Читать книгу Antonia - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 3
Erster Band
Zweites Buch
Kapitel I
Rom
ОглавлениеWir fürchten, daß erfahrene Leser, wenn sie den Titel dieses Kapitels erblicken, eher Besorgniß als Neugier empfinden werden. Sicherlich stellen sie sich vor, daß er lange Rhapsodieen über die Wunder des Alterthums verkündet, deren Beschreibung ihnen durch unablässige Wiederholung seit lange schon geradezu zum Abscheu geworden ist. Sie werden Klagen über den Palast der Cäsaren und Betrachtungen unter den Bögen des Colosseums durch eine lange Reihe von langweiligen Artikeln bis zum Ende des Kapitels voraussehen, und um ihrer Aufmerksamkeit eine Aufgabe, vor welcher sie zurückgeschreckt, zu ersparen, einmüthig an der gefürchteten Wüste conventioneller Reflexionen vorübereilen, um bei der ersten sich ihnen darbietenden Oase Halt zu machen; möge sie nun aus einer neuen Abtheilung der Geschichte bestehen oder plötzlich durch das Erscheinen eines Gesprächs verkündet werden.
Aus Rücksicht auf solche Befürchtungen beeilen wir uns daher, Ihnen zu versichern, daß die Lokalitäten unserer Geschichte nirgends an die Grenzen des abgenutzten Forums streifen oder die Bögen des erschöpften Colosseums besteigen werden. Ihre Aufmerksamkeit soll sich mit den Menschen, nicht aber mit den Gebäuden des alten Rom’s beschäftigen, Wir wünschen, Ihnen ein Gemälde der innersten Empfindungen jener Zeit, der lebenden, athmenden Handlungen und Leidenschaften des Volkes, in dem dem Untergang geweihten Reiche zu bieten. Topographische Alterthumsforscherei und klassische Architektur überlassen wir geschickteren Federn und anderen Lesern.
Es ist jedoch nöthig, den Kreis, in welchem sich die Personen unserer Geschichte bewegen werden, einigermaßen anzudeuten, um das Verständniß ihrer verschiedenen Bewegungen zu erleichtern. Der Theil der alten Stadt, welchen wir wieder zu beleben gedenken, hat in der neuen nur wenige Spuren seiner Existenz hinterlassen, seine Plätze werden nur von der Tradition angedeutet – seine Gebäude sind Staub. Da, wo einst der Tempel stand, erhebt sich jetzt die Kirche und der vorübergehende Müßiggänger wird jetzt von der Weinkneipe angelockt, wo sein Vorfahr von dem Bade eingeladen wurde.
Die Mauern von Rom sind dem Umfange nach heutzutage noch dieselben, wie zu der Zeit, von welcher wir jetzt schreiben. Hiermit hört aber auch alle Aehnlichkeit zwischen der alten und neuen Stadt auf. Die Häuser, welche diese Mauern einst kaum zu umfassen vermochten, sind schon längst verschwunden und ihre modernen Nachfolger nehmen nur ein Drittel des Raumes ein, welcher einst die Hauptstadt des Reiches ausfüllte.
Jenseits der Mauern streckten sich, in alten Zeiten ungeheure Vorstädte hin. Prächtige Villen, köstliche Haine, Tempel, Theater, Bäder – zwischen Colonien von der untern Volksklasse gehörenden Gebäuden verstreut – umgaben die gewaltige Stadt. Von diesen unzähligen Gebäuden ist jetzt kaum noch eine Spur vorhanden. Der Reisende erblickt, wenn er die Gegend, in welcher einst die berühmten Vorstädte standen, überschaut, hier und da nur eine verfallene Wasserleitung oder ein zerbröckelndes Grab auf der Oberfläche eines gifthauchenden Morastes.
Der gegenwärtige Zugang Rom#s durch die Porta del Popolo befindet sich aus derselben Stelle, wie das alte Flaminische Thor. Drei große Straßen führen gegenwärtig von demselben dem südlichen Ende der Stadt zu und bilden mit ihren Nebengassen den Haupttheil des modernen Rom. Aus der einen Seite sind sie von dem Monte Pincio, aus der andern vom Tiber begrenzt. Von diesen Straßen nehmen die dem Flusse zunächstliegenden die Stelle des berühmten Campus Martius ein, die auf der andern Seite die alten Zugänge zu den Gärten des Sallust und Lucullus auf dem Monte Pincio.
Auf der entgegengesetzten Seite des Tiber – nach welcher man über den Ponte San Angelo, früher Ponte Elius, gelangt – führen zwei durch eine unregelmäßige, volkreiche Gegend gehende Straßen nach der neuen St. Peterskirche.
Zur Zeit unserer Erzählung war dieser Theil der Stadt sowohl in Bezug auf Größe wie auf das Aeußere von höherer Bedeutung als jetzt, und führte direkt nach der alten Basilica zu St. Petrus, die sich auf derselben Stelle befand, wie jetzt das Gebäude aus neuerer Zeit.
Die von uns zu erzählenden Ereignisse tragen sich nur in dem eben beschriebenen Theile der Stadt zu.
Von dem Monte Pincio über den Campus Martius, und den Pons Elias bis zu der St. Petrus-Basilica, wird der Leser wohl oft eingeladen werden uns zu begleiten. Wir verschonen ihn aber mit der Notwendigkeit in allbekannte Ruinen zu dringen oder über den Gräbern geschiedener Vaterlandsfreunde zu trauern.
