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Erster Band
Zweites Buch
Kapitel III
Antonina

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Wer ist in Rom gewesen, ohne sich mit Entzücken der Reize des Monte Pincio zu erinnern? Wer ist nicht, nachdem er sich durch die Wunder der düstern, traurigen Stadt geschleppt, durch einen Besuch seiner schattigen Spaziergänge und das Athmen seiner balsamischen Düfte neu belebt worden? Unter der feierlichen Trauer, die über dem verfallenden Rom herrscht, erhebt sich dieser köstliche Hügel leicht, luftig und einladend zur Erquickung für den Körper und zum Troste fürs den Geist. Von seinem, ebenen Gipfel erblicket man die Stadt in ihrer größten Majestät und die Umgegend in ihrem schönsten Kleide. Die Verbrechen und das Elend von Rom scheinen abgeschreckt zu werden, sich seinem beglückten Boden zu nähern, er macht aus den Geist den Eindruck eines durch den allgemeinen Willen für die Gegenwart der, Unschuldigen und Frohen bei Seite gesetzten Ortes – einer Stelle, die durch Ruhe und Erholung gegen das Eindringen des Lärmens und der Mühe heilig gehalten wird. Sein Aeußeres in der neuern Zeit ist das Bild seines Charakters seit Jahrhunderten. Die Kriege konnten seine Schönheiten auf eine Zeitlang verdunkeln, der Friede stellte sie aber stets in aller ihrer ursprünglichen Lieblichkeit wieder her. Die alten Römer nannten ihn den Berg der Gärten, er hat bei allen Unglücksfällen des Reiches und Zuckungen des Mittelalters fortwährend seine alte Benennung verdient, und ist noch heutzutage triumphirend ein Berg von Gärten.

Zu Anfange des fünften Jahrhunderts stand die Herrlichkeit des Monte Pincio auf ihrem Gipfel. Wenn es sich mit dem Laufe unserer Geschichte vertrüge, auf der Pracht seiner Paläste und Haine, seiner Tempel und Gräber zu verweilen, so könnte vor dem Leser ein so glühendes Gemälde von natürlicher Schönheit unterstützten, künstlichen Glanzes ausgebreitet werden, daß er denken würde, man wolle seiner Leichtgläubigkeit spotten, während es sein Erstaunen erregte. Es ist hier jedoch unnöthig, eine solche Aufgabe zu versuchen. Nicht für die Wunder des alten Luxus und Geschmackes, sondern für die Wohnung des religionseifrigen Numerian halten wir es jetzt nöthig, Theilnahme zuerwecken und Aufmerksamkeit zu erregen.

Auf der Rückseite des Flaminischen Endes des Monte Pincio und dicht an der Stadtmauer stand zur Zeit, von welcher wir schreiben, ein kleines, aber elegant gebautes Haus von einem Gärtchen umgeben und von hinten durch die hohen Haine und Nebengebäude des Senators Vetranio geschützt. Diese Wohnung war einst eine Art von Sommerhaus des früheren Besitzers eines nahen Palastes gewesen.

Die Verschwendung und Ausschweifung hatten den Eigenthümer gezwungen, sich von diesem Theile seiner Besitzthümer zu trennen, welcher von einem Kaufmanne an sich gebracht wurde, den Numeriam, dem das Haus beim Tode seines Freundes als Erbtheil zufiel, gut kannte. Sobald seine Reformationspläne von seinem Geiste Besitz ergriffen, schon über die Idee der Nähe bei den adeligen Wüstlingen von Rom entrüstet, hatte der strenge Christ sein Erbtheil zu verlassen und es an einen Andern zu verkaufen beschlossen, aber auf die wiederholten Bitten seiner Tochter endlich eingewilligt seine Absicht zu ändern und den Widerwillen gegen seine üppigen Nachbarn der jugendlichen Liebe seines Kindes für die Schönheiten der Natur, wie sie sich in seinem Legate auf dem Monte Pincio zeigten, geopfert.

