Читать книгу Antonia - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 4

Erster Band
Zweites Buch
Kapitel II
Die Kirche

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Im Jahre 324 errichtete Constantin auf der Stelle, wo dem Gerüchte nach, St. Petrus den Märtyrertod erlitten hatte, auf den Ruinen des Neronischen Circus die Kirche, welche die St. Peters Basilica genannt worden ist. Zwölf Jahrhunderte stand dieses von einem wegen seiner Mordthaten und Tyranneien berüchtigten Manne errichtetes Gebäude unverletzt unter allen den Stößen da, welche während jener langen Periode den übrigen Theil der Stadt verheerten. Nach dieser Zeit wurde es durch sein ehrwürdiges und berühmtes Alter bis zum Grunde schwankend von Papst Julius dem Zweiten entfernt, um den Grundlagen der neuen Kirche Platz zu machen.

Auf dieses zwölfhundertjährige von mit Blut befleckten Händen errichtete und doch stürmische Jahrhundert des Krieges hindurch als Stern des Friedens bewahrte, Gebäude wollen wir die Aufmerksamkeit des Lesers richten. Was für die neue Kirche die Kunst gethan, das hat für die alte die Zeit bewirkt. Wenn die eine durch ihre Großartigkeit dem Auge majestätisch erscheint, so ist die andere durch ihr Alter der Erinnerung geheiligt.

Wie diese Kirche durch ihre Erbauung die triumphirende Einsetzung des Christenthums als der Religion von Rom verherrlichte, so spiegelte sie in ihrem Fortschreiten auch jede durch den Ehrgeiz, die Verschwendungssucht oder die Frivolität der Priester im Geiste der neuen Gottesverehrung hervorgebrachte Veränderung ab. Anfänglich stand sie Ehrfurcht erregend, imposant und in allen Theilen so schön, wie die Religion, zu deren Ruhme sie aufgebaut war, da. Mächtige Porphyrsäulen zierten ihre Zugänge und umgaben einen Brunnen, dessen Wasser aus einer riesenhaften broncenen Pinie hervorsprudelte. Ihre doppelten Flügelreihen wurden jede durch achtundvierzig Säulen von kostbarem Marmor getragen, ihre flache Decke mit von der Befleckung der heiligen Tempel erretteten Balken von vergoldetem Metall geziert. Ihre Wände waren mit großen Gemälden von religiösen Gegenständen geschmückt und ihr Altar mit elegantem Mosaik besetzt. So erhob sie sich einfach und doch erhaben, ehrfurchtgebietend und doch anlockend in diesem ihren Anfange als Sinnbild des Morgens der Gottesverehrung, die zu vertreten sie errichtet worden war.

Als die Priester aber von ihrem Erfolge angefeuert das Christenthum als ihren Pfad zur Politik und ihr Mittel zur Macht erwählten, begann sich der Anblick der Kirche allmälig zu verändern. Wie der ehrgeizige Mensch langsam und allmälig den Mantel seiner Mysterien, Lehren und Streitigkeiten um die ursprüngliche Reinheit des ihm von Gott gegebenen Gebäudes legt, so begannen auch allmälig prunkende Zierrathen und entstellende Veränderungen die majestätische Basiliea zu beflecken, bis zu dem drohenden und tadelnden Auftreten des Heiden Julian, wo der Kirche sowohl wie den Priestern in ihren verderbten Fortschritten plötzlicher und nachdrücklicher Einhalt gethan wurde.

Sobald die kurze Periode des Wiederauflebens des Götzendienstes einmal vorüber war, begannen die Priester, von der erhaltenen Warnung unbeirrt mit erneuter Kraft das zu verwirren, was in ihrem Evangelium wie in ihrer Kirche einst einfach gewesen war. Täglich sendeten sie neue Abhandlungen in die Welt, erhoben hitzige Controversen, spalteten sich in neue Sekten und täglich veränderten sie mehr und mehr das einst edle Aussehen der alten Basiliea. Sie hingen ihre widerlichen Reliquien an ihre mächtigen Mauern, sie steckten ihre winzigen Kerzen an die herrlichen Säulen, sie zogen ihre flitterprunkenden Franzen um die massiven Altäre. Hier polirten, dort stickten sie. Wo ein Fenster zu sehen war, verhingen sie es mit bunten Tüchern, wo sich eine Statue befand, bedeckten sie dieselbe mit künstlichen Blumen, wo eine Ehrfurcht erweckende Nische zu sehen war, verderbten sie ihre feierliche Dunkelheit durch hereingelassenes Licht, bis es ihnen zur Zeit unserer Geschichte so vollständig gelungen war, das Aussehen des Gebäudes zu verändern, daß es im Innern eher wie ein ungeheurer heidnischer Spielwaarenladen, als eine christliche Kirche aussah. Hier und da erhob sich allerdings eine Säule oder ein Altar, in der alten Einfachheit und bildete mit der Ziererei rund umher denselben Kontrast, wie eine Stelle aus der heiligen Schrift, wenn sie in einer Predigt jener Zeit citirt worden wäre.

Was aber den allgemeinen Anblick der Basilica betraf, so schien die ernste Schönheit ihrer ersten Tage unwiderstehlich entflohen und vernichtet zu sein.

Nachdem was über das Gebäude gesagt worden ist, wird sich der Leser leicht vorstellen, daß der Platz, auf welchem es stand, selbst mit noch größerer Schnelligkeit wie die Kirche, alle Großartigkeit, welche er einst besessen haben mochte, verlor. Wenn die Cathedrale jetzt aussah wie ein ungeheuerer Spielwaarenladen, so boten die Säulengänge an derselben den Anblick eines unermeßlichen Jahrmarktes.

er Tag, von welchem wir im vorigen Kapitel gesprochen haben, neigte sich schnell seinem Ende zu, als sich die Bewohner der Straßen auf dem westlichen Ufer des Tiber, darauf vorbereiteten, sich der Menge anzuschließen, welche sie nach der Peterskirche zu an ihren Fenstern vorübergehen sahen. Der Grund dieses plötzlichen Zusammenflusses des Volksstromes zeigte sich allen, die in der Nähe einer Kirche oder eines öffentlichen Gebäudes waren, hinreichend an einem dort zu erblickenden künstlich, ausgemalten, großen Pergamentblatte auf einer hohen Stange, welches durch zwei bewaffnete Soldaten vor der Berührung der neugierigen Menge geschützt wurde. Die Anzeigen auf diesem sonderbaren Plakate waren alle von gleicher Art und richteten sich auf den gleichen Zweck. Auf jedem von ihnen benachrichtigte der Bischof von Rom seine »frommen und ehrenwerthen Brüder« – die Bewohner der Stadt, daß, da der folgende Tag der Jahrestag des Märtyrertodes des St. Lucas sei, nothwendiger Weise an diesem Abend die Vigilie in der St. Peterskirche gehalten und in Betracht der Wichtigkeit des Anlasses vor dem Beginn der Ceremonie die kostbaren, auf den Tod des Heiligen bezüglichen Reliquien gezeigt werden würden, welche ein unschätzbares Erbtheil der Kirche geworden seien und aus einem Zweige des Olivenbaumes, an welchen St. Lucas gehangen worden war, einem Stücke der Schlinge, mit Einschluß des Knotens, die man um seinen Hals gelegt hatte, und einem von seiner Hand gemalten Bilde der Verklärung der heiligen Jungfrau bestanden.