Ehe wir jedoch zu frühen Schauspielen zurückkehren oder zu neuen Rollen übergehen, wird es erforderlich sein, die Straßen, welche wir hier wieder aufzugraben versuchen, zu bevölkern. Durch dieses Verfahren hoffen wir, dem Leser die Vertrautheit mit den Sitten und Gebrauchen der Römer im fünften Jahrhundert zu verleihen, von welchen der Einfluß der Geschichte hauptsächlich abhängt, und welche wir durch eine philosophische Abhandlung über die Eigenthümlichkeiten jener Zeit einflößen zu können, verzweifeln. Einige erleuternde Seiten werden unserm Zwecke vielleicht besser entsprechen, als ganze Bände voll historischer Beschreibungen. Es giebt keine sichereren Zeichen für den Charakter eines Volkes als die Straßen seiner Städte.
Es ist beinahe Abend. Auf dem breitesten Theile des Campus Martius sind eine Menge von Menschen vor den Thoren eines Palastes versammelt. Sie haben sich eingestellt, um mehrere Körbe mit Lebensmitteln zu empfangen, die der Eigenthümer des Gebäudes mit prunksüchtiger Wohlthätigkeit austheilt. Der unaufhörliche Lärm und die Bewegung der ungeduldigen Menge bildet einen sonderbaren Kontrast mit der stolzen Ruhe der Natur- und Kunstgegenstände, die sie auf allen Seiten umschließen.
Der Raum, auf welchem sie sich befinden, ist von länglicher Form und bedeutender Größe. Ein Theil desselben besteht aus einem Rasenwege unter schattigen Bäumen, ein anderer aus den gepflasterten Zugängen des Palastes und der öffentlichen Bäder, welche in dessen unmittelbarer Nähe stehen. Diese beiden Gebäude zeichnen sich durch ihre prächtigen äußern Verzierungen mit Statuen und die Eleganz und Zahl der Treppen aus, über welche man in sie gelangt. Mit den niederen Gebäuden, Marktplätzen und Gärten, die zu ihnen gehören, sind sie umfänglich genug, um auf der einen Seite den Blick zu begrenzen. Das einförmige Aussehen, welches zu andern Zeiten die Ausdehnung und Regelmäßigkeit ihrer weißen Vorderseiten besitzen könnte, wird in diesem Augenblicke angenehm durch mehrere über ihre Thüren und Balkone gespannte, buntfarbige Sonnendecken unterbrochen. Die Sonne scheint jetzt mit Alles besiegendem Glanze auf sie, die Metallzierathen an ihren Fenstern strahlen wie feurige Edelsteine, selbst die Bäume, welche ihre Haine bilden, gehören zu der allgemeinen Lichtfluth und bieten gleich den sie umgebenden Gegenständen dem müden Auge weder Erquickung noch Ruhe.
Gegen Norden zieht das stolz in den tiefblauen Himmel hinaufragende Mausoleum des Augustus sofort unsere Aufmerksamkeit an. Seiner Lage zufolge liegt dieses edle Gebäude bereits theilweise im Schatten. Auf keinem Theile seiner mächtigen Galerien ist ein menschliches Wesen zu erblicken – es sieht einsam und erhaben als eindringliche Verkörperung der Gefühle, zu deren Ausdrucke es errichtet wurde, da.
Auf der dem Palast und den Bädern gegenüber liegenden Seite befindet sich der bereits erwähnte beraste Spaziergang. Dicht neben einander gepflanzte und mit Weinstöcken verschlungene Bäume warfen einen üppigen Schatten auf diese Stelle. In ihren Zwischenräumen zeigen sich aus der Ferne schon bunte Kleider, Gruppen von ausruhenden Gestalten, mit Obst und Blumen beladene Verkaufsstände und unzählige weiße Marmorstatuen von Rehen und Waldnymphen. Von diesem köstlichen Plätzchen aus hörte man das Rauschen von Springbrunnen, welches zuweilen von dem Säuseln der Blätter oder den klagenden Tönen der römischen Flöte unterbrochen wurde.
Im Süden stehen zwei heidnische Tempel in einsamer Größe unter einem Heere von Monumenten und Trophäen da. Obgleich die Gesetze jetzt den Gottesdienst, für welchen sie errichtet wurden, verbieten, so hat es doch die Hand der Reform noch nicht gewagt, sie dem Ruin zu weihen oder christlichen Zwecken anzupassen. Niemand betritt jetzt ihre einst menschengefüllten Säulengänge. Kein Priester erscheint, um an ihren Thoren die Orakel zu verkünden – keine Opfer dampfen auf ihren nackten Altären. Unter ihren, nur von dem durch ihre schmalen Eingänge dringenden Lichte besuchten, Dächern stehen unbemerkt, unangebetet, unbewegt die gewaltigen Götter des alten Rom’s. Das Gefühl der Menschen, welches sie einst allmächtig machte, betrachtet sie jetzt nur noch als Stein. Der Stern aus Osten hat bereits die furchtbare Glorie verdunkelt, welche die Religion des Blutvergießens einst um ihre Gestalten hüllte. Verlassen und allein stehen sie nur noch als düstere Denkmäler der größten Verblendung da, welche der Scharfsinn des Menschen je organisirt hat.
