Читать книгу Der Monddiamant - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 18

Zwölftes Kapitel.

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Die Nacht vom Donnerstag auf Freitag ging vorüber, ohne daß sich irgend etwas Bemerkenswerthes ereignete. Der Freitag Morgen aber brachte zwei neue Momente: Erstens versicherte der Bäckerjunge, er sei Rosanna Spearman Tags zuvor am Nachmittage begegnet, wie sie, dicht verschleiert, auf dem Fußwege über das Moor nach Frizinghall zu gegangen sei. So auffallend es war, daß Jemand sich über die Person Rosanna’s, die durch ihre verwachsene Schulter nur zu kenntlich war, getäuscht haben sollte, so mußte sich unser Bäckerjunge doch geirrt haben, denn Rosanna war ja, wie der Leser weiß, den ganzen Donnerstag Nachmittag auf ihrem Zimmer gewesen.

Das zweite Novum brachte der Postbote. Als unser würdiger Herr Candy am Abend des Geburtstags beim Wegfahren gegen mich äußerte, daß die Haut eines Arztes wasserdicht sein müsse. war dies wieder eine der Unglücklichen Bemerkungen gewesen, deren er an jedem Tage schon so viele gemacht hatte. Trotz seiner wasserdichten Haut war die Nässe doch nicht ohne üble Folgen für ihn geblieben. Er hatte sich erkältet und lag jetzt im Fieber. Die letzten Nachrichten, die der Postbote brachte, meldeten, daß er im Fieber phantasiere und eben so geläufig im Delirium rede wie sonst in gesunden Tagen. Der kleine Doktor that uns Allen sehr leid, Herr Franklin aber schien seine Krankheit ganz besonders Fräulein Rachel’s wegen zu bedauern. Nach dem, was ich ihn zu Mylady beim Frühstück sagen gehört hatte, schien er zu fürchten, daß, wenn die Ungewißheit über den Mondstein noch länger dauere, Fräulein Rachel sehr bald und dringend ärztlichen Rathes bedürfen werde.

Das Frühstück war noch nicht lange vorüber, als ein Telegramm von Herrn Blake sen. in Antwort auf das seines Sohnes erfolgte. Es benachrichtigte uns, daß er durch Vermittlung des ihm befreundeten Polizeichefs den rechten Mann für uns gefunden habe. Er hieß Polizeisergeant Cuff und wir durften ihn mit dem Morgenzuge erwarten.

Als Herr Franklin den Namen dieses Polizeisergeanten las, fuhr er aus. Er hatte, glaube ich, während seines Aufenthalts in London von dem Advokaten seines Vaters einige sonderbare Anekdoten über den Cuff gehört. »Ich fange an zu hoffen« sagte er, »daß wir uns dem Ende unserer ängstlichen Unsicherheit nähern. Wenn nur die Hälfte der Geschichten wahr ist, die ich über die Geschicklichkeit Cuff’s in der Enthüllung von Geheimnissen gehört habe, so hat er seines Gleichen in England nicht.« Wir wurden Alle aufgeregt und ungeduldig, als die Zeit herankam, wo wir diesen durch seine Gewandtheit berühmten Mann erwarten konnten. Der Oberbeamte Seegreaf der sich zur festgesetzten Zeit einstellte, schloß sich, sobald er von der bevorstehenden Ankunft des Polizeisergeanten hörte, mit Papier, Feder und Tinte in ein Zimmer ein, um sich Notizen für den Bericht zu machen, den er unzweifelhaft zu erstatten haben würde.

Ich wäre gern an die Station gegangen, um Cuff abzuholen, aber an Mylady’s Wagen und Pferde war selbst für den berühmten Cuff nicht zu denken; und der Ponywagen war bereits für eine spätere Stunde von Herrn Godfrey bestellt. Dieser Letztere bedauerte es auf’s Lebhafteste, daß er genöthigt sei, seine Tante in einem so peinlichen Augenblick zu verlassen, und war freundlich genug, die Stunde seiner Abreise bis zu dem letzten Zuge zu verschieben, damit er noch zuvor hören könne, was der gewandte Londoner Polizeibeamte über den Fall denke. Aber am Freitag Abend müsse er nothwendig wieder in London sein, da er am Sonnabend Morgen der Sitzung eines mildthätigen Damen - Comités, das seines Rathes bedürfe, beizuwohnen habe.

