrelang bin ich dagegen angegangen und jetzt geschieht genau das, was nicht hätte passieren dürfen.“ „Wenn Du aber gleichzeitig am liebsten alles hingeworfen hättest, dann hattest Du einen inneren Zielkonflikt.“ „In meinen Gefühlen schon, aber von vorneherein alles über Bord zu schmeißen, wäre nicht vernünftig gewesen. Deshalb gab es für mich nur die Möglichkeit zu kämpfen.“

„Mark, es wäre für Dich vielleicht interessant, Dir Deine versteckten Bedürfnisse und Motive anzusehen, die sich hinter Deinen Konflikt verbergen. Deshalb wiederhole ich noch einmal meine Frage: Warum hättest Du am liebsten alles hingeschmissen und welchen Vorteil hätte Dir das gebracht?“ „In meiner Verzweiflung hatte ich nur den Wunsch, einfach den Reset-Knopf zu drücken und bei null anzufangen. Trotz guter Einnahmen bin ich auf keinen grünen Zweig gekommen. Meine Ausgaben waren meistens höher und dadurch wurden auch die Verbindlichkeiten immer größer. So was ist echt ätzend. Ich sehnte mich danach, diesen Schuldenberg endlich loszuwerden. Lieber mit wenig Geld auskommen und nur noch das ausgeben, was ich besitze, als ständig mit diesem Stress zu leben.“

„Tja Mark, deshalb erfüllt sich Deine Vorstellungen gerade und Du bist pleite.“ „Was, spinnst Du? Ja, bin ich denn der Himbeer-Toni? Ich bin doch nicht pleite, weil ich mir das gewünscht habe. Das hat ja wohl andere Gründe. Meine Firma ist den Bach runtergegangen, weil mir mein größter Kunde die Aufträge entzogen hatte. Als ich versucht habe, wieder auf die Beine zu kommen, machte mir meine Ex-Frau ständig Druck und Stress. Irgendwann war ich emotional am Boden.“ „Du magst es so empfinden, dass dies die Gründe für Deine Pleite waren. In Wirklichkeit sind diese Ereignisse nur ein Spiegel Deines Inneren. Hier hat das Gesetz der Resonanz voll zugeschlagen.“ „Hä, Gesetz der Resonanz? Was soll das denn sein?“ „Wenn es Dich interessiert, kann ich es Dir gerne später erklären. Allerdings hast Du immer noch nicht die Frage nach den Vorteilen des Hinschmeißens so richtig beantwortet.“ „Wieso? Ich hab doch gesagt, dass ich lieber mit weniger Geld auskommen würde, als über höhere Einnahmen zu verfügen und gleichzeitig diesen tierischen Druck der enormen Ausgaben zu haben.“

„Okay Mark, dann machen wir an diesem Punkt weiter. Was genau ist das Gute daran, wenn Du mit Deinem Geld auskommst und diesen Druck los bist?“ „Es würde niemand mehr von mir Geld fordern, das ich nicht aufbringen kann.“ „Du willst also das Bedrängen Deiner Gläubiger loswerden. Was möchtest Du denn stattdessen?“ „Ich möchte frei sein von den Ansprüchen anderer Menschen, die ich nicht erfüllen kann oder will. Die ganzen Jahre konnte ich mein Leben nicht so führen, wie ich es eigentlich wollte. Meine Ex-Frau, meine Kunden, die Banken – alle haben bestimmt, was ich zu tun und zu lassen habe. Ich sehne mich danach, endlich mein eigenes Leben zu leben.“ „Stell Dir vor, Du könntest von nun an immer so leben, wie Du es möchtest. Du hättest die absolute Freiheit und es gäbe keinerlei Einschränkungen, um Dein Traumleben führen zu können. Würdest Du dann alles hinschmeißen und neu anfangen?“ „Nein, das würde ich nicht. Ich kann doch nicht meine Ex-Frau und ihren Onkel hängenlassen. Dann müssten sie unter dem Mist leiden, den ich verzapft habe. Die würden mir mein Versagen ewig vorwerfen und das will ich nicht.“ „Du hast gerade erzählt, was Du vermeiden willst. Jetzt sag mal, was Du im positiven Sinn gerne erreichen möchtest.“