Nach einigen wehklagenden Sätzen über die Leiden des Heiligen, die Niemand las und welche hier wiederzugeben unnöthig ist, besagte die Proklamation weiter, daß im Laufe der Vigilie eine Predigt gehalten und später der große Kronleuchter mit seinen Zweitausend vierhundert Flammen angezündet werden würde, um die Kirche zu erleuchten. Endlich forderte der wackere Bischof alle Mitglieder seiner Heerde auf, sich in Betracht der Feierlichkeit des Tages der sinnlichen Vergnügen zu enthalten, damit sie um so frommer und würdiger die ihrem Anblicke ausgesetzten Gegenstände betrachten und die ihrem Geiste gebotene geistige Nahrung verdauen könnten.

Nach dem Pröbchem welches wir bereits vom Charakter des römischen Volkes gegeben haben, werden wir wohl kaum zu sagen brauchen, daß die Hauptlockungen, welche dieser theologische Speisezettel bot, die Reliquien und die Kronleuchter waren.

Die Kanzelberedtsamkeit und die Vigilienfeierlichkeit allein hätten lange ihre nüchternere Anziehungskraft entwickeln müssen, ehe sie auch nur den fünfzigsten Theil der ungeheuern Menge, welche jetzt der entweihten Basilica zueilte, auf die Straßen zu ziehen vermocht hätten. Die bald herbeigeströmte Versammlung war in der That so Ungeheuer, daß die ersten Reihen von Neugierigen bereits die Kirche bis zum Ueberftrömen angefüllt hatten, ehe die Hintersten auch nur die Säulengänge erblickten.

Wie unzufrieden der nicht zum Schauspiel gelangte Theil der Bürger auch über seine Ausschließung von der Kirche sein mochte, so fand er doch einen mächtigen Gegenreiz in den Belustigungen auf dem Platze, wo die Anwesenden vollkommen achtlos gegen die Ermahnungen des Bischofs in Betreff des der Feierlichkeit des Tages angemessenen anständigen Benehmens zu sein schienen. Wie um der von der Geistlichkeit empfohlenen Ruhe und Ordnung Trotz zu bieten, waren aus den breiten Steinen des großen Raumes vor der Kirche volksthümliche Schaustellungen jeder Akt versammelt, Straßentänzerinnen übten auf jeder freien Stelle die »kleidenden Umdrehungen,« welche der wackere Ammianus Marcellinus, sittlichen und historischen Andenkens, so beredt verdammt. Mit Reliquien von zweifelhafter Authenticität vollgestopste Buden, mit nett geschriebenen Auszügen wüthender Streitschriften angefüllte Körbe, in Heiligenbilder umgeschaffene heidnische Götzen, bildliche Darstellungen von sich in der Verdammniß krümmenden Arianern und in Glorien von himmlischen Lichte triumphirenden Märtyrern lockte auf allen Seiten die frömern Zuschauer an. Köche wandelten mit ihren Laden auf dem Rücken umher; rivalisirende Sklavenhändler schrieen Bitten um Kundschaft aus, Weinhändler lehrten, aus ihren Fassern sitzend, die bachische Philosophie, Dichter recitirten zum Verkauf ausgebotene Verse, Sophisten hielten Reden zur Bekehrung der Schwankenden und Verblüffung der Unwissenden. Unablässige Bewegung und unaufhörlicher Lärm schienen die einzigen Entschädigungen zu sein, welche die Menge von dem Ausschluß der Kirche suchte.

Wenn sich ein Fremder, nachdem er die Proklamation des Tages gelesen, nach der Basilica begeben hätte, um seine Augen an der herrlichen Versammlung zu weiden, welche der Bischof seine »frommen und ehrenwerthen Brüder« nannte, so hätte er, falls er sich in diesem Augenblicke unter die Menge mischte, entweder die Wahrheit der bischöflichen Bezeichnung bezweifeln, oder den Bürgern die Verfeinerung des innern Werthes zuschreiben müssen, welcher von zu erhabener Art ist, um aus den Charakter des äußerlichen Menschen Einfluß zu üben.

Als die Sonne unterging, konnte es nichts Malerischeres geben, als den Anblick dieses muntern Schauspiels aus der Ferne. Die dunkelrothen Strahlen des scheidenden Lichtkörpers ergossen ihren Glanz zum Theil hinter der Kirche her über die ungeheure Menge auf dem Platze. Das gesättigte Licht spielte hell und schimmernd auf dem ihm in aller Schönheit seiner natürlichen flüchtigen Form auf dem Brunnen entgegensprudelndem Wasser. In jenem purpurnen Schein gebadet, warfen die glatten Porphhrsäulen chamäleonartige, ätherische, wechselnde Tinten zurück. Die weißen Marmorstatuen überzogen sich mit einer zarten Rosenfarbe und die dunkeln Bäume leuchteten in ihren innersten Laubtiefen wie in einen goldenen Nebel getaucht; während, im seltsamen Contrast mit dem wunderbaren Strahlenglanze um sie her, die ungeheure broncene Pinie in der Mitte des Platzes und die breite Fronte der Basilica sich im dunkeln Schatten unbestimmt und kolossal erhoben; wie böse Geister über der heitern Schönheit des übrigen Schauspiels lauerten und ihre tiefen Schlagschatten mitten in das Licht, dessen Herrschaft sie verachteten, warfen.

Aus der Ferne betrachtet, bildete diese phantastische Vereinigung blendenden Glanzes und feierlicher Düsterkeit – diese auf der einen Stelle, so daß sie riesenhaft aussahen, verdunkelten, auf der Andern, so daß sie ätherisch zu sein schienen, erhellten Gebäude, diese wogenden Gruppen, die eine auf dem einen Punkte im strahlenden Licht schimmernde, an dem andern in dichten Schatten verdunkeln, bewegliche Masse ausmachten – ein so ungleichartiges und doch so schönes, so groteskes und doch so erhabenes Ganze, daß die Scene für den Augenblick eher einem durch seine Nähe an der Erde halb verdunkeltem bewohnten Meteor als einem irdischen, materiellen Schauspiele glich.