Als die Zeit der Ankunft des Sergeanten herankam, ging ich an die Pforte des Parks, um nach ihm auszusehen. Gerade als ich bei dem Pförtnerhause anlangte, kam ein Wagen von der Eisenbahn angefahren, und heraus stieg ein graues, ältliches Männchen von so hagerem Körper, daß er aussah, als ob er Alles in Allem nicht ein Loth Fleisch auf den Knochen habe. Er war ganz schwarz gekleidet und trug eine weiße Cravatte. Sein Gesicht war so scharf wie ein Rasiermesser und seine Haut so welk, so trocken und so gelb wie Herbstlaub. Seine hellen, stahlgrauen Augen hatten etwas, was Einen aus der Fassung bringen konnte, als ob er mehr aus Einem herausbringen wolle, als dessen man sich selbst bewußt war. Sein Schritt war leise, seine Stimme hatte etwas Melancholisches, seine langen, hageren Finger waren wie Klauen gekrümmt, man hätte ihn für einen Pfarrer oder einen Leichenbestatter oder sonst irgend etwas nehmen können, nur nicht für das, was er war. Einen schärferen Gegensatz zu dem Oberbeamten Seegreaf als den Sergeanten Cuff und eine weniger angenehme und Vertrauen erweckende Persönlichkeit für eine Familie, die sich in einer peinlichen Lage, wie die unsrige, befand, hätte man sich in aller Welt nicht denken können.

»Ist dies Lady Verinder’s Landsitz?« fragte er.

»Ja, mein Herr.«

»Ich bin der Polizei-Sergeant Cuff.«

»Wollen Sie gefälligst mit mir kommen?«

Auf unserem Wege nach dem Hause machte ich ihn mit meinem Namen und meiner Stellung bekannt, um ihn zu überzeugen, daß er mit mir über die Angelegenheit, wegen derer Mylady ihn hatte kommen lassen, reden könne. Aber vergebens — er sprach kein Wort darüber. Er bewunderte den Park und bemerkte, daß er die Seeluft sehr erfrischend finde. Ich wunderte mich im Stillen, wie der berühmte Cuff zu seinem Rufe gekommen sei. Wir erreichten das Haus in der Stimmung zweier Hunde, die zum ersten Mal in ihrem Leben an ein und dieselbe Kette gelegt worden sind. Da wir hörten, daß Mylady sich in einem der Treibhäuser befinde, gingen wir nach dem hinter dem Hause liegenden Garten und schickten einen Diener ab, sie von unserer Ankunft zu benachrichtigen. Als wir so warteten, blickte Polizei-Sergeant Cuff durch den Bogen von immergrünem Laube zur Linken aus den Rosengarten und ging, zum ersten Male mit dem Anschein eines Interesses für irgend Etwas, ohne Weiteres hinein. Zum Erstaunen des Gärtners und zu meinem Verdruß erwies sich der berühmte Cuff als eine wahre Fundgrube des Wissens über einen so nichtigen Gegenstand wie die Rosenzucht.

»Ah, Sie haben hier die richtige Lage nach Süden und Südwesten,« sagte der Sergeant, indem er mit seinem grauen Kopf nickte und in dem Ton seiner melancholischen Stimme etwas von selbstgefälligem Behagen äußerte; »dies ist die wahre Form eines Rosengartens — ein Kreis innerhalb eines Vierecks — ja, ja, mit Wegen zwischen allen Beeten — aber die Wege müßten nicht mit Kies bestreut sein — Graswege, Herr Gärtner, Graswege müßten Sie zwischen Ihren Beeten haben. Da haben Sie ein allerliebstes Beet von weißen und blaßrothen Rosen, die nehmen sich immer sehr gut zusammen aus, nicht wahr? Hier ist ja die weiße Monatsrose, Herr Betteredge, unsere alte, englische Rose, die es noch mit den schönsten und neuesten Sorten aufnimmt. Du liebes Ding!« sagte der Sergeant, indem er die Monatsrose mit seinen mageren Fingern liebkoste und mit ihr sprach, wie mit einem Kinde. Das war mir der rechte Mann, Fräulein Rachels Diamanten und den Dieb, der ihn gestohlen, zu entdecken.

