Читать книгу Antonia - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 6

Erster Band
Zweites Buch
Kapitel IV
Eine Lehrzeit im Tempel

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Die Handlungen unserer Personen während der Nacht, welche zu den letzten beiden Kapiteln Anlaß gab, sind jetzt zu einer Pause gelangt. Vetranio erwartet seine Gäste zum Banket, Numerian befindet sich in der Kapelle, um sich zu der Predigt, welche er an seine Freunde zu halten gedenkt, vorzubereiten, Ulpius hängt im Hause seines Herrn seinen Gedanken nach und Antonina liegt auf ihrem Bette und liebkost das kostbare Bruchstück, welches sie von den Trümmern ihrer Laute gerettet hat. Alle Hauptpersonen unserer Geschichte sind also für den Augenblick in Ruhe.

Es ist unsere Absicht. diesen Zwischenraum der Unthätigkeit zu benutzen und die Aufmerksamkeit des Lesers auf ein anderes Land als das, welches wir für den Ort unserer Erzählung gewählt haben und auf frühere historische Ereignisse zu lenken, die mit dem Leben des treulosen Proselyten Numerian verwoben sind.

Der Mann wird, wie uninteressant er auch bisher erschienen sein mag, im Verlauf unserer Geschichte eine wichtige Stellung einnehmen, und es ist für das Verständniß seines Charakters und die Erforschung seiner bereits angedeuteten und noch künftig zum Vorschein kommenden Absichten nöthig, daß sein Lebenslauf bis zu seinem Ursprunge verfolgt wird.

Es war unter der Regierung Julian’s, als die Götter der Heiden ihren letzten Sieg über das Evangelium der Christen feierten, als ein anständig gekleideter Mann, der einen hübschen fünfzehnjährigen Knaben an der Hand führte, in das Thor von Alexandria trat und sich hastig nach der Wohnung des Hohenpriesters in den Tempel des Serapis begab.

Nachdem sich der Mann einige Stunden lang an seinem Bestimmungsorte aufgehalten hatte, verließ er die Stadt allein, eben so eilig wie er in dieselbe gekommen war und wurde nie wieder in Alexandria gesehen. Der Knabe blieb bis zum folgenden Tage in der Wohnung des Hohenpriesters und wurde dann feierlich dem Tempeldienste geweiht.

Dieser Knabe war der junge Emilius, später Ulvius. Er war der Neffe des Hohenpriesters, dem ihn sein Vater, ein Kaufmann aus Rom, anvertraut hatte.

Der Ehrgeiz war die herrschende Leidenschaft des Vaters unsers Emilius, er hatte ihn angetrieben, nach jeder Auszeichnung zu streben, die der Staat dem Glücklichen gewährt, ihn aber nicht mit den Fähigkeiten begabt, welche nöthig gewesen wären, um seine Bestrebungen mit Erfolg zu krönen. Er blieb lebenslänglich in seinen Hoffnungen getäuscht, machte fortwährend Pläne, die nie zur Ausführung gelangten, sah seinen glücklichern Bruder zu den höchsten Stellen des Priesterthums aufsteigen, fand sich aber unwiderruflich zu der wohlhabenden Dunkelheit verurtheilt, welche ihm seine merkantilischen Geschäfte zu Theil werden ließen.

Als sein Bruder Macrinus bei Julian’s Thronbesteigung den höchsten Gipfel der Macht und Berühmtheit als Hoherpriester des Serapistempels erstieg, verlor der Kaufmann alle Hoffnung es seinem Verwandten im Streben nach Auszeichnungen gleich zu thun. Sein unersättlicher Ehrgeiz lenkte sich jetzt von seiner eigenen Person ab und ging auf die Bestrebungen für einen seiner Söhne über. Er beschloß, daß es wenigstens dem Kinde da gelingen solle, wo es ihm mißglückt war. Jetzt, wo sein Bruder die höchste Tempelstelle erlangt hatte, konnte einem Mitgliede seines Hauses kein Beruf direktere Vortheile bieten, als der des Priesterthums. Alle Mitglieder seiner Familie waren von jeher strenge Heiden gewesen. Der Eine von ihnen hatte bereits die ausgezeichnetsten Ehrenstellen seiner prnnkvollen Religion erlangt. Er beschloß, daß ein zweites es seinem Verwandten gleich thun und dieses zweite sein ältester Sohn sein solle.

In diesem Entschlusse fest, weihte er sein Kind sofort dem großen Plane, welchen er jetzt beständig im Auge behielt. Er wußte recht gut, daß das Heidenthum zwar neu belebt, aber doch nicht mehr die frühere allgemeine Religion war, daß es jetzt geheimen Widerstand fand und ihm bald von den verfolgten Christen im ganzen Reiche offene Widersetzlichkeit zu Theil werden könne. Wenn daher die jüngere Generation dasselbe mit Erfolg vor allen künftigen Eingriffen bewahren und sicher zu seinen höchsten Ehren steigen wolle, müsse dann mehr von ihnen gefordert werden, als die ruhige Anhänglichkeit an die alte Religion, welche von den Gläubigen früherer Tage gefordert wurde. Damals vertrug sich die Ausübung der wichtigsten Aemter der Priesterschaft mit dem Besitz militärischen oder politischen Ranges. Jetzt aber sollten die künftigen Diener der Götter dem Tempel und nur dem Tempel geweiht werden. Diesem Entschlusse zufolge trug der Vater dafür Sorge, daß steh alle Beschäftigungen und Belohnungen des Sohnes von dessen frühesten Jahren an aus die eine oder andere Art mit der Laufbahn, für welche er bestimmt war, verbanden. Seine kindischen Freuden wurden auf Opfer und Augurien gerichtet, seine kindischen Spielsachen waren Götterbilder. Der Knabe leistete diesem Erziehungsplane keinen Widerstand. Weit verschieden von seinem jüngern Bruder, dessen unruhiger Charakter aller Herrschaft Trotz bot, war er von Natur gelehrig und seine über seine Jahre hinaus lebhafte Einbildungskraft ließ sich leicht durch ihr gebotene merkwürdige Gegenstände fesseln. So aufgemuntert, wurde sein Vater völlig von der Beschäftigung in Anspruch genommen, ihn ganz für seine künftige Existenz zu formen. Der Einfluß seiner Mutter auf ihn wurde eifersüchtig beobachtet, der geheime Ausdruck ihrer Liebe, ihres Kummers über die Aussicht auf die Trennung von ihm unbarmherzig unterdrückt, sobald er entdeckt ward, und sein jüngerer Bruder vernachlässigt, ja fast vergessen, um dem ältesten Sohne die väterliche Wachsamkeit gänzlich und unablässig weihen zu können.

Als Eimilius fünfzehn Jahre alt geworden war, sah sein Vater mit Freuden, daß die Zeit gekommen sei, wo er den Beginn zur Verwirklichung aller seiner Pläne vor sich sehen könne. Der Knabe wurde vom Hause entfernt, nach Alexandria gebracht und von seinem stolzen, triumphirenden Vater freudig unter der besondern Obhut des Hohenpriesters Macrinus gelassen.

Der Tempelvorsteher dachte in Bezug auf die Pläne mit dem jungen Emilius, ganz eben so wie sein Bruder. Sobald der Knabe seine neuen Beschäftigungen begonnen hatte, wurde ihm gesagt, daß er Alles, was er in Rom zurückgelassen, vergessen, daß er den Hohenpriester als seinen Vater und den Tempel fortan als seine Heimath betrachten und der einzige Zweck seiner jetzigen Bemühungen und seines künftigen Ehrgeizes der sein müsse, im Dienste der Götter zu steigen.

Hiermit begnügte sich Macrinus aber noch nicht. Er war eifrig darauf bedacht, bei seinem Schüler Vaterstelle zu vertreten, und sich seine Anhänglichkeit dadurch zu sichern, daß er ihn auf jede mögliche Weise von der Welt abzog, in welcher er bisher gelebt hatte, und so veränderte er sogar dessen Namen, legte ihm eine von seinen eigenen Benennungen bei, und bezeichnete dies als ein Vorrecht, um ihn zu fernern Anstrengungen aufzumuntern. Aus dem Knaben Emilius wurde er jetzt für immer in den Zögling Ulpius umgewandelt.

