Читать книгу Das Haus in den Dünen - Ulrich Hefner - Страница 13
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ОглавлениеDraußen heizte die Mittagssonne die Mauern und den Asphalt auf, so dass die Luft vibrierte. Vom reinigenden Gewitter der letzten Nacht war nichts mehr zu spüren.
Im großen Konferenzraum der Wilhelmshavener Kriminalinspektion in der Peterstraße stand die Luft unbeweglich. Neben Kleinschmidt, Beck und Trevisan hatten sich die Mitarbeiter des FK 1 und die zugeordneten Kollegen aus dem dritten Fachkommissariat um den großen Tisch versammelt. An der Tafel prangten die ersten Tatortbilder der vergangenen Nacht.
»Wir müssen von einem gezielten Anschlag auf den Fernfahrer ausgehen«, referierte Trevisan und wies auf die Tafel. »Nach dem festgestellten Spurenbild hat der Täter oder eine Tätergruppe hinter den Containern an der Westseite des Areals auf den LKW-Fahrer gelauert. Wir gehen davon aus, dass der Fahrer seinen LKW gegen 22.41 Uhr dort abstellte, nachdem er von einer Tour aus Spanien zurückgekommen ist. Seine Rückkehrzeit war in der Firma nicht genau bekannt, aber er wurde für den gestrigen Abend erwartet. In der Firma galt Kropp als zuverlässig, wenn auch ein wenig eigenbrötlerisch. Niemand unterhielt einen engeren Kontakt zu ihm und von Bekannten oder Freunden ist keinem in der Firma etwas bekannt. Weiterhin müssen wir davon ausgehen, dass Kropp Drohbriefe erhielt.«
»Und in die Firma wurde nicht eingebrochen?«, unterbrach Dietmar Petermann Trevisans Vortrag.
»Es gibt dafür nicht die geringsten Anhaltspunkte«, antwortete Kleinschmidt. »Wir haben alles untersucht und fanden keinerlei Spuren. Weder an Fenstern noch an Türen.«
»Gibt es denn etwas Wertvolles in der Firma zu holen?«, fragte Monika Sander.
Trevisan zuckte die Schulter. »Kommt darauf an. In einer Spedition werden zeitweise teure Elektroartikel oder Fernsehapparate gelagert. Kropp transportierte Maschinen nach Spanien und brachte Kunststoffmuffen auf seiner Rückfahrt mit.«
»Wer braucht schon fünfzehn Tonnen Kunststoffmuffen?«, kommentierte Dietmar lächelnd.
Kleinschmidt räusperte sich. »Kollegen, wenn ich euch sage, dass es keine Aufbruchspuren an den Türen gibt, dann ist es so. Und wer bricht in eine Firma ein und trägt ein Gewehr über seinen Schultern? Man wollte Kropp umbringen, davon bin ich überzeugt. Sonst hänge ich morgen meinen Job an den Nagel.«
Monika nickte. »Das glaube ich auch.«
»Was wissen wir über den Toten?«, meldete sich Kriminaloberrat Beck zu Wort.