Wir haben jetzt so zu sagen den Rahmen um das bewegliche Gemälde gezeigt, welches wir nun dem Leser zu bieten versuchen. wollen, indem wir uns unter die Menge vor dem Palastthore mischen.
Diese Versammlung löste sich, in drei Abtheilungen auf: die vor den Palaststufen stehende, die um die öffentlichen Bäder schlendernde und die im Schatten der Bäume ruhende. Die erste war der Zahl nach die wichtigste und vom verschiedenartigsten Aussehen. Aus Schelmen der schlimmsten Art aus jedem Theile der Welt her bestehend, hatte man sagen können, daß sie in ihrem allgemeinen Anblick von, numerischer Wichtigkeit das höchste Bild der Entartung darstellte. Im Vertrauen auf ihre rohe Verbindung durch die gemeinschaftliche Habgier machten diese trefflichen Bürger ihrer Unverschämtheit über alle Gegenstände und nach allen Richtungen hin mit einer sorglosen Unpartheilichkeit welche die siegreichsten Bemühungen moderner Pöbelhaufen beschämt haben würde, Luft.
Das Stimmengewirr war wirklich furchtbar. Die rohen Verwünschungen trunksüchtiger Gallier,die unsittlichen Witzworte weibischer Griechen, die geräuschvolle Zufriedenheit eingeborener Römer, die lärmende Entrüstung reizbarer Juden, Alles dies bildete zusammen einen ununterbrochenen Chor mißtönender Laute. Der Gesichts- und Geruchssinn wurde durch diese aus so verschiedenen Theilen bestehende Versammlung nicht angenehmer berührt, als der des Gehörs. Schamlose Jugend und gottloses Alter, wüthende Weiber, feige Männer, mit stinkendem Oel eingeriebene schwärzliche Aethiopier, mit Schmuz überzogene stumpfe Britten, diese und hundert andere verschiedene Combinationen, die man sich leichter vorstellen als ausdrücken kann, stießen dem Beschauer nach jeder Richtrriig hin auf.
Wenn wir die Gerüche beschreiben wollten, welche die Hitze aus diesem gährenden Gemisch von Verderbtheit zog, so würden wir dadurch den Leser zwingen, das Buch zuzumachen. Wir ziehen es daher vor, zu der Austheilung zurückzukehren, welche diesen Auflauf verursacht hatte, und aus kleinen Körben mit gebratenem Fleisch, das mit gewöhnlichen Obst und Gemüsen zusammengepackt war, bestand, und von den Dienern des Edelmanns, welcher das Fest gab, dem Pöbel eingehändigt oder vielmehr unter denselben geworfen wurde. Die Leute labten sich an dem ihnen so gebotenen Ueberfluß. Sie warfen sich darauf wie wilde Thiere, sie verschlangen ihn wie Schweine oder trugen ihn davon wie Räuber, während die Lieferanten dieses öffentlichen Gastmahls, durch die Höhe, auf welcher sie sich befanden, gesichert, ihre Verachtung den lärmenden Empfängern durch Zuhalten der Nasen, Verstopfen der Ohren, Zukehren des Rückens und andere pantomimische Zeichen hochmüthigen und unermeßlichen Ekels ausdrückten.
Diese Bewegungen entgingen der Aufmerksamkeit der Mitglieder der Versammlung nicht, die sich voll gegessen und nun Muße hatten, sich ihrer Zungen zu bedienen, und die einen unaufhörlichen Sturm von Schmähungen auf die Köpfe der Dienerschaft ihres Wohlthäters herabregnen ließen.
»Seht die Kerle an,« schrie Einer, »sie sind die Aufwärter bei unserm Mahle und verspotten uns vor unsern Augen. Nieder mit den schmutzigen Küchenspitzbuben.«
»Vortrefflich gesprochen, Davus! Wer soll sich ihnen aber nähern? Sie stinken selbst bis zu uns her!«
»Die Schufte mit ihren verfaulten Leichnamen haben die Nasen von Hunden und die Leiber von Böcken.«
Dann schrie ein Chorus von Stimmen: »Nieder mit ihnen! nieder mit ihnen!«
Mitten unter demselben trat ein entrüsteter Freigelassener vor, um dem Pöbel Vorwürfe zu machen, empfing aber zur Belohnung für seine Tollkühnheit einen Regen von Steinen und andern Gegenständen und eine Salve von Flüchen, worauf ihn ein auf die Schultern seines Kameraden erhobener ungeheuren fettiger Fleischer folgendermaßen anredete:
»Bei der Seele meines Kaisers, wenn ich Dir näher kommen könnte, Du Schuft, so würde ich Dich mit meinen Fingern allein viertheilen. Du grinsender Hallunke, der Andere aushöhnt, Du kothiger Schmeichler, der den Boden, auf dem er geht, beschmutzt. Beim Blute der Märtyrer, wenn ich ihn mit den Abfällen des Schlachthauses bewürfe, so würde er nicht wissen, wo er sich trocknen lassen könnte.«
»Du Lump,« brüllte ein Nachbar des indignirten Fleischeres, »runzelst Du die Stirn gegen die Gäste Deines Herrn, deren Hautabschabsel mehr werth sind, als Dein ganzer Leichnam! Es ist leichter, ein Trinkgefäß aus dem Schädel eines Flohes zu machen, als aus einem schuftigen Nachtwandler wie Du, einen ehrlichen Mann.«
»Gesundheit und Glück für unsern edeln Bewirther!« schrie eine Abtheilung der dankbaren Menge, als der, welcher zuletzt gesprochen, inne hielt, um Athem zu schöpfen.