Dies war der einzige Fall, in welchen: die angeborene Liebe des Vaters den Sieg über die angeeignete Strenge des Reformators davontrug. Hier ließet sich zum ersten und letzten Male zu den süßen Tändeleien der Jugend herab, hier richtete er, trotz seiner selbst, nachsichtig, seine kleine Haushaltung ein und erlaubte seiner Tochter, als einzige Erholung die Pflege der Blumen im Garten und den Genuß der schönen Aussicht in die Ferne.

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Die Nacht ist seit den im vorigen Kapitel erwähnten Ereignissen um eine Stunde vorgerückt. Der helle, glänzende Mondschein Italiens erleuchtet jetzt jeden Bezirk der herrlichen Stadt und badet die Haine und Paläste auf dem Monte Pincio in seinen reinen Strahlen. Von dem Garten Numerian’s aus sind die unregelmäßigen Gebäude der großen Vorstädte von Rom, das fruchtbare, wellenförmige Land jenseits derselben und die langen Bergreihen inder Ferne in dem weichen, sanften Lichte deutlich sichtbar. In der Nähe der Stelle, von welcher man diese Aussicht hat, ist bei der erstens Betrachtung kein lebendes Wesen zu erblicken. Wenn man sich aber aufmercksamer und geduldiger umschaut, so kann man später an einem der Fenster von Numerian’s Hause, hinter einem Vorhange halb versteckt, die Gestalt eines jungen Mädchens erschauen.

Diese einsame Gestalt tritt bald dem Auge näher, die Mondstrahlen, welche bis jetzt nur auf das, Fenster geschienen haben, erleuchten nun auch andere Gegenstände. Zuerst zeigen sie einen kleinen weißen Arm, dann ein leichtes, einfaches Gewand, darauf einen schönen, graziösen Hals und endlich ein schimmerdes, jugendliches, unschuldiges Gesicht, welches sich unbewegt aus die weite monderhellte Aussicht der fernen Berge heftet.

Eine Zeitlang bleibt das Mädchen betrachtend am Fenster stehen, dann verläßt es seinen Posten und erscheint fast augenblicklich darauf an eine in den Garten führenden Thür. Ihre ans den vor ihr liegenden Rasenplatz zuschreitende Gestalt ist leicht und klein, in ihren Bewegungen zeigen sich natürliche Anmuth und Anstand – sie hält an ihren Busen gepreßt und halb von ihrem Gewande verborgen eine vergoldete Laute. Sie hat eine Rasenbank erreicht, auf der man dieselbe Aussicht hat, wie am Fenster, legt ihr Instrument auf dem Knie zurecht und berührt mit einigermaßen zauderndem Wesen sanft die Saiten. Hierauf blickt sie, wie über den von ihr hervorgebrachten Ton in Schrecken, ängstlich um sich und scheint zu fürchten, daß sie gehört werden könne. In ihren großen, dunkeln, schimmernden Augen liegt ein Ausdruck von Besorgniß, ihre zarten Lippen öffnen sich halb. Ein plötzliches Erröthen steigt in ihren weichen, olivenfarbenen Wangen auf, während sie jeden Winkel des Gartens durchforscht. Nachdem sie ihre Untersuchung beendet, ohne einen Grund für den Verdacht, welchen sie zu hegen scheint, zu entdecken, nimmt sie wieder ihr Instrument vor. Sie schlägt von Neuem die Saiten an, diesmal aber mit kühnerer Hand. Die von ihr hervorgebrachten Töne vereinigen sich zu einer wilden, klagenden, unregelmäßigen Melodie, die, wie von dem launischen Einflusse eines Sommerwindes beherrscht, abwechselnd stärker und schwächer werden. Diese Töne vermehren sich bald harmonisch durch die Stimme der jungen Lautenschlägerin, die ruhig, voll und metallisch sich mit ausgesuchter Kunst jeder willkührlichen Veränderung im Tone der Begleitung anschmiegt. Das Lied, welches sie gewählt hat, ist eine von den phantastischen Oden der Zeit. Ihr Hauptvorzug liegt für sie in der Verbindung mit der seltsamen, orientalischen Melodie, welche sie bei ihrer ersten Begegnung mit dem Senator, der ihr die Laute schenkte, gehört.