Trevisan blätterte in seinem Aktenordner. »Hans Kropp, geboren am 14. August 1964 in Werdum. Alleinstehend. Hat eine Stiefschwester in Dornum. Er ist geschieden, seine Frau wohnt in der Gegend um Pasewalk im Osten. Dort arbeitete er von 1995 bis 1998, bis er wieder nach Wilhelmshaven zurückkehrte. Er hat einen Sohn, der bei der Mutter lebt. Offenbar kam es damals in der Ehe zu Handgreiflichkeiten. Zumindest steht das so in seinen Akten. Er ist bereits mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten. Zweimal wegen Körperverletzung, unter anderem hat er seine Exfrau krankenhausreif geschlagen. Auch damals hat er im Osten für eine Spedition gearbeitet und ist Touren nach Polen und in die Tschechei gefahren. Zweimal wurde er wegen gewerbsmäßigem Zigarettenschmuggels angezeigt. Aktuell liegt eine Anzeige wegen Verstoßes gegen die Unterhaltspflicht vor, aber die Ermittlungen liegen auf Eis. Warum auch immer. Er zahlt zwar für seinen Sohn, aber den Unterhalt für die Frau spart er sich.«
Dietmar trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. »Dann gibt es also Motive genug.«
Trevisan nickte. »Ich denke, wir sollten bei seinen Familienverhältnissen beginnen. Es soll Schwierigkeiten mit den Brüdern seiner Exfrau gegeben haben, berichten der Mechaniker und der Disponent der Firma. Ich denke, das ist ein guter Ansatzpunkt.«
Beck nickte. »Das sieht mir eindeutig nach einer Beziehungstat aus. Meiner Meinung nach ist der Fall mit ein paar gezielten Recherchen der Pasewalker Kollegen schnell aufgeklärt, wir dürfen nämlich nicht den Brandstifter vergessen. Der Serientäter hat Vorrang, dass wir uns da klar verstehen.«
Trevisan hob beschwichtigend die Hand. »Wir putzen den Fisch erst, wenn wir ihn im Netz haben. Aber ich denke, Beck hat recht, der Brandstifter ist immer noch da draußen unterwegs und wir wissen nicht, ob er mittlerweile Gefallen am Tod von Menschen gefunden hat. Ich schlage deswegen vor, dass wir uns aufteilen. Ich kümmere mich mit Tina und Alex um Kropp und ihr sucht weiter nach dem Brandstifter.«
Dietmar räusperte sich. »Wir zahlen aber kein Essen, wenn ihr euren Mörder zuerst gefasst habt«, sagte er scherzend.
Trevisan schaute in die Runde und bemerkte Becks zufriedenen Blick. »Gibt es sonst noch etwas?«
Die Männer und Frauen des FK 1 schüttelten die Köpfe.
»Also dann, ran an die Arbeit!«
*
Der September begann mit einem weiteren heißen Tag. Am Himmel zogen kleine, weiße Wölkchen vor einem leuchtend blauen Himmel ihre Bahn.
Er atmete tief ein.
Sie war wieder zurück. Seit zwei Wochen schon. Zurückgekehrt, nach Hause gekommen, heimgekehrt – gescheitert.
Er war mit ihr aufgewachsen. Sie hatten zusammen gespielt, gelacht und sich manchmal gestritten. Sie gehörten zusammen wie der Wind und die Wolken, damals zumindest, als Jugendliche. Er hatte ihre weiche Haut geliebt, ihren Duft, der ein wenig an eine Blumenwiese erinnerte. Er hatte sich gewünscht, die Zeit würde nie enden. Doch die Tage waren viel zu schnell vergangen.
Einmal, als er ihr von Gott und dem reinigenden Feuer erzählte, hatte sie geantwortet: »Du bist schon ein sonderbarer Kauz. Und zu oft mit dem alten Josef zusammen. Der macht dich mit seinen Geschichten und seinen Sprüchen noch ganz wirr im Kopf.«
Sie hatte gelächelt und er hatte gewusst, er liebte sie. Er hatte ihr von seinem Traum erzählt, von dem gemeinsamen Leben, von Kindern.
»Du glaubst doch nicht, dass ich mein ganzes Leben hier in diesem gottverdammten Nest verbringen will und den lieben langen Tag deine Kinder hüten«, hatte sie geantwortet. »Ich will etwas erleben. Und ich will die Welt sehen, bevor ich hier noch ersticke.«
Sie war zu einer schönen jungen Frau geworden, hatte ihr Abitur gemacht und sich um einen Studienplatz in Hamburg beworben. Er hatte zu Gott gebetet und inständig gehofft, dass sie bleiben würde, doch Gott hatte nicht auf ihn gehört. Als sie damals gegangen war, hatte er geweint.
Er würde nie aufhören, sie zu lieben. Aber sie war nur selten in den Ort zurückgekommen.
»Das Studium ist hart, ich bin den ganzen Tag nur am Lernen«, hatte sie zu ihm gesagt. Sie hatte sich zusammen mit ein paar Freundinnen eine kleine Studentenwohnung in der Nähe von Hamburg gemietet. Er hatte ihr jede Woche geschrieben. Anfänglich hatte sie die Briefe noch beantwortet und manchmal, wenn sie nach Wochen wieder nach Hause gekommen war, hatten sie sich getroffen und gequatscht. Doch er hatte gemerkt, dass er sie langsam verlor. Dennoch hoffte er, dass irgendwann alles wieder so werden würde wie früher.
