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Kapitel 1 Der Hack
Оглавление»Yeah«, hallte es plötzlich durch den Raum, »ich bin drin! Die Säcke, die … Ich hab sie! Dafür krieg ich das Bundesverdienstkreuz!«
Der Aufschrei war aus dem gemeinschaftlich genutzten Wohnzimmer mehrerer Informatikstudenten gekommen. Dort saß Torsten Bentlin zwischen der Zimmerecke und dem Kopfende eines reichlich gebrauchten Sofas, das in seinem Leben schon einiges erlebt zu haben schien. Auf dem Schoß des jungen Mannes stand ein Laptop der Sonderklasse, den er aber günstig bei eBay erstanden hatte. Seine Finger flogen über die Tasten, um den so lang ersehnten Zugang so schnell wie möglich wieder zu schließen. Mit einem zweiten »Yeah«, nicht mehr so impulsiv und laut, sank er erschöpft in die Zimmerecke, schloss die Augen und atmete zweimal tief durch.
Sein Gefühlsausbruch hatte sich über Bande den Weg durch den Flur in die Gemeinschaftsküche gebahnt, in der seine drei Mitbewohner beim Kaffee zusammensaßen.
»Was is’ los, Torte!?«, rief einer zurück.
»Ich bin drin!«
»Ich dachte, du bist alleine.«
Lautes pubertäres Gelächter der anderen.
Torsten stand mit dem Laptop in der Hand in der Küchentür, nunmehr aufgeregt flüsternd: »Ich hab den Zugang!
Diese Geocaching Profile in Berlin, die GCP. Ich sage euch, das ist ein superfetter Happen. Das ist das große Ding. Die machen Sachen, die sind so dark wie das Netz.«
»Wie bist du reingekommen?«
»Na ja, neulich war ich mal nicht alleine. Hab jemanden kennengelernt. Eine Mail geschrieben, Trojaner, Keylogger gesetzt und dann über VPN. Kein Problem.«
Die anderen schüttelten den Kopf. »Du hättest mit dem Hacken in der zehnten Klasse aufhören sollen, du Spinner! Du bist genauso dark wie die, wenn du bei denen rumrührst.«
»Hört auf!«, gab er hastig zurück. »Da ist richtig was zu holen. Und ich weiß auch schon wie.« Als er das sagte, schweiften seine Gedanken bereits von der Szenerie der Küche ab. Sein Blick verlor sich an der graubraunen Decke des Raumes, die wie die ganze Wohnung schon vor Jahren mit frischer Farbe hätte gestrichen werden müssen. Er ritt mit seiner Vision wie auf einem fliegenden Drachen in eine paradiesische Ferne.
Seine Mitbewohner wollten sich von diesem Virus jedoch keineswegs infizieren lassen und wehrten eine weitere Vertiefung des Themas ab, indem sie ihre Unterhaltung wieder aufnahmen.
Die Studenten-WG lag in der KTV, der Rostocker Kröpeliner-Tor-Vorstadt, Budapester Straße. Eine schon unmittelbar nach dem Mauerfall angesagte Gegend mit Szenekneipen und einem dichten Menschenmix aus allen Studiengängen, die die altehrwürdige Alma mater zu bieten hatte. Alternative Szenen hatten mit ihrer Schwarmintelligenz aus der geerbten Tristesse ein lebendiges Viertel gemacht.
Torsten Bentlin war ein mittelgroßer, schlanker, schüchterner 21-Jähriger mit dunkelblonden Haaren, der von seiner Wirkung auf Frauen seiner Altersgruppe noch immer nicht wirklich etwas ahnte. Der junge Mann war froh, dass ihm ein Zuzug und damit ein Dazugehören gelungen war. Sein Leben war auch das Leben der Anderen. Was früher fremd war und bespitzelt wurde, bot sich heute unbekümmert feil. Seine Eltern waren im Rostocker Stadtteil Lütten Klein nicht weit weg. Dennoch schickten Sie ihm über unzählige Telefonate die immer gleichen Sorgenpakete, so wie das Eltern eben machen, um zu bewahren, was langsam aber sicher flügge geworden war. Informatik war seine Welt. Hier war der Fakt noch ein Fakt. Hier wurde nichts hineininterpretiert oder spitzfindig ausgelegt, hier war die 1 eine 1 und die 0 eine 0. An dieser durch ihre Einfachheit bestechenden Grundlage hatte sich nie etwas geändert. Fantasien mit einer informationstechnischen Formulierung zu unterlegen, war die Faszination, die ihn in diese Studienrichtung getrieben hatte. Das passte zu ihm. Rostock war für ihn die erste Adresse, als es um die Wahl des Studienortes gegangen war. Nicht nur, weil er hier aufgewachsen war, sondern weil die Fakultät für Informatik und Elektrotechnik ein sehr günstiges Studenten-Professoren-Verhältnis hatte und auch bundesweit einen Spitzenplatz einnahm.
Die WG war für ihn in den zurückliegenden Monaten zu einer zweiten Familie geworden. Er hatte gelernt, wie wichtig die Interaktion mit anderen Studierenden ist. Da er ohne Geschwister aufgewachsen war, musste er sich anfangs überwinden, hatte sich dann aber mehr und mehr geöffnet. Er hatte schnell gelernt, dass das Wohl und Wehe des einen in der WG auch immer jeden anderen Mitbewohner berührte. Das reichte von der Fahrradluftpumpe über den Kochtopf, über schwierige Studienaufgaben, bis zum Einkaufen oder Kranksein.