Bei einer natürlichen Neigung, wie die bereits beschriebene, und unter einer Obhut wie die des Hohenpriesters, war kaum zu fürchten, daß Ulpius die ungewöhnlichen Erwartungen, welche man. sich von ihm gemacht hatte, täuschen werde. Seine Aufmerksamkeit für seine neuen Pflichten erschlaffte nie; sein Gehorsam gegen seine neuen Herren kam nie zum Schwanken. Alles, was auch Macrinus von ihm verlangen mochte, führte er zuverlässig aus. Welche Sehnsucht er auch fühlen mochte, nach Hause zurückzukehren, so ließ er sie doch nie blicken, er suchte nie die seinem Alter natürlichen Neigungen zu befriedigen. Der Oberpriester und seine Collegen waren über die außerordentliche Bereitwilligkeit, womit der Knabe selbst die Absichten, welche sie in Bezug auf ihn hatten, befördern, erstaunt. Wenn sie gewußt hätten, wie mühsam er im Hause seines Vaters auf seine künftigen Beschäftigungen vorbereitet worden war, so würden sie von der ungewöhnlichen Gelehrigkeit ihres Schülers weniger überrascht gewesen sein. Bei der Erziehung, welche er genossen hatte, hätte es mehr als menschlicher Verkehrtheit bedurft, um Widerstand gegen die Wünsche seines Oheims zu entwickeln. Er hatte keine Kindheit, weder in Bezug auf das Denken, noch auf das Handeln, gehabt. Seine natürliche Frühreife war als die Maschine benutzt worden, durch welche man seine Fähigkeiten zu einer gefahrvollen und unheilsamen Reife getrieben hatte, und als seine neuen Pflichten seine Aufmerksamkeit verlangten, begann er dieselben mit derselben enthusiastischen Aufrichtigkeit, welche seine jungen Altersgenossen für ein neues Spiel bewiesen hab würden. Seine allmälige Einweihung in die Geheimnisse seiner Religion erzeugte in seinem Geiste ein seltsames wollüstiges Gefühl der Furcht und Theilnahme. Er hörte die Orakel und bebte, er wohnte den Opfern und Augurien bei und erstaunte. Die ganze Poesie des kühnen, schönen Irrglaubens, welchem er geweiht wurde, floß unwiderstehlich in sein junges Herz, nahm seine frische Phantasie völlig in Anspruch und führte ihn unablässig aus dem Leben und der Wirklichkeit. der äußern Welt in die Schattenregionen der Begeisterung und des Gedankens.

Ulpius ließ seine Aufmerksamkeit jedoch nicht gänzlich von seinen Pflichten absorbiren; der Jüngling hatte so gut seine eigenthümlichen Freuden, wie seine eigenthümlichen Beschäftigungen. Wenn sein Diensi für den Tag vorüber war, so, gewährte es ihm einen seltsamen überirdischen Genuß, leise in dem Schatten der Säulenhallen des Tempels umherzuwandeln, von seiner geheimnißvollen Höhe auf die volkreiche, sonnenhelle Stadt zu seinen Füßen hinabzublicken, die glänzende Wasserfläche des Nils freudig im blendenden, alles belebenden Lichte blitzen zu sehen, seine Augen von den Feldern und Wäldern, Palästen und Gärten, die sich unter ihm ausstreckten, zu dem schönen, wolkenlosen Himmel zu erheben, der ihn in ferner Höhe umgab, um alle Freude und liebevolle Empfindung zu erwecken, die sein nur selten ununterbrochener Verkehr mit seiner Mutter seinem Herzen eingepflanzt und seine neuen Pflichten ihm gelassen hatten. Dann, wenn das Licht des Tages zu verbleichen begann und der Mond und die Sterne bereits an ihren Orten am Himmel zu strahlen anfingen, begab er sich in die unterirdischen Gewölbe des Gebäudes, bebte, wenn seine kleine Kerze kaum die dumpfe, feierliche Dunkelheit verscheuchte und lauschte mit athemloser Aufmerksamkeit nach den Stimmen der Schutzgeister, deren fabelhafte Wohnung sich in den Räumen des heiligen Gebäudes befand. Oder wenn sich die Menge zu ihren Vergnügungen und Wohnungen entfernt hatte, stahl er sich wohl auch in die hohen Tempelhallen, wanderte um die Piedestale der mächtigen Statuen, athmete furchtergriffen die stille Atmosphäre des Tempels und beobachtete das Vorüberstreifen der kalten, traurigen Mondstrahlen, die durch die Oeffnungen im Dache auf die kolossalen Glieder und Züge der heidnischen Götterbilder fielen. Zuweilen, wenn der Dienst des Serapis und die sich auf seine Mittheilungen an den Kaiser beziehenden Sorgen zu Ende waren, führte Macrinus seinen Schüler in den Garten der Priester und lobte seine Gelehrigkeit, daß ihm das Herz vor Dankbarkeit und Stolz klopfte. Mitunter geleitete er ihn vorsichtig aus dem Gebiete des geweihten Gebäudes und zeigte ihm in den Vorstädten stumme, bleiche, traurige Männer, die verdächtig durch die belebten menschenvollen Straßen schlichen. Diese waren, wie er ihm erklärte, die Feinde des Tempels und alles darin Enthaltenen, Verschwörer gegen den Kaiser und die Götter, Bösewichter, die als Auswürflinge der Menschheit vertrieben werden müßten, sie nennten sich Christen, deren gottlose Religion, wenn man sie duldete, ihn des Oheims, welchen er liebte, des Tempels, welchen er verehrte, und der priesterlichen Würde und Berühmheit, welche zu erlangen der Ehrgeiz seines Lebens sein müsse, berauben würden.

So von seinem Lehrer in seinen Pflichten und von sich selbst in seinen Erholungen gelenkt, verlor der Knabe mit der Zeit allmälig jede ihm noch gebliebene Eigenschaft seines Alters. Selbst die Erinnerung an seine Mutter und die Liebe derselben schwächte sich in seinem Gedächtniß. Ernst, einsam, nachdenklich, lebte er nur für den Erfolg im Tempel, mühte er sich nur dem Oberpriester nachzueifern. Alle seine Gefühle und Fähigkeiten wurden jetzt in die Banden eines Ehrgeizes geschlagen, der sowohl für sein gegenwärtiges Alter unnatürlich, wie für sein künftiges Leben eine Vorbedeutung von Leiden war. Der Plan, welchen Macrinus, als das Werk von Jahren, im Auge gehabt, erfüllte sich in wenigen Monaten, die Hoffnung, welche sein Vater kaum für sein Mannesalter zu hegen gewagt hatte, kam schon in seiner Jugend zur Reife.

Unter diesen Vorbereitungen auf künftigen Erfolg vergingen drei Jahre von Ulpius Leben. Nach Ablauf dieser Periode verdunckelte der Tod Julian’s die glänzenden Aussichten der heidnischen Welt. Die Priester des Serapis hatten sich kaum von dem ersten Erstaunen und Schmerze über die schlimme Nachricht von der Erledigung des Kaiserthrones erholt, als das von dem neuen Kaiser Jovian erlassene Toleranzedict nach Alexandria gelangte und an den Mauern des Tempels angeschlagen wurde.

Der erste Anblick dieser Proklamation, durch welche die Christen freie Religionsübung erlangten, erregte in dem hochgespannten Geiste des Ulpius den heftigsten Zorn. Der fortwährend auf seine Religion gelenkte Enthusiasmus seines Charakters und Alters nahm die Form des wildesten Fanatismus an, als er die leichtsinnige Verletzung der Oberherrlichkeit des Tempels durch den Kaiser entdeckte. Er erbot sich in dem ersten Augenblicke seines Grimms das Edict von den Mauern zu reißen, einen Angriff auf die Versammlungen der triumphirenden Christen anzuführen oder nach dem Wohnsitze des Kaisers zu reisen und Jovian zu ermahnen, seine gefahrvolle Handlung der Nachsicht zu widerrufen, ehe es zu spät sei. Nur mit Schwierigkeit gelang es seinen vorsichtigen Genossen, ihn von der Ausführung seiner gewalthätigen Pläne abzubringen. Zwei Tage lang hielt er sich von seinen Genossen fern und brütete einsam über die seinem geliebten Glauben angethane Schmach und der voraussichtlichen Vermehrung des Einflusses der Christensekte.

