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Erster Band
Erstes Buch
Kapitel II
Der Hof

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Der Reisende, der den gewöhnlichen Weg der Touristen im heutigen Italien so weit verläßt, daß er die Stadt Ravenna besucht, erinnert sich mit Erstaunen, wenn er ihre stillen und melancholischen Straßen durchschreitet, und Weinberge und Sümpfe über eine Ausdehnung von vier Meilen zwischen dem adriatischen Meere und der Stadt ausgebreitet sieht, daß dieser jetzt halb verödete Ort einst die volkreichste der römischen Festungen war, und daß da, wo sich jetzt Felder und Wälder den Augen darbieten, einst die Flotten des Reiches sicher vor Anker lagen, und der Kaufmann von Rom seine kostbaren Ladungen am Thore seines Lagerhauses ausschiffte.«

Als die Macht Rom’s abnahm, fing das adriatische Meer seltsamer Weise an, die Festung, deren Schutz es bisher gebildet hatte, zu verlassen. Gleichzeitig mit der stufenweisen Entartung des Volkes trat das allmählige Zurückziehen des Ozeans von den Stadtmauern ein, bis sichgn Anfange des sechsten Jahrhunderts schon da, wo einst der Hafen des August war, ein Pinienhain zeigte.

Zur Zeit unsrer Geschichte waren, obgleich das Meer schon damals sichtlich zurückgetreten war, die Gräben um die Mauern noch gefüllt, und die Kanäle liefen noch beinahe in derselben Art, wie sie jetzt Venedig durchschneiden, durch die Stadt.

An dem Morgen, den wir jetzt beschreiben wollen, war der Herbst, seit dem im vorhergehenden Kapitel erwähnten Ereignissen, nur einige Tage vorgeschritten. Obgleich die Sonne jetzt hoch am Osthimmel stand, gab doch die Unruhe, welche die Hitze hervorbrachte, einigen Müßiggängern von Ravenna den Muth, der Schwüle der Atmosphaire in der eiteln Hoffnung Trotz zu bieten, daß sie eine Brise vom adriatischen Meere begrüßen würde, wenn sie die seewärts gelegenen Walle der Stadt erstiegen. Als sie die beabsichtigte Höhe erreicht hatten, wandten diese hoffenden Bürger das Gesicht mit fruchtloser verzweifelnder Sorgfalt nach jeder Weltgegend; aber kein Lufthauch kam, um ihre Ausdauer zur belohnen. Nichts konnte die unverminderte Allgemeinheit der Hitze vollkommener andeuten, als die Aussicht nach allen Richtungen hin von der Stellung her, welche sie inne hatten. Die steinernen Häuser der Stadt hinter ihnen glänzten mit einer, die stärksten Augen überwaltigenden, blendenden Helle. Die leichten Vorhänge hingen unbeweglich über den einsamen Fenstern. Kein Schatten unterbrach die glänzende Einförmigkeit der Mauern, oder milderte das Flimmern auf dem Wasser der Fontänen unter ihnen. Keine Welle bewegte die Oberfläche des breiten Kanals, welcher jetzt den alten Hafen ersetzte, kein Windhauch entfaltete die ausgedörrten Segel der verlassenen Schiffe am Quai; über den fernen Marschen hing sein heißer, zitternder Dunst, und in den Weinbergen bei der Stadt bewegte sich nicht ein Blatt an seinen schlanken Stengeln. Auf der Seeseite lag der glühende Sand weit ausgestreckt und eben da und jenseits desselben dehnte sich der weiße Ozean, wogenlos, träge und in eine Fluth blendenden Glanzes aufgelöst, bis zu dem wolkenlosen Horizonte, der die sonnenhelle Aussicht begrenzte.

In der Stadt selbst, in den Straßen, wo die hohen Häuser dunkle Schatten auf die breiten Steine der Straße warfen, konnte man hier und dort die Gestalten einiger Sklaven sehen, die an der Mauer schliefen oder träge über die Fehler ihrer Herren schwatzten. Manchmal war ein alter Bettler zu bemerken, der auf den wohlversehenen Revieren seines eignen Körpers das leichtbewegliche Ungeziefer des Südens jagte. Manchmal kroch ein Kind von einer Thürstufe, um in dem stehenden Wasser einer Gosse zu plätschern, aber mit Ausnahme dieser zweifelhaften Beweise menschlicher Thätigkeit war der vorherrschende Charakter der wenigen Gruppen aus den niedrigsten Volksklassen, welche in den Straßen erschienen, der der äußersten Trägheit. Alles, was der Stadt zu anderen Stunden des Tages Glanz verlieh, war um diese Zeit dem Auge verborgen. Die eleganten Höflinge ruhten in ihren hohen Zimmern. Die aufgestellten Wachposten verbargen sich in Mauerecken und unter Thorbögen. Die reizenden Damen schlummerten auf parfümirten Lagern in verdunkelten Zimmern; die vergoldeten Wagen waren in den Remisen verschlossen, die stolzen Pferde waren in die Ställe eingesperrt und man hatte selbst die Waaren auf den Marktplätzen aus dem Sonnenscheine entfernt. Es war klar, daß die, üppigen Einwohner von Ravenna keine Pflichten für hinreichend wichtig und keine Vergnügungen für hinlänglich anziehend hielten, um sie zu bewegen, ihre empfindlichen Körper der Mittagshitze auszusetzen.

Um dem Leser eine Idee von der Art, in welcher die trägen Patrizier des Hofes ihren Mittag verbrachten, zu geben und zugleich den Forderungen des Fortganges dieser Geschichte zu genügen, ist es nöthig, die Ruheplätze der Plebejer auf den Straßen mit dem Lager der Edlen im kaiserlichen Palast zu vertauschen.

Der erste Gegenstand, welcher den Beobachter, sobald er die nach den Privatgemächern führenden Gänge erreichte, nachdem er durch das massive Eingangsthor getreten und die weite Vorhalle des kaiserlichen Palastes mit ihren Marmorstatuen und ihren Wachen durchschritten und von dort die schöne Treppe erstiegen hatte, angezogen haben würde, war eine reich geschnitzte, halb offene Thüre am Ende des Ganges. An dieser Stelle waren ungefähr fünfzehn bis zwanzig Individuen gruppirt, welche sich durch Zeichen mit einander unterhielten und in allen ihren Bewegungen das ehrfurchtsvollste und vollständigste Schweigen bewahrten. Von Zeit zu Zeit stahl sich Einer von der Gesellschaft auf den Zehen zu der Thür und blickte vorsichtig durch dieselbe, worauf er fast augenblicklich zurückkehrte und seinem nächsten Nachbar das ungeheure Interesse an dem Anblick, den er eben gehabt hatte, durch verschiedene Grimassen ausdrückte. Gelegentlich kamen aus diesem geheimnißvollen Zimmer Töne die dem Gackern von Hühnern glichen und von Zeit zu Zeit mit einem Geräusch wie dem Fallen eines Regens von kleinen leichten Gegenständen auf einen harten Boden abwechselten. Wenn diese Klänge hörbar wurden, so blickten die Mitglieder der vor der Thür stehenden Gesellschaft einander an und lächelten theils sarkastisch, theils triumphirend. Einige von den geduldig Wartenden hatten Pergamentrollen in den Händen, während die Uebrigen Sträuße von seltenen Blumen hielten oder kleine Statuen und Mosaikgemälde auf den Armen hatten. Die Einen waren Maler und Dichter, Andere Redner und Philosophen und noch Andere Bildhauer und Musiker. Es könnte seltsam erscheinen, daß unter einer solchen bunten Versammlung von Gewerben, die sich in allen Zeitaltern der Welt dadurch ausgezeichnet haben, daß sie in den dieselben Betreibenden den Fehler der Reizbarkeit nähren, ein so stilles ruhiges Benehmen herrschte, wie das so eben beschriebene. Man muße aber bedenken, daß diese genialen Leute bei dem Besuch des Palastes eine wenigstens äußerliche Einigkeit unter ihren Reihen dadurch verbürgten, daß sie alle mit einer Fähigkeit ausgerüstet und von einer Hoffnung beseelt erschienen – ste warteten auf die Gelegenheit zur Anwendung eines gemeinschaftlichen Hilfsmittels der Schmeichelei, um einen gemeinschaftlichen Zweck, den des Gewinnes, zu erreichen.

