Читать книгу Das Haus in den Dünen - Ulrich Hefner - Страница 16
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ОглавлениеTrevisan stand vor dem Spiegel im Badezimmer und betrachtete sein müdes Gesicht. An den neu hinzugekommenen Falten war unschwer zu erkennen, dass die Jahre unbarmherzig ins Land zogen. Dabei fühlte er sich überhaupt nicht alt. Vierundvierzig war ja auch kein Alter, obwohl natürlich in seiner Jugendzeit ein Vierzigjähriger schon fast als Opa gegolten hatte. Nein, er fühlte sich noch immer jung.
Er dachte an seinen ersten Tag im Polizeidienst, an die Ausbildung, an die vielen Freundschaften, die er geschlossen hatte und die leider im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten waren, weil sich die Wege trennten. Er dachte an Grit, seine Exfrau, die ihm vor zwei Jahren davongelaufen war und Paula zurückgelassen hatte, um Karriere zu machen. Er erinnerte sich an den Tag, als er Angela kennengelernt hatte. Er erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen.
Er grinste sein Spiegelbild an. Es war schön, nach Hause zu kommen, wenn jemand auf einen wartete. Angela war gestern Abend aus Hamburg zurückgekehrt und betätigte sich gerade als Hausfrau. Er wünschte, es würde ewig so bleiben, doch irgendwie hatte er dabei ein komisches Gefühl. Erst vorgestern, als sie miteinander telefoniert hatten, hatte er ihr gesagt, wie wundervoll die Wochen für ihn gewesen waren, als sie beinahe wie eine richtige Familie zusammengelebt hatten. Angela hatte nur gelacht und geantwortet, dass sie sich ein Leben als Hausfrau überhaupt nicht vorstellen könne, ihr würde bestimmt schon nach kurzer Zeit die Decke auf den Kopf fallen. Er hatte schnell das Thema gewechselt. Es war müßig, darüber nachzudenken, wie das Leben aussehen könnte. Es war nun einmal, wie es war, und damit musste er sich zufriedengeben.
Er legte die Haarbürste zurück auf den Schrank und verließ das Badezimmer.
»Hast du Hunger?«, empfing ihn Angela im Flur.
»Wo ist Paula?«, erwiderte er.
Angela deutete nach oben. »In ihrem Zimmer, ihre Freundin Anja ist bei ihr. Sie will hier schlafen. Ihre Mutter hat nichts dagegen. Morgen wollen sie mit dem Zug nach Oldenburg zum Shoppen.«
Trevisan verzog das Gesicht. »Das geht wieder ganz schön ins Geld.«
»Lass sie. Man ist nur einmal jung. Was ist jetzt, hast du Hunger?«
Trevisan lächelte. »Wie ein Wolf.«
»Dann kannst du dir aussuchen, ob wir zum Italiener gehen oder thailändisch speisen.«
»Und Paula?«
Monika lächelte. »Sie haben schon eine Pizza verdrückt.«
Trevisan zuckte die Schulter. »Na, wenn das so ist. Ich hätte Lust auf etwas Antipasti von mediterranem Gemüse in Olivenöl-Balsamico-Marinade mit gebratenen Gambas in frischem Basilikumpesto …«
»Schon gut, also zum Italiener«, unterbrach Angela Trevisans Schwärmerei. »Ins Vesuvio oder zu Fazios?«
Trevisan überlegte. »Lass uns in die Ebertstraße gehen, ich hätte heute Lust darauf.«
Das Fazios lag unmittelbar neben der Nordseepassage im City Hotel Valois. Das Lokal war gut besucht, dennoch fanden Angela und Trevisan einen Tisch für zwei Personen in einer kuscheligen Ecke. Trevisan trug seinen leichten Sommeranzug und ein weißes T-Shirt, während Angela ein schwarzes Trägerkleid angezogen und die Haare hochgesteckt hatte. Das Fazios war ein Restaurant von gehobenem Ambiente. Trevisan bestellte ein Carpaccio vom Rind mit Zitrone als Vorspeise, dazu eine Flasche Amarone Della Valpolicella. Der Kellner nickte freundlich.
»Hast du heute etwas zu feiern?«, fragte Angela, als der Kellner um die Ecke verschwunden war.
