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2 Spielen und Spiele, Play und Game – eine Eingrenzung
ОглавлениеSpielen kann gefühlt unendlich vieles sein. Aus unserem Alltag in modernen Gesellschaften kennen wir unter anderem Kreisspiele, Gedankenspiele, Wettkampfspiele, Planspiele oder Glücksspiele, die jeweils für sich einen eigenen Sinn aufweisen und die verschiedentlich in Pädagogik, Wirtschaft, Populärkultur und Freizeit anzutreffen sind. Ganz grob lässt sich zunächst einmal feststellen, dass Spielen »körperliches und mentales Handeln« ist und dass im Spiel »Welten und Menschen« (inter-)subjektiv erzeugt werden (Bilstein et al. 2005, S. 7). Im Spiel stellen wir uns etwas oder jemanden vor, wir nehmen Rollen ein, wir agieren in einem ›Als-Ob‹-Modus oder wir erproben und experimentieren.
Auf den ersten Blick scheint das Phänomen also überschaubar zu sein. Doch der Schein trügt. Sobald man beginnt, die o. g. Spielgestalten auf gemeinsame Merkmale hin zu untersuchen, gelingt es kaum, eine sachliche Substanz des Spielens festzustellen. Der Kinderarzt und Kommunikationsforscher Hanuš Papoušek (1922–2000) hat daher einmal treffend festgehalten, dass das Wort Spiel »ein täuschend einfacher Begriff« ist – täuschend ist er dabei, da es »eine kaum zu meisternde Aufgabe« darstellt, ihn angemessen zu bestimmen (Papoušek 2003, S. 17). Besser lässt sich das Problem dieses Kapitels kaum auf den Punkt bringen. Von einer wissenschaftlichen Disziplin werden in der Regel möglichst klare Begriffsbestimmungen erwartet. Im Fall des Spiels würde dies jedoch nicht nur den Rahmen dieses Kapitels sprengen, es wäre vielmehr eine überhaupt erst einmal zu leistende integrative Forschungsarbeit, wie sie als Ganzes bislang kaum existiert (vgl. jedoch: Hauser 2013). Hinzu kommt, dass in den wissenschaftlichen Debatten über das Spiel nicht nur dieser Begriff, sondern unter anderem auch der des Spielens bzw. – folgt man der internationalen Forschung – auch die Begriffe play und game verwendet werden. Im Folgenden wird der Versuch einer Integration dieser Begriffe vorgenommen, ohne dabei die vollständige Tiefe der in den wissenschaftlichen Disziplinen stattfindenden Auseinandersetzung wiedergeben zu können. Stattdessen werden mit Blick auf die frühe Kindheit hier zwei zentrale Perspektiven eingenommen: die des spielenden Kindes (Spielen bzw. play) und die der Kultur, die das Kind umgibt und die Spielsituationen durch spezielle Spielangebote beeinflusst (Spiele bzw. Games).
Dabei folge ich hinsichtlich der Terminologie einer Theorie des Sozialphilosophen George Herbert Mead (1863–1931), der den Phänomenen play und game (neben Sprache) einen zentralen Stellenwert bei der Entstehung der Identität (›self‹) zugewiesen hat: Im play entwickle das Kind demnach seine Identität durch Nachahmung von Handlungen, die es in der Gesellschaft beobachtet, und im game entwickle es sich folgend weiter, indem es verschiedene Haltungen, die in gesellschaftlichen Rollen existieren, übernimmt (vgl. Mead 1934): »Der erwachsene Mensch ist durch das Tor der Kindheit in die Gesellschaft eingetreten und brachte schon eine bestimmte Identität mit, die sich aus der Übernahme verschiedener Rollen entwickelt hatte« (Mead 1968/2017, S. 417). Jedoch ist Meads Theorie als Phasenmodell angelegt und bezieht sich vorrangig auf Nachahmungs- und Rollen- sowie Regelspiele in Gruppen. Meads Unterscheidung macht deutlich, dass die Spielaktivität, die zunächst vom kleinen Kind ausgeht (play), zunehmend durch gesellschaftliche Repräsentantinnen und Repräsentanten, besonders durch so genannte signifikante Andere, kulturell überformt wird (game). Die möglichen Spielformen des Kindes sind jedoch vielfältiger und folgen nicht zwingend einer Stufenabfolge ( Kap. 4). Im vorliegenden Buch werden die beiden Begriffe play und game zur Unterscheidung des spielenden Subjekts einerseits und der auf das Spielen kulturell einwirkenden (anderen) Subjekte andererseits – vor allem Erwachsene, aber auch peers – verwendet.