Aber die Verzweiflung des jungen Enthusiasten sollte noch weiter durch ein Privatunglück vermehrt werden, welches in seiner Ursache eben so räthselhaft wie sie in seinen Wirkungen überwältigend war. Zwei Tage nach der Publikation des Edicts starb plötzlich der Hohepriester Macrinuis in der vollsten Kraft des Mannesalters.

Die Erzählung der Verwirrung und des Schreckens in und außer dem Tempel bei der Entdeckung dieses unglückseligen Ereignisses, die Beschreibung der Verwünschungen und Tumulte der Priester und des Pöbe1s, die sofort die begünstigten und ehrgeizigen Christen in Verdacht, nahmen, durch Gift den Tod ihres geistlichen Regenten verursacht zu haben, könnte als Geschichte der Sitten jener Zeit interessant sein, gehört aber nicht zu dem Gegenstande dieses Kapitels. Wir ziehen es vor, die Wirkung zu verfolgen, welche dieser persönliche und Privatverlust, diese ihm unersetzliche Beraubung des Lehrers, welchen er liebte, und des Vormundes, den zu verehren sein Vorrecht war, auf den Geist des Ulpius hervorbrachte.

Eine mehrere Monate anhaltende Krankheit, während welcher besonders in der letzten Zeit seine Pfleger für sein Leben und seine Vernunft zitterten, bewies zur Genüge die Aufrichtigkeit von Ulpius Kummer über den Verlust seines Beschützers.

Während seines deliriösen Paroxysmus zogen die um sein Bett wachenden Priester aus seinen Phantasien viele weise Schlüsse in Bezug auf die Wirkungen, welche diese Krankheit und ihre Ursachen auf seinen künftigen Charakter hervorbringen würden, trotz ihres ganzen Scharfsinns waren sie aber noch weit entfernt, auch nur zu einem Zehntel die Umwälzung zu ermessen, welche dieser Verlust in seinem Geiste bewirkt hatte. Der Knabe wußte bis zum Augenblicke des Todes des Hohenpriesiers selbst nicht, wie tief seine Ergebenheit gegen seinen zweiten Vater ging. So sehr die liebevollen Gefühle, die die Haupttriebfeder seiner Natur bildeten auch von seinem Vater irre geleitet worden waren, hatten dieselben doch nicht gänzlich vernichtet werden können und sie hingen sich an jedes freundliche Wort, jede milde Handlung des Hohenpriesters als Nahrung fest, die ihnen seit seiner Jugend nur kärglich zu Theil geworden war. Moralisch und intellectuell war Macrinus für ihn der Leuchtthurm gewesen, welcher, ihm die Richtung seines Courses angedeutet, der Richter, der sein Benehmen geregelt, die Muse, zu der er aufgeblickt hatte, um sich zu begeistern. Und jetzt, wo dieses Glied, welches jede Verzweigung seiner liebsten und herrschenden Ideen verbunden hatte, plötzlich gerissen war, sank auf seinen Geist eine Oede nieder, die sowohl dessen Elasticität lähmte, wie seine Frische zum Verwelken brachte. Er blickte zurück und sah nichts als ein Familienhaus, von dessen Freuden und Neigungen ihn der Ehrgeiz seines Vaters für immer verbannt hatte. Er blickte vorwärts, und wenn er bedachte, wie ungeeignet er durch Charakter wie durch Erziehung war, sich unter die Welt zu mischen, wie es Andere thaten, so sah er keinen Leitstern des socialen Glücks vor Augen, der seine künftige Existenz hätte regeln können. Er hatte jetzt weiter keine Aussicht mehr, als sich gänzlich dem Berufe hinzugeben, welcher ihm seine Heimath fremd gemacht hatte, welcher durch seinen Zusammenhang mit dem verlorenen Gegenstande seiner Liebe geheiligt wurde und ihm das einzige Glück und die einzige Auszeichnung verleihen würde, worauf er für, sein künftiges Leben in der weiten Welt hoffen konnte.

Außer diesem Beweggrunde zur eifrigen Arbeit in seinem Berufe war in Ulpius Geiste noch ein tiefes, festgewurzeltes Gefühl vorhanden, welches ihn mit nie verlöschender Gluth für die Fortsetzung seiner geliebten Beschäftigungen beseelte. Dieses leitende Princip war der Abscheu gegen die Christensekte. Der Verdacht, welchen Andere über den Tod des Hohenpriesters gehegt hatten, war für seinen Geist eine Gewißheit. Er verwarf jede Idee, welche im Widerspruche mit seiner entschlossenen Ueberzeugung stand, daß die Eifersucht der Christen ihnen den Giftmord des mächtigsten und eifrigsten aller heidnischen Priester eingegeben habe. Unablässige Arbeit, bis er den Einfluß und die Stellung erlangt haben würde, deren sich früher sein Verwandter erfreut hatte, und die Benutzung dieses Einflusses und dieser Stellung, wenn er sie einmal erlangt haben würde, als Mittel, um Macrinus, durch Vertilgung aller Spuren des Christenglaubens vom Angesichte der Erde, zu rächen, dies waren jetzt die festen Vorsätze seines Herzens.

Durch seinen Entschluß mit der überlegten Weisheit begabt, welche bei den meisten Menschen nur das Resultat jahrelanger Erfahrungen ist, verwendete er die ersten Tagen seiner Genesung darauf, seine Zukunftspläne vorsichtig zur Reife zu bringen und seine Hoffnungen auf Erfolg unparteiisch zu erwägen.

Sobald diese Selbsterforschung beendigt war, weihte er sich sofort und für immer dem großen Plane seines Lebens, nichts ermüdete, nichts entmuthigte, nichts war für ihn ein Hinderniß. Die äußern Ereignisse gingen unbeachtet an ihm vorüber, die Betrübnisse und Triumphe der Stadt sprachen nicht mehr zu seinem Herzen. Ein Jahr folgte dem andern, aber die Zeit besaß keine Zunge für ihn. Das Heidenthum sank allmälig und eben so unmerklich erhob sich das Christenthum aber die Veränderung breitete vor seinen Angen kein Bild aus.

Die ganze äußere Welt war für ihn eine Leere, bis der Augenblick erschien, welcher seine Pläne mit Erfolg gekrönt sah. Seine Vorbereitungen auf die Zukunft absorbirten jede Fähigkeit seiner Seele und machten aus ihm, was die Gegenwart betraf, einen bloßen Automaten, der durch kein Ereigniß belebt wurde, eine Maschine, welche sich bewegte, ohne wahrzunehmen – einen handelnden Körper ohne denkenden Geist.

Wenn wir auf einen Augenblick in die äußere Welt zurückkehren, so finden wir, daß beim Tode Jovians im Jahre 364 der neue Kaiser Valentinian das von seinem Vorgänger angenommene System der Duldung weiter führte. Als er im Jahre 375 starb, überschritt Gratian, sein Nachfolger auf dem Kaiserthrone, das ihm von seinen beiden Vorgängern gegebene Beispiel so, daß er sich kühn auf die Seite der Anhänger des neuen Glaubens stellte. Damit noch nicht zufrieden, durch Lehre und Beispiel das Zunehmen des Christenthums zu befördern, bewies der Kaiser seinen Eifer für die aufsteigende Religion noch weiter dadurch, daß er den schnell abnehmenden Vertretern der alten Religion unablässige Verfolgungen zu Theil werden ließ und durch diese Thaten seine Regierung seinem Nachfolger Theodosius dem Großen als Vorläufer in der religiösen Revolution, welche dieser berühmte Gegner des Heidenthums zu bewirken bestimmt war, diente.