Das so selbst vor dem Eindringen intellectueller Bestrebungen geschützte Gemach war, wenn auch reich verziert, doch nicht von besonderer Größe. Bei andern Anlässen hätte das Auge mit Entzücken über die auf einer schönen Terrasse, zu der eine zweite Thür des Zimmers führte, reichlich vorhandenen köstlichen Blumen und Pflanzen hinweisen können, in diesem Augenblicke aber war das Benehmen des im Zimmer Befindlichen, von so ungewöhnlicher Art, daß selbst der aufmerksamste Beobachter alle untergeordneten Eigenthümlichkeiten desselben übersehen mußte, um sich sofort dem Bewohner ausschließlich zuzuwenden.

In der Mitte einer großen Hühnerheerde, die auf einem Marmorfußboden und unter einem vergoldeten Dache sehr am unrechten Orte zu sein schien, stand ein blasser, magerer, schwächlicher Jüngling in prächtiger Kleidung, der ein mit Getreide gefülltes, silbernes Gesäß in der Hand hielt und aus demselben von Zeit zu Zeit dem gackernden Völkchen zu seinen Füßen Körner vorstreute. Es konnte nichts kläglicher Weibisches geben, als das Aussehen dieses jungen Mannes. Seine Augen waren glanzloss und matt, seine Stirn niedrig und zurücktretend, seine Wangen grau und seine Gestalt wie von vorzeitigem Alter gekrümmt. Ein bedeutungsleeres Lächeln schwebte auf seinen schmalen farblosen Lippen und er flüsterte den seltsamen Günstlingen, auf die er hinabschaute, von Zeit zu Zeit einige abgebrochene Schmeichelworte, die in ihrer Einfalt fast kindisch waren, zu. Seine ganze Seele schien von der Arbeit, sein Getreide zu vertheilen, ausgefüllt zu werden, und er folgte den verschiedenen Bewegungen der Hühner mit einer eifrigen Aufmerksamkeit, die in ihrer lächerlichen Gespanntheit fast etwas Blödsinniges zu haben schien. Wenn man fragen sollte, weshalb eine so verächtliche Person wie dieser einsame Jüngling mit so großer Sorgfalt vorgestellt und mit so vieler Ausführlichkeit beschrieben worden ist, so müssen wir antworten, daß er zwar nicht dazu bestimmt ist, reine wichtige Figur in diesem Werke abzugeben, aber durch seine Stellung eine bedeutende Rolle in dem großen Drama, auf welches sich dasselbe gründet, spielte – denn dieser Hühnerwärter war keine geringere Person, als der römische Kaiser Honorius.

Eben die Verstandesschwäche dieses Mannes zu einer solchen Zeit, wie die, über welche wir jetzt schreiben, ist es, welche seinen Character im Auge der Nachwelt mit einem so furchtbaren Interesse bekleidet. Seiner Schwachheit war die entsetzliche Aufgabe beschieden, den lange verhaltenen Sturm, dessen Elemente wir in dem vorigen Kapitel zu beschreiben versucht haben, losbrechen zu lassen. Mit gerade so viel Verstand begabt, um launisch zu sein, und eben genug Entschlossenheit versehen, um boshaft sein zu können, war er ein passendes Werkzeug für jeden ehrgeizigen Bösewicht, dem es gelang, bei ihm Gehör zu erhalten. Um seiner kindischen Tyrannei zu schmeicheln, belohnten die verblendeten Ränkeschmiede des Hofes den heldenmüthigen Stilicho für die Rettung seines Vaterlandes mit dem Tode und betrogen Alarich um die mäßigen Zugeständnisse, zu welchen sie sich feierlich verpflichtet hatten.

Um seine Eitelkeit zu befriedigen, wurde er wegen eines Siegen, den Andere errungen hatten, im Triumph durch die Straßen von Rom gezogen. Um seiner Anmaßung durch den Gebrauch des erbärmlichsten Vorrechtes der Macht, die ihm zum Gutes thun anvertraut war, zu Willen zu sein, wurde ohne Bedenken die Niedermetzelung der von der Ehre der Gothen der römischen Tücke anvertrauten hilflosen Geißeln befohlen und um endlich seine unmännliche Furcht zu beschwichtigen, war es die letzte Handlung seiner gewissenlosen Rathgeber vor dem Untergange des Reiches, ihn zu ermächtigen, sein Volk in der Stunde der Gefahr zu verlassen, ohne sieh»darum zu kümmern, wer in dem schutzlosen Rom umkam während er sich ein dem befestigten Ravenna in Sicherheit befand.

Dies war der Mann, unter welchem das mächtigste Gebäude der Welt seinem Sturze zuzuschwanken bestimmt war. Durch seine übermenschliche Kühnheit die die zurückstoßenden Schrecken unaufhörlichen Blutvergießens mit einer rauhen, furchtbaren Großartigkeit bekleidete, erhoben und getragen, sollten jetzt die Herren der Völker unter den erbärmlichsten Feiglingen, durch die schmähliche Niederlage sinken. Dafür hatte das graue alte Königthum seine Feinde schaarenweise von seinen kräftigen Armen abgeschüttelt. Dazu hatten die zweideutigen Tugenden der Republik und die gefahrvolle Großartigkeit des Kaiserreiches die Welt in Erstaunen und Verwirrung gesetzt. Mit einem Schlußsteine wie Honorius endeten die Barbareien eines Brutus, der feingebildete Glanz eines Augustus, die unmenschlichen Grausamkeiten eines Nero und die unsterblichen Tugenden eines Trajan.

Umsonst war Rom durch mühevolle Jahrhunderte über die Trümmer seiner edelsten Herzen und die Prostitution seiner größten Geister mitleidslos vorwärts geschritten, um den Schatten, Ruhm genannt, zu erfassen. Der Machtspruch war jetzt ausgegangen, welcher es dazu verurtheilte endlich das Wesen – die Schmach in Empfang zu nehmen.

Als der kaiserliche Schwächling seinen Getreidevorrath erschöpft und den Hunger seiner gefräßigen Günstlinge befriedigt hatte, nahmen ihm zwei Diener seine silberne, Vase ab. Dann wurde die Hühnerheerde zu der einen Thür heraus und die Künstlerherde zur andern hereingelassen.

Wir lassen den Kaiser seine matten Augen auf Kunstgegenstände werfen, für die er keine Bewunderung besaß, und widerwillig seine Ohren lobhudlerischen Reden öffnen, die er nicht begriff, und führen die Leser in ein Gemach auf der entgegengesetzten Seite des Palastes, in welchem sich Alles, was an seinem Hofe schön und elegant war, versammelt hatte.

Man stelle sich einen zweihundert Fuß langen und verhältnismäßig breiten Saal vor. Der Fußboden besteht aus den schönsten Mustern von Mosaikarbeit. Die Wände sind mit ungeheuern Säulen von buntem Marmor geziert und die durch dieselben gebildeten Nischen mit Statuen in der ausgesuchtesten Verschiedenartigkeit der Haltung besetzt, welche dem sich ihnen Nähernden die köstlichen Blumen anzubieten scheinen, welche in ihre Hände zu legen die Pflicht der Dienerschaft war. Die Decke ist in Mustern und Farben, die mit denen des Mosaikfußbodens im Einklange stehen al fresco gemalt. Die Karnise bestehen aus Silber und sind mit Citaten aus den Liebesdichtern der Zeit geziert, deren Buchstaben durch kostbare Steine gebildet werden.

