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Ein Vorwort – um der Sache willen

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Nach Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention gehört das Spiel neben Ruhe, Freizeit, aktiver Erholung und freier Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben zu den Rechten von Kindern weltweit. Allein vor diesem Hintergrund erscheint es bereits geboten, das Spielen von Kindern regelmäßig in Erinnerung zu rufen. Ein Buch zum Thema Spielen in der frühen Kindheit zu schreiben, das im Untertitel auch noch ›Grundwissen für den pädagogischen Alltag‹ verspricht, ist dennoch ein Stück weit vermessen. Ich vermute, dass vielen, die sich näher mit dem Phänomen des Spielens beschäftigt haben, irgendwann einmal eine ähnliche Einsicht, wenigstens aber der Zweifel darüber gekommen ist, ob das Phänomen Spielen in all seinen Facetten überhaupt angemessen sprachlich und sachlich erfasst werden kann. Beschäftigt man sich mit der einschlägigen Literatur zum Thema, fällt auf, dass bereits die Definitionsversuche keineswegs Klarheit signalisieren. Kaum jemand schafft es, die vielfältigen Bestimmungsmerkmale des Phänomens in einen plausiblen Zusammenhang zu bringen. Die meisten Autorinnen und Autoren zählen vielmehr die Ideen und Unklarheiten zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen auf, die sich am Spiel, seinen Merkmalen und Erscheinungsformen abgearbeitet haben.

Das vorliegende Buch ist daher insofern problematisch, als es die Sache des Spielens wahrscheinlich kaum geben kann – und daran ändert kaum der Umstand etwas, dass hier die Lebensphase der frühen Kindheit, also das Alter von der Geburt bis zur Einschulung in den Blick genommen wird. Der Fokus auf die frühe Kindheit wurde gewählt, da diese weithin als sensible Lebensphase gilt, aber auch da die Lebensspanne von der Geburt bis zum Alter von sechs Jahren in modernen Industrienationen in den vergangenen 20 Jahren erneut und in einem zuvor nie dagewesenen Maße öffentlich und zugleich in wissenschaftlichen Disziplinen Gegenstand der Auseinandersetzung geworden ist. Diese auf das Tun kleiner Kinder gerichtete Aufmerksamkeit hat auch die Diskussion um die Bedeutung und den Sinn des Spielens neu entfacht.

Dass der Untertitel das vorliegende Werk als ein Buch über Grundwissen ausweist, hängt mit der Anfrage zusammen, die der Kohlhammer-Verlag im Jahr 2017 an mich gestellt hat – und auch mit meiner Reaktion darauf. Die Anfrage bezog sich auf ein Buch in der neuen Reihe Praxiswissen Erziehung. Nachdem ich mich bereits seit einigen Jahren als Teil eines wissenschaftlichen Netzwerks der Deutschen Forschungsgemeinschaft kritisch mit populären Ratgebermedien beschäftigt hatte und ohnehin schon seit Jahren eine deutliche Tendenz bei den wissenschaftlichen Verlagen hin zur Veröffentlichung von Ratgeberbüchern zu beobachten war, war ich mir zunächst unsicher, ob gerade ich ein Buch für diese Reihe schreiben sollte. Wenngleich ich regelmäßig nicht nur in der Lehre, sondern auch auf Fort- und Weiterbildungen vor pädagogischen Fachkräften zu kindheits- und sozialpädagogischen Themen referiere, so waren die bislang von mir verfassten Publikationen doch vorrangig an die Erziehungswissenschaft und nur selten unmittelbar an pädagogische Fachkräfte in pädagogischen Handlungsfeldern wie der Krippe, der Kita, der Schule oder auch an die Familie adressiert. Ich entschied mich dennoch, dieses Buch zu schreiben, nicht zuletzt, da ich die Wissenschaftskommunikation, d. h. den Transfer wissenschaftlichen Wissens in Zeiten des ›Postfaktischen‹, mehr denn je für unabdingbar halte. Dass das vorliegende Buch nun als ein Werk über Grundwissen aufwartet, gründet in dem Versuch, es explizit so auszuweisen, dass es nicht als Ratgeber gelesen werden soll! In diesem Fall halte ich mich an Janusz Korczak,1 der eingangs seines Hauptwerks mit dem ins Deutsche übersetzten Titel »Wie liebt man ein Kind« festgehalten hat: »Ich weiß nicht und kann nicht wissen, wie mir unbekannte Eltern unter unbekannten Bedingungen ein mir unbekanntes Kind erziehen können« (Korczak 1999, S. 10).