Er hatte nicht aufgehört, ihr zu schreiben, bis ihm dieser tragische Unfall widerfuhr. Danach hatten sie sich nur noch ein einziges Mal getroffen.
»Ich bitte dich, schreib mir keine Briefe mehr«, hatte sie gesagt. »Ich habe einen festen Freund. Es ist etwas Ernstes. Ich will nicht, dass er die Sache missversteht.«
Er hatte genickt und seine Tränen zurückgehalten.
»Wenn wir unser Studium beendet haben, dann werden Joe und ich zusammen nach Amerika gehen«, hatte sie erzählt. »Computerfachleute werden dort immer gesucht.«
Es war das letzte Mal gewesen, dass sie mit ihm gesprochen hatte. Er hatte sie nicht mehr wiedergesehen, trotzdem stand ihm ihr Bild heute wie damals vor Augen. Das war eine Ewigkeit her.
Als er gestern den Weg entlanggegangen war und das kleine Mädchen im Sand hatte spielen sehen, war ihm der Atem gestockt.
»Swantje«, hatte er gestammelt und das blond gelockte Kind angestarrt.
Später hatte er erfahren, dass Swantje mit ihrer kleinen Tochter nach Hause zurückgekehrt war – seit zwei Wochen war sie wieder hier und er hatte es nicht einmal bemerkt.
Am Abend hatte er den alten Onno getroffen. Der wusste alles, was im Dorf und der Umgebung vor sich ging. Und er wusste auch, warum Swantje wieder zurückgekommen war. Ihr schöner großer Plan, die Welt zu erobern, war gescheitert. Ihr Freund hatte das Studium geschmissen, sich eine andere geangelt und sie verlassen. Sie selbst hatte ihr Studium wegen der Schwangerschaft unterbrochen. Amerika würde warten müssen, Swantje war nach Hause zu ihren Eltern zurückgekehrt.
Er wusste nicht, ob er Mitleid mit ihr haben oder sich freuen sollte. Liebte er sie noch, oder liebte er nur das Bild von ihr, das damals in ihm zurückgeblieben war?
Wenn er an die Vergangenheit dachte, sah er das kleine blond gelockte Kind wieder vor seinen Augen. Es war ein Kind der Sünde.
So tötet nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und alle Frauen, die nicht mehr Jungfrauen sind; aber alle Mädchen, die unberührt sind, die lasst für euch leben.
*
Monika Sander warf den Aktenordner wütend zurück auf den Tisch.
»Ich weiß nicht, was ihr die ganze Zeit über gemacht habt, aber saubere Ermittlungsarbeit stelle ich mir anders vor. Die Informationen sind das Papier nicht wert. Ich muss ganz von vorne anfangen.«
Schneider rümpfte beleidigt die Nase. »Jetzt mach aber mal halblang, Monika. Du glaubst wohl, wir ruhen uns den ganzen Tag im Büro auf der faulen Haut aus. Ich habe vier Mann in meinem Dezernat. Sieben Juweliere wurden in den letzten fünf Monaten in der Gegend überfallen, eine Einbrecherbande leert einen Elektromarkt nach dem anderen und immer wieder verschwinden Nobelkarossen von den Parkplätzen. Wir haben eine Bande aus dem ehemaligen Jugoslawien in Verdacht, aber bislang konnten wir ihnen noch nichts nachweisen. Und jetzt kommst du daher und machst Theater, bloß weil wir diesen Spinner nicht dingfest gemacht haben.«
»Er hat bislang elf Brände gelegt«, konterte Monika.
»Er hat elf alte und leer stehende Ruinen angezündet, die früher oder später sowieso abgerissen worden wären«, fiel ihr Schneider ins Wort. »Eigentlich hat er mehr genützt als geschadet.«
»Aber jetzt haben wir einen Toten«, widersprach Monika. »Und alles nur, weil ihr nicht richtig ermittelt habt.«
Schneider fuhr auf. »Wirf mir nicht vor, dass wir nichts unternommen hätten!«, schnaubte er. »Wir haben alles versucht, was möglich war. Aber wir sind hier nicht im FK 1 und können aus dem Vollen schöpfen, so wie ihr. Als ihr hinter dem Wangerlandmörder her gewesen seid, mussten einige von uns euer Kommissariat verstärken, wenn du dich noch erinnerst. Uns wird in solchen Fällen kein Zucker in den Hintern geblasen. Wir sind das ganze lange Jahr auf uns alleine gestellt. Und wirf mir nicht vor, dass ich eine Raubserie diesem Spinner vorziehe, der alte Hütten in Brand steckt.«
Monika Sander griff nach dem Aktenordner und stürmte aus dem Büro.