Das Lied war bald zu Ende. Als aber die letzten Töne ihrer Stimme und Laute sanft in der stillen Nachtluft verklangen, zeigte sich aus dem Gesicht des Mädchens eine unbeschreibliche Erhebung. Sie blickte verzückt zu dem fernen, sternhellen Himmel auf ihre Lippe bebte, ihre dunkeln Augen füllten sich mit Thränen und ihr Busen wogte im Uebermaße der Empfindungen, welche die Musik und die Natur in ihrem Geiste erweckt hatten, dann schaute sie langsam um sich, verweilte liebevoll auf den duftigen Blumenbeeten, die das Werk ihrer eignen Hände waren und sah mit halb ehrfurchtsvollem, halb seligem Ausdrucke über die weithingedehnte, glatte, schimmernde Ebene und die stummen herrlichen Berge hin, die, so lange die Begeisterung ihre liebsten Gedanken gewesen waren und jetzt sanft und schön, wie die Träume ihres jungfräulichen Lagers, vor ihr leuchteten. Von den unschuldigen Gedanken und Erinnerungen, welche die Zauberflügel der Natur und Nacht in ihren Geist fächelten, überwältigt, beugte sie dann das Haupt auf ihre Laute herab, drückte ihre runde Grübchenwange an das glatte Gehäuse derselben, ließ die Finger mechanisch über die Saiten streifen und gab sich rückhaltslos ihren jungfräulichen, jugendlichen Träumereien hin.

Dies war das Wesen, welches der traurige Ehrgeiz seines Vaters zu einer lebenslänglichen Verbannung von Allem, was es in der menschlichen Kunst Anziehendes und im menschlichen Geiste Schönes giebt, geweiht hatte! Dies war die Tochter, deren Existenz nur eine lange Bekanntschaft mit dem Schmerze der Sterblichen, nur eine wechsellose Verweigerung aller menschlichen Freuden sein, deren Gedanken sich nur auf Predigten und Fasten, deren Handlungen sich nur aus das Verbinden fremder Wunden und das Trocknen fremder Thränen richten sollten, deren Leben, kurz gesagt, dazu verurtheilt trat, die Verkörperung des strengen Ideals ihres Vaters von den strengen Jungfrauen der alten Kirche zu werden!

Ihrer Mutter beraubt, aus der Gesellschaft Anderer ihres Alters verbannt, aller Vertraulichkeit mit irgend einem lebenden Wesen – aller Sympathieen mit den Herzen Anderer entäußert, stets mit Befehlen, aber nie mit Nachsicht überhäuft, getadelt, aber nie gelobt, hätte sie unter der Strenge ihres Vaters erliegen müssen, wenn sie sich nicht den geringen Ungehorsam erlaubt und der einsamen Freude, die ihr ihre Laute verschaffte, hingegeben hätte. Umsonst las sie in ihren Stunden des Studiums die wüthenden Flüche gegen Liebe, Freiheit und Freude, Dichtkunst, Malerei und Musik, Gold, Silber und Edelgesteine, welche die alten Kirchenväter zur Beachtung der unterwürfigen Gemeinden früherer Tage abgefaßt hatten, umsonst bildete sie sich während jener langen theologischen Unterrichtsstunden ein, daß die verbotenen Wünsche ihres Herzens verbannt und vernichtet wären, daß ihr geduldiger, kindergleicher Charakter sich zu völliger Unterwürfigkeit gegen die strengsten Gebote ihres Vaters niedergebeugt habe. Ihre Gespräche mit Numerian waren kaum beendet, als auch die Eingebungen der Kunst in unserm Innern, welche die Natur zwar irre leiten, aber nie vernichten kann, zum Vergessen alles Dessen, was sie gehört, und zur Sehnsucht nach manchem Verbotenen lockte. Wir leben auf dieser Welt nur durch die Gesellschaft irgend einer Theilnahme, Sehnsucht oder Beschäftigung, welche uns zur gewöhnten Zuflucht von den von Außen herkommenden Plagen dient. Dasselbe Gefühl, welches Antoninen in ihrer Kindheit bewog, um einen Blumengarten zu bitten, veranlaßte sie in ihrem Jungfrauenalter, sich den Besitz einer Laute zu verschaffen.