In der Mitte des Zimmers wirft ein Springbrunnen Ströme wohlriechenden Wassers empor und ist mit goldenen Käfigen, die Vögel jeder Größe und jedes Landes enthalten, umgeben. Drei große am östlichen Ende des Zimmers angebrachte Fenster gewähren die Aussicht auf das adriatische Meer, sind aber zu dieser Stunde mit seidenen Vorhängen von zartgrüner Farbe überdeckt, die auf Alles ein weiches üppiges Licht werfen; aber so dünn gewebt und so geschickt geordnet sind, daß der leiseste Lufthauch von Außen augenblicklich zu den matten Höflingen im Wartezimmer hereindringt. Die Zahl dieser Individuen beläuft sich auf etwa fünfzig bis sechzig. Bei weitem der größte Theil der hier Versammelten sind Frauen. Ihr geschmackvoll in verschiedenen Formen geflochtenes und mit Blumen oder Edelsteinen geschmücktes schwarzes Haar bildet einen eleganten Kontrast mit den glänzend weißen Gewändern, in welche sie zum größten Theile gekleidet sind. Einige von ihnen betrachten gleichgültig die Bewegungen der Vögel in den Käfigen, Andere unterhalten sich nachlässig und flüsternd mit den sich in ihrer Nähe befindenden Höflingen. Die Männer zeigen in ihren Kleidern eine größere Farbenabwechslung und in ihren Beschäftigungen eine größere Fruchtbarkeit an Auskunftsmitteln als die Frauen. Ihre Gewänder vom hellsten Rosa, Violet oder Gelb bilden einen phantastischen Abstich gegen die eintönig weißen Kleider ihrer Gefährtinnen. Die auffallendsten Beschäftigungen, welchen sie sich hingeben, bestehen im Lautenspiele, im Würfeln, im Necken ihrer Schoßhunde und im Aufstören ihrer Schmarozer. Was sie aber auch thun mögen, so geschieht doch Alles mit geringer Aufmerksamkeit und noch geringerem Eifer. Die Einen lehnen mit geschlossenen Augen auf ihren Ruhebettem als ob die Hitze ihnen die Arbeit, sich ihrer Sehorgane zu bedienen, zu schwer mache, Andere lassen mitten in einem Gespräche plötzlich einen Satz unbeedigt, da sie dem Anscheine nach von der Mattigkeit unfähig gemacht werden, selbst die einfachsten Ideen auszudrücken. Jeder, das Auge berührende Anblick, jeder in das Ohr dringende Ton im Gemache drückte eine üppige Ruhe aus. Kein glänzendes Licht vermindert die allgemeine Weichheit der Atmosphäre, keine grelle Farbe macht die leichten, ätherischen Tinten der Gewänder materiell, kein lautes Geräusch unterbricht die abwechslungsvollen klagenden Töne der Laute, und unterdrückt das leise Zwitschern der Vögel in den Käfigen oder den ruhigen, geregelten Wohlklang der Damenstimmen. Alle belebten, wie leblosen Gegenstände stehen mit einander im Einklange. Es ist ein Schauspiel vergeistigter Trägheit – ein Bild träumerischer Seligkeit im innersten Heiligthume ungestörter Ruhe.

Unter dieser Versammlung der Schönheit und des Adels, deren Mitglieder mehr allgemein bemerkt als besonders beobachtet werden mußten, befand sich jedoch ein Individuum, welches sowohl durch die von ihm gewählte einsame Beschäftigung, wie durch den Ort, welchen es zufällig im Zimmer eingenommen, sich unter den es umgebenden gleichgültigen Patriziern persönlich auszeichnet.

Sein Ruhebett stand näher am Fenster als das irgend eines Andern im Saale befindlichen. Einige von seinen indolenten Nachbarn, besonders die des sanftern Geschlechtes, betrachteten ihn zuweilen mit bewundernden und neugierigen Blicken, aber Niemand näherte sich ihm oder versuchte ihn in ein Gespräch zu ziehen. Neben ihm lag ein Stück Pergament, auf welches er von Zeit zu Zeit einige Worte schrieb und dann, wie es schien, gänzlich von seinen Gedanken in Anspruch genommen, und ohne auf irgend Einen von allen den männlichen und weiblichen Besuchern des kaiserlichen Gemaches zu achten, wieder in seine zurückgelehnte Stellung versank.

Seinem Aeußern nach zu schließen konnte er kaum 25 Jahre alt sein. Die Bildung des obern Theiles seines Gesichts war vollkommen intellectuel – die Stirn hoch, breit und gerade, die Augen hell, durchdringend und gedankenvoll – der untere Theil dagegen aber unleugbar sinnlich. Die vollen dicken Lippen bildeten einen unangenehmen Kontrast mit der zartgeformten geraden griechischen Nase, während das fleischige Kinn und die vollen genußsüchtigen Wangen gänzlich mit dem Charakter der bleichen edeln Stirn und dem Ausdrucke der scharfen, verständigen Augen im Widerspruch standen. Seine Statur war kaum von Mittelgröße, aber jeder Theil seines Körpers war so vollkommen verhältnißmäßig, daß er in jeder Stellung größer zu sein schien, als er wirklich war. Der wegen der Hitze geöffnete obere Theil seiner Kleidung ließ zum Theil die schöne, statuenartige Form des Halses und der Brust erkennen. Seine Ohren, Hände rund Füße waren von der Kleinheit und Zartheit, die, wie man annimmt, eine aristokratische Geburt verkündet, und in seinem Wesen die unbeschreibliche Verbindung von einfacher Würde und unaffektirter Eleganz, die in allen Zeiten und Ländern und bei allen Veränderungen, der Sitten und Gebrauche das Benehmen der wenigen begünstigten Besitzer derselben zum augenblicklichen Dolmetscher ihres socialen Ranges gemacht hat.

Während der Patrizier noch mit seinem Pergarmente beschäftigt war, fand zwischen zwei in seiner Nähe befindlichen Damen folgendes flüsternde Gespräch statt.

»Sage mir, Camilla,« sprach die Aelteste und Stattlichste von den Beiden, »wer ist der so mit dem Dichten beschäftigte Höfling? Ich habe, wer weiß, wie viele Male versucht, seinen Blicken zu begegnen, aber der Mann sieht auf nichts als seine Pergamentrolle oder die Ecken des Zimmers.«

»Wie, bist Du in Italien so fremd, daß Du ihn nicht kennst?« antwortete Jene, ein munteres Mädchen von kleiner, zarter Gestalt, welches sich mit der ausdauerndsten Unruhe auf seinem Lager umher bewegte und außer Stande zu sein schien, irgend einem von den Gegenständen um sie hier auch nur einen Augenblick unverwandter Aufmerksamkeit zu schenken. Bei allen heiligen Märtyrern und Reliquien meines Onkels, des Bischofs!

»Pst! Du darfst nicht schwören.«

»Nicht schwören? – ei, ich bin mit einer neuen Sammlung von Schwüren, ausschließlich zum Gebrauch für Damen beschäftigt. Ich gedenke, sie dadurch in die Mode zu bringen, daß ich sie selbst schwöre.«

»Aber beantworte doch meine Frage, ich bitte Dich darum! Kannst Du denn nie lernen, auf einmal nur von einem Gegenstande zu sprechen?«

»Deine Frage – ach Deine Frage! – war es nicht etwas über die Todten?«

»Nein nein; sie betraf den Mann, der dort so unablässig schreibt und keinen Menschen ansieht. Er macht mich fast eben so böse, wie Camilla selbst.«

»Runzle nicht so die Stirn! Der Mann, wie Du ihn nennst, ist der Senator Vetranio.«

Die Dame schrak zusammen; augenscheinlich hatte Vetranio einen weit verbreiteten Ruf.

»Ja,« fuhr die muntere Camilla fort, »das ist der talentvolle Vetranio, aber er wird bei Dir nicht in Gunst kommen, denn er schwört zuweilen – und da zu noch bei den alten Göttern, trotzdem daß es verboten ist.«

»Er ist hübsch.«

»-Hübsch! – er ist schön! Es giebt in Italien kein Frauenzimmer, das nicht nach ihm schmachten! Ich habe gehört, daß er klug sei.«

»Wer hätte das nicht? Er ist der Erfinder einiger von den berühmtesten Saucen unserer Zeit. Die Köche aller Nationen verehren ihn wie ein Orakel. Und dann schreibt er Gedichte und componirt Musikstücke und malt Bilder. Und was die Philosophie anlangt, so spricht er darüber besser als mein Oheim, der Bischof.«

»Ist er reich?«

»O, mein Onkel der Bischof! – ich muß Dir doch erzählen, wie ich Vetranio beigestanden habe, eine Satyre auf ihn zu machen. Als ich bei ihm in Rom war, pflegte ich häufig ein verschleiertes Frauenzimmer durch den Garten nach seinem Studierzimmer führen zu sehen. Um ihn also in Verlegenheit zu sehen, fragte ich ihn, wer es sei, und er runzelte die Stirn und stotterte und sagte Anfangs, ich sei unehrerbietig, aber nachher erzählte er mir, daß sie eine Arianerin wäre, an deren Bekehrung er arbeite. Ich dachte daher, daß es hübsch sein müsse, zu sehen, wie diese Bekehrung vor sich ging, und versteckte mich hinter einen Bücherschrank, aber es ist ein tiefes Geheimniß und ich theile Dir es nur im Vertrauen mit.«