»Wenn du nicht weiterkommst, kannst du ja zur Alten gehen und die Einrichtung einer Sonderkommission vorschlagen«, rief ihr Schneider nach. »Ihr Zuckerpüppchen vom 1. FK habt doch bei der einen Stein im Brett oder irre ich mich?«
Lautstark warf Monika die Tür ins Schloss. Auf dem Gang blieb sie stehen und atmete tief durch.
Was bildete sich Schneider nur ein?
Sie mochte ihren Kollegen vom 3. Fachkommissariat nicht. Schneider war überheblich, selbstherrlich und arrogant. Er mochte keine Frauen, vor allem nicht bei der Polizei. Doch was sollte sie tun? Sich über ihn bei der Direktorin oder bei Beck beschweren? Nein, diese Blöße würde sie sich nicht geben.
Tills Stimme hinter ihr riss sie aus den Gedanken. »Wo steckst du nur? Ich habe dich schon überall gesucht!«
Sie wandte sich um. »Was ist los?«
»Ich bin den ganzen Vormittag die Bibelzitate noch einmal durchgegangen. Sie stammen alle aus den fünf Büchern Mose.«
»Und was bedeutet das?«
Till zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es noch nicht. Aber ich denke, es muss eine Bedeutung haben.«
»Unser Brandstifter ist eben ein sehr gläubiger Mensch.«
»Das alleine ist es nicht«, entgegnete Till. »Wenn er einfach nur wahllos etwas über Feuer, Opfergaben und Sühne aus der Bibel abschreiben würde, warum dann nur aus den Büchern Mose? Ich kann nicht glauben, dass es Zufall ist. Es gibt weitaus populärere Sprüche.«
»Beginnt das Alte Testament, beziehungsweise die Bibel, nicht mit den Büchern Mose?«, fragte Monika. »Vielleicht hat er schlichtweg vorn angefangen und geht kapitelweise vor.«
»Das dachte ich zuerst auch«, entgegnete Till. »Und die Zitate haben tatsächlich eine chronologische Reihenfolge. Nach Genesis folgte Exodus, das zweite Buch Mose, und dann Levitikus, Buch Nummer drei. Trotzdem glaube ich, dass er ganz bewusst nur Sprüche aus den Überlieferungen von Moses aussucht. Ich habe nur noch keine Ahnung, welche Bedeutung sich dahinter verbirgt. Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass uns die Zitate direkt zu ihm führen werden.«
Monika runzelte die Stirn. »Hast du mit Trevisan schon darüber geredet?«
Till schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wo er steckt. Bislang hat ihn noch niemand gesehen.«
Monika nickte und wandte sich um.
»Da ist noch etwas«, hielt Till sie zurück. »Aus Bremen kam die Nachricht, dass Ammann und Schmitt bei den Kollegen aufgelaufen sind, die beiden Penner, die eine Zeitlang mit Baschwitz herumgezogen waren, unserem Brandopfer. Sie haben für die Brandnacht ein hervorragendes Alibi: Sie saßen in Aurich in einer Ausnüchterungszelle, weil sie in der Fußgängerzone total besoffen randaliert hatten. Die Kollegen in Aurich haben mir das telefonisch bestätigt. Die beiden wurden um 17.52 Uhr in Ausnüchterungsgewahrsam genommen und am nächsten Morgen um sieben wieder freigelassen. Du kannst sie von der Liste der Verdächtigen streichen.«
Monika seufzte. »Zurzeit streiche ich nur noch Namen von irgendwelchen Listen, ich habe die Befürchtung, dass am Ende niemand mehr übrig bleibt.«
Till verzog das Gesicht. »Wir kriegen ihn, wir brauchen nur Geduld.«
»Deinen Optimismus möchte ich haben.«
»Im Grunde genommen glauben der Pessimist und der Optimist an das Gleiche, nur ist der Optimist dabei glücklicher«, entgegnete Till lächelnd.