Читать книгу Das Rätsel der Königin von Saba - Ulfrid Kleinert - Страница 28
6. Notate zum Entstehungsprozess und Profil der Geschichte – eine Zwischenbilanz
ОглавлениеDie Geschichte vom Besuch der Königin von Saba ist eine volkstümliche Erzählung. Sie führt zwei sagenumwobene Erzählstränge zusammen, nämlich einerseits die zunehmende Idealisierung König Salomos und seiner Weisheit, unter Einbeziehung seiner im Laufe der Überlieferung wachsenden internationalen Anerkennung, möglicherweise auch seiner Wertschätzung von Frauen, und andererseits die Geschichten vom fernen Saba mit seinen (Handels-)Schätzen an Gold, Edelsteinen und Gewürzen sowie von einflussreichen Frauen auf arabischen Königsthronen. Sie wird erst mehrere Generationen nach Salomo entstanden sein.79 In einer vordeuteronomistischen Fassung ist sie wohl bereits im 8. Jahrhundert erstmals schriftlich in Anlehnung an assyrische Vorbilder fixiert worden.80 Sie ist vermutlich spätestens im 7. Jahrhundert Teil einer „Geschichte Salomos“ geworden, die ein ideales Bild des Davidssohnes als weiser, international anerkannter, reicher und mächtiger Friedensstifter entwarf.81 Zusammen mit anderen Texten aus dem Buch der Geschichte Salomos ist sie dann im 6. oder 5. Jahrhundert im Rahmen des 1. Buchs der Könige in das deuteronomistische Geschichtswerk aufgenommen worden. Spätestens dabei wird V. 9 der Geschichte in 1. Könige 10 hinzugefügt. Zu ihrem Kontext gehören bis in diese Zeit auch Überlieferungen, die Salomo kritisch sehen. Diese entfallen im 4. Jh in den Büchern der Chronik: Salomo wird dort zum makellosen Ideal eines goldenen Zeitalters, dem alle Welt huldigt. Die Tendenz, Fremde in ihrer Eigenständigkeit und Wertigkeit wahrzunehmen, verliert zusehends an Bedeutung.
Das Bild Sabas wird nicht idealisiert. Es trägt unterschiedliche Züge. Saba bleibt zwar fast durchweg das ferne, reiche Land und das international bekannte Händlervolk, dem Gold und Silber, Edelsteine und kostbare Duftstoffe in großem Umfang zur Verfügung stehen und das damit Handel treibt oder Tribut zahlt oder Geschenke macht. Es gehört zu den Völkern der Welt, die alle seit Adam und Abraham von Gott geschaffen sind. Im Buch Hiob ist Saba einerseits negativ als Unglück bringende Räuberbande dargestellt, andererseits positiv empathisch-identifikatorisch als vergeblich nach Wasser in der Wüste suchendes Nomadenvolk. Inwieweit es eine Verbindung zwischen dem vielfach bezeugten, im heutigen Jemen liegenden südarabischen Saba und den in assyrischen Quellen genannten Königinnen Nordarabiens gab, lässt sich bisher nicht sicher feststellen.
Blicken wir auf dem Hintergrund dieses Fazits erneut auf 1. Könige 10, so seien hier abschließend einige Beobachtungen festgehalten:
Was in 1. Könige 10 berichtet wird, war ursprünglich eine profane, märchenhaft schöne Geschichte, die im Umkreis des Königshofs erzählt worden sein dürfte. Sie transportiert zwar eine Hochachtung vor Salomo, seiner Weisheit und – möglicherweise in ihrer Ergänzung – auch vor seinem reichen Hofstaat. Dennoch steht die Königin von Saba in ihrem Mittelpunkt: sie ergreift die Initiative, sie kommt mit großem Gefolge, sie stellt Salomo auf die Probe, sie hält die Rede im Zentrum des Textes (V. 6–8 beziehungsweise 9), sie teilt reichlich Geschenke aus, erhält was sie will und kehrt dann in ihr Land zurück.
Es ist die Geschichte der Königin von Saba. Mehr als das, was dort steht, erfahren wir von ihr im Alten Testament nicht.
Gerade, dass es eine Frau war und eine Fremde von weither, und dass soviel Rätselhaftes offen bleibt, hat von Anfang an die Faszination dieser Geschichte ausgemacht. Wir erfahren nichts
von ihren Rätseln, die wir zu gern kennen würden, um mitraten zu können,
nichts von den Fragen, die sie sonst noch stellt,
nichts davon, was sich V. 1f. hinter ihrem eindringlichen dreifachen „Kommen“ verbirgt,
nichts von dem, was sie mit Salomo zu besprechen sich vorgenommen hat,
nichts auch davon, was sie von Salomo begehrte und erbat,
auch nichts von den Geschenken, die sie vom König erhielt und das ihr zu geben sich für ihn „ziemte“.
