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2.1 Spielen bzw. Play – die Tätigkeit des spielenden Subjekts
ОглавлениеSpielen ist nicht nur bei Menschen zu beobachten. Es ist zwar eine »anthropologische Konstante« und lässt sich sogar als ein grundlegendes Bedürfnis einordnen, denn »zu allen Zeiten haben Menschen in allen Kulturen gespielt« (Stenger 2012, S. 52). Sein universelles Vorkommen in menschlichen Kulturen ist jedoch nicht unabhängig von Rahmenbedingungen, denn »in modernen Gesellschaften und in Hirtengesellschaften« wird häufiger gespielt als etwa in »Sammlerkulturen« (Hauser 2013, S. 134). Zudem ist Spielen keine ausschließlich menschliche Tätigkeit. Auch Tiere spielen, wie bereits der Philosoph und Psychologe Karl Groos (1861–1946) in einer eindrucksvollen Beobachtungsstudie beschrieben hat (vgl. Groos 1896). Sie tun dies vor allem in Situationen, die von keinem Mangel bestimmt sind (z. B. Hunger oder Durst). Groos konnte bestätigen, was schon Friedrich Schiller (1759–1805) in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen zum Spielen notiert hatte: »Das Tier arbeitet, wenn ein Mangel die Triebfeder seiner Tätigkeit ist, und es spielt, wenn der Reichtum der Kraft diese Triebfeder ist, wenn das überflüssige Leben sich selbst zur Tätigkeit stachelt« (Schiller 1795/1913, S. 109). Wichtig ist diese Einsicht auch für das Spielen bei uns Menschen, denn dieses scheint nicht nur selbst ein Grundbedürfnis und Bedingung für ein gutes Leben zu sein. Als Bedingung dafür, dass Spielen überhaupt stattfinden kann, müssen – bei Menschen wie bei Tieren – andere Bedürfnisse zunächst erfüllt sein. Diese Bedürfnisse sind jedoch nicht nur Hunger und Durst, sondern betreffen auch andere körperlich-emotionale Zustände (vgl. Nussbaum 2018). Ein Kind spielt z. B. nicht, wenn es Schmerzen hat. Und es spielt auch nicht, wenn es Angst hat. Es muss im wahrsten Sinne des Wortes ›frei‹ von einschränkenden physischen und psychischen Zuständen sein, damit Spielen möglich wird.
Besonders gut untersucht ist das Spielen bei Säugetieren. Phylogenetische Studien – darunter vor allem Verhaltensbeobachtungen und experimentelle Versuche – an Beuteltieren, Nagetieren, Herbivoren, Carnivoren, Delphinen, Affen und Hominiden zeigen, dass diese auf verschiedenste Arten spielend tätig sind (vgl. Papoušek 2003, S. 19).2
Doch welche Merkmale kennzeichnen nun das menschliche Spiel, wenn alle notwendigen Bedürfnisse befriedigt sind und ein Kind tatsächlich eine Spieltätigkeit beginnt? Laut dem Entwicklungspsychologen Rolf Oerter lässt sich Spielen durch drei zentrale Merkmale kennzeichnen (vgl. Oerter 2008, S. 237): Erstens besitzt es immer einen »Selbstzweck«, d. h. im Spiel ist das spielende Kind immer »um der Handlung willen« (ebd.) tätig. Zweitens findet in der Spieltätigkeit immer ein »Wechsel des Realitätsbezuges« (ebd.) statt. Dies geschieht dadurch, dass Situationen fiktiv vom spielenden Kind konstruiert werden. Zudem zeigen sich drittens in allen Spielformen potenziell »Wiederholungen von Handlungen« (ebd.), die vom spielenden Subjekt zum Teil sogar exzessiv und ritualisiert betrieben werden.