»Ich sehne mich nicht danach, es zu wissen; erzähle mir lieber etwas von Vetranio.«

»Wie boshaft Du bist! O, ich werde nie vergessen, wie wir lachten, als ich Vetranio das; was ich gesehen, erzählte. Er nahm sein Schreibzeug und machte augenblicklich die Satyre. Am folgenden Tage hörte sie ganz Rom. Mein Oheim konnte vor Grimm kein Wort sprechen! Ich glaube, daß er mich in Verdacht hatte, aber er gab es auf, die arianische Dame zu bekehren und —«

»Ich frage Dich nochmals, ist Vetranio reich?«

»Halb Sicilien gehört ihm. Er hat ungeheure Güter in Afrika, Olivenfelder in Syrien und Kornfelder in Gallien. Ich war bei einem Feste zugegen, welches er einst auf seiner Villa in Sicilien gab. Er rüstete eines von seinen Schiffen naeh den Beschreibungen aus, welche man von Cleopatra Galeere besitzt und ließ seine Sklaven als dienende Tritonen hinter uns herspringen. O es war prächtig!«

»Ich möchte ihn doch kennen.«

»Du solltest nur seine Katzen sehen! Er hat in seiner Villa eine wahre Legion von ihnen. Zwölf Sklaven haben nur die Pflicht, ihnen aufzuwarten. Er ist katzentoll und behauptet, daß die alten Aegypter recht gehabt hätten, sie anzubeten. Er erzählte mir gestern, daß er seine größte Katze, wenn sie stürbe, den Christen zum Trotz heilig sprechen will. Und dann ist er so gütig gegen seine Sklaven. Sie werden nie gegeißelt oder bestraft, außer wenn sie sich nachlässig halten oder entstellen, denn Vetranio duldet nichts Häßliches oder Schmutziges in seiner Nähe. Du mußt seinen Speisesaal in Rom sehen. Er ist die Vollkommenheit selbst.«

»Aber warum ist er hier?«

»Er ist mit einem geheimen Auftrage von den Senate nach Ravenna gekommen und hat eine seltene Zucht von Hühnern für unsern Dummen —«

»Pst, man könnte Dich hören.«

»Nun für unsern klugen Kaiser mitgebracht. O! der Palast ist so lustig gewesen, seit er sich hier befindet.«

In diesem Augenblick wurde obiges Gespräch, vor dessen Frivolität die universell gebildeten Leser unserer Zeit, wie wir fürchten, mit Verachtung zurückschrecken werden, von einer Bewegung des Helden desselben unterbrochen, welche bewies, daß seine Beschäftigung beendigt war.

Vetranio rollte mit der absichtlichen Langsamkeit eines Mannes, welcher es verschmäht, sich durch irgend eine Angelegenheit auf Erden aus seinem gewöhnlichen Gange bringen zu lassen, das jetzt vollgeschriebene Pergament zusammen, steckte es in seine Brust und gab einem Sklaven, der mit einem Obstteller an ihm vorüberging, ein Zeichen.

Der Sklave begab sich nach Empfang seines Auftrages an die Thür des Gemaches, winkte einem vor demselben stehenden Manne und forderte ihn auf, sich an Vetranio’s Ruhebett zu begeben.

Dieses Individuum eilte augenblicklich durch den Saal nach dem Fenster hin, wo ihn der elegante Römer erwartete. Es bedarf nicht der mindesten Beschreibung von ihm, denn er gehörte zu einer Klasse, mit welcher die neuesten Zeiten eben so bekannt sind, wie die ältesten – einer Klasse, die alle Veränderungen der Nationen und Sitten überlebt hat – einer Klasse, die mit dem ersten Reichen auf die Welt gekommen ist und erst mit dem letzten aussterben wird – mit einem Worte, es war ein Schmarozer.

Er besaß jedoch einen großen Vorzug im Verhältniß zu seinen modernen Nachfolgern. Zu seiner Zeit war die Schmeichelei ein Geschäft – in der unsern ist sie zu einer Beschäftigung herabgesunken.

»Ich werde heute Abend Ravenna verlassen,« sagte Vetranio.

Der Schmarozer machte drei tiefe Verbeugungen und lächelte entzückt.

»Du wirst bestellen, daß mein Reisewagen eine Stunde vor Sonnenuntergang an dem Palastthore hält.«

Der Schmarozer erklärte, daß er die Ehre des Auftrags nie vergessen werde,und verließ den Saal.

Die muntere Camilla, welche Vetranio’s Befehl gehört hatte, sprang von ihrem Ruhebette auf, sobald der Schmarozer den Rücken gewendet, lief zu dem Senator hin und begann ihm Vorwürfe über den so eben ausgesprochenen Entschluß zu machen.

»Machst Du Dir kein Gewissen daraus, mich in diesem langweiligen, abscheulichen Palaste zu lassen, um Deine mäßige Laune, nach Rom zugehen, zu befriedigen?« sagte sie schmollend und mit einer Locke des dunkelbraunen Haares spielend, welche sich über Vetranio’s Stirn kräuselt.«

»Besitzt der Senator Vetranio so geringe Zuneigung für seine Freunde, daß er sie den Gothen zur beliebigen Verfügung zurückläßt?« fragte eine andere Dame, die lächelnd zu Camilla trat.

»Ach, die Gothen!« rief Vetranio zu der, welche zuletzt gesprochen hatte, gewendet. »Sage mir, Julia, heißt es nicht, daß die Barbaren wirklich nach Italien marschiren?«

»Alle Welt hat davon gehört. Der Kaiser ist über das Gerücht so fassungslos, daß er verboten hat, vor ihm selbst den Namen der Gothen wieder zu erwähnen.«

»Ich meinestheils,« fuhr Vetranio fort, indem er Camilla zu sich zog und scherzhaft ihre kleine Grübchenhand tätschelte; »ich befinde mich in eifriger Erwartung der Gothen, denn ich habe eine Minervenstatue im Sinne, für die ich kein besseres Modell finden kann, als ein Weib jener Nation von Störenfrieden. Ich habe ans guter Quelle erfahren, daß ihr Gliederbau kolossal und ihr Anstandsgefühl unter der Disciplin des Geldbeutels höchst gehorsam und lenkbar sei.«

»Wenn die Gothen Dir ein Modell für irgend etwas liefern,« sagte ein Höfling, welcher sich, während Vetranio sprach, der Gruppe angeschlossen hatte, »so wird es eine Vorstellung von dem Brande Deines Palastes sein, die aus dem unerschöpflichen Quell Deiner Wunden in Blut malen kannst.«

Das Individuum, welches die letzte Bemerkung aussprach, zeichnete sich unter dem glänzenden Kreise durch seine ausnehmende Höflichkeit aus. Von seinen persönlichen Nachtheilen und denn Verlust seines ganzen Vermögens am Spieltisch dazu angetrieben, hatte er in der letzten Zeit eine Rolle zu spielen begonnen, deren Eigenthümlichkeiten ihn durch ihre unangenehme Originalität in jenem frivolen Zeitalter vor Vergessenheit oder Verachtung bewahrten; er war ein cynischer Philosoph.

Seine Bemerkung brachte auf seine Zuhörer jedoch keine weitere Wirkung hervor, als daß deren Heiterkeit erregte. Vetranio lachte, Camilla lachte, Julia lachte. Die Idee, daß eine Bande von Barbaren je im Stande sein könne, einen römischen Palast zu verbrennen, war zu ungeheuer lächerlich für den ungeheuern Ernst Aller und als die Worte in andern Theilen des Saales wiederholt wurden, lachte, trotz seiner Langeweile und Mattigkeit, per ganze Hof.