»Sie scheinen ein Liebhaber von Rosen zu sein, Herr Sergeant,« bemerkte ich.

»Ich habe nicht viel Zeit zu Liebhabereien,« erwiderte Herr Cuff, »aber wenn ich einen freien Augenblick habe, Herr Betteredge, so widme ich ihn meistens den Rosen. Ich habe mein Leben in dem Kunstgarten meines Vaters unter Rosen begonnen und ich will wo möglich mein Leben unter ihnen beendigen. Ja, das will ich! Binnen Kurzem werde ich es mit Gottes Hilfe aufgeben, Diebe einzufangen und werde meine Hand an der Rosenzucht versuchen. Zwischen meinen Beeten aber will ich Graswege haben, Herr Betteredge,« sagte der Sergeant, dem die Kieswege unseres Rosengartens sehr zu mißfallen schienen.

»Eine sonderbare Liebhaberei,« erlaubte ich mir zu bemerken, »für einen Mann von Ihrem Lebensberuf.«

»Wenn Sie sich in der Welt umsehen (was die wenigsten Menschen thun),« erwiderte Cuff, »so werden Sie finden, daß die Liebhabereien der meisten Menschen im schärfsten Gegensatz zu ihrem Berufe stehen. Zeigen Sie mir zwei entgegengesetztere Dinge als eine Rose und einen Dieb und ich will meine Liebhaberei ändern, wenn ich nicht schon zu alt dazu bin. Sie finden die Monatsrose geeignet, die meisten zarten Sorten darauf zu Pfropfen, nicht wahr Herr Gärtner? Ja, das dachte ich wohl! Hier kommt eine Dame, ist es Lady Verinder?«

Er hatte sie gesehen, ehe wir, der Gärtner und ich, sie bemerkt hatten, obgleich er nicht, wie wir, wissen konnte, von welcher Richtung her sie kommen mußte. Ich fing an, ihn für gewandter zu halten, als er mir zuerst erschienen war. Das Aussehen oder der Zweck der Gegenwart des Sergeanten oder vielleicht beides schienen Mylady etwas verlegen zu machen. Zum ersten Male so lange ich mich erinnern konnte, wußte sie bei der ersten Begegnung mit einem Fremden nicht, was sie sagen solle; aber Sergeant Cuff wußte sie auf der Stelle a son aise zu setzen. Er fragte, ob schon irgend eine andere Person von uns mit der Erforschung des Diebstahls beauftragt worden sei, bevor wir zu ihm geschickt und bat, als er hörte, daß diese Person augenblicklich im Hause anwesend sei, um die Erlaubnis mit derselben zu sprechen, bevor etwas Weiteres geschehe.

Mylady ging voran; bevor er ihr folgte, sagte der Sergeant zum Abschied noch ein Wort über die Kieswege zum Gärtner.

»Suchen Sie von Mylady Graswege zu erlangen,« sagte er mit einem geringschätzigen Blick auf die Kieswege, »kein Kies, kein Kies!«

Warum der Oberbeamte Seegreaf bei seiner Begegnung mit dem Sergeanten Cuff in weniger als halber Lebensgröße erschien, das zu erklären geht über meine Kräfte. Ich kann nur die Thatsache konstatieren, daß sie sich zusammen zurückzogen und lange Zeit gegen jeden sterblichen Eindringling abgesperrt blieben. Als sie wieder erschienen, war der Oberbeamte aufgeregt, während der Sergeant gähnte.

»Der Herr Sergeant wünscht Fräulein Rachels Wohnzimmer zu sehen,« sagte Seegreaf zu mir mit feierlicher Wichtigkeit. »Der Herr Sergeant haben vielleicht einige Fragen zu thun, bitte begleiten Sie den Herrn Sergeanten.«

Während ich auf diese Weise meine Ordre erhielt, sah ich mir den großen Cuff an. Der große Cuff seinerseits sah den Oberbeamten Seegreaf mit jenem ruhig überlegenen Blick an, den ich schon früher an ihm bemerkt hatte. Ich kann zwar nicht bestimmt behaupten, daß Cuff auf die Umwandlung seines Kollegen in die Gestalt eines Esels wartete, aber mir kam es so vor. Ich ging den Beamten voran hinaus. Der Sergeant durchsuchte mit großer Ruhe das indische Schränkchen und das ganze Boudoir, indem er mir beständig und dem Oberbeamten gelegentlich Fragen vorlegte, deren wahrer Zweck, glaube ich, uns Beiden gleich unverständlich war.