Mark dachte einige Sekunden nach: „Die beiden sollen erkennen, dass ich alles getan habe, um die Situation zu retten. Ich brauche die Bestätigung, dass ich richtig gehandelt habe.“ „Warum ist Dir diese Anerkennung so wichtig?“ „Ich würde mich sonst als Versager fühlen. Leider hat mir meine Ex-Frau dieses Gefühl ohnehin die ganzen Jahre gegeben. Immer wollte ich es schaffen, doch nie ist es mir gelungen. Ich möchte endlich den anderen beweisen, dass ich kein Versager bin.“ „Warum ist das für Dich so wichtig?“ „Wenn ich versage, lassen mich die Leute fallen wie eine heiße Kartoffel und wollen nichts mehr mit mir zu tun haben.“ „Mark, ich drücke Dein Bedürfnis mal so aus: Du möchtest dazugehören und erwünscht sein. Würdest Du dem zustimmen?“ „Absolut, Klaus. Wenn ich darüber nachdenke, steckt hinter allem die Angst, abgelehnt zu werden.“

„Dann war also doch noch ein zweites Grundmotiv im Spiel“, murmelte Klaus vor sich hin. „Was brummelst Du da?“, fragte Mark nach. „Was ist denn ein zweites Grundmotiv?“ „Das habe ich aus einem Buch“, antwortete Klaus. „Wir haben bestimmte elementare Bedürfnisse, die der Autor als Grundmotive18 bezeichnet. Davon gibt es insgesamt sieben: Passen, Erwünschtsein, Schutz, Überlebenssicherung, Freiheit, Macht und Sex. Die Grundvoraussetzung fürs Glücklichsein besteht darin, dass jedes dieser sieben Motive erfüllt sein muss.“ „Aha, deshalb hast Du gesagt, dass ich erwünscht sein möchte. Aber wieso zweites Grundmotiv? Moment Mal, ich glaube ich hab’s: Ich möchte endlich mein Leben so führen, wie ich es will. Also ist das andere Grundmotiv Freiheit, stimmt’s?“ „Absolut korrekt. Mal was anderes: Da hinten steht ein Typ und winkt die ganze Zeit. Meint der etwa uns?“

„Ach du Scheiße!“, rief Mark entsetzt. „Das ist doch dieser fromme Spinner. Kennst Du den nicht mehr? Wir waren damals zusammen im CVJM und dann später in dieser komischen Gemeindegruppe.“ „Ja stimmt, das ist Jörg“, bestätigte Klaus. „Ich hab ihn zuerst gar nicht erkannt. Damals hatte er noch keinen Bart.“ „Genau, außerdem hat er ganz schön zugenommen. Der würde gut als Leadsänger der Wildecker-Herzbuben-Revival-Band durchgehen.“ Klaus lachte: „Wildecker-Herzbuben-Revival-Band, das ist mal wieder typisch Mark.“ „Klar, ich bin ja auch der Meister der Wortkreationen. Was meinst Du Klaus, sollen wir so tun, als würden wir Jörg nicht sehen? Ich hab jetzt keinen Bock auf diesen Gelbphasenbremser.“ „Ich weiß nicht, ob das was bringt. Wenn der immer noch so drauf ist wie damals, lässt er sich nicht so leicht abschütteln.“ „Mit diesem ganzen Glaubenskram habe ich schon lange abgeschlossen. Wie sieht es mit Dir aus?“ „Für mich gibt es dazu keinen Grund. Ich hatte mich damals, genau wie Du, von dieser Gemeinde distanziert. Gegen Gott und den Glauben habe ich allerdings nichts, ganz im Gegenteil. Der Abstand hat mir gut getan und ich betrachte die Sache inzwischen aus einer anderen Perspektive. Außerdem gehöre ich sowieso zu denen, die gerne mal über den Tellerrand hinausblicken. Ich habe meinen eigenen Weg gefunden. Gott und Jesus spielen nach wie vor eine große Rolle in meinem Leben. Nur die Form meines Glaubens hat sich geändert. Ich habe inzwischen viele der alten Zöpfe abgeschnitten und die eingeengten Denkweisen über Bord geschmissen. Vor allem lasse ich nicht mehr andere Leute darüber bestimmen, wie ich als Christ zu leben habe – auch nicht irgendwelche Gemeindeleiter oder Prediger.“ „Ich hab nicht so gut die Kurve gekriegt wie Du. Mich hat der fromme Zirkus so dermaßen angekotzt, dass ich einfach nur noch weg wollte.“