»Tod allen speichelleckerischen Schuften!« stimmte eine andere ein.
»Ehre den Bürgern von Rom!« brüllte eine dritte mit bescheidenem Enthusiasmus.
»Gebt dem Freigelassenen unsere Knochen zum Abknaupeln,« kreischte eine Range vom äußersten Saume der Menge her.
Dieser scharfsinnige Rath wurde augenblicklich befolgt und der Pöbel ließ ein Triumphgeschrei ertönen, als der unglückselige Freigelassene durch eine neue Salve von Wurfgeschossen vertrieben mit schmachvoller Eile den Rückzug in das Haus seines Patron eintrat.
Der Leser wird in dem kleinen, gereinigten Pröbchen von den Tischgesprächen des römischen Pöbels, welches wir hier mitzutheilen gewagt haben, das außerordentliche Gemisch von Knechtsinn und Insolenz bemerken, welches nicht nur die Reden, sondern auch die Handlungen der niederen Stände zur Zeit, über welche wir legt schreiben, auszeichneten. Auf der einen Seite bis zu einem dem Publikum unserer Tage kaum begreiflichem Punkte des Elend’s bedrückt und entwürdigt, waren die ärmeren Klassen in Rom anderseits mit einem solchen Grade moralischer Freiheit begabt und mit so ausgedehnten, politischen Vorrechten versehen, daß ihre Eitelkeit sich bis zur Verblendung über ihre Indignation geschmeichelt fühlte. Während ihrer Dienstzeit Sklaven, in ihren Stunden der Erholung Herren, boten sie als Klasse eine der erstaunlichsten socialen Anomalien dar, welche je bei irgend einer Nation existirt haben, und bildeten in ihrer gefährlichen und Unnatürlichen Lage einen der wichtigsten innern Gründe des Unterganges von Rom.
Die Stufen der öffentlichen Bäder waren fast eben so sehr mit Menschen angefüllt, wie der Raum vor dem benachbarten Gebäude. Unaufhörliche eintretende oder sich entfernende Menschenströme ergossen sich über die breiten Steine ihrer Marmorsäulengänge. Diese Versammlung bestand zwar zum Theil aus derselben Volksklasse wie die vor dem Palaste, zeigte aber doch einen gewissen Grad von Achtbarkeit. Hier und da konnte man unter der grauen Einförmigkeit der Massen schmutziger Tuniken den erquicklichen Anblick eines reinlichen Gewandes oder eines hübschen Menschen genießen. Kleine, so weit als möglich ans der Nähe der lärmenden Plebejer entfernte Gruppen waren entweder in lebhaften Gespräche beschäftigt, oder gaben sich gleichgültig der durch das Bad hervorgebrachten Mattigkeit hin. Eine kurze Beachtung der Gesprächsgegenstände unter den Munterern von diesen Individuen wird uns in der Fortsetzuug unserer socialen, Mittheilungen Hilfe leisten.
Die lauteste Stimme unter den in diesem Augenblicke Redenden ging von einem langen, magern, dick aussehenden Manne aus«, der mit bedeutender Heftigkeit und Geläufigkeit zu einer kleinen Gruppe von Zuhörern sprach.
»Ich sage Dir, Socius,«" sprach er plötzlich zu einem von seinen Gefährten gewendet, »daß, wenn nicht neue Sklavengesetze gemacht werden, mein Geschäft zu Ende ist. Das Gut meines Patrons erfordert eine unablässige Versorgung mit solchen Burschen. Ich strenge mich aufs Aeußerste an, um den Bedarf herbeizuschaffen und das einzige Resultat In einer Arbeit ist das, daß die Bösewichter entweder mein Leben in Gefahr setzen oder ungestraft zu den Räuberbanden fliehen, welche unsere Wälder unsicher machen.«
»Du thust mir wirklich leid, aber welche Veränderung würdest Du in den Sklavengesetzen wünschen?«
»Ich würde die Verwalter ermächtigen, alle Sklaven, welche sie für ungehorsam hielten, den andern zum Beispiele auf der Stelle umzubringen.«
»Was würde Dir eine solche Erlaubniß nützen? Die Geschöpfe sind nöthig, mid ein solches Gesetz würde sie in wenigen Monaten ausrotten. Kannst Du nicht ihren Muth durch Arbeit brechen, ihre Kraft durch Ketten fesseln und ihre Hartnäckigkeit durch Kerker besiegen?«
»Alles dies habe ich gethan aber sie sterben unter der Züchtigung oder entfliehen aus; ihren Gefängnissen. Ich habe jetzt dreihundert Sklaven auf den Gütern meines Patrons. Gegen die, auf unserm Grund und Boden Geborenen habe ich wenig einzuwenden. Allerdings beginnen Viele von ihnen den Tag mit Weinen und enden ihn mit dem Tode, aber zum größten Theile sind sie, Dank ihren täglichen Portionen von Schlägen, leidlich unterwürfig. Die Schurken, welche ich unter den Kriegsgefangenen und den Bewohnern empörter Städte habe kaufen müssen, sind es aber, mit denen ich so unzufrieden bin. Strafen bringen auf sie keine Wirkung hervor. Sie sind beständig träge, mürrisch und verzweifelt. Erst neulich vergifteten sich Zehn von ihnen bei der Arbeit auf dem Felde und fünfzig Andere entflohen, nachdem sie, sobald ich den Rücken gewendet hatte, ein Pächterhaus angezündet hatten, zu einer Bande von ihren Genossen, die jetzt Räuber in den Wäldern sind. Diese werden jedoch die Letzten sein, welche solche Missethaten ausführen. Ich habe mit Zustimmung meines Patrons ein System ausgesonnen, welches sie von nun an gehörig zähmen wird.«