Die Schönheiten dieses atmosphärischen Effektes waren von viel zu ernster und hoher Natur, um die Menge auf dem Platze zu interessiren. Von der ganzen Versammlung beobachteten nur zwei Menschen den herrlichen Sonnenuntergang mit einer Spur der Bewunderung und Aufmerksamkeit, welche er verdiente. Der Eine war der Gutsbesitzer, dessen Unglück wir im vorigen Kapitel erzählt haben, der Andere sein merkwürdig Freund.

Diese beiden Männer bildeten in ihrem Aeußern wie in ihrem Benehmen einen eigenthümlichen Kontrast mit einander, als sie so auf den purpurnen Himmel blickten. Der Bauer war ein untersetzter, ruhelos aussehender Mann, dessen von Natur eckigen Züge jetzt durch einen starren Ausdruck des Elends und der Unzufriedenheit verzerrt waren. Sein scharfer durchdringender Blick schweifte unablässig von einem Orte zum andern, bemerkte alle Gegenstände, ruhten aber auf keinem. Seine Aufmerksamkeit für das Schauspiel vor ihm schien eher durch den Einfluß des Beispiels veranlaßt zu sein, als durch seine eignen, freiwilligen Gefühle, denn er blickte in kurzen Zwischenräumen ungeduldig auf seinen Freund, als erwarte er, daß dieser sprechen würde, aber sein nachdenklicher Gefährte ließ weder ein Wort noch eine Bewegung wahrnehmen. Ausschließlich mit seinen eignen Betrachtungen beschäftigt, schien er für jeden gewöhnlichem äußeren Aufruf vollkommen unempfindlich zu sein.

Seinem Alter und Aussehen nach war dieses Individuum schon betagt, denn es hatte sechszig Jahre gezählt; sein Haar war völlig ergraut und sein Gesicht mit tiefen Runzeln bedeckt. Trotz aller dieser Nachtheile war er aber doch im höchsten Sinne des Wortes ein schöner Mann. Seine abgemagerten Züge waren immer noch kühn und regelmäßig und in dem zur Gewohnheit gewordenen Trübsinn seines Ausdrucks lag eine Höhe und in seinen etwas strengen, ernsten Augen eine Intelligenz, die beredtes Zeugniß für die Ueberlegenheit seiner intellectuellen Kräfte ablegte.

Als er jetzt fest auf den goldenen Himmel hinausblickend mit halb auf seinen Stab gestützter, schlanker magerer Gestalt, fest zusammengepreßten Lippen, leicht gerunzelter Stirn und ruhiger, bewegungsloser Haltung dastand, mußte auch der oberflächlichste Beobachter augenblicklich fühlen, daß er kein gewöhnliches Wesen vor sich hatte. Die Geschichte eines Lebens voll tiefen Denkens, vielleicht auch langer Bekümmerniß schien auf jedem Zuge seines sinnenden Gesichts geschrieben zu stehen und sein Wesen zeigte eine natürliche Würde, die offenbar seinem rastlosen Gefährten abhielt, den Lauf seiner Reflexionen entschieden zu unterbrechen.

Langsam und prächtig war die Sonne am Horizont hinabgesunken, bis sie jetzt gänzlich den Blicken entschwand. Als ihre letzten Strahlen an den fernen Bergen verglommen waren, schrak der Fremde aus seinen Träumen auf, näherte sich dem Bauer und deutete mit seinem Stabe auf, die schnellverbleichende Helligkeit des westlichen Himmels.

»Probus,« sagte er mit leiser wehmüthiger Stimme. Als ich diesen Sonnenuntergang anblickte, dachte ich an den Zustand der Kirche.«

»Ich sehe an der Kirche wenig zu denken und am Sonnenuntergange nicht viel Bemerkenswerthes,« entgegnete sein Gefährte.

»Wie rein, wie glänzend,« murmelte Jener, kaum die Bemerkung des Gutsbesitzers beachtend, »war das Licht, welches die-Sonne über die Erde zu unsern Füßen warf! Wie herrlich triumphirte seine Helligkeit eine Zeitlang über die Schatten um uns her und doch, wie schnell verblich es trotz der Verheißungen dieses Strahlenschimmers in seinem Kampfe mit der Finsterniß – wie gänzlich ist es jetzt schon von der Erde geschieden und hat die Schönheit seines Schimmers dem Himmel entzogen! Schon Verlängern sich die Schatten um uns und hüllen jeden Gegenstand auf dem Platze in ihr Dunkel ein; kaum noch eine kurze Stunde und die Schwärze der Nacht wird sich – wenn der Mond nicht erscheint – widerstandslos über Rom ausbreiten!.«

»Zu welchem Zwecke sagst Du mir das?«

»Erinnert Dich nicht das, was wir beobachtet haben, an die Laufbahn der Religion, die zu bekennen wir das Glück haben. Bezeichnet nicht jenes erste herrliche Licht ihren reinen vollkommenen Aufgang, jener kurze Kampf zwischen Helligkeit und Finsterniß ihre erfolgreiche Bewahrung durch die Apostel und Väter, das schnelle Verbleichen der Strahlen, ihre Entweihung in späterer Zeit und das uns jetzt umgebende Dunkel, das Verderben, welches sie in dem Zeitalter, wo wir leben, umschlungen hat? – ein Verderben, welches nichts abwenden kann, als die Rückkehr zu dem reinen ersten Glauben, welche jetzt die Hoffnung unserer Religion sein muß, wie der Mond die Hoffnung der Nacht ist?«

»Wie sollen wir reformiren? Kümmern sich Menschen, die keine Freiheit haben, um die Religion?« Wen soll sie belehren?«

»Ich habe es gethan – ich werde es thun. Es ist der Zweck meines Lebens, ihnen die Heiligkeit der alten Kirche zurückzugeben; sie aus den Fallstricken der Hochverräther am Glauben, die die Menschen Priester nennen, zu erlösen. Sie sollen durch mich erfahren, daß die Kirche einst keinen Schmuck? gekannt hat, als die Gegenwart der Reinen, daß der Priester kein schöneres Gewand begehrt hat, als seine Frömmigkeit, daß das Evangelium, welches einst Demuthlehrte und jetzt Uneinigkeit erregt, in früheren Zeiten, die Regel des Glaubens, für alle Bedürfnisse genügend, alle Schwierigkeiten beherrschend – war. Durch mich sollen sie erfahren, daß es in alter Zeit der Hüter des Herzens war, durch mich sollen sie sehen, daß es jetzt ein Spielzeug der Stolzen ist – durch mich sollen sie fürchten, daß es in künftigen Tagen aus der Kirche verbannt werden kann!