Klaus beugte sich zu Mark herüber und sagte mit leiser Stimme: „Hab ich’s doch gesagt, der lässt sich nicht so leicht abschütteln. Jetzt kommt er auf uns zu.“ „Ach was soll’s, meinetwegen können wir kurz mit ihm quatschen. Und wenn mir dieser Hochleistungspförtner blöd kommt, dann verarsche ich ihn einfach.“ Klaus lachte: „Ja, auch darin bist Du der wahre Meister.“ Mark bestätigte dem Herankommenden mit einem Handzeichen, dass er ihn gesehen hatte. Jörg trat an den Tisch und begrüßte die beiden: „Es ist eine Freude, dass ich Euch nach so langer Zeit wiedersehe, Ihr Geliebten Gottes. Ich wünsche Euch einen gesegneten Abend.“ Mark verdrehte seine Augen: „Und Licht und Liebe und Friede und Freude und Eierkuchen.“ Er sprach besonders leise zu Klaus, damit Jörg es nicht mitbekam. „Wieso Eierkuchen?“, fragte Jörg, der den letzten Teil doch aufgeschnappt hatte. „Hallo Jörg! Nee, ich hab Klaus nur gefragt, ob es hier auch Eierkuchen gibt. Doch das wird wahrscheinlich nicht auf der Speisekarte stehen. Oder was meinst Du?“ „Wieso willst Du denn um diese Zeit noch Eierkuchen essen?“, fragte Jörg mit seltsamem Blick.

„Ach, vergiss es einfach! Wie sieht’s aus, Jörg? Was geht ab?“ „Ich sitze drüben am Tisch mit einigen Leuten aus verschiedenen Gemeinden und ein paar Gästen, die wir zusätzlich eingeladen haben. Wir treffen uns hier jede Woche zu einem Gesprächskreis, den Norbert organisiert hat. Auf diese Weise können wir Zeugnis von unserem Glauben ablegen für alle, die Jesus noch nicht kennen.“ „Hast Du auch ein paar Einser auf Deinem Zeugnis?“, veräppelte Mark seinen Gesprächspartner. „Das hat doch nichts mit Schulnoten zu tun“, erwiderte Jörg, der noch nicht mitbekommen hatte, dass Mark sich über ihn lustig machte. „Wir sind Zeugen des Auferstandenen und tragen seine Botschaft hinaus in die Welt.“

„Ich kenne eine Fußball-Amateurmannschaft, die nennt sich die Zeugen Yeboahs. Kennst Du Anthony Yeboah? Der spielte Mitte der Neunziger bei Eintracht Frankfurt und war dann später beim HSV.“ So langsam dämmerte es Jörg, dass Mark ihn auf den Arm nehmen wollte: „Du nimmst mich wohl nicht ernst.“ „Ernst ist tot! Es lebe der Spaß!“, rief Mark amüsiert und auch Klaus konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Jörg ignorierte den Spruch und sagte stattdessen etwas hektisch: „Ich muss zurück zu meinen Leuten. Wollt Ihr nicht mitkommen? Ich würde mich sehr freuen und Norbert sicher auch.“ „Meinst Du denn, Ihr würdet so einen Sprücheklopper wie mich aushalten?“ „Du kannst von mir aus auch Sprüche machen. Ich mag es nur nicht, wenn man über unseren Herrn lästert. Aber sonst seid Ihr bei uns willkommen.“ Mark wandte sich zu Klaus, der die ganze Zeit geschwiegen hatte: „Was meinst Du? Sollen wir den frommen Laden ein wenig aufmischen?“ „Meinetwegen“, antwortete Klaus, „vielleicht wird es ganz interessant.“