Die Leidenschaft für die Musik, welche ihr den Besuch bei Vetranio eingab, die allein ihr Herz vor dem Verkümmern in der ihr auferlegten Einsamkeit errettete und in der bereits beschriebenen Art ihre Mußestunden ausfüllte, war ein Erbtheil ihrer Geburt.

Ihre spanische Mutter hatte ihr während der kurzen Zeit, daß es ihr gestattet war, über ihrem Kinde zu wachen, stundenlang in der Wiege vorgesungen. Der so auf die dämmernden Fähigkeiten des Kindes gemachte Eindruck verwischte sich nie. Obgleich ihre frühesten Wahrnehmungen nur das Elend ihres Vaters betrafen, obgleich die Form, welche bald seine verzweifelnde Reue annahm, sie zu einem Leben der Abgeschlossenheit und einer Erziehung von strengen Ermahnungen verurtheilte, überlebte doch die leidenschaftliche Anhänglichkeit an die Melodie der Töne, welche ihr die Stimme ihrer Mutter eingeflößt, die sie fast an der Mutterbrust eingesogen hatte, alle Vernachlässigung und überdauerte jeden Widerstand. Sie fand ihre Nahrung in kindischen Erinnerungen, in durch das Fenster gehörten Brocken von Liedern der Straßenjungen, im Rauschen der nächtlichen Winterstürme durch die Haine des Monte Pincio und einpfing ihre entzückte Befriedigung in den ersten Tönen der Laute des römischen Senators, welche sie vernahm. Wie sie später zum Besitz eines Instrumentes und zur Geschicklichkeit im Spielen gelangte, weiß der Leser bereits aus Vetranio’s Erzählung in Ravenna. Wenn der leichtsinnige Senator die wahre Fülle der Empfindungen, welche seine Kunst in der Brust seiner Schülerin erregte, während er derselben Unterricht gab, entdeckt, wenn er geahnt hätte, wie unablässig während ihrer Lektionen ihr Pflichtgefühl mit ihrer Liebe zur Musik kämpfte, wie völlig sie in dem einen Augenblicke durch die Qual des Zweifels und der Furcht, in dem andern durch das Entzücken des Genusses der Hoffnung absorbirt wurde, so würde er nur wenig von dem Erstaunen über ihre Kälte gegen ihn gefühlt haben, welches er bei seinem Geshräche mit Julien in dem Garten des Hofes so warm aussprach.

In der That konnte nichts vollständiger sein, als Antoninen’s kindische Unbewußtheit der Gefühle, mit welchen sie Vetranio betrachtete. Wenn sie vor ihn trat, so wurde alle Neigung, welche nicht ihre Furcht verschlang, gänzlich von der geliebten, schönen Laute angezogen und ausgefüllt. Als sie das Instrument empfing, vergaß sie fast den Geber über dem Triumph des Besitzes oder war, wenn sie überhaupt an ihn dachte, nur dafür von Dankesgefühlen erfüllt, daß sie unverletzt einem Mitgliede der Klasse entgangen war, gegen welche die wiederholten Ermahnungen ihres Vaters ihr ein unbestimmtes Gefühl der Scheu und des Mißtrauens eingeflößt hatten, und um zu beschließen, daß sie jetzt, wo sie ihm für seine Güte gedankt und von seinem Gebiete geschieden war, nichts wieder bewegen solle, je durch das Betreten derselben sich der Entdeckung durch ihren Vater und der Gefahr für sich selbst auszusetzen.