Beim Tode Gratians im Jahr 383 war Ulpius einer von den Oberpriestern des Tempels und zum nächsten Erben des wichtigen Amtes, welches einst der mächtige, thätige Macrinus bekleidet hatte, bestimmt. So der Auszeichnung, für welche er gearbeitet hatte, versichert, fand endlich der aufstrebende Priester Muße, auf die Angelegenheiten des Tages zu blicken. Nach allen Seiten hin überdeckte ödes Dunkel seine Aussicht. Schon waren in vielen Provinzen des Reiches die Tempel der Götter durch den Zerstörungseifer der triumphirenden Christen niedergerissen worden. Schon hatten Tausende des entsetzten Volkes aus Furcht, daß das Schicksal ihrer Götzen endlich auch das ihre werden könne, von ihren verjagten Priestern verlassen und von den unerbittlichen Feinden des alten Glaubens umgeben, ihrer Religion entsagt, um ihr Leben und Eigenthum zu retten. Auf dem weiten Felde des heidnischen Ruins erhob sich jetzt nur noch ein völlig unverletztes Gebäude. Noch immer streckte der Tempel des Serapis unerschüttert, ungebeugt, unbefleckt sein Haupt empor. Hier waren noch die Opfer im Gange und das Volk beugte sich immer noch anbetend. Vor diesem Denkmale der religiösen Herrlichkeit von Jahrhunderten schreckte selbst die aufsteigende Macht der christlichen Herrschaft zurück. Wiewohl sich die Reihen seiner einst zahlreichen Gemeinde jetzt merklich verdünnt hatten, wiewohl die neuen Kirchen von Bekehrten wimmelten, wiewohl die römischen Edikte es einen Schandflecken auf dem Antlitze der Erde nannten, behauptete es doch seine düsterer, einsame Größe. Kein ungeweihter Fuß betrat seine geheimen Gemächer, keine zerstörende Hand erhob sich noch gegen seine alten herrlichen Mauern.

Entrüstung, aber nicht Niedergeschlagenheit erfüllte Ulpius Herz, als er die Lage der heidnischen Welt betrachtete. Eine gleich dieser durch jahrelange Reflexionen genährte und durch unablässige Ueberlegung gereifte Entschlossenheit steht über allen Stößen, die einen hastig gefaßten Vorsatz berühren oder eine schwankende Absicht vernichten. Vom Mißlingen unberührt, wird sie durch Unfälle zur Thatigkeit getrieben, aber nie zur Ruhe herabgedrückt. Ihre Existenz ist die Luft, welche das Leben des Geistes bewahrt – die Triebfeder, welche den Gang der Gedanken anregt. Ulpius schwankte weder einen Augenblick in der Hingebung an seinen großen Plan, noch verzweifelte er an dessen endlicher erfolgreicher Ausführung. Obgleich jeder neue Tag die Nachricht neuer Unglücksfälle für die Heiden und neuer Triumphe für die Christen brachte, so beharrte er doch mit einigen von seinen religionseifrigeren Genossen immer noch in der Hoffnung auf das Kommen eines zweiten Julian und eines Wiederherstellungstages für die zerstörten Heiligthümer der Gottheiten, welchen er diente. So lange der Tempel des Serapis noch unverletzt dastand, um seinen Bemühungen Aufmunterung und seinen verfolgten Brüdern eine Zuflucht zu gewähren, existirte für ihn noch ein Beweis des Erfolges, welcher ihn zu jeder Anstrengung spornte und gegen jede Gefahr stählte.

Und jetzt sprang zum Erstaunen der Priester und Gemeinden der schweigsame, nachdenklich einsame Ulpius plötzlich aus seiner langen Ruhe auf und wurde zum feurigen Vertreter der Rechte seiner unterdrückten Religion. Nach wenigen Tagen verbreitete sich der Ruhm seiner Reden an die Heiden, welche noch dem Serapis-Dienste beiwohnten, durch die ganze Stadt. Die kühnsten Christen zitterten, wenn sie an den Tempelmauern vorüberkamen, unwillkürlich bei dem mächtigen Applaus, der sich unter den Zuhörern des begeisterten Priesters erhob. An jedes Alter und jeden Charakter gerichtet, erweckten diese Reden ein Echo in jeder Brust, welche sie erreichten. Für die Jugend waren sie in alle Poesie der Religion, für welche sie sprachen, gekleidet. Sie redeten von den Altären der Venus, die die Christen verwüsten wollten, von den Hainen, die die Christen ihrer Dryaden zu berauben gedachten, von den heiligen Künsten, die die Christen vernichten würden. Den Alten riefen sie Erinnerungen an die Herrlichkeit vergangener Zeiten zurück, welche durch die Gunst der Götter herbeigeführt worden war, an Verfahren, die in deren Dienste gestorben, an alte, vergessene Liebe und Freuden rund Erfolge, die unter der milden Obhut der alten Gottheiten gewachsen und gediehen waren, während der unabänderliche Schluß derselben in der stets wiederholten Behauptung bestand, daß der große Macrinus als Opfer der Toleranz der Christensekte gestorben sei.

Die Anstrengungen des Ulpins beschränkten sich aber nicht blos auf das Halten von Reden. Jeder freie Augenblick wurde zu geheimen Wanderungen nach dem Innern von Alexandria verwendet. Gleichgültig gegen Gefahr, achtlos gegen Drohungen drang der unerschrockene Enthusiast in die geheimsten Versammlungsplätze der Christen, führte auf allen Seiten Abtrünnige wieder dem heidnischen Glauben zu und bot der Feindseligkeit der halben Stadt hinter den festen Tempelmauern Trotz. Tag um Tag kamen neue Reikruten, um die Reihen der Verehrer des Serapis zu verstärken; die wenigen Mitglieder der zerstreuten Provinzialgemeinden, welche noch der alten Religion treu geblieben waren, wurden von den Geheimboten des unermüdlichen Ulpins in Alexandria versammelt. Schon begannen zwischen den Heiden und Christen Tumulte auszubrechen und die Priester des Serapis hielten sich bereit, dem neuen Kaiser eine Protestation für die alte Gottesverehrung des Landes zugehen zu lassen; es schien in diesem Augenblicke möglich, daß die heldenmüthigen Versuche eines Einzigen das Religionsgebäude zu stützen, dessen Grundlagen überall untergraben waren und dessen Mauern von Tausenden angegriffen wurden, endlich doch mit Erfolg gekrönt werden würden.

Aber das Rad der Zeit rollte weiter und die unerbittliche Veränderung trat die kleinen Schutzwehren nieder, welche der menschliche Widerstand gegen sie errichtet hatte und baute, statt ihrer triumphirend, ihre seltsamen vorübergehenden Structuren auf. Umsonst strengte der hingebende Priester alle seine Kräfte an, um seine zerstreute Schaar zu verstärken und zum gemeinschaftlichen Handeln zu bringen, umsonst entwickelte der mächtige Tempel seine alte Majestät, seine prächtigen Opfer, seine geheimnißvollen Augurien. Der Geist des Christenthrims war zum Triumph auf Erden ausgezogen, die letzten Schicksale des Heidenthums erfüllten sich schnell. Es vergingen noch ein Paar Jahre nutzlosen Widerstandes und dann erließ der Erzbischof von Alexandria ein Dekret, daß der Serapistempel zerstört werden solle.

Beim Gerüchte von dem Entschluß ihres Primaten kamen die christlichen Fanatiker schaarenweise aus allen Winkeln Egyptens und eilten nach Alexandria, um dem Zerstörungswerke beizuwohnen. Aus den dürren Einöden der Wüste, aus ihren Felsenklöstern und Erdhölllen flogen jubelnde Mönchsschaaren den Stadtthoren zu und schlossen sich in ungeduldiger Erwartung des Angriffs den Soldaten und Bürgern an. Mit dem Anbruch des Morgens hatten sich die Zerstörer zusammengefunden, und als die Sonne über Alexandria ausging, erschienen sie vor den Mauern des Tempels.

