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Samurai der goldenen Schlange
ОглавлениеDies ist der große Samurai Takeo in jungen Jahren. Damals hatte er eine schwarze Haartracht und trug einen Oberlippenbart. Als ich ihn kennenlernte, war er bereits grauhaarig und vollbärtig. Wie es für Samurai1 üblich war, trug er in seinem Gürtel ein Katana und ein Wakizashi2. Beide Schwerter hatte er gemeinsam mit der Schneide nach oben durch den Gürtel gesteckt, in einem Winkel, der dem Gegner die Länge der Klinge verbergen sollte.
Das Bild entstand kurz vor einem denkwürdigen Kampf. Niemand konnte Takeo bis zu diesem Zeitpunkt besiegen. Doch dieser Kampf sollte anders werden als alle, die er je bestritten hatte. Denn nun traf er auf einen ebenbürtigen Gegner. Allerdings hätte schon ein früherer Kampf für Takeo verhängnisvoll enden können. Die Narbe über seinem rechten Auge erinnert an dieses Geschehen. Aus dieser Auseinandersetzung stammte auch eine weitere tiefe Narbe oberhalb seines rechten Knies, die allerdings hinter seiner Kleidung für andere nicht erkennbar war. Auf diesen bedeutungsvollen Kampf werden wir später noch zurückkommen.
Beginnen wir nun mit der Geschichte von Takeo und Isamu, zwei glorreichen Samurai. Seit ihrer Kindheit waren sie die besten Freunde. Nichts konnte sie entzweien. Selbst härteste Herausforderungen vermochten sie nicht in die Knie zu zwingen. Sie hatten große Pläne, wollten große Taten vollbringen. Doch dann kam der Tag, der alles zunichtemachte. Der Tag der Katastrophe! An dem Tag geschah, was nie passieren durfte. Und die Folgen waren schwerwiegend. Einer war von Neid zerfressen, der andere versank in tiefste Schwermut. Für einen der beiden bedeutete es schließlich das Ende.
Takeo und Isamu waren schon in ihrer Jugendzeit außerordentlich begabte Schwertkämpfer. Bereits im Alter von drei Jahren begann ihre Ausbildung zum Samurai. Diese war geprägt von hartem Drill. Im Vordergrund standen dabei Körperbeherrschung und Schmerzunterdrückung. Takeo und Isamu lernten seit frühester Kindheit ihre Angst zu bekämpfen, indem sie auf dem Friedhof oder dem Richtplatz eine Nacht verbringen mussten. Von ihrem siebten Lebensjahr an wurden sie im Umgang mit Waffen geschult. Man unterwies sie im Schwertkampf, im Bogenschießen und einigen Selbstverteidigungstechniken ohne Waffengebrauch. In einem nahegelegenen Kloster lernten sie zwischenzeitlich lesen und schreiben. Den beschwerlichen Weg dorthin mussten sie zu Fuß zurücklegen, sogar im härtesten Winter.
Takeo und Isamu begannen als Zwölfjährige ihre Lehrzeit bei erfahrenen Samurai. Ein solcher Lehrer nahm einen neuen Lehrling in der Regel erst dann auf, wenn der vorherige seine Ausbildung abgeschlossen hatte. Er bildete daher normalerweise nie mehrere Krieger gleichzeitig aus, sondern widmete sich voll und ganz seinem derzeitigen Schüler. Während der Ausbildungszeit lebten Lehrer und Schüler zusammen. Die Lehrzeit endete für Takeo und Isamu, als sie 15 Jahre alt waren.3 Sie übernahmen nun auch den traditionellen Haarschnitt der Samurai. Dabei wurde das Haupthaar von der Stirn bis zur Mitte rasiert und der Rest zu einem kunstvollen Knoten gebunden.
Wenige Wochen nach ihrer Ausbildung traten Takeo und Isamu in die Dienste des neuen Shōgun Toyotomi Hideyoshi4 ein. Sie stellten sich geschickt an und gehörten bereits drei Jahre nach ihrem Dienstantritt zur persönlichen Leibwache Hideyoshis und erhielten den Status eines Hatamoto5.