Mark und Klaus folgten Jörg zum besagten Tisch und dieser stellte die beiden vor: „Das sind Mark und Klaus. Ich kenne sie noch von früher, aus meiner CVJM-Zeit.“ Einer der Männer erhob sich und reichte Mark und Klaus die Hand: „Hallo, ich bin Norbert. Schön Euch kennenzulernen.“ Es saßen noch 14 weitere Leute am Tisch, die Mark und Klaus nacheinander per Handschlag begrüßten. Bei der vorletzten Person stockte Mark plötzlich der Atem. Er sah in die wunderschönsten Augen, die er je in seinem Leben gesehen hatte. Gab es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick? Bisher konnte er sich das nicht vorstellen. Doch nun lief es ihm kalt und heiß über den Rücken. Die Frau war Anfang 30, hatte lange schwarze Haare und wirkte „südländisch“. Mark wollte etwas sagen, doch er bekam keinen Ton heraus. Es schien, als wäre sein Sprachzentrum blockiert.

„Hallo, ich bin Yana“, sagte sie mit einem netten Lächeln, was Mark noch mehr dahinschmelzen ließ. „Das gibt’s doch nicht“, dachte er bei sich. „Ihre Stimme ist genau so schön wie ihr Aussehen.“ Er gab ihr die Hand und alles was er dabei herausbrachte, war ein kurzes „Hallo!“ Dann wandte sie sich Klaus zu und begrüßte ihn ebenfalls sehr herzlich.

Norbert bat die beiden Neuankömmlinge, sich mit an den Tisch zu setzen. Da nur noch ein Platz frei war, ging Mark zum Nebentisch, um einen zusätzlichen Stuhl zu holen. Einer der Männer wollte gerade zur Seite rücken. Mark tat aber so, als würde er es nicht bemerken. Stattdessen ging er direkt zu der Stelle, wo Yana saß und bat ihren rechten Nebenmann, ob er seinen Stuhl dazwischen stellen dürfe. „Kein Problem“, sagte dieser freundlich. Jetzt saß Mark direkt neben seiner Traumfrau und sein Herz schlug wie wild. Er wagte einen vorsichtigen Blick. Yana lächelte ihn erneut an: „Sorry, aber ich hab Deinen Namen nicht mitbekommen.“ „Mark“, war die überaus knappe Antwort. Mehr brachte er nicht über seine Lippen. „So ein Mist!“, dachte er bei sich. „Jetzt begegnet mir heute meine Traumfrau und ich verhalte mich wie der größte Idiot. Warum kriege ich es nicht hin, vernünftig mit ihr zu reden? Nun denkt sie bestimmt, dass ich total unfreundlich und stoffelig bin. Ich hab's voll versaut.“

Marks Gedankengänge wurden von Norbert unterbrochen, der ihn und Klaus direkt ansprach: „Wir unterhielten uns gerade darüber, ob heute noch die gleichen Wunder geschehen können, wie sie Jesus vor 2000 Jahren tat.“ Er wandte sich Jörg zu: „Du hattest vorhin einige Gedanken geäußert. Kannst Du an dieser Stelle mal weitermachen?“ Von der frommen Art und Weise, wie Jörg anschließend sprach, war Mark mal wieder genervt: „Ich denke, dass Gott auch heute noch Wunder wirkt und dass sie denjenigen begegnen können, die Gott gegenüber im völligen Gehorsam leben.“ „Oh nein!“, dachte Mark. „Jetzt kommt wieder so ein religiöser Schwachsinn.“ Am liebsten hätte er Jörg sofort widersprochen, doch er wagte es nicht. Er hatte keinerlei Respekt vor Jörg und fürchtete sich auch nicht vor einer Auseinandersetzung mit ihm – ganz im Gegenteil. Aber da war ja noch Yana. Er konnte noch nicht einschätzen, wie sie über diese Dinge dachte. Wenn er jetzt so klar Position beziehen würde, wäre er unter Umständen sofort bei ihr unten durch. Das wollte er keinesfalls riskieren und deshalb hielt er sich zurück.