»Ich weiß nicht, weshalb ich mich über den Unsinn« dieses Menschen belustige,« sagte Camilla beim Ausbruch eines höchst anziehenden Lächelns plötzlich ernsthaft werdend, »während ich beim Gedanken an Vetranio’s Abwesenheit- so betrübt bin. Was wird aus mir werden, wenn er fort ist. Ach, wer wird noch im Pa1aste Gedichte über meine Schönheit und Lieder für meine Laute schreiben? wer wird mich als Venus malen und mir Geschichten über die alten Aegypter und ihre Katzen erzählen? wer wird mir beim Festmahle Anweisungen geben, welche Gerichte ich wählen und welche ich verwerfen soll? Wer« – und die arme kleine Camilla hielt plötzlich in ihrer Aufzählung der Freuden, die sie verlieren würde, inne und schien auf dem Punkte zu stehen, eben so kläglich zu weinen, wie sie, kaum einen Augenblick vorher, entzückt gelacht hatte.

Vetranio war gerührt – nicht über das Compliment, welches seinen intellectuellen Fähigkeiten gemacht wurde, sondern durch das Geständnis? seiner Feinzüngler-Vorzüge als Führer beim Festmahl, welches in dem letzten Theile der Vorstellungen Camilla’s enthalten war.

Dem weiblichen Geschlechte fehlte es damals, wie noch jetzt, an gastronomischem Enthusiasmus. Es war daher ein vollkommener Triumph für ihn, die jüngste und schönste von den Hofdamen zu der Wissenschaft bekehrt zu haben.

»Wenn sie Urlaub erhalten kann,« antwortete der geschmeichelte Senator, »so soll mich Camilla nach Rom begleiten, und dort bei der ersten Feier meiner neuesten Entdeckung einer Nachtigallensauce zugegen sein.«

Camilla war entzückt. Sie faßte Vetranio’s Wangen mit ihren rosigen kleinen Fingern, küßte ihn mit dem Enthusiasmus eines Kindes, über ein neues Spielzeug und schoß munter davon, um sich zur Abreise vorzubereiten.

»Vetranio würde besser thun,« höhnte der Cyniker, »wenn er sich mit der Erfindung neuer Salben für künftige Wunden, statt mit den neuen Saucen für künftige Nachtigallen beschäftige. Sein Leichnam wird von gothischen Schwertern zum Mahle für die Würmer zerlegt werden, ehe seine Vögel an römischen Bratspießen stecken, um ein Mahl für seine Gäste abzugeben. Ist dies eine Zeit, um Bildsäulen auszuhauen und Saucen zu brauen? Pfui über die Senatoren, die sich solchen Beschäftigungen hingeben, wie Vetranio.«

»Ich habe andere Pläne,« antwortete der Gegenstand dieser moralischen Entrüstung, indem er mit beleidigender Gleichgültigkeit in das abstoßende Gesicht des Cynikers blickte, »und sie müssen wegen ihrer unermeßlichen Wichtigkeit für die Welt allgemeinen Beifall finden. Die so eben von mir beendigte Arbeit bildet das erste einer Reihe von drei Projekten, die ich seit einiger Zeit schon im Auge habe. Das erste ist eine Analyse der neuen Priesterschaft, das zweite eine treffende Vorstellung der Venus sowohl durch die Malerei, wie durch die Skulptur, das dritte eine Erfindung eines bisher unentdeckten Gegenstandes, einer Nachtigallensauce. Die unerforschliche Weisheit des Schicksals hat es gewollt, daß der letzte von den Gegenständen, die ich mir vorgenommen habe, zuerst in’s Werk gesetzt worden ist. Die Sauce ist erfunden, und ich habe so eben auf diesem Pergament die Ode beendigt, welche sie auf meinem Tische einführen wird.

Meine nächste Arbeit wird die Analyse sein. Sie wird die Form einer Abhandlung annehmen, in welcher ich die Erfahrung früherer Jahre zur Basis der Prophezeihung für die Zukunft nehmen und die genaue Anzahl von weiteren Zwistigkeiten, Controversen und Zänkereien angeben werde, welche erforderlich ist, um die neue Priesterschaft in den Stand zu sehen, ihren eignen Gottesdienst zu vernichten. Ich werde durch eine genaue Berechnung das Jahr ermitteln, in welchem dieser Untergang vor sich geht, und habe als Material für mein Werk eine historische Uebersicht der christlichen Schismen und Zwistigkeiten in Rom seit den letzten hundert Jahren bei mir. Was meinen zweiten Plan, die Personification der Venus betrifft, so ist er von abschreckender Schwierigkeit. Er erfordert eine Untersuchung der Frauen jeder Nation des Erdkreises, eine Vergleichung der relativen Vorzüge und Eigenthümlichkeiten ihrer Reize, und eine Vereinigung alles Liebenswürdigsten in der unendlichen Verschiedenartigkeit ihrer hervorragendsten Schönheiten in einer Form. Um die Ausführung dieses mühevollen Planes zu befördern, haben meine Pächter in der Heimath und meine Sklavenhändler im Auslande den Befehl erhalten, alle im Kaiserreiche geborene oder aus den Völkerschaften um dasselbe her geholten schönsten Frauen nach meiner Villa in Sicilien zu senden. Zur geeigneten Periode werde ich meine Untersuchungen, ohne mich von Schwierigkeiten schrecken zu lassen und zum Erfolge entschlossen, beginnen. Die echte Venus ist noch nicht verkörpvert worden. Wie köstlich wird mein Triumph sein, wenn ich diese Aufgabe ausführe. Mein Werk wird der Altar sein, auf welchem Tausende die sanftesten Empfindungen ihrer Herzen darbringen. Es wird die eingekerkerte Einbildungskraft der Jugend erfreuen und die verbleichenden Erinnerungen des Altars wieder auffrischen.«

Vetranio schwieg. Der Cyniker hatte vor Entrüstung die Sprache verloren. Ein einzelner Eiferer für die Kirche, welcher sich zufällig in der Nähe befand, runzelte, über die Analyse, die Stirn. Die Damen kicherten über die Versinnlichung, die Feinschmecker freuten sich auf die Nachtigallensauce, aber in den ersten Minuten sprach Niemand. Während dieser vorübergehenden Verlegenheit flüsterte Vetranio einige Worte in Juliens Ohr, und verließ, als sich der Cyniker eben hinlänglich gefaßt hatte, um ihm eine Erwiderung zu geben, von der Dame begleitet, das Zimmer.

p>Der Geschichtsforscher wird bemerken, daß es in den meisten älteren wie neuern Perioden der Welt eine gewisse Klasse von Menschen gegeben hat, bei deren Erschaffung es ein Hauptzweck gewesen zu sein scheint, der Nachwelt das auffallendste und vollkommenste Beispiel von dem Einflusse des Zeitalters auf das Individuum zu gewähren. Zu einer solchen Klasse gehörte der Senator Vetranio. Unter der dünnen Decke der absichtlich kleinlichen, mühsam an den Tag gelegten Entartung lag ein mächtiger, tiefer Verstand verborgen, dessen rechtmäßigen Wünschen in jenen entarteten Zeiten nicht entsprochen und die daher durch die Entbehrung vernichtet oder zum Gefallen an der intellectuellen Verkappung der Zeit irre geleitet wurden. Mehr denkend als thätigkeitsliebend, mehr nachahmend als schöpferisch, für den Widerstand zu nachgiebig und für die Einsamkeit zu gesellig, war seine Seele keine von denjenigen, welche ihre Bedürfnisse aus sich befriedigen können, die von der äußern Welt weder Begeisterung noch Sympathie verlangen und die sich ihrer erhabenen Einsamkeit in der von ihrem eignen unfruchtbaren Begehren ererbten oder durch ihre eignen unwillkommenen Thaten erzeugten Wüste freuen.

Gleich einem Binnensee, lag sein Geist in sich selbst ruhig unter den äußern Einflüssen da, die allein ihn zur That antreiben oder zur Großartigkeit anspornen konnten. Aber der Sturm gewaltiger Thaten oder großer Beispiele trieb ihn zu jener erbärmlichen Zeit nie an, seine verborgenen Schätze an das Tageslicht herauf zu werfen, regte ihn nie bis in seine innersten Tiefen auf. Auch, über seine träge Oberfläche spielte nur das Lüftchen der Ueppigkeit hin, auf ihr erhob sich nur das winzige Wellchen kleiner Fertigkeiten und so fand dieser von dem entarteten Einfluß seines Alters intellectuell verkrüppelte Mann, der zu andern Zeiten vielleicht die Geschicke eines Reiches gelenkt haben würde, in der seinen keine glänzendere Auszeichnung, als die Herrschaft über Spaßmacher und keinen edleren Ehrgeiz, als die erste Stelle unter Köchen.