Nach zwei weiteren Jahren erlebten die beiden etwas, wovon alle jungen Kämpfer in Japan träumten: Bedienstete des erhabenen und großen Helden Yuudai kamen an den Hof, um die besten Samurai des Landes für die „Goldene Schule“ zu rekrutieren. Alle sieben Jahre gingen sie auf die Suche nach den begabtesten Kämpfern Japans und luden diese zu einem zweiwöchigen Erprobungslager ein.
Yuudai war der Nationalheld Japans. Er hatte große Taten vollbracht und die Herrschenden überließen ihm viele Freiheiten. Von Hideyoshi und seinen Vorgängern erhielt er stets die Erlaubnis, Samurai aus ihrem jeweiligen Dienst herauszunehmen, um sie für ihre besondere Bestimmung vorzubereiten. In diesem Jahr wurden insgesamt 50 junge Samurai im Lager versammelt. Unter ihnen sollten in den nächsten zwei Wochen die besten sieben Kämpfer ermittelt werden. Diesen Samurai stand eine einzigartige Schulung bevor, die mindestens vier Jahre dauern würde und für einige wenige bis auf insgesamt sieben Jahre ausgedehnt werden konnte. Am Ende erfüllte sich für Takeo und Isamu neben fünf weiteren Samurai dieser Traum.
„Ich kann es noch gar nicht richtig glauben, dass wir nun zur Goldenen Schule gehören dürfen“, rief Isamu begeistert. Auch Takeo freute sich, zeigte sich allerdings nicht ganz so euphorisch, wie sein Freund: „Das ist das Größte, das ich bisher erlebt habe. Ich hoffe, dass wir uns dessen als würdig erweisen.“ „Als würdig erweisen?“, reagierte Isamu verwundert. „Wir haben doch bereits bewiesen, dass wir zu den Besten gehören. Und nun wird Yuudai, der größte Held des Landes, dafür sorgen, dass wir so gut werden wie er selbst.“ Takeo schüttelte den Kopf: „Wir gehören wahrhaftig zu den Besten und können stolz darauf sein. Wollen wir jedoch eines Tages auch nur annähernd so gut werden wie Yuudai, können wir das nur mit einer demütigen Haltung und einem hingebungsvollem Kampfgeist erlangen.“
Nur wenige Wochen später sollte sich für Isamu zeigen, dass mit Überheblichkeit nichts zu gewinnen war. Wurden die sieben Schüler bereits während der ersten Erprobungswochen manchmal bis an ihre Grenzen gefordert, war das noch gering im Vergleich zu dem, was sie nun erlebten. Sie mussten in kompletter Rüstung bei brütender Hitze einen hohen Berg erklimmen. Während des Aufstiegs kamen die Schüler manchmal zu Felsblöcken, die so groß waren, dass darauf zwei Personen bequem nebeneinander stehen konnten. Diese wurden allerdings nicht zur Rast genutzt, sondern für Kampfübungen. Die Schüler sollten in die Lage versetzt werden, auch nach harter Anstrengung und in äußerst gefährlichen Positionen, dennoch mit voller Konzentration und ganzer Kraft kämpfen zu können. Auf einem schmalen Felsen neben einem Abgrund die erlernten Kampftechniken sicher anzuwenden, war eine große Herausforderung. Auch den besten Samurai gelang das erst nach Jahren und vielen niemals. Auch auf der Ebene gab es sehr anspruchsvolle Aufgaben. Den Schülern wurden die Augen verbunden. Dann warf man Steine oder Holzstücke nach ihnen. Nun mussten die Schüler nur anhand von Geräuschen erkennen, wo sich der Werfer befand, um so ihr Schild entsprechend zu positionieren. Fehlentscheidungen hatten oft sehr schmerzhafte Treffer zur Folge.