Seine schrittweise Durchsuchung des Zimmers führte ihn auch an die Thür, gerade vor die Dekorationsmalerei, von der der Leser bereits weiß. Er legte einen seiner hageren Finger prüfend auf den kleinen Fleck gerade unter dem Schlüsselloch, den auch Seegreaf bereits bemerkt hatte, als er Tags zuvor die weiblichen Dienstboten dafür schalt, daß sie sich Alle zusammen in das Zimmer gedrängt hatten.

»Wie schade,« sagte Cuff, »wie ist denn das gekommen?

Er richtete eine Frage an mich. Ich antwortete, daß die Mägde sich am vorigen Morgen ins Zimmer gedrängt und die Kleider einiger derselben das Unheil angerichtet hätten. Herr Seegreaf fügte ich hinzu, hieß sie noch rechtzeitig hinausgehen, ehe sie mehr Schaden anrichten konnten.«

»So ist es,« sagte der Oberbeamte in seiner militärischen Weise; »ich hieß sie hinausgehen; die Kleider sind schuld, Herr Sergeant, die Kleider!«

»Haben Sie bemerkt, welches Kleid es war?« fragte Herr Cuff, indem er sich noch immer nicht an seinen College, sondern an mich wandte.

»Nein, Herr Sergeant!«

Darauf wandte er sich an Seegreaf und sagte: »Aber Sie haben sicherlich bemerkt!«

Der Oberbeamte sah ein wenig verlegen aus, suchte sich aber so gut wie möglich zu helfen. »Das kann ich wirklich nicht mehr sagen. Eine Kleinigkeit, Herr Sergeant, eine solche Kleinigkeit!«

Sergeant Cuff sah Seegreaf mit demselben Blick an, mit dem er die Kieswege im Rosengarten betrachtet hatte und gab uns in seiner melancholischen Weise den ersten Vorgeschmack seiner eigentlichen Spezialität.

»In der vorigen Woche hatte ich eine Untersuchung vorzunehmen, Herr Seegreaf,« sagte er. »Das Ziel dieser Untersuchung war die Entdeckung eines Mordes, ihr Ausgangspunkt ein Tintenfleck auf einer Tischdecke, von dessen Entstehung Niemand Rechenschaft zu geben wußte. In allen meinen Erfahrungen, auf allen meinen Wegen, durch alle Schlupfwinkel dieser schmutzigen kleinen Welt habe ich noch nicht gelernt, irgend etwas als eine Kleinigkeit zu betrachten! Bevor wir einen Schritt weiter thun, müssen wir das Kleid finden, das diesen Flecken verursacht hat und müssen uns vergewissern, wie lange diese Farbe naß gewesen ist.«

Der Oberbeamte, den die erhaltene Zurechtweisung verstimmt hatte, fragte, ob er die Mägde kommen lassen solle. Nach einer kurzen Überlegung schüttelte Cuff seufzend den Kopf. »Nein,« sagte er, »wir wollen uns erst mit der Farbe hier beschäftigen. Es handelt sich dabei einfach um Ja oder Nein. Die Frage nach dem Frauenkleid ist weniger einfach. Wie viel Uhr war es, als die Mädchen gestern im Zimmer waren? War es 11 Uhr? Wie? Ist irgend Jemand im Hause, der sagen kann, ob die Farbe gestern Morgen um 11 Uhr trocken war?«

»Das muß Mylady’s Neffe, Herr Franklin Blake wissen,« sagte ich.

»Ist der Herr zu Hause?«

Herr Franklin war uns so nah wie möglich, denn er wartete nur auf die Gelegenheit, dem großen Cuff vorgestellt zu werden. Im nächsten Augenblick war er im Zimmer und machte seine Aussage wie folgt:

»Diese Thür, Herr Cuff, ist von Fräulein Rachel unter meiner Aufsicht, mit meiner Hilfe und mit einem von mir selbst verfertigten Bindemittel gemalt worden. Das Bindemittel trocknet, gleichviel zu was für Farben es verwandt wird, in 12 Stunden.«

»Erinnern Sie sich, wann die ausgewischte Stelle bemalt worden?« fragte der Sergeant