Norbert ging als Erster auf Jörgs Aussage ein: „Bist Du sicher, dass Gehorsam eine Voraussetzung für Wunder ist? Ich bin da skeptisch. Wie denken die anderen darüber?“ Nun meldete sich Yana zu Wort: „Mir fällt etwas ein, das mein Vater zu mir sagte, als ich zwölf Jahre alt war. Damals lebten wir in Brasilien, wo er als Missionar tätig war.“ Das war ein mittlerer Schock für Mark. Ihr Vater war Missionar. Seine Gedanken überschlugen sich förmlich: „Sie gehört also zu den Frömmsten der Frommen. Dann hab ich sowie keine Chance bei ihr. Selbst wenn es mir gelänge, so zu tun, als würde ich auch an diesen ganzen Mumpitz glauben, könnte ich das nicht auf Dauer durchhalten. Oh Mann, wieso muss die beste Traumfrau der Welt unbedingt so eine fromme Tussi sein? Warum ist das Schicksal immer gegen mich?“ Yana setzte ihre Rede fort: „Ich stellte ihm auch die Frage, ob es heute noch Wunder gäbe. Er war davon überzeugt und verwies auf die Aussage Jesu, dass unser Glaube sogar Berge versetzen kann. Als ich nachfragte, ob man dafür ein guter Mensch oder ganz besonders gehorsam sein müsste, sagte er 'Nein!' Der Glaube selbst sei eine unglaubliche Kraft, die jedem zur Verfügung stünde. Dazu gibt es einen weiteren Satz von Jesus: 'Alle Dinge sind möglich dem, der glaubt.' Also wirkt der Glaube die Wunder und nicht unser Gehorsam.“

Damit war Jörg überhaupt nicht einverstanden: „Das hört sich so an, als könnten wir mit unserem Glauben alles erreichen, was wir wollen, selbst dann, wenn wir dabei rücksichtslos und egoistisch sind. Für mich hat diese Einstellung mehr mit Magie zu tun, als mit dem christlichen Glauben. Wenn wir dem Herrn wohlgefällig leben und uns nach seinem Wort ausrichten, dann wirkt er vielleicht ein Wunder. Das tut er aber, weil er es will und wir haben darauf keinen Einfluss. Wenn übernatürliche Dinge auf eine andere Weise entstehen, dann kommen diese nicht von Gott, sondern vom Teufel.“ Yana konterte erneut: „Mir ist schon vor einiger Zeit aufgefallen, dass Du alle Phänomene, die nicht in Dein eigenes Weltbild passen, dem Teufel zuschreibst. Das ist mir echt zu platt. Alles, was Du nicht verstehst oder nicht wahrhaben willst, kommt angeblich nicht von Gott, sondern von der Gegenseite. Letzte Woche hast Du das Gleiche gemacht, als wir uns über alternative Heilverfahren unterhielten. Für Dich gehört die Homöopathie zur Esoterik und ist damit gleichzeitig teuflisch. Mit so einer engstirnigen Denkweise habe ich echt keinen Vertrag.“

Mark hätte am liebsten laut gejubelt, so begeistert war er. Yana hatte diesem Spinner Jörg ordentlich Kontra gegeben. Er war zudem erleichtert, dass sie doch nicht ganz so fromm verdreht zu sein schien. Mit ihren Gedankengängen konnte er sich sogar überaus gut anfreunden. Nun war er mutig genug, auch etwas zum Thema beizutragen: „Beide Daumen hoch, Yana! Das sehe ich auch so. Jörg, wenn Du gute Dinge dem Teufel zuordnest, stellst Du ihn damit nur auf einen Sockel. Sollte der Teufel tatsächlich existieren, dann lacht er sich wahrscheinlich ins Fäustchen, dass Du ihm die Bälle zuspielst.“ Yana, Klaus und noch einige aus der Runde nickten zustimmend.