Eine weitere Übung brachte die jungen Samurai oft zur Verzweiflung: Auf einem Teich lagen gekürzte Holzstämme, deren Durchmesser kaum größer war, als der des Oberschenkels eines Mannes. Der Abstand von einem Stamm zum nächsten betrug jeweils eine Schrittlänge, manchmal auch ein wenig mehr. Die Schüler sollten nun den Teich überqueren, indem sie über die schwimmenden Stämme liefen. Immer wieder fielen sie bei ihren Versuchen ins Wasser. Erst nach jahrelangem Üben gelang es einigen Samurai, bis ans andere Ufer zu gelangen.
Nachdem die ersten vier Jahre der Schulung absolviert waren, ließ Yuudai seine Schüler ein hartes Prüfungsverfahren durchlaufen. Diejenigen, die diese Prüfung bestanden, durften sich fortan „Samurai der Goldenen Schlange“ nennen. Mit diesem Titel wurde man im ganzen Lande verehrt und erhielt besondere Privilegien wie Steuerfreiheit bis zum Lebensende. Als Erkennungszeichen wurde den Samurai eine Schlange auf ihren rechten Oberarm tätowiert.
Das anschließende Training wurde von Jahr zu Jahr anspruchsvoller und jede neue Prüfung war noch härter und umfassender als die vorhergehende. Nach dem fünften Jahr besaßen vier Samurai unglaubliche Fähigkeiten und erreichten so den zweiten Grad. Nun wurde ihnen neben der ersten tätowierten Schlange eine weitere hinzugefügt. An der Anzahl der Schlangen auf dem rechten Oberarm konnte man den Grad der Samurai erkennen.
Am Ende des sechsten Jahres stand die schwierige Prüfung zum dritten Grad an. Sehr selten meisterte diese überhaupt jemand erfolgreich. Nachdem die Schüler in den unterschiedlichen Disziplinen geprüft waren, verkündete Yuudai, dass ein Samurai in diesem Jahr den dritten Grad erlangt hätte. Takeos Namen wurde gerufen. War es wirklich wahr oder träumte er? Er war stolz, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Er hätte vor Freude die ganze Welt umarmen können. Takeo war „Samurai der Goldenen Schlange des dritten Grades“. In über 40 Jahren war er erst der vierte Samurai im gesamten Land, dem diese besondere Ehre zuteil wurde.
Die übrigen drei Kämpfer fanden sich gerade damit ab, den dritten Grad knapp verfehlt zu haben. Nun verblüffte Yuudai sie mit einer weiteren Ansage: „Dieser Durchgang ist etwas Besonders. So etwas hat es in den letzten 40 Jahren nie gegeben. In diesem Jahr werden sogar zwei Samurai in den Stand des dritten Grades erhoben.“ Yuudai machte eine Pause, in der man die Spannung förmlich knistern hörte. Wer war neben Takeo der zweite Glückliche? Schließlich spannte er die Kämpfer nicht weiter auf die Folter: „Sein Name ist Isamu.“
Damit hätte wirklich niemand gerechnet, am wenigsten Isamu selbst. Er hatte zu Beginn der Ausbildung große Schwierigkeiten, den Anforderungen gerecht zu werden. Takeo dagegen meisterte von Anfang an seine Aufgaben mit Bravour. Im letzten Jahr allerdings wuchs Isamu über sich hinaus. Er befand sich selbst mit Takeo fast auf Augenhöhe und den anderen war er inzwischen, insbesondere im Schwertkampf, deutlich überlegen. Diese Entwicklung verlieh ihm ein unglaubliches Selbstvertrauen und führte dazu, dass er am Ende eine wahrhaft meisterliche Prüfung ablegte. Isamu war überwältigt von seinem Erfolg und auch Takeo freute sich von Herzen für seinen Freund.