»Genau,« sagte Herr Franklin »Das war gerade die Stelle, die zuletzt gemalt ward. Wir wollten gern am vorigen Mittwoch damit fertig sein, und ich selbst habe um 3 Uhr Nachmittags oder kurz nachher die letzte Hand daran gelegt.«

»Heute ist Freitag,« sagte Sergeant Cuff zu Seegreaf, »lassen Sie uns einmal zurückrechnen Also Mittwoch Nachmittag 3 Uhr war diese Stelle fertig bemalt; das Bindemittel machte dieselbe binnen 12 Stunden — das heißt also bis um 3 Uhr Donnerstag Morgen trocken. Um 11 Uhr haben Sie hier Ihr Verhör vorgenommen —- ziehen Sie 3 von 11 ab — bleibt 8. Die Malerei war schon acht Stunden trocken gewesen, als Sie annahmen, daß die Kleider der Mägde dieselbe übergewischt hatten.«

Das war der erste Schlag auf Herrn Seegreaf’s Haupt. Hätte er nicht Verdacht gegen Penelope gehabt, so hätte ich ihn bemitleidet!

Nachdem Sergeant Cuff den Farbpunkt auf diese Weise festgestellt hatte, gab er seinen Kollegen als unbrauchbar auf und wandte sich an Herrn Franklin, von dem er sich bessern Beistand versprach.

»Es ist klar, Herr Blake,« sagte er, »daß Sie uns den rechten Schlüssel in die Hand geliefert haben.« Kaum hatte er diese Worte gesagt, als sich die Thür des Schlafzimmers öffnete und Fräulein Rachel zu uns hereintrat. Sie wandte sich an den Sergeanten, ohne die geringste Rücksicht darauf zu nehmen, daß er ihr völlig fremd sei. »Bemerkten Sie,« sagte sie, auf Herrn Franklin deutend, »daß er es sei, der den Schlüssel in Ihre Hand gelegt habe?«

»Dies ist Fräulein Verinder,« flüsterte ich dem Sergeanten zu.

»Dieser Herr, mein Fräulein,« erwiderte der Sergeant, indem er mit seinen stahlgrauen Augen Fräulein Rachel scharf in’s Gesicht blickte, »hat möglicher Weise den Schlüssel in unsere Hände gelegt.«

Sie wandte sich um und versuchte Herrn Franklin anzusehen — ich sage versuchte, denn sie wandte sich plötzlich wieder ab, noch ehe ihre Augen den seinigen begegnet waren. Sie schien sich in einer ganz eigenthümlichen Gemüthsverfassung zu befinden; sie erröthete und wurde dann wieder blaß. Mit der Blässe gewann ihr Auge einen neuen Ausdruck — einen Ausdruck, der mich entsetzte.

»Nachdem ich Ihre Frage beantwortet habe. mein Fräulein,« fing der Sergeant wieder an, »bitte ich um die Erlaubnis, nun meinerseits eine Frage an Sie zu richten. Auf der Farbe an der Thür ist etwas übergewischt — wissen Sie zufällig, wann das geschehen ist oder wer es gethan hat?«

Statt jeder Antwort fuhr Fräulein Rachel mit ihren Fragen fort, als ob der Sergeant gar nicht gefragt oder sie ihn nicht gehört hätte.

»Sind Sie auch ein Polizeibeamter?« fragte sie.

»Ich bin Sergeant Cuff von der geheimen Polizei.«1

»Halten Sie es der Mühe Werth, von einem jungen Mädchen einen Rath anzunehmen?«

»Ich werde ihn gern anhören, mein Fräulein.«

»Thun Sie Ihre Pflicht allein und lassen sich nicht von Herrn Franklin Blake helfen.«

Sie sprach diese Worte mit einem solchen Ausdruck von Hohn und Wuth, mit einem so furchtbaren Ausbruch des Hasses gegen Herrn Franklin in Stimme und Blick, daß ich, obgleich ich sie von ihrer frühesten Kindheit an kannte, obgleich ich sie nächst Mylady am meisten von allen Menschen ehrte und liebte, zum ersten Male in meinem Leben mich ihrer schämte.

Sergeant Cuffs unbewegliche Augen blieben unablässig auf sie geheftet.