»Dieser Aufgabe habe ich mich geweiht, dem Umsturz dieses Götzendienstes, welcher sich mit seinen Bildern, Reliquien, Juwelen und seinem Golde gleich einem zweiten Heidenthume unter uns erhebt, will ich mein Kind, mein Leben, meine Kräfte und Habe weihen. Von diesem Versuche werde ich mich nie abwenden – vor diesem Entschlusse nie zurückweichen. So lange ich noch einen Hauch des Lebens besitze werde ich darauf beharren, dieser gottlosen Stadt die wahre Verehrung des Höchsten wiederzugeben!«

Er brach kurz ab. Die Fülle seiner Bewegung schien ihm plötzlich die Fähigkeit der Rede zu rauben. Jede Muskel im ganzen Körper jenes strengen, trüben Mannes bebte bei den unsterblichen Eingebungen seiner Seele. Es lag fast etwas Weibliches in seiner gänzlichen Hingebung an den Einfluß einer einzigen Empfindung. Selbst der rauhe, verzweifelte Gutsbesitzer fühlte Ehrfurcht vor dem Enthusiasmus des Wesens vor ihm und vergaß das ihm widerfahrene Unrecht, trotz seiner Furchtbarkeit, und sein Elend, so drückend es auch war, als er in das Gesicht seines Gefährten blickte.

Einige Minuten lang sprach Keiner von den Männern weiter ein Wort. Bald beschwichtigte jedoch der, welcher zuletzt gesprochen, seine Aufregung mit der Selbstbeherrschung eines Mannes, der gewohnt ist, die Bewegung, welche er nicht ersticken kann, zu unterdrücken, trat auf den Gutsbesitzer zu und ergriff trübe dessen Hand.

»Ich sehe, Probus, daß ich Dich überrascht habe,« sagte er, »aber die Kirche ist der einzige Gegenstand, über welchen ich keine Zurückhaltung besitze. In allen anderen Dingen habe ich die Hitze meiner frühem Jahre besiegt, in diesem muß ich immer noch mit meinem ungeberdigen Herzen kämpfen. Wenn ich auf die Betrügereien, welche um uns aufgeführt werden, blicke, wenn ich eine lügnerische Priesterschaft, ein getäuschtes Volk, eine befleckte Religion sehe, dann gestehe ich, daß die Entrüstung meine Geduld überwältigt, und ich da, wo ich nur zu verbessern hossen sollte, zu vernichten glühe.«

»Ich weiß, daß Deine Einbildungskraft stets höchst lebhaft war; als ich Dich aber das letzte Mal sah, war Dein Enthusiasmus der der Liebe, Dein Weib —«

»Frieden! sie hat mich betrogen.«

»Dein Kind —«

»Lebt bei mir in Rom.«

»Ich erinnere mich ihrer aus ihrer frühesten Jugend, als ich vor vierzehn Jahren Dein Nachbar in Gallien war. Bei meiner Abreise aus der Provinz warst Du so eben von einer Reise nach Italien zurückgekehrt und ohne Erfolg in Deinen Versuchen gewesen, dort eine Spur von Deinen Eltern oder dem älteren Bruder zu entdecken, dessen Abwesenheit von Dir Du beständig zu beklagen pflegtest. Sage mir, hast Du seit jener Periode die Mitglieder Deines vormaligen Haushalts entdeckt? Bisher bist Du so damit beschäftigt gewesen, die Geschichte des mir widerfahrenen Unrechtes anzuhören, daß Du kaum von den Veränderungen gesprochen hast, welche seit unserer letzten Begegnung in Deinem Leben vorgegangen sind.«

»Wenn ich in Bezug auf mich gegen Dich geschwiegen habe, Probus, so ist es deshalb geschehen, weil der Rückblick für mich wenig Anziehendes besitzt. So lange es noch in meiner Macht stand, zu den Eltern zurückzukehren, die ich in meinen Knabenjahren verlassen hatte, dachte ich nicht an Reue, und jetzt, wo sie nur zu gewiß für mich verloren sind, ist meine Sehnsucht nach ihnen nutzlos. Von meinem Bruder, den ich in einem Augenblicke kindischer Eifersucht und Erzürnung verließ und für dessen Verzeihung und Liebe ich selbst meinen Ehrgeiz opfern würde, habe ich noch keine Spur zu entdecken vermocht. Die Entschädigung Derjenigen, welche ich in meinen frühem Jahren verletzt habe, ist ein den Gebeten meines Alters versagtes Vorrecht. Ich schied ungesegnet von meinen Eltern und meinem Bruder und fühle, daß ich dazu bestimmt bin, zu sterben, ohne ihren Segen und ihre Verzeihung erhalten zu haben. Mein Leben ist leichtsinnig, nutzlos, gottlos gewesen, von Raub und Gewaltthat zu Ueppigkeit und Trägheit übergegangen und hat mich zu der Heirath geführt, in welcher ich triumphirte, als ich Dich das letzte Mal sah, die aber, wie ich jetzt fühle, in ihren Beweggründen meiner eben so unwürdig, wie in ihren Resultaten war. Aber gesegnet, dreifach gesegnet sei jenes letzte Unglück meiner gottlosen Existenz, denn es öffnete meine Augen der Wahrheit – es machte mich zu einem Christen, während ich noch das Leben hatte. Damals war es, Probus, als ich mich verlassen und entehrt sah, allein geblieben, um der Hüter meines hülflosen Kindes zu sein, auf ewig aus einem Vaterhause, dem ich selbst entsagt, verbannt, daß ich ernstlich meine Missethaten bereute, daß ich Weisheit in dem Buche des Heils und Lebensregeln bei den Vätern der Kirche suchte.

»Zu jener Zeit entschloß ich mich, mein Kind, wie Samue1 in alter Zeit, dem Dienste des Himmels und mich der Reformation unserer in den Staub gezogenen Religion zu weihen. Wie ich Dir schon erzählt habe, verließ ich meine Wohnstätte und veränderte meinen Namen, – erinnere Dich, daß Du mich von nun an nur Numerian nennen darfst – damit von meinem frühern Selbst keine Ueberbleibsel mehr vorhanden seien, damit mich von meinen frühern Genossen keiner je wieder entdecken und verlocken könne. Mit unablässiger Sorgfalt habe ich meine Tochter vor der Befleckung der Welt geschützt. Sie ist im Hause ihres Vaters bewacht und gehütet worden, wie. ein kostbares Juwel in der Hand eines Geizigen. Ihre Bestimmung ist es, die Bekümmerten zu trösten, die Kranken zu pflegen, den Unglücklichen beizustehem wenn ich ihr Lehrer, dem Lande die Herrschaft seines alten Glaubens und die Leitung seines fehlerlosen Evangeliums zurückgegeben habe. Wir Beide besitzen weder eine Neigung, noch eine Hoffnung, die uns an die Dinge dieser Erde binden kann. Unserer Beider Herzen blicken nach dem Himmel, unsere Hoffnungen sind nur nach Oben gerichtet.«

»Setzest Du nicht Deine Erwartungen zu fest auf Dein Kind? Erinnere Dich, wie die römischen Adeligen meine frühere Haushaltung vernichtet haben, und zittere für die Deine.«