Für Takeo und Isamu begann nun ein weiteres Ausbildungsjahr. An seinem Ende sollte eine allerletzte Prüfung stehen. Doch nur ein Einziger konnte in den letzten 40 Jahren diese erfolgreich meistern. Dieser Ausnahmekämpfer war Takeo und Isamu bestens bekannt. Yuudai setzte in seinen Schulungen für die Unterweisung in den Kampftechniken Lehrer ein. Takeos und Isamus Lehrmeister für den Schwertkampf hieß Masaru. Er war Samurai der Goldenen Schlange im vierten Grad und durfte zu seinem Titel die Ergänzung „Der Unbesiegbare“ hinzufügen.
Takeo und Isamu kamen Gerüchte zu Ohren, dass Yuudai angeblich vor den letzten fünf Durchgängen schon einmal eine Gruppe Samurai unterrichtet haben soll. Existierten diese Samurai tatsächlich oder war alles nur Gerede? Angenommen, es gab sie wirklich, hatten sie ebenfalls einen Unbesiegbaren in ihren Reihen? Takeo und Isamu waren sich einig, dass dies äußerst unwahrscheinlich war. Dennoch hatten die Gerüchte um diese angeblich erste Gruppe etwas Mysteriöses und man hörte oft die abenteuerlichsten Heldengeschichten. Doch etwas Genaues schien niemand zu wissen.
Isamu wurde im letzten Schulungsjahr von einem besonderen Ehrgeiz gepackt. Als selbst Meister Yuudai und der Lehrer Masaru ihm außerordentliche Fähigkeiten im Schwertkampf bescheinigten, entstand in ihm der unbändige Wunsch, ein Unbesiegbarer zu werden. Auch Takeo wollte den vierten Grad erreichen. Die Art und Weise, wie beide ihr Ziel verfolgten, unterschied sich jedoch deutlich voneinander.
Isamu gab seinem Traum die Wichtigkeit seines Lebens. Um jeden Preis wollte er ein Unbesiegbarer sein und nichts sollte ihn daran hindern. Doch obwohl er vor sich seiner Kampfstärke bewusst war, überfielen ihn oft große Zweifel, ob er am Ende der Schulung auch die Anforderungen erfüllen könnte. Um diese Zweifel zu bekämpfen, legte er sich mehr und mehr ins Zeug. Er konnte seine Kampftechnik zwar ständig verbessern, seine Unsicherheit verschwand jedoch nicht. Nein, sie wuchs sogar ständig, worauf er sich noch mehr anstrengte. Irgendwann wurde er total verbissen. Jede Leichtigkeit schwand aus seinem Leben und er hatte nur noch sein Ziel im Sinn.
Bei Takeo war das völlig anders. Er hatte mehr erreicht, als er sich je erträumte. Bliebe alles so wie im Moment, war dies bereits die Erfüllung. Doch das Schönste, das er sich vorstellen konnte, war das Erreichen des vierten Grades. Deshalb war er im höchsten Maße beflügelt, an sich zu arbeiten und sich ständig zu verbessern. Doch er fühlte keinen Zwang, diesen unbedingt erlangen zu müssen. Er war dankbar für alles, was er bisher erleben durfte.
Immer häufiger sah er sich in seiner Phantasie, wie er bereits das Leben eines Unbesiegbaren führte. Eines Nachts träumte er, wie ihn Yuudai in den vierten Grad erhob und er die vierte Schlange auf seinen Oberarm tätowiert bekam. Selbst nach dem Aufwachen hatte er immer noch das Gefühl, das alles wäre wirklich passiert. Es fühlte sich so echt an. Bald gelang es ihm auch tagsüber so zu empfinden, als hätte er sein Ziel bereits erreicht. Er musste sich dafür noch nicht einmal anstrengen. Dieses Gefühl war einfach da. In den letzten drei Monaten der Schulung war er oft wie im Rausch. Seine Übungen erfüllte er mit einer enormen Leichtigkeit. Manchmal kam es ihm vor, als wäre er außerhalb seines Körpers und würde sich selbst bei Kampfübungen zusehen. Alles war perfekt und befand sich in einem kraftvollen Fließen.