Doch Jörg gab sich nicht so leicht geschlagen: „Da sieht man mal wieder, wie listig der Teufel ist und Ihr fallt auch noch auf ihn rein. Er verführt die Menschen zu Esoterik, Unmoral und Ungehorsam gegenüber Gott. Nur wenn wir reinen Herzens sind und nach dem leben, was er uns befiehlt, können wir davor bewahrt werden.“ „Ich selbst zweifle ehrlich gesagt daran, dass es überhaupt einen Teufel gibt. Auf jeden Fall glaube ich bestimmt nicht an so einen Typen mit roter Fresse, zwei Hörnern und einem Pferdefuß. Diese Horrorfratze ist im Mittelalter erfunden worden, um den Leuten Angst zu machen. Aber nehmen wir mal an, es gäbe wirklich das Böse in Person. Meinst Du, der Teufel würde solche plumpen Klöpse bringen, wie das, was Du hier vom Stapel lässt? Wenn ich der Berater des Teufels wäre, würde ich ihm eine schlauere Taktik empfehlen.“

Als Mark „Berater des Teufels“ sagte, war Jörgs Entsetzen deutlich auf seinem Gesicht zu erkennen. Doch er schwieg und Mark setzte seine Ausführungen ungehindert fort: „Mein Großonkel war im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront stationiert. Manchmal kamen neue Rekruten aus der Heimat, die in seine Truppe integriert werden sollten. Viele dieser meist achtzehnjährigen Jungs waren in den ersten Tagen überaus euphorisch. Das änderte sich, sobald ihnen die ersten Bomben um die Ohren geschmissen wurden. Davon waren sie total aufgescheucht und haben sich vor Angst in die Hose geschissen. Mein Großonkel und seine erfahreneren Kameraden blieben ruhig in Deckung, denn sie wussten genau, welche Taktik die Sowjets anwandten. Diese Vorgehensweise nennt sich Störfeuer. Sie dient dazu, dass der Gegner in seinen militärischen Handlungen gestört wird. Und diesen Zweck erfüllte diese Bombardierung hervorragend. Die ängstlichen Rekruten rannten wie wild in der Gegend herum und konnten auf diese Weise von den Russen leicht abgeknallt werden. Den coolen Soldaten dagegen ist nur selten etwas passiert.“

Norbert war sehr angetan von Marks Geschichte: „Im Gegensatz zu Dir glaube ich schon an das personifizierte Böse. Ich gebe Dir aber recht, dass dieser Rotkopf mit den Hörnern eine Projektion aus dem Mittelalter ist. Wenn ich sehe, wie viel Angst teilweise unter den Christen herrscht, dann macht der Vergleich mit dem Störfeuer durchaus Sinn. Es wird alles Mögliche verteufelt und dabei überhaupt nicht mehr differenziert. Da wird Homöopathie mit Schwarzer Magie auf eine Stufe gestellt und am Ende sieht man alles als gefährlich an, die tatsächlichen Gefahren jedoch kann man nicht mehr erkennen. Vielleicht besteht die wahre teuflische Taktik darin, Angst zu verbreiten und die Menschen zu verunsichern und gleichzeitig die wirklich gefährlichen Dinge zu verschleiern.“

Jörg wollte gerade wieder etwas dagegen sagen, doch Norbert beendete die Diskussion: „Lassen wir es damit für heute gut sein. Mit welchen Themen wollen wir uns in den nächsten Wochen beschäftigen?“ Jörg machte Vorschläge wie „Leben aus dem Gehorsam Gottes“, „Leben in der Heiligung“ und „Wie schaffen wir es, öfters und länger zu beten und mehr in der Bibel zu lesen?“. Einen besonders großen Anklang fand das allerdings nicht in der Runde.