»Für meine Tochter fürchte ich nichts. In meiner Abwesenheit behütet sie Einer, der das Gelübde gethan hat, mich in meinen Arbeiten für die Kirche zu unterstüßen. Es ist jetzt beinahe ein Jahr her, seit ich Ulpius getroffen, und seit jener Zeit hat er sich meinem Dienste geweiht und über mein Kind gewacht.«

»Wer ist der Ulpius, daß Du solches Vertrauen in ihn setztest?«

»Er ist ein Mann von demselben Alter wie ich. Ich fand ihn, gleich mir, von den Unglücksfällen seines frühern Lebens niedergebeugt und, wie einst auch ich, den Blendwerken der heidnischen Götter ergeben. Er war trostlos, leidend, einsam und ich hatte in seinem Unglück Mitleid für ihn. Ich bewies ihm, daß die Religion, zu welcher er sich noch bekannte, wegen ihrer Frevel aus dem Lande verbannt, daß die, welche ihr folgte, durch die Menschen verderbt worden war, und daß er nur einen Glauben wählen konnte, wenn er zum Heile gelangen wollte – den Glauben der ersten Kirche. Er hörte mich an und bekehrte sich. Seit jenem Augenblicke hat er mir geduldig gedient und bereitwillig beigestanden. Unter dem Dache, wo ich die Wenigen versammle, welche bis jetzt dem wahren Glauben ergeben sind, ist er der Erste, welcher kommt, und der Letzte, der da geht. Seinen Lippen ist noch kein Wort des Zornes entschlüpft, in seinen Augen noch kein Blick des Unmuthes erschienen. Wenn auch bekümmert, ist er doch sanft, wenn auch leidend, doch fleißig. Ich habe ihm Alles, was ich besitze, anvertraut und freue mich meiner Leichtgläubigkeit. Ulpius ist Unbestechlich!«

»Und Deine Tochter? – wird Ulpius von ihr eben so verehrt, wie Du ihn achtest?«

»Sie weiß, daß es ihre Pflicht ist, zu lieben, wen ich liebe, und zu vermeiden, wen ich vermeide. Kannst Du Dir vorstellen, daß eine christliche Jungfrau Gefühle besitzt, die gegen die Wünsche ihres Vaters laufen? Komm in mein Haus, urtheile mit eignen Augen über meine Tochter und meinen Genossen. Du, dem sein Unglück keine Heimath gelassen hat, sollst, wenn Du willst, bei mir eine finden. Komm also und arbeite mit mir an meinem großen Unternehmen. Du wirst Deinen Geist von der Betrachtung Deiner Schmerzen abziehen und durch Deine Hingebung die Gunst des Höchsten verdienen.«

»Nein, Numerian, ich will unabhängig bleiben, selbst von meinen Freunden. Weder Rom noch Italien sind für mich Rastorte. Ich gehe nach einem andern Lande, um unter einem andern Volke zu leben, bis die Waffen eines Eroberers in allen Ländern des Reiches dem Guten Freiheit und dem Rechtschaffenen Schutz verliehen haben werden.«

»Probus, ich flehe Dich an, bleibe!«

»Nein! mein Entschluß ist gefaßt; lebe wohl, Numerian!«

Und der Landmann eilte schnell hinweg, als fürchte er, daß seine Entschlossenheit gegen die Ueberredungen seines Freundes nicht länger Stand halten würde.

Auf einige Minuten stand Numerian unbeweglich da und blickte verlangend nach der Gegend, in welcher sich sein Gefährte entfernt hatte. Anfänglich milderte ein Ausdruck des Kummers und Mitleids die Strenge, welche das Kennzeichen seiner Züge, wenn sich dieselben in Ruhe befanden, zu sein schien, bald aber war es, als ob diese milderen, zarteren Gefühle eben so plötzlich aus seinem Herzen verschwunden wären, als sie in demselben aufgestiegen waren. Sein. Gesicht nahm wieder seine gewohnte Härte an und er murmelte, während er sich unter die der Basilica zueilende Menge mischte, vor sich hin:

»Er möge unbedauert scheiden, er hat sich dem Dienste seines Schöpfers versagt; er darf nicht mehr mein Freund sein!«