Es hat wohl nie eine allgemeinere Beliebtheit gegeben als die Vetranio’s war. Mit einem Charakter begabt, der sich durch seine Schmiegsamkeit in alle Lagen schickte, entwaffnete seine Großmuth die Feinde, während seine Zuthunlichkeit sich Freunde erwarb. Freigebig ohne Prunk, glücklich ohne Stolz, leistete er Andern mit Anmuth Dienste und glänzte in Sicherheit. Man genoß seine Gastfreundschaft, denn man wußte, daß sie uneigennützig war, und bewunderte seine Talente, denn man fühlte, daß sie sich nicht vordrängten. Mitunter – wie in dem Gespräche mit dem Cyniker – entlockte ihm die Laune des Augenblicks, oder der Stachel eines Sarkasmus, eine Anspielung auf seinen Stand oder eine Entwickelung seiner Excentricitäten, da er aber stets der Erste war, welcher bald daraus das Gelächter über seine Hitze anregte, litt sein Ansehen als Edelmann nicht unter seiner Schwäche als Mensch. Er bewegte sich heiter und anziehend in allen Kreisen der Gesellschaft seiner Zeit und erwarb sich seine socialen Lorbeeren unter allen Klassen, ohne einen Nebenbuhler zu erwecken, der ihr Gesetz bestritten, oder sich einen Feind zu machen, der ihren Werth herabgesetzt hätte.

Und doch war die bezaubernde Herablassung, die verschwenderische Freigebigkeit, welche ihm diese beneidenswerthe Stellung in der Welt erwarb, bei einem Charakter wie der seine eher eine Notwendigkeit, wie eine Tugend. Er war gütig gegen seine Untergebenen, mehr weil er die Berührung mit den Leiden und die Befleckung mit der Unzufriedenheit haßte, als weil er geliebt zu werden wünschte, oder an der Wohlthätigkeit Freude gefunden hätte. Er war seiner Klasse ergeben, weil Streitigkeiten seiner Gemüthsart widerstanden und Eifersüchteleien die üppige Heiterkeit trübten, welche die Gewohnheit seinen Gefühlen zu einer zweiten Natur gemacht hatte. Durch seine Stellung mächtig und von unerschöpflichem Vermögen, strengte er sich aufs Höchste an, sich die Befreiung von Sorgen und Aengsten, welche die meisten Menschen als einen frommen Wunsch erhoffen, systematisch zu erlangen. Bei Andern würde sich eine so ausgedehnte Selbstsucht beständig verrathen haben, bei ihm aber nahm sie durch Reichthum geweiht und durch Scharfsinn verschleiert, die Form der Philosophie an, und der Senator wurde da als eleganter Epikuräer citirt, wo der Plebejer als herzloser Egoist gebrandmarkt worden sein würde.

Nach dem Verlassen des Wartesaals stiegen Vetranio und Julia die Palasttreppe hinab und gingen in den Garten des Kaisers. Dieser gewöhnlich als Abendspaziergang benutzte Platz war jetzt menschenleer und nur die wenigen mit der Pflege der Blumenbeete und dem Begießen der glatten schattigen Rasenplätze beschäftigten Bediensteten darin vorhanden. Sie traten in eine von den abgelegensten von den zahlreichen Lauben unter den Bäumen, wo Vetranio seine Gefährtin auf einem Sitze Platz zunehmen winkte und sie dann ohne weitere Einleitung in folgenden Worten anredete:

»Ich habe gehört, daß Du im Begriffe ´seist nach Rom abzureisen – ist es wahr?«

Er stellte ihr diese Frage mit leiser Stimme und einem Wesen, dessen Ernst in seltsamem Widerspruche mit der flüchtigen Munterkeit war, welche ihn vor wenigen Augenblicken noch unter den Edeln des Hofes charakterisirt hatte. Als ihm Julia bejahend antwortete, drückte sein Gesicht die lebhafteste Freude aus; er setzte sich an ihre Seite und sprach weiter:

»Wenn ich glaubte, daß Du längere Zeit in der Stadt zu verweilen gedächtest, so würde ich es wagen, Deine Freundschaft von Neuem auf die Probe zu stellen, indem ich Dich bäte, mir Deine kleine Villa bei Aricia zu leihen!«

»Du kannst einen Befehl an meinen Verwalter, Dir Alles, was dort ist, zur unumschränkten Verfügung zu stellen, mit nach Rom nehmen.«

»Meine großmüthige Julia. Du gehörst zu den wenigen Begabten die wirklich eine Gefälligkeit zu erweisen wissen. Eine Andere würde mich gefragt haben, wozu ich die Villa brauchte. Du gibst sie rückhaltslos. Eine so zarte Abneigung, in ein Geheimniß zu dringen, erinnert mich daran, daß dies Geheimniß jetzt auch das Deine sein muß.«

Um die ruhige Vertraulichkeit zu erklären, welche zwischen Vetranio und Julia bestand, ist es nöthig; dem Leser mitzutheilen, daß die Dame, wenn auch noch von anziehendem Aeußern, doch in dem Alter stand, wo sie eher über ihre vergangenen Eroberungen nachdenken, als auf künftige sinnen durfte. Sie hatte ihren extentrischen Gefährten seit seiner Knabenzeit gekannt, war einst von seinen Versen geschmeichelt worden und jetzt, wo ihre Reize verblichen, verständig genug, eben so zufrieden mit der Freundschaft des Senators zu sein, wie sie einst von der Anbetung des Jünglings entzückt gewesen war.

»Du bist zu scharfsichtig,« fuhr Vetranio nach einer kurzen Pause fort, »um nicht bereits vermuthet zu haben, daß ich Deine Villa nur dazu brauche, mich im Verbergen einer Intrigue zu unterstützen. Mein Abenteuer ist in seinen verschiedenen Einzelnheiten so eigenthümlich, daß ich mich, wenn ich meinen Palast zum Schauplatze ihrer Entwickelung machte, einer Entdeckung aussetzen würde, welche den sofortigen Umsturz aller meiner Pläne zur Folge haben könnte. Aber ich fürchte, daß, die Lange meines Geständnisses die Dauer Deiner Geduld übersteigen wird.«

»Du haft meine Neugier erregt. Ich könnte Dir ewig zuhören.«

»Kurz vor meiner Abreise von Rom nach Ravenna,« fuhr Vetranio fort, »begegnete mir ein Abenteuer der ungewöhnlichsten Art, welches meinen Geist mit der außerordentlichsten Hartnäckigkeit in Banden hält und wie ich überzeugt bin, die ungewöhnlichsten Folgen haben wird. Ich saß eines Abends im Garten meines Palastes auf dem Monte Pincio und versuchte eine neue Composition auf meiner Laute. In einer Pause der Melodie, welche sanft und klagend war, hörte ich Töne unter den Bäumen hinter mir, die dem Schluchzen eines Bekümmerten glichen. Ich blickte mich vorsichtig um und bemerkte halb im Laube verborgen, die Gestalt eines jungen Mädchens, welches mit der entzücktesten Aufmerksamkeit der Musik zu lauschen schien. Von einem solchen Zeugnisse meiner Geschicklichkeit geschmeichelt und von dem Verlangen getrieben, meine geheimnißvolle Besucherin näher zu betrachten, schritt ich auf ihren Versteck zu, vergaß aber in meiner Eile im Lautenspiele fortzufahren. In dem Augenblicke, wo die Musik aufhörte, entdeckte sie mich und verschwand. Entschlossen sie zu sehen, schlug ich die Saiten von Neuem an und wenige Minuten darauf sah ich auch ihr weißes Gewand wieder unter den Bäumen. Ich verdoppelte meine Anstrengungem ich spielte mit dem größten Ausdrucke die rührendsten Theile der Melodie. Wie unter dem Einflusse eines Zaubers begann sie auf mich zuzukommem bald zaudernd, bald um ein paar Schritte zurückgehend bald sich halb widerstrebend, halb willig nähernd, bis sie endlich durch den langen bebenden Schluß der letzten Cadanze gänzlich besiegt, plötzlich zu mir heranlief, zu meinen Füßen niedersank und die Hände erhob, wie um meine Verzeihung zu erstehen.