»Darfst Du es mittheilen?«
»Bei den Schlüsseln des heiligen Petrus, ich möchte es wohl auf allen Gütern im Lande üben sehen. Es ist folgendes: Bei einem Schwefelsee in einiger Entfernung von meinem Wirthschaftshofe befindet sich ein sumpfiger Landstrich, auf dem hier und da Ruinen von einem alten Schlachthause liegen. Ich beabsichtige hier mehrere unterirdische Höhlen auszugraben, von denen jede zwanzig Mann aufzunehmen im Stande ist. Hier sollen meine meuterischen Sklaven nach ihrer Tagesarbeit schlummern. Die Eingänge werden bis zum Morgen mit einem großen Steine verschlossem auf welchem ich die Inschrift eingraben lasse: »Dies sind die Schlafgemächer, welche Gordian, der Gutsverwalter des Edelmannes Saturnius, zur Aufnahme widerspenstiger Sklaven erfunden hat.««
»Dein Plan ist sinnreich, aber ich vermuthe, daß Deine Sklaven in ihren neuen Schlafgemächern eben so ungestört ruhen werden, wie in ihren alten. Die viehische Heerde ist ja gegen Leiden fast ganz unempfindlich.«
»Ruhen! es wird eine ganz originelle Art von Ruhe sein, die sie dort zu kosten bekommen. Der Gestank des Schwefelsee’s wird ihnen auf ihrem Schlammlager Sabäische Düfte zusenden! Ihr Salböl wird der Schleim der Schlangen und Kröten sein. Ihre flüssigen Düfte, das von ihrer Kammerdecke herabsickernde Sumpfwasser; ihre Musik wird im Qualen der Frösche und dem Summen der Mücken bestehen, und was ihren Schmuck betrifft, so werden sie sich mit Kränzen von verschlungenen Würmern und beweglichen Broschen von Holzböcken und Kröten zieren! Sage mir nun, scharfsinniger Socius, glaubst Du noch, daß meine Sklaven unter solchen Sinnesgenüssen schlafen werden?«
»Nein, sie werden sterben.«
»Da hast Du wieder Unrecht! Sie werden vielleicht fluchen und wüthen, aber das macht nichts aus. Sie werden um so länger über der Erde arbeiten, um die Zeit der Ruhe unter derselben abzukürzen. Sie werden augenblicklich erwachen und auf das erste Zeichen herauskommen. Vor ihrem Tode habe ich keine Furcht!«
»Verläßt Du Rom bald?«
»Ich gehe heute Abend und nehme eine hinreichende Anzahl von zuverlässigen Gehülfen mit, um meinen Plan ohne Verzug zur Ausführung bringen zu können. Lebewohl, Socius.«
»Sinnxeichster aller Gutsverrvalter, ich wünsche Dir wohl zu leben.«
Als der treffliche Gordian von der Großartigkeit seiner neuen Projekte erfüllt, hinwegstolzirte, zogen die Geberden und Töne eines Mannes unter einer in einem entfernten Theile des Säulenganges, welchen er eben verlassen wollte, versammelten Gruppe seine Aufmerksamkeit an. Die Neugier bildete im Charakter dieses Mannes einen eben so hervorragenden Bestandtheil wie die Grausamkeit. Er schlich sich hinter die Basis einer nahen Säule und da sein Ohr die häufige Wiederholung des Wortes »Gothen« vernahm – der Bericht von dem bevorstehenden Einfall dieser Nation war jetzt nach Rom gekommen – bereitete er sich sorgfältig darauf vor, die Redner mit der unbedingtesten Aufmerksamkeit anzuhören.
»Die Gothen!« rief Jener in den finstern, gepreßten Tönen der Verzweiflung. »Befindet sich unter uns Einer, dem dieser Bericht von ihrem Vorrücken gegen Rom nicht eher Hoffnung als Furcht bereitet? Haben wir eine Aussicht, uns aus der Entwürdigung zu erheben, in welche wir von unsern Vorgesetzten hinabgedrückt werden, ehe diese Mördergrube von herzlosen Kleinigkeitskrämern und schamlosen Feiglingen gänzlich von der Erde, die sie befleckt hat, hinweggefegt worden ist?«
»Deine Ansichten über die Uebel unserer Lage sind unbezweifelt äußerst richtig,« bemerkte ein dicker, pomphaft aussehender Mann, an den die vorerwähnten Bemerkungen gerichtet gewesen waren; »aber ich kann die Reform, welche Du so eifrig hoffst, nicht wünschen. Bedenke die Erniedrigung, von Barbaren besiegt zu werden.«
»Ich bin der Vorrechte meines Vaterlandes beraubt, welches Interesse habe ich, dessen Ehre aufrecht zu erhalten? – wenn es wirklich Ehre hat!« antwortete der, welcher zuerst gesprochen.