In diesen Worten lag der Schlüssel zu dem Charakter, des Mannes. Seine Existenz war nur eine lange Aufopferung, eine Scene unerschrockener Selbstentäußerung. Wiewohl er in den kurzen Andeutungen über die Ereignisse seines Lebens, die er seinem Freunde gegeben, den Umfang seiner Irrthümer übertrieben hatte, war er doch keineswegs gerecht gegen die Gluth seiner Buße gewesen, einer Buße, die die gewöhnlichen Grenzen der Reue überschritt und in Verzweiflung begann, nur um mit Fanatismus zu enden. Seine Flucht aus dem väterlichen Hause – in deren Gründe wir jetzt nicht einzugehen beabsichtigen – und sein langes, darauf folgendes Leben der Gewaltthätigkeit und Ausschweifung machte seine von Natur starken Leidenschaften ungeeignet, sich selbst dem leisesten Zwange zu unterwerfen. Ihrem ersten Antriebe gehorsam, schloß er in seinen reiferen Jahren eine Ehe mit einem der glühenden Bewunderung, welche es eingeflößt hatte, gänzlich unwerthen Weibe. Als er sich von demselben betrogen und entehrt sah, fibrirte der Schlag eines solchen Unglücks durch sein ganzes Wesen, – erdrückte alle seine Kräfte – streckte ihn auf einen Stoß mit Herz und Geist zu Boden. Die in seiner Zeit des Glückes mit moralischer Straflosigkeit begangenen Irrthümer seiner Jugend, wirkten in seinem Unglück mit einem für seinen künftigen Frieden verderblichen Einsiusse auf ihn zurück. Seine Reue wurde von Trostlosigkeit verdunkelt, seine Entschlüsse durch keine Hoffnung erhellt. Er wendete sich der Religion zu, wie der Selbstmörder dem Messer – in Verzweiflung. Alle Aufmunterungen, welche er in den Lehren der Priester oder den Gebräuchen der Kirche erblickte, verdammte er als die trügerischen Verblendungen menschlicher Unvollkommenheit und Anmaßung Er ging in der Geschichte seiner Religion von einer Periode zur andern zurück und suchte nach Strenge, wie andere Menschen nach Erbarmen, bis er bei dem Christenthum der ersten Tage der Kirche stehen blieb. In der stoischen Praxis und unfruchtbaren Theorie der alten Gläubigen fand er ein mit seinen neuen Ueberzeugungen übereinstimmendes System. Tag um Tag suchte er begierig unter den von den strengsten der ersten Kirchenväter hinterlassenen Schriften, bis ihn das stete Brüten über ihren starren, strengen Lehren endlich auf den Glauben führte, daß selbst das Vorhandensein der geselligen Gefühle in seinem Innern eine Sünde sei. Er erinnerte sich, daß ihn diese Gefühle in seiner Jugend irre geleitet hatten, und glaubte, daß seine Seligkeit in Gefahr und seine Reue unaufrichtig sei, so lange noch eines davon sein Mannesalter beeinflußte. Durch seinen thätigen Geist angespornt, der düstern Ruhe zu entsagen, welche er sich gern auferlegt haben würde,und einen Zweck im Leben zu erlangen, dem er sein Herz wie einer Leidenschaft weihen könne, wählte er die Reformation der entwürdigten Kirche als die edelste und reinste Beschäftigung, die er unternehmen konnte. Sobald er einmal diesen Plan gefaßt hatte, gehörte es sowohl zu seinem Temperamente, wie zu seinen Grundsätzen, sich rückhaltslos der Beförderung desselben hinzugeben. Jede Neigung, wie unschuldig sie auch an sich sein mochte, die sich, ohne mit seinem Hauptzwecke in Verbindung zu stehen, in seinem Innern erhob, verdammte er als Ueberbleisel seiner frühern Natur und unterdrückte sie – mit welchen Schmerzen, vermag Niemand zu sagen – als Verrätherin der Möglichkeit eines moralischen Rückfalls. Obgleich er nur ein Laie war, nahm er doch keinen Augenblick Anstand, sich ein Gebäude zu verschaffen, welches er als Kirche gebrauchen konnte und Anhänger zu suchen, um sie als Gemeinde zu belehren. Bei jedem Scheine von Fortschritt, welchen er im Laufe seiner gefahrvollen Arbeiten zu entdecken glaubte, fühlte er ein geheimes phantastisches Entzücken, welches ihn für den Augenblick über alle irdische Sympathieen und Rücksichten erhob. Er hoffte, wenn Andere verzweifelt sein würden, er arbeitete, wenn Andere schwach geworden wären. Der Enthusiasmus für seine Sache stieg auf eine solche Höhe, daß er sein weltliches Wahrnehmungsvermögen abstumpfte, ihn für Beleidigung unempfindlich, gegen Betrug vertheidigungslos und gegen Gefahr gefühllos machte, wenn sie ihm bei der Verfolgung seiner Pläne begegneten. Er schulte sich so weit, daß er seine Tochter nur noch als ein Muster zum Beweise der Möglichkeit, Andere zur Beförderung seines großen Planes zu erziehen, betrachtete. Er erblickte in seinem Vermögen und Einflusse nur das Mittel zur Erreichung eines einzigen Zweckes, kurz er hatte seinem Unternehmen, wie er auch gegen Probus sagte, »sein Leben, sein Kind, seine Kräfte und Habe« geweiht. [Wenn der Leser die Möglichkeit des Versuchs einer Reformation der römischen Kirche im fünften Jahrhundert bezweifeln sollte, so möge er Gibbons Verfall und Sturz des römischen Reichs Kap. 28. Anmerkung 174 und die Controversen zwischen Hieronymus und Vigilantius, »dem Protestanten seiner Zeit,« zu Rathe ziehen.]

Wir versparen die Besprechung aller weiteren Eigenthümlichkeiten in Numerian’s Charakter bis auf eine künftige Gelegenheit, und folgen ihm jetzt durch die Menge bis zum Eingange der Basiliea, wobei wir fortfahren, ihn hier und auderswärts mit dem Namen zu bezeichnen, welchen er bei seiner Bekehrung angenommen hatte, und unter welchem er sich bei seiner Zusammenkunft mit dem flüchtigen Landmann anzureden ausgebeten hatte.

Wiewohl sich unser Enthusiast im Beginn seines Ganges nach der Kirche unter den hintersten Mitgliedern der auf dieselbe zueilenden Menge befunden hatte, gelang es ihm doch, bald seine trägen und schwatzhaften Nachbarn so gänzlich zu überflügeln, daß er nach geringem Verzug die Stufen des geweihten Gebäudes erreichte. Hier mußte er mit vielen Anderen anhalten, bis sich die der Basilika Nächsten durch die hohen Thore. derselben gedrängt hatten. An einer solchen Stelle konnte seine auffallende Gestalt der Beobachtung nicht entgehen, und er wurde schweigend von vielen Umstehenden erkannt, von denen ihn die Einen mit Verwunderung, die Andern mit Widerwillen anblickten. Er wurde jedoch von Keinem angeredet. Alle fühlten die Notwendigkeit, einen Mann zu scheuen, der durch seine kühne, tägliche Auseinandersetzung der Mißbräuche der Kirche seine Freiheit und selbst sein Leben gefährdet«

Unter denjenigen, welche Numerian umgaben, befanden sich jedoch Zwei, die sich nicht damit begnügten, nachlässig jeden Verkehr mit dem unerschrockenen, verdächtigen Reformator zu vermeiden. Diese beiden Männer gehörten zur niedrigsten Klasse der Geistlichkeit und schienen damit beschäftigt zu sein, vorsichtig die Handlungen der Individuen um sie her zu beobachten und deren Gespräche zu belauschen. Sobald sie Numerian erblickten, entfernten sie sich so weit, daß sie seiner Beobachtung entgingen, zugleich aber eine solche Stellung einnahmen, daß sie den Gegenstand ihres offenbaren Mißtrauens im Auge behalten konnten.

»Schau, Osius,« sagte der Eine, »der Mann ist wieder hier.«

»Und ohne Zweifel in derselben Absicht, welche, ihn gestern hierhergebracht hat,« antwortete Jener. »Du wirst sehen, daß er wieder in die Kirche tritt, den Gottesdienst anhört, sich nach seiner kleinen Kapelle auf dem Monte Pincio begibt und dort die von unsern Brüdern gepredigten Lehren vor seinen zerlumpten Anhängern angreift, wie er es, wie wir wissen, vergangene Nacht gethan hat und wie er es wahrscheinlich fortwährend thun wird, bis die Behörden es für angemessen halten, das Zeichen zu seiner Einsperrung zu geben.«

»Es wundert mich nur, daß man ihm so lange gestattet hat, in seiner Widersetzlichkeit gegen die Kirche fortzufahren, wie es geschehen ist. Haben wir nicht in seinen Schriften allein schon Zeugniß genug, um ihn der Ketzerei zu überweisen? Die Nachlässigkeit des Bischofs in einer solchen Sache ist wahrhaft unerklärlich.«