»Ich danke Ihnen, mein Fräulein. Wissen Sie zufällig etwas über den Fleck auf der Farbe? Können Sie ihn selbst gemacht haben?«

»Ich weiß nichts von diesem Fleck.«

Mit diesen Worten ging sie wieder in ihr Schlafzimmer und schloß es hinter sich zu. Diesmal hörte ich sie wie früher Penelope in Thränen ausbrechen, sobald sie allein war. Ich konnte es nicht über mich gewinnen, Herrn Cuff anzusehen — ich blickte auf Herrn Franklin, der mir zunächst stand. Er schien von dem, was vorgegangen, noch peinlicher berührt als ich selbst.

»Ich habe Ihnen schon gesagt,« erwiderte er, »daß ich ihretwegen beunruhigt sei, und nun sehen Sie warum.«

»Fräulein Verinder scheint über den Verlust ihres Diamanten etwas ungehalten,« bemerkte der Sergeant. »Es ist ein kostbarer Edelstein; sehr begreiflich, sehr begreiflich!«

Hier übernahm also ein völlig Fremder dieselbe Entschuldigung unseres Fräuleins, die ich Tags zuvor, als sie sich gegen Seegreaf vergessen, vorgebracht hatte. Ein kalter Schauer überlief mich, ich wußte selbst nicht warum. Jetzt weiß ich, daß mir in jenem Augenblick die erste Ahnung davon gekommen ist, daß lediglich in Folge des Anblicks und der Reden von Fräulein Rachel dem Sergeanten Cuff ein neues und schreckliches Licht in der Sache ausgegangen sein könne.

»Man darf es mit den Worten einer jungen Dame nicht so genau nehmen,« sagte der Sergeant zu Herrn Franklin, »lassen Sie uns das eben Vorgefallene vergessen, und unser Geschäft ohne Unterbrechung fortsetzen. Dank Ihrer Mittheilung wissen wir, wann die Farbe trocken war. Was wir zunächst herauszufinden haben, ist, wann dieselbe zuletzt ohne den Fleck gesehen worden ist. Sie sind ein Mann von Einsicht und verstehen mich.«

Herr Franklin nahm sich zusammen und suchte seine Gedanken von Fräulein Rachel abzulenken und der Farben-Angelegenheit zuzuwenden.

»Ich glaube Sie zu verstehen, je enger wir die Frage der Zeit begrenzen können, desto enger begrenzen wir das Feld der Untersuchung.«

»So ist’s,« erwiderte der Sergeant.

»Haben Sie Ihre Arbeit noch nach ihrer Vollendung am Mittwoch Nachmittag angesehen?«

Herr Franklin schüttelte den Kopf, »das glaube ich nicht.«

»Haben Sie die Arbeit angesehen?« fragte Cuff mich.

»Auch ich kann das nicht behaupten.«

»Wer war die letzte Person, die sich am Mittwoch Abend in diesem Zimmer befunden hat?«

»Ich glaube Fräulein Rachel.«

Herr Franklin fiel ein: »Oder möglicher Weise Ihre Tochter, Herr Betteredge.« Er wandte sich zu Sergeant Cuff und erklärte ihm, daß meine Tochter Fräulein Rachel’s Kammermädchen sei.

»Herr Betteredge, ersuchen Sie Ihre Tochter, herauf zu kommen,« sagte der Sergeant, rief aber gleich darauf »Halt!« und nahm mich in eine Ecke an’s Fenster.

»Der Oberbeamte hier,« flüsterte er mir zu, »hat mir einen ziemlich vollständigen Bericht gegeben, wie er die Untersuchung geleitet hat. Unter Anderem hat er nach seiner eigenen Mittheilung die Dienstboten aufsässig gemacht, es ist höchst wichtig sie wieder zu beruhigen.

Theilen Sie gefälligst Ihrer Tochter und den übrigen Dienstboten mit meiner Empfehlung Folgendes mit, erstens daß ich bis jetzt keinen Beweis habe, daß der Diamant gestohlen, sondern daß ich nur weiß, daß er verloren ist; zweitens daß mein Verfahren gegen die Dienstboten sich einfach darauf beschränkt, sie zu bitten, sich zusammenzuthun und mir bei der Wiedererlangung behilflich zu sein.«

Ich fand in diesen Worten eine Bestätigung dessen, was ich von der Entrüstung der Dienstboten bei dem durch Seegreaf auf ihre Zimmer gelegten Sequester gesehen hatte.

»Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich den Mägden noch ein Drittes sagen. Haben Sie etwas dagegen,« fragte ich, »daß sie Trepp auf Trepp ab laufen und in ihre Zimmer gehen, wann sie wollen?«

»Nicht das Mindeste,« sagte Herr Cuff.

Das wird das beste Mittel sein, sie alle von der Köchin bis zur Scheuermagd zu besänftigen.«

»Besorgen Sie diese Beruhigung sofort, Herr Betteredge.«

In weniger als fünf Minuten war die Sache gethan. Nur auf eine Schwierigkeit stieß ich. Es bedurfte einer ziemlich energischen Ausübung meiner Autorität als Chef, um zu verhindern, daß nicht die gesamte weibliche Dienerschaft mir und Penelopen in ihrem Eifer, Sergeant Cuff als freiwillige Zeugen behilflich zu sein, in das Boudoir hinauf folgte. Der Sergeant schien mit Penelopen zufrieden zu sein. Er sah etwas weniger melancholisch aus, und mehr wie damals, als er die weiße Rose betrachtete. Folgendes ist die Aussage meiner Tochter, wie der Sergeant sie zu Protokoll genommen hat. Sie machte ihre Aussage, glaube ich, sehr gut. Ja, sie ist ganz und gar mein Kind! Sie hat nichts von ihrer Mutter, so wahr mir Gott helfe, nichts von ihrer Mutter.

Das Protokoll lautete: Zeugin nahm lebhaftes Interesse an der Thürmalerei, da sie bei der Mischung der Farben behilflich gewesen war; hatte sich das Stückchen Malerei unter dem Thürschloß wohl gemerkt, weil es zuletzt gemalt war. Hatte es einige Stunden nach der Vollendung ohne Fleck gesehen; hatte es um Mitternacht ohne Fleck gesehen; hatte um diese Zeit ihrem jungen Fräulein gute Nacht gesagt; hatte die Uhr im Boudoir schlagen hören; hatte in dem Augenblick ihre Hand aus dem Griff der gemalten Thür; wußte, daß die Farbe noch naß sei, da sie, wie oben bemerkt, bei der Mischung geholfen hatte; nahm sich besonders in Acht, dieselbe nicht zu berühren; kann beschwören, daß sie ihr Kleid vorsichtig fest an sich nahm und daß in dem Augenblick die Malerei noch nicht übergewischt war; kann nicht beschwören, daß ihr Kleid nicht beim hinausgehen zufällig doch die Malerei berührt hat; erinnert sich des Kleides, das sie getragen, da es neu und ein Geschenk von Fräulein Rachel war; ihr Vater erinnerte sich desselben gleichfalls; erklärte sich bereit, es zu holen; holte es; das Kleid wird von ihrem Vater als das an jenem Abend von ihr getragene rekognosziert; das Kleid wird untersucht, ein großes Stück Arbeit wegen des vielen Zeuges; keine Spur eines Farbenflecks. Schluß von Penelopes charmanter und sehr überzeugender Aussage. Unterzeichnet Gabriel Betteredge.

Das Nächste war, daß der Sergeant mich fragte, ob große Hunde im Hause seien, welche in’s Zimmer gedrungen sein und mit ihren Schwänzen das Unheil angerichtet haben könnten. Nachdem ich ihn überzeugt hatte, daß das unmöglich sei, ließ er ein Vergrößerungsglas holen und betrachtete die übergewischte Stelle durch dasselbe. Keine Spur der Berührung durch eine menschliche Hand. Alle Anzeichen sprachen dafür, daß die Stelle durch irgend ein Kleidungsstück eines an der Thür Vorübergehenden übergewischt und daß, die Aussagen von Penelope und Herrn Franklin zusammengehalten, Jemand am Donnerstag Morgen zwischen zwölf und drei Uhr im Zimmer gewesen sein und die Stelle verdorben haben müsse.