Nur was sie selber schenkte und ungeheure Ausmaße annahm, das wissen wir – fast – genau: 120 Talente Gold heißt viele Tonnen von diesem Edelmetall;82 und Balsamöl, soviel wie Israel niemals vorher und nachher gesehen hat!83
In der auf die beschriebene Weise entstandenen Erzählung von König Salomo und der Königin von Saba hat ihre Begegnung drei Dimensionen:
Erstens begegnen sich zwei Völker: das eine aus dem Norden, das andere aus dem Süden Arabiens.84 Zweitens begegnen sich zwei Religionen: die Verehrung des aus Abhängigkeit befreienden bildlosen Gottes Israels einerseits und der (Gestirn- oder Fruchtbarkeits-)Gottheit(en) Sabas andererseits. Schließ lich begegnen sich drittens auch zwei Geschlechter: ein Mann und eine Frau.
Alle drei Dimensionen werden uns ausführlich beschäftigen.
Als ein erster Beitrag zur Begegnung von Salomo und der Sabakönigin als Mann und Frau wird seit alter Zeit das Hohelied Salomos angesehen, das wir im Alten Testament finden. Davon soll jetzt die Rede sein.
Exkurs: Das Königspaar und das Hohelied der Liebe oder: gendergerechte Begegnung der Geschlechter
Die königliche Frau aus Saba kommt zum königlichen Mann nach Jerusalem. Das eindrückliche dreifache „Kommen“ am Anfang der Geschichte aus dem 1. Buch der Könige Kapitel 10 (Vers 2) lässt sich auch auf eine sexuelle Begegnung beziehen.85 Für einige Interpreten korrespondiert solches Kommen mit den letzten Worten des Textes (Vers 13): „König Salomo aber gab der Königin von Saba alles, was sie begehrte und erbat, dazu auch, was er ihr schenkte wie ein König zu schenken pflegt.“ So gedeutet, bezieht die Begegnung der beiden alle Dimensionen der Kommunikation zwischen zwei Menschen ein. Sie werden zu einem Liebes- oder Ehepaar. Das ist der Ausgangspunkt für spätere Interpretationen, vor allem jüdische und äthiopische, die davon berichten, dass die Begegnung auch physische Folgen gehabt habe: die Königin von Saba wird schwanger und bekommt einen Sohn.86
Nun gibt es im Alten Testament eine Sammlung von Liebesliedern, die König Salomo zugeschrieben werden. Salomo stand in der Überlieferung nämlich zunehmend im Ruf, ein begehrter Mann und ein Liebhaber für viele Frauen, darunter auch solche aus königlichem Haus, gewesen zu sein.87 Selbst Pharao soll ihm seine Tochter zur Gemahlin gegeben haben.88 Außerdem galt er als Mann der Weisheit und der Poesie, der 1005 Lieder gedichtet habe.89
Was lag also näher, als nicht nur das Buch der Sprüche, des Predigers und der Weisheit, sondern auch die Sammlung der schönsten Liebeslieder Israels ihm zuzuschreiben – dies umso mehr, als in diesen Liedern der Geliebte beziehungsweise der Bräutigam gelegentlich ausdrücklich als Salomo angeredet wird.90 In dem begehrenden und liebestrunkenen Mann dieser Lieder spreche Salomo selbst, heißt es. Und seine gleichfalls verliebte Partnerin könne Sabas Königin (gewesen) sein.91 Darauf weist zum Beispiel die Selbstbeschreibung der Braut hin. Sie, die Liebende, rühmt sich vor den Frauen Jerusalems mit Worten, die auf ihre dunkle Hautfarbe hinweisen und in denen das Bild der Zelte von Beduinen gebraucht wird: „Schwarz bin ich, doch anmutig, Töchter Jerusalems, wie die Zelte Kedars, wie die Zeltdecken Schalmas“ (Hoheslied 1,5).92 Noch genauer passt auf Sabas Königin, was im Rahmen einer Prozession, möglicherweise vor dem Anstimmen eines alten Hochzeitslieds93 im Hohenlied 3,6 fragend zur Braut gerufen wird: „Wer ist sie, die da kommt von der Wüste her, rauchsäulengleich, umweht von Myrrhe und Weihrauch, von allem Gewürzstaub der Händler?“94 Yair Zakovitch übersetzt den Schluss der letzten Frage mit „von jeglichem Pulver des Gewürzhändlers“; er hält den ganzen Vers für einen sekundären Einschub und findet hier eindeutige Hinweise auf Salomo und die Sabakönigin. Dabei verweist er darauf, dass die folgenden Verse 3,7–11 „von Salomo“ handeln „und auf Details aus seinem Leben sowie auf seinen … bekannten Reichtum“ anspielen; deshalb „könnte ein Bearbeiter des Textes V. 6 mit seiner Erwähnung einer von allerlei Düften umwehten jungen Frau auf die Königin von Saba und deren Besuch bei Salomo“ Bezug genommen haben; „in 1. Könige 10,10 sind unter den Geschenken, welche die Königin mitbrachte, ausdrücklich große Mengen von Spezereien erwähnt, und ein Vers wie Ezechiel 27,22, wo die „Gewürzhändler von Saba“ genannt sind, ist dazu angetan, die Beziehung der Königin von Saba zu ‚jeglichem Pulver des Gewürzhändlers’ in unserem Vers zu verstärken.“95
So gilt, was Mann und Frau einander im Hohenlied sagen, nun für die Begegnung Salomos mit der dunkelhäutigen Königin aus dem Süden. In dreifacher zeitlicher Bedeutung begegnen sich nach dieser Interpretation Mann und Frau. Im Blick auf die Vergangenheit haben sie literarisch u.a.96 die Gestalt von Salomo und Sabas Königin angenommen, im Blick auf die Gegenwart ist es das Brautpaar, das im Hochzeitsspiel ihre Rollen einnimmt, im Blick auf die Zukunft sind es die Liebenden, denen das erzählerisch geschaffene Paar Salomo und Sabas Königin als Vorbild dient.