»Deine Aus-drücke sind wirklich zu streng, Du bist zu unzufrieden, um gerecht zu sein.
»Wirklich! – Höre mich auf einen Augenblick an und Du wirst Deine Ansicht ändern. Dn siehst mich jetzt durch mein Vernehmen und Aeußeres der Plebejerheerde dort überlegen, Du denkst ohne Zweifel, daß ich in der Welt behaglich lebe, daß ich keine Besorgniß wegen meiner persönlichen Bedürfnisse in Bezug auf die Zukunft fühle. Was würdest Du antworten, wenn ich Dir sagte, daß ich um eine weitere Mahlzeit, ein frisches Gewand für morgen zu erlangen, stehlen oder einem großen Herrn schmeicheln müßte? Ja, so ist es. Ich bin hoffnungslos, freundlos, in der höchsten Noth. Es giebt im ganzen Reiche keinen ehrlichen Beruf, zu dem ich meine Zuflucht nehmen könnte. Ich muß ein Kuppler oder Schmarozer – ein gemietheter Tyrann über Sklaven oder ein gewerbsmäßiger Krieger unter Edelleuten werden, wenn ich nicht auf den Straßen verhungern oder offen in den Wäldern rauben will. Das bin ich! Jetzt höre, was ich war. Ich bin frei geboren. Ich habe von meinem Vater ein Landgut geerbt, welches er auf Kosten seines Wohlseins, seiner Gesundheit und seines Lebens mit Erfolg gegen die Uebergriffe der Reichen vertheidigt hatte. Als ich ihm im Besitze folgte, beschloß ich meine Habe eben so eifrig zu vertheidigen, wie er die seine. Ich arbeitete unablässig. Ich vergrößerte mein Haus. Ich verbesserte meine Felder, ich verstärkte meine Heerden. Ich verschmähte die Drohungen und vereitelte die List meiner adeligen Nachbarn, die nach meinem Gute trachteten, um ihr Vermögen zu vermehren. Mit der Zeit heirathete ich und hatte ein Kind. Ich glaubte, daß ich unter meinem Stamme als Glücklicher auserwählt worden sei, als mich eines Nachts Räuber anfielen – Sklaven, die die Grausamkeit ihrer reichen Herrn zur Verzweiflung gebracht hatte. Sie verheerten meine Getreidefelder, sie beraubten mich meiner Heerden. Als ich Entschädigung verlangte, sagte man mir, daß ich mein Gut an Diejenigen verkaufen möge, welche es vertheidigen könnten – an die reichen Edelleute, deren Tyrannei die Schaar von Bösewichtern, die mich meiner Habe beraubt, organisirt hatte und deren durch Betrug erworbenen Schätzen die Regierung mit Freuden den Schutz gewährt, welchen sie meinen ehrlichen Ersparnissen versagt. Ich beschloß in meinem Stolze, selbstständig zu bleiben. Ich pflanzte neues Getreide. Mit dem geringen Ueberbleibsel meines Geldes miethete ich neue Diener und kaufte frische Heerden. Ich hatte mich eben von meinem ersten Unglück erholt, als ich das Opfer eines zweiten wurde. Man griff mich wieder an. Diesmal hatten wir Waffen und suchten uns zu vertheidigen. Mein Weib wurde vor meinen Augen erschlagen; mein Haus von Grund auf niedergebrannt. Ich selbst entrann nur mit Wunden bedeckt; bald darauf siechte mein Kind und starb. Ich hatte kein Weib, kein Kind, kein Haus, kein Geld mehr. Meine Felder breiteten sich noch immer um mich aus, aber ich besaß Niemand zu ihrem Anbau. Meine Mauern lagen immer noch in Ruinen zu meinen Füßen, aber ich hatte Niemand, der sie wieder aufgerichtet, Keinen, der sie bewohnt hätte, wenn sie errichtet waren. Das Grundstück meines Vaters war für mich jetzt zu einer Wüste geworden. Zu stolz, es an einen reichen Nachbar zu verkaufen, zog ich es vor, es zu verlassen ehe ich es einem Tyrannen zur Beute werden sah, dessen Rang über meinen Fleiß den Sieg errungen hatte und der sich jetzt zu rühmen vermag, daß er zehn Stunden weit über senatorisches von der Nähe eines Bauerngutes unbeflecktes Eigenthum zu reisen vermag. Obdachlos, heimathlos, freundlos, bin ich in meinem Unglück allein, in meiner Erniedrigung hilflos nach Rom gekommen. Wundert Ihr Euch jetzt noch, daß ich mich um die Ehre meines Vaterlandes nicht weiter kümmere? Ich würde ihm mit Gut und Blut gedient haben, wenn es meines Dienstes würdig gewesen wäre, aber es hat mich verstoßen und es ist mir gleichgültig, wer es erobert. Mit Tausenden, die dieselbe Bedrängniß leiden, wie ich jetzt, sage ich zu den Gothen: »Tretet in unsere Thore! macht unsere Paläste der Erde gleich! Vermischt in einem gemeinschaftlichen Blutbade uns, die wir die Opfer, mit jenen, die die Tyrannen sind! Euer Einfall wird dem Lande neue Herren geben; – sie können es nicht ärger mit Füßen treten, vielleicht bedrücken sie es weniger. Unsere Nachkommen erwerben ihre Rechte vielleicht durch die Aufopferung eines Lebens, welches unser Vaterland werthlos gemacht hat, wiewohl Römer, sind wir doch bereit, zu leiden und uns zu unterwerfen.«
Er hielt ein, denn er hatte sich selbst zur Wuth an gestachelt. Seine Augen glühten, seine Wangen waren erhitzt, seine Stimme erhob sich. Hätte er auch nur den mindesten Schimmer von dem Schicksale haben können, welches künftige Jahrhunderte den Nachkommen des Geschlechts, welches jetzt gleich ihm im ganzen civilisirten Europa litt, erblicken – hätte er ahnen können, daß die zu seiner Zeit verachtete Mittelklasse sich zu Recht und Macht erheben, in ihren gerechten Händen die Wage des Blühens der Völker halten, die Bedrückung unterdrücken und die Regierung reguliren, sich in ihrem gewaltigen Fluge über Throne und Fürstenstühle und Rang und Reichthümer erheben, dem Anscheine nach gehorsam, in Wirklichkeit aber gebietend sein würde – hätte er dies voraussehen können – welches Licht müßte in seine Nacht gedrungen, welche Hoffnung ihn in seiner Verzweiflung beschwichtigt haben.