»Ich habe nie etwas Bezaubernderes gesehen, wie sie in dieser Stellung. Ihre großen weichen von Thränen schimmernden Augen blickten wehmüthig zu meinem Gesichte auf, ihre zarten Lippen bebten, als ob sie zu sprechen wünsche, aber es nicht wage. Ihre glatten, runden Arme waren von der vollkommensten Schönheit. Obgleich sie an Jahren und Empfindungen noch ein Kind zu sein schien, glich sie an Schönheit und Gestalt doch schon einem Weibe. Ich war für den Augenblick durch das Plötzliche ihrer bittenden Bewegung zu erstaunt, um mich zu bewegen oder zu sprechen. Sobald ich meine Fassung wieder erlangt hatte, versuchte ich sie zu streicheln und zu beschwichtigen, aber sie wich vor meiner Umarmung zurück und schien mir wieder entfliehen zu wollen bis ich von Neuem die Saiten der Laute berührte, und dann stieß sie einen leisen Ruf des Entzückens aus, schmiegte sich dicht an mich und blickte mit einem so seltsamen Gemisch von Anbetung und Entzücken in mein Gesicht, daß ich Dir bekennen muß, Julia, daß ich vor, ihr so schüchtern wie ein Knabe war.

»Die Laute- war mein einziges Mittel in Verkehr mit ihr zu treten. Wenn ich zu spielen aufhörte, so waren wir einander fremd, wenn ich wieder anfing, so waren wir Freunde. Ich milderte daher die Töne des Instruments, während sie mit leiser bebender, wohlklingender Stimme zu mir sprach, fuhr aber zu spielen fort.

»Auf diese Weise entdeckte ich bei unserm ersten Zusammentreffen, daß sie die Tochter eines gewissen Numerian war, auf dem Punkte stand, ihr vierzehntes Jahr zu vollenden und Antonina hieß. Es war mir erst gelungen, Umrisse ihrer Geschichte zu erlangen, als sie sich wie, von einer plötzlichen Befürchtung ergriffen, mit einem Blicke des äußersten Schreckens von mir loßriß, mich anflehte, ihr nicht zu folgen, wenn ich sie je wieder zu sehen wünsche und schnell unter den Bäumen verschwand.

»Am folgenden Abend, besuchte ich den Gartenhain wieder und sobald ich die Saiten angeschlagen hatte, näherte sie sich mir auch wie von einem Zauber angelockt. Bei diesem zweiten Besuche erfuhr ich den Grund ihres geheimnißvollen Erscheinens und Scheidens. Ihr Vater gehörte, wie sie mir sagte, zu einer neuen Sekte, die sich aus welchem Grunde, vermag man nicht zu begreifen – einbildet, daß sie sich ihrer Gottheit dadurch empfiehlt, wenn sie ihr Leben zu einer ewigen Runde von Körperleiden und Geistesqual macht. – Der Tyrann begnügte sich nicht damit, alle seine eignen Gefühle und Fähigkeiten zu entstellen, sondern übte, auch an dem armen Kinde seine unvernünftige Strenge.

»Er verbot seiner Tochter in ein Theater zu treten, eine Bildhauerarbeit anzusehen, Gedichte zu lesen, Musik anzuhören. Er ließe sie lange Gebete auswendig lernen und endlosen Predigten beiwohnen. Er gestattete ihr keine Gespielen von ihrem Alter nicht einmal Mädchen wie sie selbst. Die einzige Zerstreuung, welche sie erlangen konnte, war die mit dem größten Widerwillen und Tadel gewährte Erlaubniß, einen kleinen Garten anzubauen, der zu dem Hause, in welchem sie wohnten, gehörte und an einem Punkte an die Haine um meinen Palast grenzte. Während sie dort mit der Pflege ihrer Blumen beschäftigt war, hatte sie zuerst die Klänge meiner Laute gehört. Mehrere Monate, ehe ich sie entdeckte, war sie schon gewohnt gewesen, die ihren Garten umgrenzenden Mauern zu erklimmen und sich unter den Bäumen zu verbergen, um der Musik zu lauschen, wenn ihr Vater durch seine Geschäfte auswärts gerufen wurde. Sie war dabei von einem alten Manne entdeckt worden, der den Auftrag hatte, sie in Abwesenheit seines Herrn zu bewachen. Der Diener hatte jedoch, als er ihr Geständnis hörte, nicht nur versprochen, ihr Geheimniß zu bewahren, sondern ihr auch gestattet, ihre Besuche in meinem Haine fortzusetzen, wenn ich dort auf der Laute spielte. Das Räthselhafteste an der Sache ist aber das, daß das Mädchen, trotz seiner Strenge gegen sie, große Neigung zu ihrem mürrischen Vater zu besitzen schien, denn wenn ich ihr anbot, sie aus seinen Banden zu befreien, so erklärte sie, daß sie nichts bewegen könne, ihn zu verlassen, nicht einmal das Vergnügen, unter schönen Gemälden zu leben und zu jeder Stunde des Tages schöne Musik zu hören. Ich sehe aber, daß ich Dich langweile und überdies zeigt mir die Länge der Schatten, daß es Zeit zu meiner Abreise ist. Ich will daher von meinen ersten Zusammenkünften mit Antonina zu den Folgen übergehen, welche dieselben gehabt hatten, als ich meine Reise nach Ravenna antrat.

»Du wirst Dir leicht vorstellen, Julia, daß die seltsame Lage dieses Mädchens und die Originalität ihrer Ideen sie für mich mit einer Anziehungskraft bekleideten, welche die Reize ihrer Person und Jugend ungemein erhöhten. Sie entzückte meine Dichterkräfte eben so sehr, wie sie meine Mannesgefühle entzündete und ich beschloß, sie durch Anwendung jedes Kunstgriffes, den mir mein Scharfsinn eingehen konnte, aus dem tyrannischen Schutze ihres Vaters zu locken. Ich begann ihr selbst das Talent, welches sie bei einem andern so angezogen hatte, ausüben zu lehren. Durch die Vertraulichkeit, welche eine solche Beschäftigung auf beiden Seiten erzeugte, hoffte ich in Bezug auf Neigung von ihr eben so viel zu erlangen, als sie von mir an Geschicklichkeit erwarb. Zu meinem Erstaunen fand ich sie jedoch gegen den Lehrer fortwährend eben so gleichgültig und für die Musik eben so geneigt, wie sie bei unserer ersten Zusammenkunft erschienen war. Wenn sie mein Entgegenkommen zurückgewiesen, wenn sie dasselbe in Verwirrung gesetzt hätte, so würde ich mich in ihre Launen haben finden und die Aufmunterung der Hoffnung fühlen können, aber die Kälte, die Gleichgültigkeit, die unnatürliche, unbegreifliche Ruhe, mit welcher sie selbst meine Liebkosungen annahm, brachten mich gänzlich aus der Fassung. Es schien, als ob sie mich nur als eine sich bewegende Statue, als eine bloße wesenlose Verkörperung der Wissenschaft betrachten könne. Wenn ich sprach, so blickte sie mich kaum an. Bewegte ich mich, so bemerkte sie es fast gar nicht. Ich konnte es nicht für Widerwillen halten. Sie schien zu sanft zu sein, um ein solches Gefühl gegen irgend ein Wesen auf Erden zu nähren. Ich konnte nicht glauben, daß es Kälte sei, denn sie war voll Leben und Aufregung, wenn sie nur ein paar Musiktöne hörte. Wenn sie die Saiten des Instruments berührte, so bebte ihr ganzer Körper. Ihre, wenn sie mich anblickte, milden, ernsten und gedankenvollen Augen strahlten bald von Entzücken, bald schimmerten sie in Thränen, wenn sie der Laute zuhörte. Mit jedem Tage, an welchem sich ihre musikalische Fertigkeit vermehrte, wurde auch ihr Wesen gegen mich unerklärlicher gleichgültig. Endlich machte ich ihr, der beständigen Täuschungen, die mir zu Theil wurden, müde, und entschlossen, durch. die Erweckung ihrer Dankbarkeit einen letzten Versuch anzustellen, um ihr Herz zu rühren, ein Geschenk mit der Laute, die sie zuerst gehört und auf welcher sie jetzt spielen gelernt hatte. Ich habe nie ein menschliches Wesen verklärter entzückt gesehen, wie dieses unbegreifliche Mädchen, als sie aus meinen Händen das Instrument empfing. Sie weinte und lachte abwechselnd darüber, sie küßte es, hätschelte es und sprach zu ihm, als ob es ein lebendes Wesen wäre. Als ich mich ihr aber näherte, um den Ausdrücken der Dankbarkeit fürs das Geschenk, mit welchen sie mich überhäuft ein Ende zu machen, versteckte sie die Laute plötzlich in ihrem Gewande, als fürchte sie, daß ich sie derselben berauben würde, und eilte mir schnell aus den Augen.