Der letzte Schulungstag war angebrochen. Heute sollte sich entscheiden, ob einer der Samurai in den vierten Grad erhoben würde. Während der Ausbildung in der Goldenen Schule konnte Takeo viel von Masaru lernen. In den letzten Wochen jedoch wandelte er sich vom Schüler Masarus zum gleichwertigen Großmeister.
Masaru kam auf Takeo zu, legte seine rechte Hand auf dessen Schulter und sprach mit andächtiger Stimme: „Sieben Jahre lang warst Du mein Schüler. Nun bist Du ein wahrer Meister. Es gibt nichts mehr, was ich Dich noch lehren könnte. Du bist mir ebenbürtig.“ Takeo war stolz auf sich. Für ihn war es eine große Ehre, von dem Unbesiegbaren eine derartige Anerkennung zu erfahren.
Yuudai betrat den Platz des Ausbildungsgeländes. Während Isamu sichtlich nervös war und einen verkrampften Gesichtsausdruck hatte, wartete Takeo gelassen auf die Worte Yuudais: „Takeo, Du bist ein Kämpfer, der seinesgleichen sucht. Die Perfektion Deiner Kampfkunst und Deine vorbildliche Selbstbeherrschung sind nicht zu übertreffen. Ich erhebe Dich heute in den vierten Grad und Du gehörst von nun an zu den Unbesiegbaren.
Auch Du, Isamu, bist ein großer Samurai. Deine unglaubliche Schnelligkeit und Deine enorme Kraft machen Dich zu einem Ausnahmekämpfer. Ich habe selten jemanden ausgebildet, der solche Kampfkraft besitzt wie Du. Dein Schwertkampf gleicht dem meiner beiden besten Schüler der letzten 40 Jahre. Du bist ebenso gut wie Masaru und Takeo. Von daher wäre es angemessen, Dich in den vierten Grad zu erheben. Aber Du hast nicht das Herz eines Unbesiegbaren. Deine Schwächen sind Dein unbändiger Ehrgeiz und Deine Verbissenheit. Diese Schattenseiten könnten zu Deinem Fallstrick werden. Du wirst weiterhin als Samurai der Goldenen Schlange des dritten Grades im ganzen Lande verehrt werden. Der vierte Grad wird Dir allerdings verwehrt bleiben.“
Isamu war niedergeschlagen. Er verdrängte vollkommen alle würdigenden Aussagen über seine Kampfkunst und dachte nur noch daran, dass er ein Verlierer war. Tief betroffen verließ Isamu die Goldene Schule und machte sich auf den Heimweg.
Bevor auch Takeo und Masaru aufbrachen, vertraute Yuudai ihnen noch ein Geheimnis an: „Ich bin inzwischen alt geworden und diese siebte war meine letzte Schulung als Lehrer.“ Takeo zeigte sich erstaunt: „Dann stimmt es also doch, was man mir erzählte. Vor dieser Schulung gab es also nicht fünf, sondern sechs Durchgänge.“ Yuudai setzte seine Ausführungen in ruhigem Ton fort: „Ja, es ist wahr. Die erste Schulung hatte etwas Besonderes, das sich in den folgenden Jahren nie wiederholte. Erst Ihr beiden habt die Hoffnung auf diese einzigartige Besonderheit wiederbelebt. Nun vertraue ich Euch etwas an, das bisher nur die besten Samurai des ersten Durchganges wussten: Der vierte Grad ist nicht der höchste, den Ihr erreichen könnt. Einer von Euch wird noch in diesem Jahr eine Entdeckung machen, die nicht nur sein eigenes Leben völlig verändert, sondern auch das der Menschen, die mit ihm in Verbindung stehen. Irgendwann in ferner Zukunft wird es sogar die ganze Welt verändern.“
Takeo und Masaru staunten verwundert. Yuudai gab jedoch keine weiteren Erläuterungen und entließ die beiden Samurai, die darauf ihren Heimweg antraten. Der Meister selbst verschwand in den Wäldern und kam erst nach zwei Monaten zurück in sein Haus. Wenige Wochen danach starb er im Alter von 77 Jahren.