Zu welchen ferneren Extremitäten ihn sein Zorn hätte führen, zu welchen Verfahren der entrüstete Gordian, welcher aus seinem Versteck immer noch zuhörte, seine Zuflucht hätte nehmen können, läßt sich nur schwer bestimmen, denn die Klagen des unglücklichen Bauern und die Gedanken des gebieterischen Gutsverwalters wurden durch einen Tumult unterbrochen, der in diesem Augenblicke um einen Wagen todte, welcher so eben aus dem früher von uns beschriebenen Palaste kam.
Dieses Fuhrwerk sah wie eine einzige Silbermasse aus. Gestickte Seidenvorhänge flatterten aus seinen Fenstern, goldene Zierrathen bedeckten seine polirten Seiten und es enthielt keine geringere Person als den Edelmann welcher das Volk mit Körben voll Fleisch bewirthet hatte. Der Pöbel vor dem Palastthore hatte diese Thatsache erfahren. Eine solche Gelegenheit, seinen Jubel über seine Knechtschaft, seine thatsächliche Servilität in seiner eingebildeten Selbstständigkeit zu zeigen, durfte nicht verloren gehen und es brach daher beim Erscheinen seines Bewirthers in einen solchen Schwall von lärmender Dankbarkeit aus, daß ein in Rom Fremder geglaubt haben würde, daß sich die Stadt im Aufruhr befinde. Es sprang, es lief, es tanzte um die feurigen Rosse, es warf seine leeren Körbe in die Luft und streichelte zufrieden seine gerundeten Bäuche.
Während der Wagen weiter fuhr, erhielt es von allen Seiten neue Rekruten und neue Wichtigkeit. Die Schüchternen flohen vor ihm, die Lärmenden schrieen mit ihm, die Kühnen stürzten sich in seine Reihen und der stete Refrain seines Freudenchors war: »Gesundheit dem edeln Pomponius! Wohlsein den römischen Senatoren, die uns mit ihren Speisen nähren und uns frei in ihre Theater lassen! Ehre dem Pomponius! Ehre den Senatoren!«
Das Schicksal schien an jenem Tage ein Vergnügen daran zu finden, die unersättliche Neugier des Gutsverwalters Gordian zu befriedigen. Das Geschrei der dem Wagen folgenden Menge war kaum in der Entfernung verklungen, als von der entgegengesetzten Seite der Säule die Stimmen zweier Männer in leisem, vertraulichen Tone sein Ohr erreichten. Er schaute vorsichtig herum und sah, daß es Priester waren.