Unschuldig in ihrer Einsamkeit, fast kindisch in ihrer natürlichen Einfalt war ein einziger Genuß hinreichend, um alle Leidenschaften ihres Alters zu befriedigen. Vater, Mutter, Liebhaber und Gefährte, Freiheit, Unterhaltung und Putz, Alles vertrat ihr diese einfache Laute. Die Schelmischkeit, Munterkeit, Sanftmuth ihres Charakters, die Poesie ihrer Natur und die Neigung ihres Herzens, die glückliche Blüthe der Jugend, welche die Absperrung weder gänzlich zum Verwelken bringen noch falsche Lehren verderben konnten, wurden jetzt – so groß ist die schaffende Macht des menschlichen Gefühls – durch diesen unschätzbaren Besitz vollkommen genährt, zum Aufblühen gebracht und erfrischt. Sie konnte zu der Laute sprechen, sie anlächeln liebkosen und in der Extase ihres Entzückens in der Sorglosigkeit ihrer Selbstverblendung glauben, daß sie an ihrer Freude Theil nahm. Während ihrer langen, einsamen Stunden, wo sie in Abwesenheit ihres Vaters stumm von dem brütenden, traurigen Fremdling, den er über sie gesetzt hatte, bewacht wurde, war sie ihr zu einer theurern Gefährtin geworden, als der Blumengarten, theurer selbst, als die Ebenen und Gebirge, welche ihre Lieblingsaussicht bildeten. Wenn ihr Vater zurückkehrte und sie an einen dunkeln Ort unter fremde schweigsame Leute geführt wurde, um dort zu sitzen und endlosen Deklamationen zuznhörem war es ihr ein Trost, an das Instrument zu denken, welches sicher versteckt in ihrer Kammer lag und entzückt über die neuen selbsterfundenen Melodieen nachzusinnem welche sie das nächste Mal darauf spielen würde, und dann, wenn der Abend kam und sie in ihrem Garten allein blieb, dann erschien die Stunde des Mondscheins und Gesanges, der Augenblick des Entzückens und der Melodie, welcher sie sich selbst entzog, sie erhob, ohne daß sie fühlte, wie, und sie führte, ohne daß sie wußte, wohin.

Während wir aber so bei Reflexionen über Beweggründe und Charakterforschungen verweilen, werden wir durch das Erscheinen einer anderen Gestalt auf der Bühne wieder in die äußere Welt der vorübergehenden Interessen und Ereignisse zurückgerufen. Wir ließen Antoninen im Garten, über ihre Laute in Gedanken versunken. Sie befindet sich noch in ihrer nachdenklichen Haltung, aber sie ist nicht mehr allein.

Von denselben Stufen, über die sie herabgestiegen war, tritt jetzt ein Mann in den Garten und schreitet auf die Stelle zu, welche sie jetzt einnimmt. Sein Gang ist hinkend, seine Gestalt verkrümmt, seine Proportionen verzerrt. Seine großen, eckigen Züge stehen in gespenstischen Kontrast mit seinen eingeschrumpften Wangen. Sein trocknes, verworrenes Haar ist von der Sonne zu einem sonderbaren Graubraun gebrannt. Sein Ausdruck ist der des auf einen Punkt gehefteten strengen, trüben Denkens. Während er leise auf Antoninen zuschreitet, murmelt er vor sich hin und greift mit seinen dürren, formlosen Fingern mechanisch nach seinen Gewändern. Der helle Mondschein, welcher sein Gesicht überströmt, bekleidet dasselbe mit einem leichenartigen, räthselhaften, gespenstischen Aussehen. Für einen Fremden, der ihn in diesem Moment erblickt hätte, würde er eine fast furchtbare Erscheinung gewesen sein.

Dies war der Mann, der Vetranio aus seinem Heimwege aufgefangen hatte und jetzt zurückgeeilt war, um seinen gewohnten Posten vor der Heimkehr seines Herrn wieder zu erreichen, denn er war das Individuum, welches Numerian bei seinem Gespräch mit dem Landmann vor der St. Peters Basilica als seinen alten Proselyten Ulpins erwähnt hatte.