Die Liebenden des Hohenliedes auf die beiden zu beziehen, passt in vieler Hinsicht auch, wenn man die Struktur der Beziehung der beiden in den Liedern mit der in 1. Könige 10 vergleicht. Es handelt sich um eine erstaunlich partnerschaftliche Beziehung in einer Gesellschaft, die ansonsten patriarchalisch geprägt ist. Sehen wir uns dazu einzelne Lieder genauer an:
In Hoheslied 1,7 – 2,3 finden wir Dialoge, in die Bewunderungslieder97 eingebaut sind: in 1,7f. fragt sie und er antwortet, in 1,9–17 bewundern er und sie ganz und gar gleichberechtigt dreimal hintereinander abwechselnd sich gegenseitig, bevor in 2,1–3 sie sich erst selbst beschreibt, dann sie von ihm bewundert wird und anschließend er von ihr.
Es gibt eine Reihe von Sehnsuchtsliedern von ihr (1,2–4; 2,4–7; 2,8–9; 4,16; 5,8; 7,12–14; 8,1–3) und von ihm (2,10–14), hier also mit einem deutlichen Übergewicht bei ihr. Genau umgekehrt ist es bei den fremd und schön anmutenden Beschreibungsliedern: Er beschreibt sie in 4,1–7; 4,9–11; 6,4–7; 7,2–10 und sie beschreibt ihn in 5,10–16. Von der Erfüllung ihrer Liebe singt sowohl sie 2,16; 6,3 als auch er 5,1; 6,11.98 Die besonders leidenschaftlichen Worte von 8,6–8 aber können sowohl von ihr als auch von ihm oder von beiden gemeinsam gesprochen sein.99
In den Liedern kommen zwei gleichermaßen glücklich Liebende100 zu Wort. Als solche dienen sie Braut- und Königspaaren späterer Zeiten als Vorbild: Hochzeitspaare erhalten zum Fest ihrer Eheschließung Truhen und Teller, auf denen Salomo und Sabas Königin abgebildet sind.101 Auf persischen Miniaturen thronen sie als König und Königin nebeneinander.102
Die zunächst anonymen Rätsel, die Salomo aufgegeben waren und die viel Phantasie darüber geweckt haben, wie sie wohl lauteten, können in einem erweiterten Sinn als Teil des Liebesspiels verstanden werden. Denn in einem Überlieferungsstrang handelt es sich um Rätsel, die mit Liebe, Geschlecht und Initiation zu tun haben.103 In all diesen Darstellungen stehen sich Mann und Frau prinzipiell gleichberechtigt gegenüber.
Hochzeitstablett mit Abbildung des Brautpaares als Salomo und Königin von Saba (2. Hälfte 15. Jh. Umbrien)
Bildfenster in der Elisabethkirche in Marburg. Die Schlange bietet Eva die verbotene Frucht an; ob ihr weiblicher Kopf den der Lilith darstellen soll, ist umstritten.
Das ändert sich mit zunehmender Rigidität einer gesellschaftlich bestimmten hierarchischen geschlechtsspezifischen Rollenzuweisung. Diese Veränderungen beginnen reizvoll und harmlos; Sabas Königin erscheint als die verführerisch Schöne.104
Das könnte noch zum Duktus des Hohenliedes passen. Und selbst die muslimische Spezifizierung der Begehrlichkeiten muss nicht hierarchisch verstanden werden: Salomo will Reichtum, Sabas Königin Liebe.105 Eindeutig wird es aber da, wo die verführerisch schöne Königin dämonisiert wird.106 Ihre Rolle als Verführerin dämonischer Herkunft macht sie schließlich zur Lilith, der verführerischen Schlange.107
In dieselbe Richtung gehen die Schilderungen eines französischen Romanciers aus unseren Tagen: Gustave Flaubert schildert, wie Sabas Königin als Dämonin der Lust den asketisch lebenden und in seiner Wüste allen irdischen Anfechtungen ausgesetzten heiligen Mönch Antonius zu verführen sucht und an dessen Standhaftigkeit scheitert.108 Dazu passt endlich die Besetzung der Rolle der Königin durch Gina Lollobrigida (und die des Salomo durch Yul Brynner) in Edward Smalls Hollywoodfilm von 1959.109
So ist die einst in jeder Hinsicht als Partnerin begehrenswerte Frau zur auf ihre sexuellen Reize reduzierten Verführerin geworden, die je nach Standort des Erzählers deshalb verteufelt oder vergöttlicht, verachtet oder verehrt wird.110