Norbert fragte Mark und Klaus nebenbei, ob sie Lust hätten, demnächst wieder zu ihrem Gesprächskreis zu kommen. Darauf meinte Mark: „Grundsätzlich habe ich nichts gegen solch eine Runde einzuwenden. Aber müssen es denn unbedingt so fromme Themen sein? Könnten wir nicht mal über was Interessantes reden?“ Jörg fühlte sich sichtlich angegriffen, doch bevor er richtig loslegen konnte, nahm Norbert wieder das Heft in die Hand: „Hast Du eine konkrete Idee?“ Mark überlegte kurz und dann kam ihm ein Gedanke: „Als ich mich vorhin mit Klaus unterhielt, sprach er vom Gesetz der Resonanz. Dieses Thema könnte ich mir gut für die Gruppe vorstellen. Wir könnten uns auch über die Sieben Grundmotive des Menschen unterhalten. Davon hat er mir ebenfalls erzählt.“

Eine Frau namens Sybille fragte nach: „Haben die Sieben Grundmotive etwas mit der Bedürfnispyramide von Maslow19 zu tun?“ „Sie stammen nicht von Maslow, doch 'Bedürfnisse' geht in die richtige Richtung“, erklärte Klaus. Sybille zeigte sich aufgeschlossen: „Das wäre vielleicht ein passendes Thema für unseren Kreis. Noch mehr würde mich allerdings das Gesetz der Resonanz interessieren. Soweit ich weiß, ist es identisch mit 'Law of Attraction' oder auf Deutsch 'Gesetz der Anziehung'. Darüber habe ich schon mal im Buch 'The Secret'20 gelesen.“

„Ach du Schreck, The Secret, dieser Eso-Kram“, warf ein gewisser Frank ein. „Ich finde es nicht gut, wenn wir als Christen derartigen Dingen Raum geben.“ Jörg freute sich, mit Frank einen „Kampfgenossen“ auf seiner Seite zu haben: „Das meine ich aber auch. Man fängt an, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen und merkt gar nicht, wie man irgendwann sogar damit liebäugelt. Es wirkt wie eine Gehirnwäsche und man ist nicht mehr richtig klar im Kopf. So öffnet man dem Teufel Tür und Tor.“

Da ertönte eine helle Stimme von der Seite: „Ich glaube, Dir ham se ins Gehirn geschissen und dabei vergessen die Spülung zu ziehen. Was Du hier wieder für'n Scheiß ablässt, geht auf keine Kuhhaut. Ich hör immer nur 'Teufel' und 'gefährlich'. Du hast wohl Verfolgungswahn.“ Die zierliche blonde Frau hieß Sonja und war sichtlich verärgert. Norbert ergriff das Wort: „Bevor hier wieder die Streiterei losgeht, lasst uns über Marks Vorschlag abstimmen. Ich denke, wir können uns ruhig über Themen austauschen, die nicht unbedingt zur christlichen Lehre gehören.“ Klaus unterbrach ihn: „Dieses Thema ist überhaupt kein Widerspruch zur christlichen Lehre und passt sogar gut zu ihr.“ „Um so besser“, fuhr Norbert fort. „Wer ist dafür, dass wir uns in der nächsten Woche mit dem Gesetz der Resonanz befassen?“

Etwa zwei Drittel der Hände gingen hoch. „Okay, dann ist das jetzt basisdemokratisch beschlossen und entspricht dem Willen des Volkes“, sagte Norbert schmunzelnd und haute mit einem Löffel auf den Tisch, wie ein Richter mit seinem Holzhammer. „Und damit gehen wir zum gemütlichen Teil des Abends über. Ich bestelle mir jetzt erstmal einen Rotwein.“ Er winkte den Kellner heran und die Leute am Tisch gaben ihre Bestellung auf. Nur Jörg, Frank und zwei weitere Personen verabschiedeten sich und verließen die Gaststätte.

Das Geheimnis des Lebens

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