»Am folgenden Tage, wartete ich an unserm gewohnten Zusammenkunftsorte auf sie, aber sie zeigte sich nicht. Ich sendete einen verkleideten Sklaven in das Haus ihres Vaters, aber sie wollte in keinen Verkehr mit ihm treten. Offenbar hatte sie jetzt, wo ihr ihre Absicht gelungen war, kein Verlangen mehr, mich zu sehen. In meinen ersten zornigen Augenblicken beschloß ich, Ihr meine Macht fühlen zu lassen, wenn sie meine Güte verachtete, nach weiterer Ueberlegung überzeugte mich jedoch meine Kenntniß ihres Charakters, daß bei solchen Dingen Gewalt unpolitisch sei und daß ich meine Beliebtheit in Rom auf das Spiel setzen und mich zwecklos auf einen meiner unwürdigen Streit einlassen würde. Mit mir selbst unzufrieden und in dem Mädchen getäuscht, gehorchte ich den ersten Eingebungen meines Unmuths, ergriff die mir durch meine Pflichten im Senate gewährte Gelegenheit, dem Schauplatz meiner getäuschten Hoffnungen zu entfliehen, und reiste zornig nach Ravenna ab.

»Du lächelst, Julia; höre mich aber bis zu Ende an und Du wirst finden, daß ich mich noch nicht in die Niederlage gefügt habe.

»Während der wenigen hier zugebrachten Tage hat Antonina’s Bild meine Gedanken in beständige Unruhe versetzt. Ich bemerke, daß es sich bei der Beseitigung ihrer Undankbaren Abneigung sowohl um meine Liebe, wie um meinen Ruf handelt. Ich vermuthe, daß mein Eifer, sie zu erwerben, wenn er unbefriedigt bleibt, auf meinen Charakter solchen Einfluß üben wird, daß ich mich aus Vetranio den Heitern in Vetranio den Sardonischen verwandeln werde. Stolz, Ehre, Neugier und Liebe treiben mich gleichmäßig zu ihrer Eroberung an. Die Vorbereitung auf mein Banket ist für den Hof eine Entschuldigung meiner plötzlichen Abreise von diesem Orte, der wahre Zweck meiner Reise aber Antonina allein.

»Du wirst mich fragen, wie ich wieder eine Zusammenkunft mit ihr zu erlangen gedenke. Ich antworte, daß der Diener des Mädchens sich mir freiwillig zum Werkzeuge für die Ausführung meiner Pläne angeboten hat. Am Tage vor meiner Abreise von Rom erschien er plötzlich vor mir in meinem Garten und erbot sich, mir Zugang in Numerian’s Hause zu verschaffen, nachdem er, eher mit der Miene eines Gleichstehenden, wie eines Geringern, gefragt hatte, ob das Gerücht, daß ich noch ein geheimer Anhänger der alten Religion und Götterverehrung sei, begründet wäre. Ueber die Beweggründe des Burschen argwöhnisch – denn er wollte von keiner Belohnung für seine Verrätherei hören – und über die Undankbarkeit des Mädchens gereizt, wies ich sein Anerbieten mit Verachtung zurück. Jetzt, wo meine Unzufriedenheit beschwichtigt und meine Besorgniß erweckt ist, bin, ich jedoch auf jede Gefahr hin entschlossen, mich diesem Manne anzuvertrauen, was auch immer seine Beweggründe zu meinem Beistande sein mögen. Wenn meine Bemühungen um die erwartete Zusammenkunft – und ich werde sie emsig betreiben – mit Erfolg gekrönt werden, so wird es nöthig sein, für Antonina einen Zufluchtsort, den man weder beargwöhnen noch durchsuchen kann, zu erlangen. Es kann für einen solchen Versteck nichts Vortrefflicheres, Geeigneteres geben, als Deine Aricische Villa. Bereuest Du jetzt, wo Du weißt, zu welchem Zwecke sie bestimmt ist, Deine großmüthige Verfügung über dieselbe zur Unterstützung meines Planes?«

»Ich bin entzückt darüber, sie Dir überlassen zu können. Dein Abenteuer ist in der That ungewöhnlich. Ich glühe vor Ungeduld zu hören, wie es enden wird. Was auch geschehen mag, so kannst Du Dich doch stets auf meine Verschwiegenheit verlassen und auf meinen Beistand zählen. Aber sieh, die Sonne senkt sich bereits im Westen und dort kommt einer von Deinen Sklaven, ohne Zweifel, um Dich zu benachrichtigen, daß Dein Wagen bereit steht. Kehre mit mir nach dem Palaste zurück; ich werde Dir den nöthigen Brief geben, um Dich als Herrn auf meinem Landsitze einzuführen.«

—–

Die auf dem freien Platze vor dem Palaste versammelten guten Bürger von Ravenna, welche die Abreise des Senators mit ansehen wollten, hatten die unschuldigen Unterhaltungsmittel des Anstierens der Wachen, des Fangens der Mückenwolken, welche um ihre Ohren spielten, und des Zankens mit einander gänzlich erschöpft und waren jetzt in höchst lärmende einstimmige Ungeduld versunken, als ihre Unzufriedenheit plötzlich und auf das Wirksamste durch das Erscheinen des Reisewagens mit Vetranio und Camilla vor den Palastthore beschwichtigt wurde.

Beim Anblicke des Senators und seines prächtigen Gefolges erhob sich ein lärmendes Beifallsgeschrei, welches jedoch um das Hundertfache lauter wurde, als die ersten Sklaven auf Befehl ihres Herrn ein Paar Hände voll kleiner Münzen unter die ärmere Klasse der Zuschauer ausstreuten.

Alle Mitglieder dieser heterogenen Versammlung von Schelmen, Narren und Müßiggängern brüllten so laut, und sprangen, so hoch sie konnten, zu Ehren des freigebigen Patriziers. Langsam und vorsichtig bewegten sich die vornehmen Reisenden durch die sie umgebende Menge nach dem Stadtthore zu und von dort reiste Vetranio unter unablässigen, mit imposanter Einmüthigkeit der Lungen und in den ohrenzerschneidendsten Mißtönen ausbrechenden Beifallsgeschrei mit seiner muntern Gefährtin im Triumph nach Rom ab.

—–

Wenige Tage nach diesem Ereignisse waren die Bürger wieder auf demselben Platze und zur gleichen Stunde versammelt, wahrscheinlich, um wieder einen Patrizier abreisen zu sehen, als ihre Ohren von dem unerwarteten Tone des Rufes: »Zu den Waffen!« begrüßt wurden, auf welchen unmittelbar das Schließen der Stadtthore erfolgte. Sie hatten einander kaum um die Bedeutung dieser ungewöhnlichen Ereignisse gefragt, als ein entsetzensbleicher Bauer auf den Platz stürzte und die furchtbare Nachricht ausschrie, daß die Gothen in der Ferne sichtbar seien.

Die Höflinge hörten die Neuigkeit, sprangen von einem üppigen Mahle auf und eilten an die Palastfenster, um das wichtige Schauspiel zu betrachten. Den übrigen Theil des Abends hindurch blieben die gastlichen Tische von den Gästen verlassen.

Der erbärmliche Kaiser wurden von dieser gefürchteten Mittheilung bei seinen Hühnern überrascht. Auch er eilte an das Fenster, blickte hinaus und sah das Rächerheer verächtlich an seiner einsamen Festung vorüberziehen und schnell nach dem unvertheidigten Rom weiter rücken.

Noch lange, nachdem die Dunkelheit die Massen jener gewaltigen Armee seinen Augen entrückt hatten, stierte er hilflos und von Staunen. und Furcht gelähmt, auf die verbleichende Landschaft hinaus und zum ersten Male, seit er sie besaß, blieb an jenem Abende sein Hühnervolk von der Hand des Herrn ungewartet.

Antonia

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