Die Thore des herrlichen Gebäudes waren verrammelt, auf den Mauern drängten sich ihre heidnischen Vertheidiger. Ein todtes, geheimnißvolles Schweigen herrschte in dem ganzen Gebäude und von allen den Menschen, mit welchen es angefüllt war, verließ nur Einer seinen Standort, wanderte nur Einer unablässig von einem Punkte zum andern, wo immer das Gebäude mit einem Angriff bedroht sein mochte. Diejenigen Belagerer, welche sich dem Tempel am nächsten befanden, sahen in diesem Schutzgeiste der Vorbereitungen zur Vertheidigung den Gegenstand ihres erbittertsten Hasses und ihrer unbezwingbarsten Fnrcht – Ulpius, den Priester.

Sobald der Erzbischof das Zeichen zum Sturme gab, zog eine Schaar von Mönchen, deren rauhe, mißtönige Stimmen Psalmfragmente kreischten, deren zerfetzte Gewänder im Winde flatterten, deren cadaveröse Gesichter in wilder Freude leuchteten, – voran, legte die ersten Leitern an die Mauern und begann den Angriff. Auf allen Seiten wurde der Tempel von den wüthenden Angreifern bestürmt und auf allen Seiten wurde er von den entschlossenen Angegriffenen erfolgreich vertheidigt. Ein Stoß nach dem anderen folgte gegen die massiven Thore, ohne sie zum Weichen zu bringen, ein Wurfgeschoß nach dem andern wurde gegen das Gebäude geschleudert, seine feste Oberfläche aber nicht im Mindesten verletzt. Eine Menge von Menschen erkletterte die Mauern, gelangte in die äußern Säulengänge und schlachtete deren heidnische Vertheidiger hin, wurde aber ihrerseits augenblicklich zurückgetrieben, ehe sie ihren Vortheil benutzen konnte. unzählige Male schienen die Angreifenden auf dem Punkte zu stehen, den Tempel erfolgreich zu stürmen, aber Ulpins Gestalt, die stets im kritischen Augenblicke unter seinen niedergeschlagenen Anhängern erschien, vernichtete dem Schicksale gleich den Erfolg der kühnsten Anstrengungen und wichtigsten Triumphe. Wo Gefahr und Blutvergießen, wo Verzweiflung herrschte, eilte der unerschütterliche Priester herbei, begeisterte die Kühnen, leistete den Verwundeten Hülfe, ermuthigte die Schwachen von Neuem. Durch keine Kriegslist geblendet, von keiner Anstrengung ermüdet, lag fast etwas Dämonisches in seiner vernichtenden Thätigkeit, in seiner Entschlossenheit bei der Niederlage. Die Belagerer erkannten seinen Weg um den Tempel an den Unfällen, welche ihnen bei jedem Schritte zustießen. Wenn die Leichen erschlagener Christen von den Mauern auf sie herabgeworfen wurden, so fühlten sie, daß Ulpius da war. Wenn die tapfersten Streiter zauderten, die Leiter zu besteigen, so wußte man, daß Ulpius oben die Niederlage ihrer Kameraden leitete. Wenn ein Ausfall der Tempelbesatzung die Vorhut bis zu den Reservemannschaften im Rücken zurücktrieb, wurde zu ihrer Entschuldigung eingewendet, daß Ulpius an der Spitze seiner heidnischen Schaaren kämpfe. Immer neue Mengen von christlichen Kriegern drangen zum Angriffe herbei, wiewohl aber die Reihen der Ungläubigen merklich gelichtet wurden, wiewohl die vertheidigten Thore unter den wiederholten Stößen, mit welchen man sie bestürmte, endlich zu zittern begannen, blieb doch jeder Hof des heiligen Gebäudes im Besitz der Belagerten und zur Verfügung des unbesiegten Anführers, welcher die Vertheidigung organisirte.

Durch das Mißlingen seiner Anstrengungen niedergeschlagen und über das unter seinen Anhängern bereits stattgefunde Blutbad einsetzt, befahl der Erzbischof plötzlich die Feindseligkeiten einzustellen und schlug den Vertheidigern des Tempels einen kurzen günstigen Waffenstillstand vor. Nach einigem Verzug und, wie es schien einiger Zwiste in ihren Reihen sendeten die Heiden dem Primus die Versicherung der Annahme seiner Bedingungen, welche darin bestanden, daß beide Theile sich weiteren Kampfes um die Oberhand enthalten sollten, bis man von Theodosius ein Edikt über das endliche Schicksal des Tempels verlangt und erhalten haben würde.

Sobald der Waffenstillstand einmal abgeschlossen war, wurde der weite Raum vordem gefristeten Gebäude allmälig von Menschen gereinigt. Langsam und traurig entfernte sich der Erzbischof mit seinen Leuten von den alten Mauern, deren Zinnen sie vergeblich gestürmt hatten, und als die Sonne unterging, waren von der ungeheuern Menge, die sich am Morgen zusammengefunden hatte, nur noch einige Leichen vorhanden. In dem Tempelgebäude selbst trat mit der Nacht die Herrschaft des Todes und der Ruhe ein, wo der Morgen hell auf Leben und Thätigkeit geschimmert hatte. Die Verwundetem Müden und Todten lagen alle jetzt gleich still von den Nachtwinden gestichelt, die durch die hohen Säulenhallen zogen, oder von der in den stummen Sälen herrschenden Dunkelheit beschwichtigt. In den Reihen der Heiden gab es nur Einen, der sich noch mühte und dachte. Rastlos wie ein Raubthier, welches in seiner Höhle bedroht wird, wachsam wie ein einsamer Geist in einer Stadt von fremden Gräbern, wenderte Ulpius brütend im Tempel umher. Für ihn gab es keine Ruhe des Körpers – keine Stille ins Geistes. Ueber den Ereignissen der nächsten wenigen Tage schwebte die furchtbare Entscheidung welche bald auf die Jahre seines künftigen Lebens einen unwiderruflichen Einfluß zum Elend oder Glücke haben sollte. Rund um die gewaltigen Mauern wachte er mit mechanischer nutzloser Aengstlichkeit, jeder Stein des Gebäudes war beredt für sein einsames Herz – schön für seine wilde Phantasie. In jenen nackten Gebäuden war für ihn das geliebte fruchtbare Vaterhaus, hier war der Tempel, für dessen Verherrlichung sein Geist in Sklavenbande geschlagen, zu dessen Ehre seine Jugend geopfert worden war. Um die geheimen Raume und die geheiligten Höfe schritt er mit eiligen Tritten und reinigte mit sanfter, fleißiger Hand die Statuen neben ihm von Blutflecken und den Befleckungen des Kriegs. Trübe, einsam, nachdenklich, wie in den ersten Tagen seiner Lehrzeit zum Götterdienst, schweifte er jetzt in den mondhellen Gemächern umher, wo in seiner Jugendzeit Macrinus sein Lehrer gewesen war. Wie die drohenden Tumulte des Tages seinen Zorn erregt hatten, so erweckte die Stille der ruhigen Nacht seine Sanftmuth. Er hatte am Morgen für den Tempel gekämpft, wie ein Sohn für seinen Vater, und ietzt bei Nacht wachte er über ihm, wie der Geizige über seinen Schätzen, wie der Liebende über seiner Geliebten, wie eine Mutter über ihrem Kinde!

Die Tage vergingen und endlich erschien der denkwürdige Morgen, welcher das Schicksal des letzten Tempels entscheiden sollte, den der christliche Fanatismus für die Bewunderung der Welt ausgespart hatte. In der Frühe des Tages trafen die verminderten Schaaren der heidnischen Streiter mit ihren verstärkten, entschlossenen Gegnern, beide unbewaffnet, auf dem Hauptplatze von Alexandria zusammen. Die kaiserliche Verfügung wurde hier öffentlich vorgelesen.

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Sie begann damit, daß sie den Heiden versicherte, wie das Ansuchen ihres Priesters um Schutz für den Tempel dieselbe Berücksichtigung erfahren habe, welche der von dem christlichen Erzbischof übersendeten Petition gegen die Götter zu Theil geworden sei und endete mit dem Befehl des Kaisers, daß Serapis und alle andere Götzenbilder in Alexandria sofort vernichtet werden sollten.