Als Ulpius dem Mädchen bis aus einige Schritte genaht war, blieb er stehen, und sprach mit rauher, starker Stimme:

»Verstecke Dein Spielzeug, Numerian ist an der Thür.«

Antonina schrak bei diesen zurückstoßenden Tönen heftig zusammen, das Blut strömte in ihre Wangen, sie bedeckte hastig die Laute mit ihrem Gewande, blieb einen Augenblick stehen, als wolle sie mit dem Manne sprechen, schauderte dann und eilte dem Hause zu.

Als sie die Stufen hinauf stieg und in den Hausgang trat, begegnete ihr Numerian. Es war jetzt unmöglich geworden, die Laute an ihrem gewohnten Platze zu verbergen.«

»Du bleibst zu lange im Garten,« sagte der Vater, trotz aller seiner Strenge, mit einem stolzen Blicke auf seine neben ihm stehende schöne Tochter. »Was fehlt Dir aber,« fügte er, ihre Vewirrung bemerkend, hinzu. »Du zitterst, Deine Farbe kommt und verschwindet, Deine Lippen beben, gieb mir Deine Hand. Als ihm Antonina gehorchte, schlüpfte eine Falte des verrätherischen Gewandes bei Seite und ließ einen Theil des Kastens der Laute entdecken. Numerian’s scharfes Auge erkannte ihn augenblicklich. Er riß das Instrument aus ihren schwachen Händen. Sein Erstaunen beim Anblicke desselben war für Worte zu groß und er stand auf einen Augenblick dem armen Mädchen mit seinem blassen, schreckensstarren Gesicht in ominösem, ausdrucksvollem Schweigen gegenüber.

»Dieses Ding,« sagte er endlich, »diese Erfindung der Gottlosen in meinem Hause, im Besitz meiner Tochter!« und er schleuderte die Laute auf den Boden, daß sie in Stücke zersprang.

Einen Moment blickte Antonina ungläubig auf die Trümmer der geliebten Gefährtin, die der Mittelpunkt aller ihrer glücklichsten Erwartungen für künftige Tage war. Dann, als sie die Wirklichkeit ihres Verlustes zu ermessen begann, verloren ihre Augen ihren ganzen Himmelsglanz und füllten sich bis zum Ueberströmen mit den Thränen der Erde.

»Nach Deinem Gemach!« donnerte Nummerian, als sie mit convulsivischen Schluchzen bei den nutzlosen Trümmern niederkniete. »Auf Dein Gemach! Morgen soll dieses Geheimniß des Frevels an’s Licht kommen.«

Sie stand demüthig auf, um ihm Gehorsam zu leisten, denn die Entrüstung hatte an den Gefühlen, die dieses sanfte, liebevolle Wesen erschütterten, keinen Theil. Als sie sich nach dem Zimmer bewegte, welches von nun an keine Laute beherbergen, als sie an den morgenden Tag dachte, welchen keine Laute wieder erheitern sollte, wurde sie von ihrem Schmerz fast überwältigt. Sie wendete sich zurück und blickte ihren Vater flehendlich an, als bitte sie um Erlaubniß, auch nur das kleinste der Fragmente zu seinen Füßen aufzuheben.

»Auf Dein Gemach,« wiederholte er streng. »Soll ich mir in’s Gesicht ungehorsam finden?«

Sie entfernte sich augenblicklich, ohne ihre stumme Einwendung zu wiederholen. Sobald sie verschwunden war, stieg Ulpius die Stufen hinauf und stand vor dem zornigen Vater.

»Sieh, Ulpius,« rief Numerian, »meine Tochter, die ich so sorgfältig bewahrt, die ich zu einem Beispiel für die Welt zu machen beabsichtigte, hat mich so betrogen.«

Er deutete bei diesen Worten auf die Trümmer der zerschmetternden Laute, aber Ulpius richtete kein Wort der Entgegnung an ihn und er fuhr hastig fort:

»Ich will den feierlichen Gottesdienst der heutigen Nacht nicht durch eine Unterbrechung mit meinen weltlichen Angelegenheiten beflecken. Morgen werde ich mein ungehorsames Kind befragen. Stelle Dir bis dahin nicht vor, Ulpius, daß ich Dich in irgend einer Art mit dieser gottlosen, schändlichen Täuschung in Verbindung bringe! In Dich setze ich mein ganzes Vertrauen. Von Deiner Treue hoffe ich Alles!«

