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6. Kapitel Europarechtliche VerfahrensvorschriftenC. Verfahren der europäischen Zusammenarbeit in Strafsachen › I. Auslieferung von Personen

I. Auslieferung von Personen

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Das europäische Auslieferungs- und Rechtshilferecht ist von einer fast unüberschaubaren Vielzahl an Rechtsnormen gekennzeichnet und deshalb mitunter schon als „normative Anstiftung zur Rechtsbeugung“ beschrieben worden.[1] Betrachtet man allein die Auslieferung, mithin das Ersuchen eines Staates an einen anderen um die Übergabe einer Person, die sich im ersuchten Staat aufhält und vom ersuchenden Staat zur Strafverfolgung oder -vollstreckung gesucht wird, offenbart sich ein mehrschichtiges Normensystem sowie ein komplexes Verfahren.

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Im Verhältnis zu anderen europäischen Staaten sowie zu Israel stellen das Europäische Auslieferungsübereinkommen des Europarates (EuAlÜbk)[2] sowie seine beiden Zusatzprotokolle[3] die zentralen Regelwerke dar. Daneben bestehen bilaterale Auslieferungsverträge und deliktsspezifische Europaratsübereinkommen. Von großer Bedeutung für die „Schengen-Staaten“ sind die Art. 59-66 SDÜ, die den Auslieferungsverkehr weiter vereinfachen. Diese Bestimmungen aus Titel III Kap. 4 SDÜ wurden zwar formal durch die Bestimmungen des RbEuHb ersetzt (Art. 31 Abs. 1 lit. e RbEuHb), werden aber aufgrund der Öffnungsklausel in Art. 31 Abs. 2 RbEuHb bis auf weiteres noch angewendet. Schließlich beanspruchen mehrere Instrumente der früheren dritten Säule der EU nach wie vor Geltung, darunter das Übereinkommen vom 27.9.1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU (EUAuslÜbk)[4] und das Übereinkommen vom 10.3.1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der EU (EUVereinfAuslÜbk).[5]

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Da die Leistung von Rechtshilfe die Grundrechte des jeweils Betroffenen tangiert, erfordert nahezu jede derartige Maßnahme gegenüber dem ersuchenden Staat eine Ermächtigungsgrundlage. Gegen die einzelne Maßnahme muss dem Betroffenen aufgrund Art. 19 Abs. 4 GG die Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes zustehen. Das Auslieferungsverfahren gliedert sich in zwei Stufen, das sog. Zulässigkeits- und das Bewilligungsverfahren.

1. Voraussetzungen der Auslieferung

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Eine Auslieferung setzt nach dem Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit zunächst voraus, dass das Verhalten eines Verfolgten, das zum Gegenstand des Ersuchens gemacht wurde, auch nach dem Recht des ersuchten Staates strafbar und in beiden Staaten mit einer Höchststrafe von mindestens einem Jahr Freiheitsentzug bedroht ist (§§ 2, 3 IRG; Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk).[6] Letzteres ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Von der erforderlichen Höchststrafendrohung bestehen mehrere Ausnahmen. So erklärt z.B. Art. 2 Abs. 1 EUAuslÜbk auch Handlungen für auslieferungsfähig, die nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats mit Höchststrafe von mindestens sechs Monaten Freiheitsentzug bedroht sind. Parallel zur erforderlichen Höchststrafendrohung kann die Auslieferungsfähigkeit im Fall der Vollstreckungshilfe an eine Mindestvollstreckungsdauer geknüpft sein (z.B. Art. 3 Abs. 1 lit. c. ÜberstÜbk). Zu beachten sind aber die vereinzelten Durchbrechungen dieses Prinzips. So erklärt etwa Art. 10 Abs. 4 des Übereinkommens vom 17.12.1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (IntBestÜbk) die aktive Bestechung ausländischer Amtsträger (einschließlich Abgeordneter) zur Erlangung von Vorteilen im internationalen Geschäftsverkehr und damit zusammenhängende Buchführungsdelikte für auslieferungsfähig, ohne dass es auf eine beiderseitige Strafbarkeit ankäme.[7]

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Die Auslieferung hängt zusätzlich von der Gegenseitigkeit ab, dass also der ersuchende Staat im vergleichbaren umgekehrten Fall ebenfalls zu Rechthilfe bereit ist, wobei dieser Aspekt hauptsächlich im vertragslosen Bereich eine Rolle spielt (vgl. § 5 IRG; vgl. aber auch Art. 2 Abs. 7 EuAlÜbk).[8] Ein weiterer Prüfungspunkt liegt im Prinzip der Spezialität. Es soll sicherstellen, dass ein Ausgelieferter speziell nur wegen der Tat verfolgt wird, derentwegen die Auslieferung bewilligt wird, wobei der Betroffene auf diese Beschränkung ausdrücklich verzichten kann (z.B. nach Art. 10 Abs. 1 lit. d EUAuslÜbk).