Das Triumphgeschrei, welches dem Schlusse des kaiserlichen Edikts folgte, war in den christlichen Reihen noch nicht verstummt, als die Vorhut der zur Unterstützung des Vollzugs des kaiserlichen Dekrets bestimmten Soldaten aus dem Platze erschien. Einige Minuten lang standen die verlassenen Heiden an die Stelle gewurzelt, wo sie sich versammelt hatten, und blickten in stumpfer Verwirrung und Verzweiflung auf die kriegerischen Vorbereitungen um sie her.

Als sie sich dann erinnerten, wie vermindert ihre Zahl, wie schwer ihre erste Vertheidigung gegen Wenige gewesen war und wie unmöglich eine zweite gegen Viele sein würde, wurden die Kühnsten wie die Schwächsten von einem panischen Schrecken ergriffen, und ohne an Ulpius, ohne an die Ehre, ohne an die Götter zu denken, wendeten sie sich wie ein Mann und flohen vom Platze.

Mit der Flucht der Heiden begann das Werk der Zerstörung. Selbst Frauen und Kinder eilten herbei, um an der willkommenen Aufgabe rücksichtsloser Vernichtung Theil zu nehmen. Diesmal versperrten keine Vertheidiger den Christenschaaren die Thore des Tempels. Die erhabene Einsamkeit des bewohnerlosen Gebäudes wurde augenblicklich gestört und geschändet Die Statuen wurden zerschlagen, das Gold der Verzierung davon geschleppt, die Thüren zersplittert – hier aber hielt für jetzt das Werk der Zerstörung an. Diejenigen, denen die Arbeit, das äußere Gebäude zu zertrümmern, anvertraut worden war, hatten dabei geringern Erfolg als ihre Freunde, welche das Innere ausplünderten. Die gewichtigen Steine der Säulen, die massive Oberfläche der Mauern widerstanden selbst ihren kräftigsten Anstrengungen und zwangen sie, sich mit dem Verstümmeln Desjenigen, was sie nicht zerstören konnten, zu begnügen – mit dem Abreißen der Dächer, dem Verstümmeln der Statuen und Zerschlagen der Capitäle. Das übrige Gebäude blieb unverletzt und stand selbst jetzt in seinen Ruinen noch großartiger da, als es je in der Pracht seiner Vollkommenheit und Macht gewesen war.

Aber die wichtigste That blieb noch zu verrichten. Dem Heidenthume mußte noch seine Todeswunde geschlagen, die Bildsäule des Serapis, der die Herzen von Millionen beherrscht hatte und in den entferntesten Winkeln des Reiches berühmt war, zerstört werden.

Athemlose Stille herrschte in den Reihen der Christen, als sie in die Halle des Gottes drangen. Eine abergläubische Scheu, der sie sich bis jetzt überlegen geglaubt hatten, kam über ihre Herzen, als ein einziger Soldat, kühner wie seine Genossen, auf einer Leiter bis zum Kopfe der kolossalen Statue hinaufstieg und mit seiner Axt einen Streich nach ihrer Wange führte. Der Schlag war kaum erfolgt, als, ein tiefes Stöhnen von der entgegengesetzten Mauer des Saales her ertönte, dann hörte, man sich entfernende Schritte und darauf war Alles still. Auf einige Minuten hielt dieser Vorfall Diejenigen zurück, welche im Begriff waren, ihrem Genossen in der Verstümmelung des Götterbildes beizustehen, dann aber verschwand ihr Zaudern, sie führten ihre Streiche nach der Statue und es folgten denselben keine weiteren Laute.

In unglaublich kurzer Zeit lag das Bild des Serapis in Trümmern auf dem Boden. Die Menge bemächtigte sich der Glieder der Bildsäule und eilte hinweg, um sie triumphirend durch die Straßen zu schleppen. Noch wenige Minuten und die Ruinen waren öde, der Tempel verstummt, das Heidenthum vernichtet!

Die Christen waren in ihrem Zerstörungslaufe durch den Tempel mit der hartnäckigsten Ausdauer und zugleich der vollkommensten Straflosigkeit von dem einzigen Heiden, der nicht in der Flucht Sicherheit gesucht hatte, gefolgt worden. Dieser Mann, der jeden geheimen Gang, jede Treppe des heiligen Gebäudes kannte, konnte insgeheim bei jeder neuen Zerstörungshandlung, in welchem Theile des Gebäudes sie auch stattfinden mochte, zugegen sein Von Halle zu Halle, und Zimmer zu Zimmer folgte er mit geräuschlosem Schritte und glühendem Auge den Bewegungen des christlichen Pöbels – bald hinter einer Säule versteckt, bald in geheime Höhlungen der Mauern schlüpfend, bald von unmerklichen Spalten in der Decke herabblickend; wo er aber auch immer sein mochte, stets mit derselben Aufmerksamkeit und demselben bewegten Schweigen, selbst die geringstfügigsten Zerstörungen der Niedrigsten unter den Reihen der Christen beobachtend.

Erst als er mit den siegreichen Verwüsten in das ungeheure Gemach trat, welches von dem Bilde des Serapis eingenommen wurde, begann das Gesicht des Mannes Zeugniß von der Pein abzulegen, in welcher sein Herz zuckte. Er stieg eine Geheimtreppe, die in der massiven Wand ausgehauen war, hinauf, gelangte in einen Gang, der um den Rand der Decke lief und blickte durch eine Art von Fenster, welches in den Zierrathen des Karnises verborgen war. Als er so hinabschauend, den Soldaten die Axt in den Händen zu dem Kopfe der Statue hinaufsteigen sah, träufelten große Schweißtropfen von seiner Stirn. Der heiße Athem zischte dick durch seine zusammengepreßten Zähne und seine Hände griffen in die starken Metallstützen des Fensters, daß sich dieselben verbogen.

Als der Streich auf das Götterbild fiel, schloß er die Augen. Als das von dem Schlage abgelöste Bruchstück zu Boden stürzte, entfloh seinen behenden Lippen ein Stöhnen. Noch einen Augenblick starrte er mit Entsetzen auf die Menge zu seinen Füßen und stieg dann mit rasender Eile die steile Treppe, über die er hinaufgelangt war, herab, und floh aus dem Tempel.

In der Nacht darauf wurde der Mann wieder von einigen Schäfern, die die Neugier zu einem Besuche in dem entheiligten Gebäude getrieben hatte, gesehen, wie er in den zerstörten, verlassenen Säulenhallen bitterlich weinte. Als sie sich ihm näherten, um ihn anzureden, erhob er den Kopf und winkte ihnen mit flehender Geberbe, ihn zu verlassen. Während der wenigen Augenblicke, wo er ihnen gegenüber stand, schien der Mond voll auf sein Gesicht und die Schäfer, die in früheren Tagen den Ceremonien im Tempel beigewohnt hatten, sahen mit Erstaunen, daß der einsame, trauernde, dessen Betrachtungen sie unterbrochen hatten, kein Anderer war als Ulpius der Priester.

In der Morgendämmerung kamen diese Schäfer wieder an den Mauern des geplünderten Tempels vorüber. Während der Stunden der Nacht hatte ihnen die Erinnerung an den trostlosen, ungetheilten Schmerz, den sie erblickt, an die furchtbare Einsamkeit des Elendes, in welcher sie den verlassenen Mann mit dem gebrochenen Herzen, dessen leisestes Wort sie einst freudig verehrt hatten, gesehen, ein Gefühl des Mitleids für den unglücklichen Heiden eingeflößt, welches weit von dem Verfolgungsgeiste abwich, den das Wahnchristenthum ihrer Zeit der Brust selbst seiner geringsten Schüler einflößen wollte. Auf Trost bedacht, von dem Verlangen, Hülfe zu gewähren, erfüllt, traten diese Männer gleich dem barmherzigen Samaritaner ein, um einem bekümmerten Bruder beizustehen. Sie durchsuchten alle Theile des leeren Gebäudes, aber der Gegenstand ihrer Theilnahme war nirgends zu sehen. Sie riefen, aber sie vernahmen außer den Klagen des frühen Morgenwindes durch die zerstörten Hallen, die vor Kurzem noch von der Beredtsamkeit des einst berühmten Priesters erfüllt gewesen waren, keinen antwortenden Ton. Mit Ausnahme einiger Nachtvögel, denen das öde Gebäude bereits Zuflucht gewährte, bewegte sich kein lebendes Wesen in Dem, was einst der Tempel der östlichen Welt gewesen war. Ulpius war verschwunden.