Von Neuem hielt er inne und wiederum verharrte Ulpius in Schweigen. Jeder weniger Bewegte, weniger Vertrauensvolle, wie sein verdachtsloser Herr, würde bemerkt haben, daß auf seinem hagern Gesicht ein schwaches, düsteres Lächeln ausbrach. Numerian’s Entrüstung war aber noch zu heftig, um ihm eine Beobachtung zu gestatten, und trotz seinem Versuche, sich zu beherrschen, brach er in neue Klagen aus.

»In dieser Nacht vor allen andern dazu!« rief er, »wo ich gehofft hatte, sie in meine kleine Versammlung von Gläubigen zu führen, um an ihren Gebeten Theil zu nehmen und meinen Ermahnungen zu lauschen – in dieser Nacht bin ich bestimmt, zu finden, daß sie auf einer heidnischen Laute spielt, eine Besitzerin der üppigsten aller Eitelkeiten der Welt ist! Gott verleihe mir den Muth, ihn diese Nacht mit fest auf ihn gerichteten Gedanken anzubeten, denn mein Herz ist von der Uebertretung meines Kindes erzürnt, wie in alter Zeit das Herz Elis von den Freveln feiner Söhne.«

Er entfernte sich schnell, blieb aber, wie von einer plötzlichen Erinnerung ergriffen, stehen und sprach zu seinem düstern Gefährten weiter:

»Ich werde diese Nacht allein in die Kapelle gehen. Du, Ulpins, bleibe, um mein ungehorsames Kind zu hüten. Sei wachsam über mein Haus, mein lieber Freund, denn eben jetzt bei meiner Rückkehr war es mir, als ob zwei Fremde meinen Schritten folgten und ich ahne, daß mir zur Züchtigung für meine Sünden noch größeres Uebel bevorsteht, als dieses Unglück der Uebertretung meiner Tochter. Sei wachsam, guter Ulpius, sei wachsam!«

Und als der strenge, ernste Mann hinwegeilte, war er von der seinem düstern Fanatismus zu Theil gewordenen Kränkung eben so überwältigt, wie das schwache, schüchterne Mädchen von der Vernichtung ihrer harmlosen Laute.

Nach der Entfernung Numerian’s trat das düstere Lächeln wieder auf Ulpius Gesicht. Er stand eine Zeitlang nachdenkend da und begann darauf langsam eine in einige unterirdische Gemächer führende Treppe in seiner Nähe hinabzusteigen. Er war noch nicht weit gekommen, als ein leises Geräusch am Ende des Ganges über ihm hörbar wurde. Als er lauschte, ob sich der Ton wiederholen würde, hörte er ein Schluchzen und entdeckte, als er vorsichtig emporblickte, im Mondschein Antoninen, die schüchtern auf den Marmorfließen des Ganges dahinschritt.

Iu ihrer Hand hielt sie eine kleine Lampe, ihre rosigen Füße waren nackt, ihre Thränen strömten immer noch über ihre Wangen hinab. Sie schritt mit der größten Vorsicht, als fürchte sie, gehört zu werden, vorwärts, bis sie die Stelle erreicht hatte, welche noch mit den Trünunern der zerbrochenen Laute bedeckt war. Hier kniete sie nieder und drückte jedes vor ihr liegende Bruchstück einzeln an ihre Lippen. Dann verbarg sie hastig ein einzelnes Stückchen an ihrer Brust, erhob sich und stahl sich schnell in der Richtung, aus welcher sie gekommen war, wieder hinweg.

»Geduld bis zur Dämmerung,« flüsterte ihr treuloser Hüter, während er ihr aus seinem Verstecke nachblickte, bis sie verschwunden war; »sie wird Deiner Laute einen Wiederhersteller und Ulpins einen Verbündeten bringen.«

Antonia

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