Читать книгу Spielen in der frühen Kindheit - Ulf Sauerbrey - Страница 12
2.3 Was bleibt außer der Vielfalt an Begriffen und einer gewissen Unschärfe?
ОглавлениеDie oben vorgenommene Unterscheidung zwischen Spielen (als subjektive Spieltätigkeit) und Spiel (als kulturelles Angebot von Spielhandlungen und/oder -materialien) ist insbesondere für pädagogische Situationen zwischen den Generationen relevant: Was ein Kind spielt bzw. was für Kinder tatsächlich ein Spiel ist, sieht für Pädagoginnen und Pädagogen nicht immer nach einem Spiel aus. Die wohl bekannteste und am meisten diskutierte Spielform, die hierfür als Beispiel dienen kann, ist das im Einzelfall gar nicht so leicht einzuschätzende Rough-and-Tumble-Play, bei dem Kinder körperliche Auseinandersetzungen simulieren, die aber auch an der Grenze zur körperlichen Gewalt stattfinden können. Gerade dies scheint aus Sicht von Kindern aber auch der Reiz solcher Spiele zu sein, die von Erwachsenen nicht selten unterbrochen werden, weil sie aus deren Sicht eben nicht als Spiele gelten. Auf der anderen Seite machen sich Erwachsene nicht selten viel Mühe, das kindliche Spielen absichtsvoll zu initiieren. Erfahrungsgemäß führt dies aufseiten von Kindern aber nicht zwangsläufig zu einer Spieltätigkeit.
Wie bereits angedeutet wurde, ist es schwierig, die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten des Spiels auf einen Begriff zu bringen, und dies hat nicht allein mit der Sache an sich zu tun. Ein weiterer »Grund für diese Schwierigkeiten liegt möglicherweise in der deutschen Sprache, die mit dem Wort ›Spiel‹ viele und recht unterschiedliche Sachverhalte belegt« und dabei ein regelrechtes »Feuerwerk an sprachlichen Analogien und Metaphern« bereithält (Fritz 2004, S. 14). Dementsprechend lässt sich das Phänomen Spiel auch in Bildungssituationen keineswegs leicht erkennen und es ist außerdem auch »gar nicht ausgemacht, dass das, was wir als Beobachter für kindliches Spiel ansehen, für das Kind selber eben diese Bedeutung hat« (Prange & Strobel-Eisele 2015, S. 122). Dieser subjektiv begründeten Komplexität gemäß sind auch die wissenschaftlichen Debatten über das kindliche Spiel vielfältig. Sie bewegen sich zwischen Ethnologie und Kulturgeschichte, Kunst und Sprachwissenschaft sowie Entwicklungspsychologie und Pädagogik. In der wissenschaftlichen Literatur der vergangenen 200 Jahre finden sich zahlreiche Versuche zur Bestimmung eines Spielbegriffs. Eine besondere Hürde bei den allerdings wenigen Versuchen, einen allgemeinen Spielbegriff herzuleiten, bilden die unterschiedlichen Ansprüche an das Spiel. Hierbei vermengen sich meist die Ideen darüber, was das Spiel ist (faktische Begriffsbestimmung) und wie das Spiel sein sollte (welche Aufgaben es in einer Gesellschaft oder für das spielende Individuum zu erfüllen hat).
Bei allen Unterschieden lässt sich jedoch grundlegend festhalten: Damit ein Spiel überhaupt geschieht, muss jemand spielen, d. h. spielend tätig sein. Spiel ist dabei ein variables Geschehen, das verschiedenen Mustern und Handlungsrahmen folgt und dementsprechend in unterschiedlichen Gestalten auftritt ( Kap. 4, die Formen des Spiels). Spielen ist jedoch als subjektive Tätigkeit desjenigen Menschen, der spielt, immer ein absichtsvolles und gegenstandsbezogenes Handeln (vgl. Oerter 2011). In diesem Sinne prägte das Spielen seit Anbeginn der menschlichen Gattungsexistenz unser Verhaltensrepertoire und tut dies noch immer. Absichtsvoll ist das Spielen in dem Sinne, dass Menschen nur dann spielen, wenn sie auch spielen wollen. Sie lassen sich nicht dazu zwingen und müssen schon ein Mindestmaß an Lust mitbringen, um ein Spiel überhaupt zu beginnen. Die Motivation zum Spielen kommt somit »von innen heraus« (Mietzel 2002, S. 155). Gegenstandsbezogen ist das Spielen zudem, da es sich aus der Sicht des Menschen als ›Subjekt‹ immer auf ein ›Objekt‹ richtet. Diese Objekte können materiell (Dinge, Menschen) oder geistig (Ideen, Gedanken) bzw. körperlich (eine bestimmte Fertigkeit wie z. B. Seilspringen) sein.4 Wenn Kinder spielen, verfolgen sie somit Absichten und Interessen und richten diese immer auf ›etwas‹. Dieses ›etwas‹ bildet entweder unmittelbar das Thema des Spiels (z. B. der Ball) oder aber es erfüllt zumindest eine Funktion in der Auseinandersetzung mit einem Thema (das Hin- und Herrollen des Balls). Nicht selten finden im Spiel zudem Gegenstände Verwendung, die durch die spezifische Spieltätigkeit – insbesondere des kleinen Kindes – eine Spielbedeutung erlangen, die sich von der üblichen, durch die Erwachsenenwelt zugeschriebenen unterscheidet (vgl. Ėl’konin 1980/2010, S. 335; Kap. 5).
2 Nicht alle körperlichen Reaktionen wie auch Emotionen von Kindern sind jedoch hinderlich für das kindliche Spiel. Manche bieten sogar Spielanlässe. Unter Rückgriff auf die pädagogische Theorie Wolfgang Sünkels lassen sich solche emotionalen innerlichen Akte als »spontane Tätigkeitsdispositionen« bezeichnen, die etwa als »Liebe, Trauer, Freude, Empörung, Hass, Verzweiflung« (Sünkel 2011, S. 59) usw. Aneignungssituationen und damit auch Spiele regelrecht befördern können. Vor diesem Hintergrund bieten sich Spiele z. B. sogar an, um Kindern die Angst vor einer OP, vor einem Besuch bei einer Zahnärztin usw. zu nehmen.
3 Formeln wie »[v]om Straßenkind zum verhäuslichten Kind« (Zinnecker 1990, S. 142) zeigen gewisse Veränderungen des Alltags von Kindern vom 19. bis weit ins 20. Jahrhundert hinein an. Allerdings ist es heute mitnichten der Fall, dass häusliche Kinderspiele die Spiele im Freien abgelöst hätten ( Kap. 6 und 7).
4 Insbesondere diese in der Spieltätigkeit von Kindern ausgeübten Fertigkeiten zeigen uns Erwachsenen meist sehr anschaulich, welches Können sich Kinder im Modus des Spiels bereits angeeignet – sprich: gelernt – haben (vgl. grundlegend: Sünkel 2011).