Diese Ereignisse fanden im Jahrr 389 statt.

Ein Jahr darauf wurde das Halten von heidnischen Ceremonien im ganzen römischen Reiche dem Hochverrathe gleich gestellt. Von dieser Periode an spalteten sich die zerstreuten Wenigen, welche noch dem alten Glauben anhingen, in drei Theile, die alle gleich unbedeutend waren, mochte man sie nun als offene oder geheime Feinde der neuen Staatsreligion betrachten.

Die erste Abtheilung bemühte sich ohne Erfolg, die die Opfer und Wahrsagereien verbietenden Gesetze zu umgehen, indem sie ihre religiösen Feierlichkeiten unter der Form von gastlichen Zusammenkünften verbarg.

Die zweite bewahrte ihre alte Ehrerbietung für die Theorie des Heidenthums, gaben aber alle Hoffnung und Absicht auf, je wieder die Ausübung derselben vorzunehmen. Durch dergleichen rechtzeitige Zugeständnisse gelang es Vielen, hohe und einträgliche Staatsämter zu behaupten und selbst zu erlangen.

Die Dritten zogen sich als freiwillige Verbannte von jeder Religion in ihre Heimath zurück, gaben aus Nothwendigkeit die Uebnng des Heidenthums auf und vermieden aus freier Wahl die Gemeinschaft der Christen.

Dies waren die unwichtigen Abtheilungen, in welche jetzt die letzten Ueberbleibsel der einst mächtigen Heiden versanken. Aber der von seiner stolzen Höhe herabgestürzte Ulpins schloß sich nie einer von denselben an.

Fünf lange Jahre von der Epoche der Verbietung des Heidenthums an gerechnet, wanderte er durch das ganze Reich und besuchte als freundloser, hoffnungsloser, einsamer Mann in allen Ländern die zerstörten Heiligthümer seiner unterdrückten Religion.

Durch ganz Europa und alles, was in Asien und Afrika noch zu Rom gehörte, nahm er seinen langsamen mühseligen Weg. Durch die fruchtbaren Thaler Galliens, über den glühenden Sand von Afrika, durch die sonnenhellen Städte von Spanien reiste er freundlos, wie ein fluchbelasteter, einsam, wie ein zweiter Kain. Keinen Augenblick verließ die Erinnerung an seine zerstörten Pläne sein Gedachtniß oder der wahnsinnige Vorsatz, seine Religion neu zu beleben, seinen Geist. An jedem Ueberbleibsel des Heidenthums, welches er auf seinem Wege traf, wie geringfügig es auch sein mochte, fand er Nahrung für seine grimmige Pein, Beschäftigung für seine rachsüchtigen Gedanken. In den kleinen Dörfern wurden oft die Kinder von ihren Spielen in einem verlassenen Tempel durch das Erscheinen seiner magern, starren Gestalt unter den schwankenden Säulen oder den Ton seiner hohlen Stimme unter den heidnischen Gräberruinen aus ihren Spielen aufgeschreckt. Oft fanden ihn in menschenvollen Städten Männergruppen, die sich versammelt hatten, ums über ihre Erinnerungen an den Fall des Heidenthums zusprechen, lauschend an ihrer Seite und wenn sie nachlässig ihren alten Glauben bedauerten, sie mit der lächelnd geflüsterten Versicherung tröstend, daß noch die Zeit des Wiederersatzes kommen würde. Von Allen und überall wurde er als ein unschädlicher Wahnsinniger betrachtet, dessen seltsame Verblendungen und Vorurtheile nicht bekämpft werden durften, sondern mit Nachsicht betrachtet werden mußten.

So wanderte er durch die christliche Welt, ohne auf das Verfließen der Zeit und die Veränderung des Klimas zu achten, lebte nur mit sich, fand Genuß in der Trauer über den Untergang seiner Religion, ließ sich geduldig die ihm zu Theil werdenden Beleidigungen, Schmähungen und Hoffnungstäuschungen gefallen, wartete auf die-Gelegenheit, die, wie er immer noch glaubte sicher kommen würde, und hielt mit aller Rücksichtslosigkeit des Ehrgeizes und aller Ausdauer der Rachsucht an seinem Vorsatze fest.

Die fünf Jahre vergingen unbeachtet, unberechnet, von Ulpius unbedauert. Für ihn, der nur in der Vergangenheit lebte, nur für die Zukunft hoffte, besaß der Raum keine Hindernisse, war die Zeit etwas Vergessenes. Jahre vergehen wie Tage, Stunden wie Augenblicke, wenn die wechselnden Empfindungen, welche ihre Existenz im Gedächtnisse bezeichnen und ihre Reihenfolge auf dem Zifferblatte des Herzens anmerken, nicht mehr zum Glück oder Schmerz existiren, für alle neuen Gefühle todt, lag Ulpius Geist, seine ganzen Wanderungen hindurch, unter der einen Idee, welche ihn ausfüllte, erstarrt da. Erst nach Verlauf dieser unbeachteten Jahre, als der Zufall der Reise seine Schritte nach Alexandria lenkte, brach sein Geist die lange Knechtschaft, welche ihn bedrückt hatte. Dort – als er durch das Thor schritt, in welches er vor langen Jahren als ein stolzer, ehrgeiziger Knabe getreten war, als er unbegrüßt durch die Ruinen des Tempels wanderte, wo er einst berühmt und verehrt gelebt hatte, – erhoben sich seine dumpfen, kalten Gedanken stark und lebenskräftig in ihm. Der Anblick des Schauplatzes seiner frühern Herrlichkeit, welcher bei Andern vielleicht Verzweiflung erweckt haben würde, regte in ihm die schlafenden Leidenschaften auf, machte die erstickten Kräfte frei. Die Pläne der Rache und die Visionen der Wiederherstellung des Heidenthums, über welchen er fünf lange Jahre hindurch gebrütet hatte, stiegen jetzt vor ihm auf, als wären sie schon von dem belebenden Einflusse der ihn umgebenden, entweihten Lokalitäten verwirklicht worden. Als er so in den zertrümmerten Säulengängen des Heiligthums stand, gab es keinen zu seinen Füßen zerbröckelten Stein, der ihn nicht über seine bisherige Unthätigkeit getadelt und ihn zum Wagen zu Verschwörungen, zur Rache im Dienste der beleidigten Götter gestärkt hätte. Die Tempelruinen, welche er auf seinen düstern Wanderungen besucht hatte, wurden jetzt von seiner Phantasie wieder belebt, als sie sich eine nach der andern in seinem angestrengten Gedächtnisse erhoben. Zerbrochene Säulen stiegen vom Boden auf, entweihte Götterbilder nahmen wieder ihre leeren Fußgestelle ein und er, der Verbannte und Trauernde, stand wieder als Herrscher, Lehrer und Priester da.

Die Zeit der Wiederherstellung war gekommen obgleich sein Verstand ihm noch keine bestimmten Pläne eingab, trieb ihn doch sein Herz an, blindlings auf die Ausführung seiner Reform zuzueilen. Der Augenblick war erschienen – Macrinus sollte noch gerächt, der Tempel endlich wieder hergestellt werden.

Er stieg in die Stadt hinab, er eilte, ohne bewillkommnet oder wieder erkannt zu werden, durch die menschenvollen Straßen, er trat in das Haus eines Mannes, der einst in frühern Tagen sein Freund und College gewesen war, schüttete gegen ihn seine phantastischen Vorsätze und unzusammenhängenden Pläne aus, flehte ihn um Beistand an und versprach ihm herrlichen Erfolg. Aber sein alter Genoss war durch rechtzeitige Bekehrung zum Chtistenthume ein Mann von Vermögen und Ansehen in Alexandria geworden und wendete sich mit Entrüstung und Verachtung von dem freundlosen Enihusiasten ab.

