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2.2 Spiele bzw. Games – Versuche einer kulturellen Institutionalisierung des Spiels
ОглавлениеAuch wenn die Spieltätigkeit eines Kindes und bestimmte Spielangebote im Ereignis des Spielens zusammenfallen können (vor allem bei Regelspielen, sofern die spielenden Kinder die Regeln tatsächlich befolgen), so herrscht dennoch eine systematische Differenz. Kinder spielen schließlich auch ohne Angebote, indem sie Alltags- oder Naturgegenstände umfunktionieren und umnutzen ( Kap. 5). Daher sind Spiele als kulturelle Angebote von der Spieltätigkeit des Kindes zu unterscheiden.
Bei uns Primaten bilden Spiele im Vergleich zur Spieltätigkeit der Tiere die »differenzierteste Ebene« des Spielens, das »in variationsreichen, frei gestalteten Formen« stattfindet (Papoušek 2003, S. 24). Diese verschiedenen Formen der Spieltätigkeit, die bestimmte Merkmale aufweisen, die sich gruppieren lassen und die sogar Regeln folgen, werden gemeinhin als Spiele bzw. im angloamerikanischen Sprachraum als Games bezeichnet. Sie werden nicht durchweg von Kindern in einer freien Spieltätigkeit – quasi durch explorierende Entdeckung – selbst entwickelt, sondern bilden aus einer (meist erwachsenen) Beobachtungsperspektive jeweils bestimmte Verhaltensmuster, die sich etwa in Konstruktionsspiele, Rollenspiele, Regelspiele und weitere Spiele gliedern lassen ( Kap. 4). Solche Spiele überhaupt festzustellen, lässt sich bereits als eine Form der kulturellen Institutionalisierung des Spielens bezeichnen, die dann ihren pädagogischen Höhepunkt findet, wenn Spiele absichtsvoll entwickelt und Kindern aus didaktischen Gründen angeboten werden. Das beste Beispiel für eine solche intendierte Schaffung von Spielen ist Spielzeug. Als Mittel zur geplanten Einwirkung auf Kinder und Jugendliche haben die Spielmittel eine lange Tradition, die in der Menschheitsgeschichte Jahrtausende zurückreicht (vgl. Retter 1979). In der Pädagogik der frühen Kindheit gelten Fröbels Spiel- und Beschäftigungsmittel ( Kap. 3) oder auch Maria Montessoris Lern- und Entwicklungsmaterialien entsprechend als ›klassisch‹.
Doch nicht nur Erwachsene bieten Kindern bestimmte Spielformate an, auch innerhalb von Kinderkulturen werden bestimmte Spiele weitergegeben. Dies meint keine Kultur für Kinder, die von Erwachsenen intentional geschaffen und z. T. geschäftsmäßig beworben wird, sondern eine Kultur von Kindern für Kinder. Ein wichtiges, wenn nicht sogar das zentrale Element einer solchen Idee von Kinderkultur ist das Spielen selbst: »Dabei lernen sie über sich und die Welt, und dies in eigener Regie und ohne Pädagogik« (Wegener-Spöhring 2011, S. 27). Diese besondere Form der Games entsteht quasi zur reinen Unterhaltung und Freizeitbeschäftigung, sprich: um des Spielens selbst willen.
Während im 20. Jahrhundert Nachbarschaften und Schulhöfe entsprechende Orte der Weitergabe und Vermittlung verschiedenster Kinderspiele von Kindern für Kinder waren (vgl. Friedl 2015), so haben wir es heute jedoch mit einer deutlich komplexeren Situation zu tun.3 Gegenwärtig besteht in modernen Industrienationen eine deutlich breitere Auswahl und Vielfalt an verfügbaren Spielangeboten – auch und gerade in der frühen Kindheit. Hinzugetreten sind gänzlich neue Spiele, darunter auch die digitalen Spiele auf festen und tragbaren Spielkonsolen, Tablets und Smartphones (bei denen im Übrigen ebenso wie bei Spielen an Straßen, in Höfen und auf Schulhöfen eine Weitergabe von Spielhandlungen und -techniken von Kind zu Kind vermutet werden darf).
Es ist allerdings auch festzuhalten: Dem spielenden Subjekt sind solche Gliederungen von Spielangeboten und Verhaltensweisen in der tatsächlichen Handlung des Spielens wahrscheinlich ziemlich gleichgültig. Für das spielende Kind sind Lusterfüllung oder Spannung in der Spieltätigkeit entscheidende Aspekte für Beginn, Durchführung und Dauer des Spielens (vgl. Hauser 2013).