»Du mußt bedenken, daß, da Numerian kein Priester ist, die Sorglosigkeit wegen unserer Interessen eher den Senat, als den Bischof trifft. Alle Zeit, die der Adel sich von seinen Ausschweifungen abmüßigen kann, ist bis vor Kurzem auf Diskussionen über das Benehmen des Kaisers, als er sich nach Ravenna zurückzog, verwendet worden und wird jetzt der Nachforschung über den Grund des Gerüchtes wegen der Gothen geweiht werden. Was kümmert sich übrigens der Senat, selbst wenn er Zeit dazu hätte, um theologische Streitigkeiten? Er kennt diesen Numerian nur als einen römischen Bürger, einen Mann von einigem Einflusse und Vermögen, und daher als politisch wichtige Person unter der Bevölkerung. Außerdem würde es gerade in diesem Augenblicke deine leichte Aufgabe von uns sein, die von unsern Angreifer vorgebrachten Lehren zu bekämpfen, denn der Bursche versteht mit beunruhigender Leichtigkeit das, was er sagt, aus der Bibel zu unterstützen.«

»Glaube mir, daß in dieser Sache die einzige Art, uns Gerechtigkeit zu verschaffen, die sein wird, ihn der Verleumdung gegen die höchsten Würdenträger der Kirche zu überweisen.«

»Der uns vor Kurzem zu Theil gewordene Befehl, seinen Bewegungen nachzuspüren und seine Reden zu belauschen, läßt mich glauben, daß unsere Vorgesetzten Deiner Ansicht sind.«

»Mögen meine Uederzeugungen richtig sein oder nicht, so bin ich doch darüber gewiß, daß die Tage seiner Freiheit gezahlt sind. Erst vor wenigen Stunden sah ich den ersten Assistenten beim Kammerherrn des Bischofs und er sagte mir, daß er durch eine Thürklinke gehört habe —«

»Still! er bewegt sich, er drängt sich vor, um in die Kirche zu gelangen. Du kannst mir, während wir ihm folgen, erzählen, was Du sagen wolltest. Schnell! wir wollen uns unter die Menge mischen.«

Die Beiden, in der Ausübung ihrer widerlichen Pflichten stets enthusiastischen Hirten der christlichen Heerde folgten Numerian mit der größten Vorsicht in das Innere des Tempels.

Wiewohl die Sonne noch einen schwachen rdthen Streifen am westlichen Himmel zurückgelassen hatte und der Mond kaum erst aufgegangen war, brannten doch bereits die von dem Bischofe in seiner Proklamation an das Volk erwähnten zweitausend vierhundert Flammen auf dem großen Kronleuchter. In den Tagen ihrer ernsten und heiligen Schönheit würde würde das Aussehen der Kirche durch diesen künstlichen Glanz schwer gelitten haben, jetzt aber, wo sich der alte Charakter der Basilica völlig verändert, wo sie sich aus einem feierlichen Tempel in einen üppigen Palast verwandelt hatte, gewann sie durch die flimmernde Erleuchtung ungemein. Jeder Zierrath in ihrem langen herrlichen Schiffe glitzerte mit der größten Deutlichkeit in dem sich von der Decke herab ergießenden blendenden Lichte. Die vergoldeten Dachbalken, die glatten eingelegten Marmorsäulen, die schweren Vorhänge der Fenster, die Juwelenbesetzten Leuchter auf den Altären, die Gemälde, Statuen, Broncen und Mosaikarbeiten schimmerten alle in einem für das Auge geradezu berauschenden, üppigen Glanze. An keinem Gegenstande war jetzt eine Spur von Abnutzung oder Verbleichen zu erblicken. Jeder Theil des Schiffes, auf welchen sich das Auge lenkte, erschien in zu schöner fleckenloser Helle, um je von sterblichen Händen berührt worden zu sein. Der bezauberte und verwirrte Blick schweifte über das strahlende Schauspiel, bis er von der ununterbrochenen Schönheit desselben ermüdet, um Ruhe zu suchen, auf den dämmernd erleuchteten Flügeln haftete und mit Entzücken auf den milden Schatten verweilte, die um ihre, fernen Säulen schwebten und den vorübergleitenden Gestalten folgten, die ihre dunkeln Nischen bevölkerten oder an ihren hohen Wänden hingingen.

In dem Augenblicke, wo Numerian die Basilica betrat, war ein Theil des Gottesdienstes zu Ende. Das letzte schwache Echo der Stimmen des Chores zitterte noch in der weihrauchschweren Luft und die ungeheuern Massen der Zuschauer waren noch in ihre verschiedenartigen lauschenden Stellungen gruppirt, als der eifrige Reformator in die Kirche hinauf blicke. Selbst er schien trotz seiner Strenge, auf einen Augenblick durch den unnennbaren Zauber des Schauspiels beschwichtigt zu, werden, bald aber runzelte sich seine Stirn wie über seine unfreiwillige Bewunderung unzufrieden und er seufzte schwer, als er – noch immer von den aufmerksamen Spionen gefolgt – die vergleichsweise Abgeschiedenheit der Flügel aufsuchte.

Während der Zeit zwischen den Abtheilungen des Gottesdienstes beschäftigte sich die Gemeinde damit die Reliquien zu begaffen, welche in einem silbernen Schreine mit kristallenen Thüren auf dem Hochaltare standen, wiewohl es unmöglich war, einen dentlichen Anblick dieser kirchlichen Schätze zu erlangen, nahmen sie dessen ungeachtet die Aufmerksamkeit Aller in Anspruch, bis das Erscheinen eines Priesters auf der Kanzel das Zeichen zum Beginne der Predigt gab und Alle, welche Sitze hatten, ermahnte, sich derselben ohne Säumen zu bedienen.

Eine ausführliche Analyse der bei diesem Anlasse gehaltenen Predigt würde die Zeit des Lesers, ohne besondern moralischen oder literarischen Vortheil, in Anspruch nehmen. Es genüge, wenn wir, ehe wir zu wichtigern Dingen übergeben, sagen, daß die Predigt ungeheuer lang war, daß sie mit theatralischer Heftigkeit der Geberden in düster einförmigem Tone gehalten wurde und ihr Gegenstand, – das Märtyrerthum des heiligen Lukas, zu einer Grundlage diente, aus welcher der eifernde Prediger das imposante Gebäude einer Philippika gegen die Arianer errichtete. Er begann damit, daß er es für einigermaßen möglich hielt, daß es zu St. Lucas Zeiten Arianer gegeben habe, sprach – über seine Annahme raisonnirend, als ob es eine Gewißheit gewesen wäre – seine feste Ueberzeugung aus, daß die Mörder des Evangelisten Arianer gewesen seien, und schloß, indem er die unglückseligen Arianer an’s Ende stellte, damit, daß er der Reihe nach alle Nationen, Religionen, Sekten und Individuen, die nicht bereit seien, die Unfehlbarkeit des römischen Bischofs und die Authentieität der Reliquiensammlung in der St. Peters-Basilica anzuerkennen, zur unbedingten Verdammniß verurtheilte.