Dieser Satz, der gleichermaßen für an pädagogische Fachkräfte adressierte Bücher gelten kann, ist m. E. ein Paradebeispiel pädagogischer Haltung, da er eine lineare und technische Machbarkeit durch Erziehung zurückweist und zugleich auf die Eigenlogik pädagogischen Geschehens verweist: Einen auf konkrete Situationen bezogenen Rat kann im Grunde nur ein Mensch geben, der alle beteiligten Subjekte und ihre Lebensumstände in ausreichendem Maße kennt und einzuordnen weiß. Korczaks Aussage trifft dabei nicht nur auf Erziehung, sondern auch auf das Spielen zu, das in seinen vielfältigen Formen schlichtweg zu viele unbekannte Faktoren aufweist, als dass darüber ein Ratgeber, sprich: ein ›technologisches‹ Buch (Höffer-Mehlmer 2003, S. 7), geschrieben werden könnte. Dementsprechend wird auch im vorliegenden Buch keine Aussage darüber zu finden sein, wie ein Kind spielen soll, um ›richtig‹ oder ›gut‹ zu lernen. Da ich die Leserinnen und Leser sowie deren mutmaßliche in der Familie oder in frühpädagogischen Einrichtungen betreute Kinder und deren Lebensumstände nicht kenne, wäre es unredlich, anderes zu propagieren. Mein Anliegen ist es, grundlegendes Wissen über das Phänomen für die verschiedenen pädagogischen Handlungsfelder, in denen kleine Kinder aufwachsen, zur Verfügung zu stellen, so dass die in diesen Feldern agierenden Erwachsenen auf Basis wissenschaftlichen Wissens ihr Tun reflektieren und ihre Handlungskunst für sich und ggf. gegenüber anderen begründen können. Das Buch bietet den Leserinnen und Lesern darüber hinaus an vielen Stellen Anregungen zum Weiterlesen. Zu danken habe ich dem Kohlhammer-Verlag für sein Interesse an diesem Buch sowie besonders Claudia Schick, Johanna Hopfner und Michael Winkler für ihre wertvollen Kommentare zum Manuskript.

Widmen möchte ich das Buch meinen Kindern Edith und Elise. Sie sorgen mit ihrem wunderbaren Spiel- und Beschäftigungstrieb dafür, dass ich das Spielen nicht nur als wissenschaftliches Forschungsobjekt analysieren, sondern vielmehr alltäglich als ein spannendes Ereignis miterleben darf, in dem Neues und Unerwartetes geschieht und in dem sich das Innere der Kinder zeigt – darunter vieles, das wir Erwachsene ihnen vorleben.

Neubrandenburg, im Februar 2021

Ulf Sauerbrey

1 Zugunsten der Lesbarkeit habe ich in diesem Buch nur wenige Fußnoten gesetzt. An dieser Stelle ist eine biografische Anmerkung jedoch geboten: Janusz Korczak, Geburtsname Henryk Goldszmit (1878/79–1942), entstammte einer jüdischen Familie, lebte in Polen und wurde zu Lebzeiten bekannt als Arzt und Pädagoge. Er leitete ein jüdisches Waisenhaus im Warschauer Ghetto. 1942 wurde er mit 200 Kindern aus dem Waisenhaus nach Treblinka deportiert, wo die Kinder und ihr Erzieher ermordet wurden. Er ist einer der wichtigsten und zugleich einer der bislang zu wenig beachteten Pädagogen des 20. Jahrhunderts.

Spielen in der frühen Kindheit

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