Isamu konnte sich nicht damit abfinden, sein Ziel verfehlt zu haben. Die anfängliche Niedergeschlagenheit verwandelte sich zunehmend in immer größeren Neid auf Takeo, weil dieser genau das bekam, was er sich selbst erträumte. Nachdem Isamu vom Tod Yuudais erfuhr, suchte er seinen alten Freund auf und machte diesem unmissverständlich seinen Entschluss deutlich: „Solltest Du wirklich unbesiegbar sein? Im Schwertkampf bin ich genauso gut wie Du, vielleicht sogar besser. Ich fordere Dich zu einem Kampf auf Leben und Tod heraus. Dann werden wir sehen, wer von uns unbesiegbar ist.“ Alle Versuche Takeos, Isamu von seinem Vorhaben abzubringen, schlugen fehl. Isamu war derart entschlossen und in unbändigem Neid verstrickt, dass er keinen anderen Gedanken zuließ.
So kam es zum Kampf zweier Samurai, die seit ihrer Kindheit miteinander befreundet waren und zu den besten Kämpfern des Landes gehörten. Zehn Minuten lang wechselten sie sich mit gegenseitigen Attacken ab und hielten den Angriffen ihres Gegners stand. Dann entwickelte Takeo während des Kampfes einen Plan: Er wollte Isamu so entwaffnen, dass er ihn besiegen konnte, ohne ihn dabei zu töten. Seine Gedanken hatten einen Moment der Unachtsamkeit zur Folge. Diesen Augenblick nutzte Isamu und fügte ihm eine schwere Wunde oberhalb des rechten Knies zu. Durch seine Verletzung fiel es Takeo überaus schwer, seinen festen Stand beizubehalten, geschweige denn, sein verletztes Bein zu bewegen. Diese Schwäche nutzte Isamu, der nun mit regelmäßigen Attacken ganz gezielt die rechte Seite seines Gegners angriff. Mit seiner enormen Schnelligkeit konnte er einen weiteren Treffer am Bein landen. Dann folgte ein Schwerthieb. Takeo konnte gerade noch seinen Kopf zur Seite bewegen, deshalb traf ihn das Schwert nicht voll. Isamus Katana streifte ihn jedoch über seinem rechten Auge.
Takeos Blut lief die Augenbraue hinunter. Nach kurzer Zeit konnte er mit seinem rechten Auge nichts mehr erkennen und sah nur noch auf dem linken etwas. Er wusste, dass mit dieser Verletzung eine Verteidigung auf Dauer unmöglich wäre.
Da entschloss er sich für ein Vorgehen, mit dem Isamu nicht rechnen würde. Blitzschnell ließ er sich trotz seines verletzten Beines auf die rechte Seite fallen und löste gleichzeitig seine rechte Hand von seinem Schwert, so dass es nun in seiner linken Hand lag. Wie aus einer Eingebung heraus tat er das genau in dem Augenblick, als Isamu einen weiteren Angriff auf die rechte Seite Takeos vornahm. Durch die Vorwärtsbewegung der Kampfhand Isamus war dessen Körper während eines kurzen Augenblicks ungeschützt. Takeo traf ihn mit seinem Katana tödlich. Das alles ging so schnell, wie ein Augenaufschlag dauert.
In den Wochen nach diesem Kampf wurde Takeo von quälenden Fragen gepeinigt: Warum musste er seinen Freund töten? Hätte er es vermeiden können, wenn er einfach geflohen wäre? Wie viele weitere Samurai würden ihn herausfordern, die sich gegen ihn, den Unbesiegbaren, beweisen wollten? Kann er sich jemals sicher fühlen? Ist er dazu verdammt, bis an sein Lebensende kämpfen zu müssen? Immer wieder tauchten die Bilder vom Tod seines Freundes Isamu auf. Und es sollte nicht der letzte Kampf gegen einen Freund sein.