Wir schreiten durch die Reihen der Zuhörer dieser Predigt hin, von denen die Einen beschäftigt waren, die Lichter auf dem Kronleuchter zu zählen, um überzeugt zu sein, daß sie der Bischof um keine einzige von den zweitausend vierhundert Flammen betrogen habe, während Andere sich flüsternd unterhielten und kleine Schachteln mit Süßigkeiten öffnen – und führen den Leser wieder aus der Kirche.

Die Versammlung war jetzt bedeutend dünner geworden, die von den hohen Säulenhallen aus den Boden geworfenen Schatten hatten sich noch mehr verdunkelt und vergrößert und an vielen von den abgelegeneren Stellen des Platzes war kaum ein menschliches Wesen mehr zu erblicken. An einer von diesen äußersten Stellen, wo die Säulen auf der Straße endigten, und die Finsterniß am dichtesten war, stand ein einsamer alter Mann, der sich vorsichtig in der Dunkelheit versteckt hielt und aufmerksam nach dem unmittelbar vor ihm liegenden Wege hinaus schaute.

Er hatte erst kurze Zeit gewartet, als ein hübscher Wagen, vor welchem einer Leibwache von schön gekleideten Sklaven herging, wenige Schritte von seinem Verstecke entfernt anhielt und die Stimme der darin befindlichen Person hörbar die folgenden Werte sprach:

»Nein, nein, fahre zu – es ist später, als ich dachte. Wenn ich Verweile, um die Illumination der Basilica zusehen, so werde ich nicht zeitig genug zurückkehren können, um meine Gäste zum heutigen Banket zu empfangen. Ueberdies hat sich dieses unschätzbare Kätzchen von der bei den alten Egyptern am höchsten geehrten Art bereits erkältet und ich möchte um alle Welt nicht das gefühlvolle Thierchen länger als nöthig der Nachtluft aussetzen. Fahre zu, guter Carrio, fahre zu.«

Der alte Mann wartete kaum auf die Beendigung dieser Worte, ehe er zu dem Wagen heranlief, wo ihm augenblicklich zwei Köpfe begegneten, der des Senators Vetranio und der eines glänzendschwarzen Kätzchens mit einem Rubinenhalsband, welches halb in die weiten Gewänder seines Herrn gehüllt war. Ehe der erstaunte Edelmann auch nur ein Wort sprechen konnte, flüsterte ihm der Greis in leiser, beflügelter Rede zu.

»Ich bin Ulpius, Entlaß Deine Diener – ich habe Dir etwas Wichtiges zu sagen.«

»Da, mein wackerer Ulpius, Du hast die höchst unglückliche Eigenschaft, Mittheilungen mit dem Wesen eines Meuchelmörders. zu mchen! Aber ich muß Deine unangenehme Weise aus Rücksicht auf Deinen Eifer entschuldigen. Vortrefflicher Carrio, wenn Dir an meiner Zufriedenheit etwas gelegen ist, so entferne Deine Gefährten und Dich außer Hörweite.«

Der Freigelassene leistete dem Befehle seines Herrn augenblicklichen Gehorsam. Jetzt begann folgendes von dem sonderbaren Alten eingeleitetes Gespräch.

»Erinnerst Du Dich Deines Versprechens?«

»Ja.««

»Bist Du auf Deine Ehre als Edelmann und Senator bereit, es zu halten, wenn es nöthig sein wird?«

»Ja.«

»Dann triff mich mit der Morgendämmerung an der Privatthür Deines Palastgartens und ich werde Dich in Antonina’s Schlafgemach führen.«

»Die Zeit sagt mir zu, warum aber mit der Morgendämmerung?«

»Weil der Christennarr bis Mitternacht eine Vigilie hatte»wird, der das Mädchen aller Wahrscheinlichkeit nach beiwohnt. Ich wollte Dir es in Deinem Palaste sagen, hörte aber dort, daß Du nach Aricia gegangen seist und über die Basilica zurückkehren würdest. Ich habe mich daher in den Hinterhalt gelegt, um Dich so aufzufangen.«

»Du eifriger Ulpius!«

»Behalte Dein Versprechen im Gedächtniß.«

Vetranio lehnte sich vor, um zu antworten, aber Ulpius war verschwunden.

Als der Senator wieder weiter zu fahren befahl, blickte er aus dem Fenster des Wagens, als erwarte er, daß sein seltsamer Anhänger. sich noch in der Nähe desselben aufhalten würde. Er bemerkte jedoch nur einen ihm unbekannten Mann, der von zwei andern gefolgt, schnell an ihm vorüberging. Es war Numerian mit den beiden Spionen.

»Endlich nähern sich meine Pläne der Ausführung!« rief Vetranio vor sich hin, als er und sein Kätzchen im Wagen abfuhren. »Es ist ein Glück, daß ich heute daran gedacht habe, mir Juliens Villa zu verschaffen, da ich sie jetzt sicherlich morgen brauchen werde. Beim Jupiter, welche Menge von Gefahren, Widersprüchen und Räthseln diese Geschichte umgeben! Wenn ich bedenke, daß ich, der ich aus meine Philosophie stolz war, Ravenna verlassen, eine Privatvilla geliehen, mich mit einem ungebildeten Plebejer verbündet habe und Alles nur um des Mädchens willen, das bereits meine Erwartungen getäuscht hat, indem es mich zum Musiklehrer erlangte, ohne mich als Liebhaber anzunehmen, so bin ich, wahrhaftig über meine Schwäche erstaunt. Man muß jedoch gestehen, daß das Aussehen, welches mein Abenteuer seit einiger Zeit angenommen hat, demselben an sich schon einiges Interesse verleiht. Das bloße Vergnügen, in die Hausgeheimnisse dieses Numerian zu dringen, ist keineswegs der geringste von den zahlreichen Reizen meines Planes. Wie hat er seinen Einfluß auf das Mädchen erworben? Warum hält er es in so strenger Abgeschiedenheit? Wer ist das alte halbrasende, unceremoniöse Menschenungeheuer, das sich Ulpius nennt, jede Belohnung seiner Schurkerei ausschlägt, über die Rückkehr zu der alten Götterreligion faselt und über das Versprechen jubelt, welches er mir als einem guten Heiden entrissen hat, die erste Wiederherstellung des alten Götterdienstes, die in Rom versucht werden würde, zu unterstützen? – Wo kommt er her? Warum bekennt er sich äußerlich zum Christenthume? Was hat ihn in Numerian’s Dienst gebracht? – Beim Gürtel der Venus, Alles, was mit dem Mädchen zusammenhängt, ist eben so unbegreiflich wie sie selbst. Aber Geduld – Geduld! Nur noch wenige Stunden und diese Geheimnisse werden sich enthüllen. Unterdessen wollen wir an mein Gastmahl und seine Schutzgottheit, die Nachtigallensauce, denken.«

Antonia

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