»Welcher ewige Witzling doch der Pomponius ist,« sagte eine Stimme; »er will sich Absolution holen und fährt in seinem Galawagen hin, als ob er seinen Triumph feiern wollte, statt seine Sünden zu beichten.«
»Hat er denn schon wieder eine Unklugheit begangen?«
»Leider ja! Für einen Senator mangelt es ihm entsetzlich an Vorsicht. Vor einigen Tagen warf er in einem Anfalle von Zorn, einer von seinen Sklavinnen einen Trinkbecher an den Kopf. Das Mädchen starb auf der Stelle und ihr Bruder, der sich ebenfalls in seinem Dienste befindet, drohte mit sofortiger Rache. Um unangenehme Folgen für seinen Körper zu verhindern, hat Pomponius den Burschen nach seinen Gütern in Egypten geschickt und geht jetzt in der gleichen Besorgniß, um die Wohlfahrt seiner Seele hin, um von unserer heiligen, gütigen Kirche Absolution zu verlangen.«
»Ich fürchte, daß uns diese Absolutionen, welche fortwährend Leuten bewilligt werden, die zu nachlässig sind, um Reue über ihre Verbrechen auch nur zu heucheln, uns bei dem Volke im Allgemeinen in Mißkredit bringen werden.«
»Was kümmern wir uns um die Ansichten des Volkes, so lange wir seine Herrscher auf unserer Seite haben? Die Absolution ist der Zauber, der diese römischen Wüstlinge an unsern Willen bindet. Wir wissen, wodurch Constantin bekehrt worden ist, durch politische Schmeichelei und die Bereitwilligkeit ihm Absolution zu geben. Das Volk wird Dir sagen, daß es das Zeichen des Kreuzes gewesen sei.«
»Es ist wahr, daß dieser Pomponius reich ist und unsere Einkünfte vermehren kann. Ich fürchte aber doch die Entrüstung des Volkes.«
»Fürchte nichts! Bedenke nur, wie lange es sich durch seine alten Institutionen hat betrügen lassen,und dann bezweifle, wenn Du kannst, daß wir es beliebig nach unsern Wünschen formen können. Bei dem Pöbel wird jede Täuschung von Erfolg sein, wenn das zu ihrer Beförderung angewendete Werkzeug nur eine Religion ist.«
Die Stimmen schwiegen. Gordian, der noch die unbestimmte Absicht hegte, den flüchtigen Gutsbesitzer den senatorischen Behörden anzuzeigen, verwendete die Freiheit welche das Verstummen der Priester seiner Aufmerksamkeit ließ, darauf, sich nach seinem beabsichtigten Opfer umzusehen. Zu seiner Ueberraschung bemerkte er, daß der Mann die Zuhörer, welche er früher angeredet, verlassen hatte und an einem andern Theile der Säulenhalle im ernsten Gespräche mit einem Individuum begriffen war, welches erst vor Kurzem zu ihm gestoßen zu sein schien und dessen Aeußercs so merkwürdig war, daß der Gutsverwalter einige Schritte vorwärts gethan hatte, um es näher zu betrachten, als er wieder von den Stimmen der Priester zurückgelockt wurde.
Auf einen Augenblick unschlüssig, welcher Seite er seine unserupulöse Aufmerksamkeit zuwenden sollte, kehrte er mechanisch nach seiner alten Stelle zurück. Bald jedoch überwog sein Verlangen die geheimnißvollen Mittheilungen zwischen dem Gutsbesitzer und seinem Freunde zu hören, seine Freude über das Eindringen in die theologischen Geheimnisse der Priester. Er wendete sich wieder um, zu seinem Erstaunen waren aber die Gegenstände seiner Neugier verschwunden. Er trat vor die Säulenhalle hinaus und sah sich überall nach ihnen um, aber sie waren nirgends zu erblicken.
Mürrisch und in seinen Erwartungen getäuscht, kehrte er als letzte Zuflucht zu der Säule, wo er die Priester verlassen hatte zurück; aber die auf seine Forschungen nach der einen Gesellschaft verwendete Zeit war seiner Wiedervereinigung mit der andern verderblich gewesen, auch die Priester waren fort.
Durch die Vereitelung seiner Hoffnungen hinreichend für seine Neugier bestraft, marschirte der Gutsverwalter mißmuthig, gegen den Monte Pincio hin, ab. Wenn er sich nach der entgegengesetzten Richtung, der St. Peters-Basilica, zugewendet hätte, so würde er sich wieder in der Nähe des Gutsbesitzers und seines auffallenden Freundes befunden und die Bekanntschaft mit den Gegenständen ihres Gesprächs erlangt haben, welche wir dem Leser im Laufe des folgenden Kapitels bestimmen.
Bis dahin sind unsere Enthüllungen zu Ende und die Aufmerksamkeit des Lesers kann sich wieder der Geschichte zuwenden. Ehe wir uns aber zur Fortsetzung derselben anschicken, möchten wir diejenigen, welche es interessirt, in die innern Gründe der Katastrophe von Rom zu dringen, nochmals bitten, aus einen Augenblick iiber die einzelnen Zeugnisse, welche wir hier für ihn gesammelt haben, nachzudenken. Er möge sich die mitwirkenden Zersetzungen in den Geist zurückrufen, welche die heftige sociale Krankheit bildeten, die zu dieser Periode innerhalb der Mauern der Stadt wüthete und ihren verpestenden Einfluß bis aus die entferntesten Gegenden des Reichs ausdehnte. Er möge mit Einem Blicke die Unwissenden, ausschweifenden, verthierten, bedrückten untern, die gekränkten, verfolgten, verlassenen Mittelklassen, die frivole, unverantwortliche gefühllose Aristokratie, die ehrgeizige, weltliche, heuchlerische Kirche, welche die Verderbniß des Staates hätte verbessern sollen, umfassen, und er wird die wirkliche Tiefe und Ausdehnung der allgemeinen Zersetzung der römischen Gesellschaft in jenem ereignißreichen Jahrhundert entdecken. Er möge sich endlich die Wirkung vorstellen, welche eine in frischer, kräftiger Jugend stehende zu ihrem ungeheuren Zwecke verbundene Nation, wie die Gothen hervorbrachte, als sie plötzlich auf ein Volk ohne Sympathie, Grundsätze, Ehrgeiz oder Hoffnung, um welche sich dasselbe wie um eine moralische Fahne in der Stunde der Noth scharen konnte, hereinbrach – er möge sich dies ausmalen und er wird kaum geneigt sein, Ausstellungen gegen die Wahrscheinlichkeit der Scenen zu erheben, durch die er in den künftigen Theilen dieses Werkes geführt werden wird, er wird nur wenig darüber erstaunen, daß das civilisirte Rom seine blendende Laufbahn mit der Niederwerfung vor einem Heere von Gothen schloß.