Als die Untersuchung bis zu diesem Punkt gediehen war, bemerkte Sergeant Cuff, daß der Oberbeamte Seegreaf sich noch im Zimmer befand, und resümierte das Ergebnis seiner bisherigen Untersuchungen zum Besten seines College, wie folgt: »Ihre Kleinigkeit,« sagte er, auf die Stelle an der Thür deutend, »hat einige Wichtigkeit gewonnen, seit Sie derselben zuerst Ihre Aufmerksamkeit zuwandten. In dem gegenwärtigen Stadium der Untersuchung handelt es sich nach meiner Ansicht, wenn man die übergewischte Stelle zum Ausgangspunkt nimmt, darum, Dreierlei zu entdecken: erstens, ob sich in diesem Hause ein Kleidungsstück mit dem betreffenden Farbenfleck findet; zweitens, wem dieses Kleidungsstück gehört; drittens, wie sich die betreffende Person darüber verantworten kann, daß sie zwischen Zwölf und Drei in diesem Zimmer gewesen ist und die Farbe übergewischt hat. Wenn die Person sich hierüber nicht genügend ausweisen kann, so werden wir nach dem Diamantendieb nicht weit zu suchen haben. Ich möchte diese Untersuchung mit Ihrer Erlaubnis allein fortsetzen und will Sie Ihren Berufsgeschäften in der Stadt nicht länger entziehen. Sie haben einen Ihrer Officianten hier, wie ich sehe; lassen Sie mir denselben hier für den Fall, daß ich seiner bedürfen sollte und erlauben Sie mir, Ihnen einen guten Morgen zu wünschen.«

Oberbeamter Seegreaf hatte großen Respekt vor dem Sergeanten Cuff; noch größeren aber vor sich selber. Den scharfen Hieb, den ihm der berühmte Cuff versetzt hatte, suchte er, so gut er konnte, beim Fortgehen zu parieren.

»Ich habe mich bis jetzt jeder Meinungsäußerung enthalten,« bemerkte der Oberbeamte mit seiner vollkräftigen militärischen Stimme. »Ich erlaube mir, indem ich Ihnen diese Angelegenheit überlasse, nur die Eine Bemerkung. Es gibt Leute, Herr Sergeant, die aus einer Mücke einen Elephanten machen. Ich empfehle mich Ihnen.«

»Es gibt auch Leute, die eine Mücke gar nicht bemerken, weil sie ihnen zu klein ist.« Nachdem er das Kompliment seines Kollegen so erwidert hatte, drehte sich Sergeant Cuff um und trat allein an’s Fenster.

Herr Franklin und ich waren begierig zu sehen, was nun vor sich gehen solle. Der Sergeant sah die Hände in den Taschen, zum Fenster hinaus und pfiff die Melodie »Letzte Rose« sachte vor sich hin. Im Verlauf der Untersuchung bin ich später dahinter gekommen, daß er sich nur dann soweit vergaß zu pfeifen, wenn sein Kopf stark arbeitete und sich Schritt für Schritt den Weg zu dem von ihm selbst gesteckten Ziel bahnte, wobei ihm »die letzte Rose« offenbar gute Dienste leistete. Das Lied harmonierte, glaube ich, mit seiner Gemüthsverfassung; es erinnerte ihn an seine lieben Rosen, und war, wenn er es pfiff, die melancholischste Melodie, die man sich denken kann.

Nach einigen Minuten ging der Sergeant vom Fenster weg gerade in die Mitte des Zimmers, wo er in Gedanken versunken und die Augen auf die Thür von Fräulein Rachel’s Schlafzimmer geheftet stehen blieb. Nach einer kleinen Weile nickte er mit dem Kopfe, als wolle er sagen: »So wird’s gehen!« und beauftragte mich, Mylady zu ersuchen, ihm, sobald es ihr bequem sei, eine kurze Audienz zu gewähren.

Im Begriff das Zimmer mit diesem Auftrage zu verlassen, hörte« ich, wie Herr Franklin eine Frage an den Sergeanten richtete, und blieb an der Schwelle der Thür stehen, um auch die Antwort zu hören.

»Haben Sie schon eine Idee, wer den Diamanten gestohlen haben kann?« fragte Herr Franklin.

»Kein Mensch hat den Diamanten gestohlen,« erwiderte Cuff.

Über diese merkwürdige Ansicht waren wir Beide höchlich erstaunt und drangen in ihn, sich näher zu erklären.

»Warten Sie nur ein klein wenig,« sagte der Sergeant. Es fehlen nur noch einige Stücke an diesem Geduldspiel.«

Der Monddiamant

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