Zurückgewiesen aber nicht entmuthigt suchte Ulpius Andere auf, die er in seinem Glück und Glanz gekannt. Sie alle hatten ihren alten Glauben abgeschworen, – sie alle empfingen ihn mit studierter Kälte oder nachlässiger Geringschätzung, er aber verharrte trotzdem auf seinen nutzlosen Versuchen. Er verblendete seine Augen gegen ihre verächtlichen Blicke, er verschloß seine Ohren ihren spöttischen Worten. In seiner Selbstverblendung verharrend, ernannte er sie zu Boten an ihre Brüder in anderen Ländern, zu Anführern der Verschwörung, die in Alexandria beginnen sollte, zu Rednern vor dem Volke, wenn die denkwürdige Revolution einmal begonnen haben würde. Umsonst verweigerten sie jede Theilnahme an seinen Plänen, er verließ sie, als eben die Worte der Weigerung auf ihre Lippen stiegen und eilte zu andern in seinen Anstrengungen so eifrig, seiner unwillkommenen Sendung so hingegeben, als ob« sich die Hälfte der Bevölkerung der Stadt freudig gelobt habe, ihm in seinem rasenden Vorhaben beizustehen.

So setzte er den ganzen Tag hindurch seine Arbeit unablässiger Ueberrednng unter denjenige Bewohnern der Stadt, welche einst seine Freunde gewesen waren, fort. Als der Abend kam, begab er sich müde, aber nicht niedergeschlagen nach dem irdischen Paradiese, weiches er wieder zu erlangen eutschlossen war – dem Tempel, wo er einst gelehrt hatte, und welchem er immer noch dereinst vorzustehen hoffte. Hier begann er, mit den neuen Gesetzen unbekannt, gleichgültig gegen Entdeckung und Gefahr, wie in alten Zeiten durch seine Wahrsagekunst zu untersuchen, ob seinen großen Plan Mißlingen oder Erfolg erwarte.

Unterdessen waren die Freunde, deren Beistand zu erzwingen Ulpius beschlossen hatte, ihrerseits nach der Entfernung des eifrigen Priesters keineswegs unthätig geblieben. Sie erinnerten sich mit Schrecken, daß die Gesetze eben so streng gegen Diejenigen waren, welche ihre Kenntniß von einer heidnischen Intrige geheim hielten, wie gegen die wirklich an einer heidnischen Verschwörung Betheiligten. Und sie begaben sich, in der Besorgniß um ihre persönliche Sicherheit mit Ueberwindung aller Rücksichten der Ehre und Ansprüche alter Freundschaft, zusammen zu dem Präfekten der Stadt, um ihn mit dem ganzen Eifer der Besorgniß von der Anwesenheit des Ulpius in Alexandria und dessen verbrecherischen Plänen zu benachrichtigen.

Jetzt wurde sofort Nachsuchung nach dem unbekehrten Heiden gehalten. Man fand ihn noch im Laufe der Nacht vor einem zerstörten Altare über den Eingeweiden eines so eben von ihm geopferten Thieres brüten. Es bedurfte keines weitern Beweises seiner Schuld. Er wurde gefangen genommen, am folgenden Morgen unter den Verwünschungen des Volkes, welches ihn einst fast angebetet hatte, vor Gericht gestellt und verurtheilt, den nächsten Tag die Todesstrafe zu erleiden.

Zur angesetzten Stunde versammelte sich der Pöbel, um die Hinrichtung anzusehen. Zu seiner Entrüstung sah er sich jedoch in seinen Erwartungen getäuscht, denn als die Gerichtsbeamten der Stadt vor dem Gefängnisse erschienen, geschah es nur, um den Zuschauern anzuzeigen, daß die Ausführung der blutigen Feierlichkeit verschoben worden sei. Nach einer räthselhaften mehrwöchentlichen Frist wurden sie wieder zusammenberufen, aber nicht um der Hinrichtung beizuwohnem sondern um die außerordentliche Ankündigung zu erhalten, daß das Leben des Missethäters geschont werden würde, und der abgeminderte Richterspruch ihn jetzt zu lebenslänglicher Sklavenarbeit in den spanischen Kupferbergwerken verdamme.

Welcher mächtige Einfluß den Präfekten bewogen hatte, sich durch Begnadigung eines Gefangenen, dessen Schuld so vollkommen erwiesen war wie die des Ulpius, dem öffentlichen Hasse auszusetzen, kam nie an den Tag. Die Einen behaupteten, daß der Stadtrichter noch im Herzen ein Heide sei und sich daher scheue, den Tod eines Mannes zu autorisiren, der einst der berühmteste von den Bekennern des salten Glaubens gewesen war. Andere meinten, daß Ulpius die Nachsicht seiner Richter dadurch erlangt habe, daß er sie mit der Lage eines von den geheimen Behältnissen unter den Grundlagen des zerstörten Serapistempels, die, wie man glaubte, ungeheure Schätze enthalten sollten, bekannt gemacht habe. Es wurde aber nie zur Genüge erwiesen, welches von diesen beiden Gerüchten begründet sei, man entdeckte weiter nichts, als daß Ulpius um Mitternacht von Alexandrien nach dem ihm von den glaubenseifrigen Behörden bestimmten Orte irdischer Pein geschafft worden war und die Schildwache an dem Thore, durch welches man ihn brachte, ihn im Vorbeigehen vor steh hin murmeln gehört hatte, daß die Augurien ihn auf das Mißlingen vorbereitet, der große Tag der Wiederherstellung des Heidenthums aber noch erscheinen werde.

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Im Jahre 407, zwölf Jahre nach den eben erzählten Ereignissen, betrat Ulpius Rom.

Er war noch nicht weit gekommen, als ihn schon das Getümmel und die Verwirrung aus der Straße völlig außer Fassung zu bringen schien, er eilte nach dem nächsten öffentlichen Garten, welchen er bemerken konnte, vermied die besuchteren Wege und warf sich, wie es schien, in ohnmächtiger Erschöpfung am Fuße eines Baumes nieder.

Eine Zeitlang lag er auf dem von ihm gewählten schattigen Ruheplatze peinlich aufathmend mit fortwährend von plötzlichen Krämpfen durchzittertern Körper und von einer Aufregung, die er umsonst zu unterdrücken versuchte, bebenden Lippen da. Sein Aussehen war so verändert, daß die Wachen, welche ihn von Alexandrien fortgebracht hatten, so elend sein Aeußeres selbst damals schon war, ihn jetzt unmöglich als denselben Mann wieder erkannt haben würden, der einst von ihnen zur Sklaverei in die spanischen Bergwerke abgeliefert worden war. Die Dünste der Kupferbergwerke in denen er zwölf Jahre wie vergraben gelegen, hatten nicht nur das Fleisch auf seinen Gebeinen verzehrt, sondern auch seiner Oberfläche eine fast todtenartige gelbe Farbe ertheilt. Seine vom Alter abgezehrten und durch Leiden verkrümmten Glieder beugten sich und zitterten unter ihm und seine in ihren edeln Verhältnissen einst so majestätische Gestalt war jetzt so verzerrt und verkrüppelt, daß wer ihn erblickte, nicht anders glauben konnte, als daß er von Geburt an verunstaltet gewesen sein müsse. Von dem frühern Manne war kein Kennzeichen mehr übrig geblieben, als der Ausdruck der strengen, traurigen Augen und diese, die wahrhaften Dolmetscher des unbesiegbaren Geistes, dessen Empfindungen auszudrücken sie geschaffen schienen, bewahrten von Leiden unverändert und von der Zeit unvermindert noch denselben Blick theils der Reflexion, theils des Trotzes und theils der Verzweiflung, welcher in ihnen geleuchtet hatte, als der Tempel zerstört und die Gemeinde der Heiden zerstreut wurde.

Antonia

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