2. Auslieferungshindernisse

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Grundsätzlich kann einer Auslieferung eine Reihe normierter Hindernisse entgegenstehen. Dazu gehören u.a.

die Nichtauslieferung eigener Staatsangehöriger (§ 2 IRG; Art. 6 EuAlÜbk),
die Gefahr drohender Todesstrafe (§ 8 IRG),
die drohende Vollstreckung eines definitiven und für den Beschuldigten überraschenden Abwesenheitsurteils (Art. 3 2. ZP-EuAlÜbk, § 73, 83 Nr. 3 IRG) und
weitere Fälle drohender Grund- und Menschenrechtsverletzungen (§ 73 IRG)

sowie Hindernisse hinsichtlich der Auslieferung/Rechtshilfe bei

politischen (§ 6 IRG),
militärischen (§ 7 IRG),
fiskalischen Delikten (Art. 5 EuAlÜbk),
Verjährung (§ 9 Nr. 2 IRG) und
Amnestie (Art. 4 2. ZP-EuAlÜbk).

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Im Geltungsbereich des Schengen-Besitzstandes beseitigen Art. 59–66 SDÜ bestimmte Auslieferungshindernisse. So kommt es für die Verjährung auf die Rechtslage im ersuchenden Staat an.[9] Ferner stehen eine eventuelle Amnestie sowie ein Strafantragserfordernis im ersuchten Staat einer Auslieferung grundsätzlich nicht entgegen (Art. 62 Abs. 2, 3 SDÜ). Weitere Auslieferungshindernisse sind durch die Erleichterungen des EuAuslÜbk beseitigt worden. Gem. Art. 3 Abs. 1 EuAuslÜbk besteht eine Ausnahme vom Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit in Fällen, in denen „die Verabredung einer strafbaren Handlung oder die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung“ mit dem Ziel der Begehung bestimmter Straftaten, v.a. aus dem Bereich des Terrorismus und der organisierten Kriminalität, erfolgt sind.

3. Auslieferungshaft

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Für dringende Fälle ermöglicht Art. 16 EuAlÜbk die Verhängung vorläufiger Auslieferungshaft nach dem Recht des jeweils ersuchten Staates. Die Auslieferungshaft darf ab dem Zeitpunkt der Verhaftung nicht länger als 40 Tage andauern (Art. 16 Abs. 4 EuAlÜbk), obgleich das IRG teilweise längere Fristen vorsieht.[10]

4. Auslieferung wegen fiskalischer Delikte

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Einige Besonderheiten gelten gerade im Hinblick auf fiskalische Delikte. Zunächst gilt der Grundsatz, dass in Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenstrafsachen die Auslieferung nur bewilligt wird, wenn dies zwischen den betreffenden Staaten für einzelne oder Gruppen von strafbaren Handlungen dieser Art vereinbart worden ist (Art. 5 EuAlÜbk). Hierzu statuiert das Zweite Zusatzprotokoll vom 17.3.1978 (2. ZP-EuAlÜbk)[11] eine Rückausnahme und begründet eine Auslieferungspflicht auch in Fiskalsachen (Art. 2 Abs. 1), auch wenn es an einer gegenseitigen Strafbarkeit fehlt (Art. 2 Abs. 2).

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Auch das EU-Recht bestimmt ausdrücklich die Auslieferungsfähigkeit von Fiskalstraftaten, sofern diese im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwölf Monaten bedroht sind (Art. 2 Abs. 2, Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 RbEuHb). Im Rahmen des Schengen-Besitzstandes sind die Vertragsstaaten bei Straftaten im Bereich indirekter Steuern zur Auslieferung verpflichtet (Art. 63 i.V.m. Art. 50 Abs. 1 SDÜ). Schließlich ist die Auslieferung in Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenstrafsachen grundsätzlich auch wegen Handlungen zu bewilligen, die nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats einer strafbaren Handlung derselben Art entsprechen (Art. 6 Abs. 1 EUAuslÜbk) und darf nicht wegen Unterschieden in den Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenbestimmungen abgelehnt werden (Art. 6 Abs. 3 EUAuslÜbk).

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