»Wie kommst du darauf?«
»Das Fazios, Vorspeise, ein Rotwein um die dreißig Mark. Bist du befördert worden?«
»Ich hätte es zumindest bald verdient«, entgegnete Trevisan.
Angela lächelte.
»Was hast du heute gemacht?«, wechselte er das Thema.
»Ich habe heute lange geschlafen. Das Telefon hat mich geweckt.«
»Du Arme.«
Angela schüttelte den Kopf. »Es war ein wichtiger Anruf.«
»Unser Versicherungsagent, die Lottogesellschaft oder eine Meinungsumfrage?«, scherzte Trevisan.
»Weder noch«, erklärte Angela. »Du erinnerst dich doch, dass ich dir von diesem Verlag aus München erzählt habe.«
Trevisans Lächeln erfror. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber es gelang ihm nicht.
»Was hast du?«, fragte Angela besorgt.
»Nichts«, erwiderte Trevisan eilig. »Was war mit dem Anruf?«
»Ich habe gute Chancen, den Job zu kriegen«, fuhr Angela fort. »Die Chefredaktion, verstehst du?«
Trevisan schaute aus dem Fenster.
»Ich weiß genau, was du jetzt denkst«, holte ihn Angela aus seinen düsteren Gedanken zurück. »Ich bin keine Hausfrau, das habe ich dir immer gesagt. Schon, als wir das erste Mal zusammen waren.«
»Aber München«, wandte Trevisan ein.
»Hamburg, Westerwerde, München, wo ist der Unterschied?«, fragte Angela irritiert.
»Sagen wir, rund achthundert Kilometer«, entgegnete Trevisan trocken.
»Du hast immer gewusst, dass ich meinen Beruf sehr ernst nehme. Ich sagte dir ständig, die Karriere ist mir wichtig. Ich würde sie nie aufgeben.«
»Ich dachte, dir gefällt es, wenn wir zusammen sind, du und ich und Paula …«
»Das hat damit gar nichts zu tun«, erwiderte Angela streng. »Kündige doch deinen Job und geh mit mir nach München. Der Mann hat nicht automatisch mehr Rechte, nur weil er in der Steinzeit für die Verköstigung der Familie sorgte. Wir leben im 21. Jahrhundert. Und es gibt Flugzeuge und einen ICE, der fast stündlich verkehrt. Es würde sich nichts ändern.«
Trevisan nickte. »Eben, es würde sich nichts ändern.«
»Du kennst doch meine Devise, die eigene Zukunft …«
»… finden, heißt auch, auf eigenen Beinen zu stehen«, vervollständigte Trevisan. Er hatte diesen Ausspruch schon oft gehört, dennoch versetzte er ihm immer wieder einen Stich mitten ins Herz. »Angela, ich liebe dich. Ich möchte mit dir zusammen sein. Ich will nicht, dass du nach München gehst.«
Der Kellner näherte sich.
»Ich liebe dich ebenso, aber ich kann kein Leben in einem goldenen Käfig führen«, erwiderte Angela. »Ich will all meine freie Zeit mit dir und Paula verbringen. Aber das Leben besteht aus mehr als aus Liebe und Gemeinsamkeit. Wenn ich keine Aufgabe hätte, keine Herausforderung mehr spüre, kein Ziel mehr verfolgen dürfte, ich würde … ich wüsste nicht … Bitte zwing mich nicht, zwischen dir und meinem Beruf eine Entscheidung zu treffen. Es wäre, als wenn du mich zwingst, ein Teil von mir herauszuschneiden. Und egal, wie ich mich entscheiden würde, zurückbleiben würde nur der Schmerz und ich wüsste genau, irgendetwas würde mir fehlen. Entweder das eine oder das andere. Es geht nicht darum, was mir wichtiger im Leben ist, es geht nur darum, dass man sich nicht selbst innerlich zerreißt, das habe ich schon einmal durchgemacht und es hat unendlich wehgetan, verstehst du?«
Angelas flehendes Flüstern verstummte, als der Kellner den Wein auf dem Tisch platzierte.
Trevisan wusste genau, was sie meinte. Nur seine Gefühlswelt kam damit nicht klar.
Der Kellner servierte das Carpaccio.
Angela schwieg, bis der Kellner wieder verschwand.
»Lass uns morgen darüber reden«, sagte sie. »Wir sind hierher gekommen, um zu essen. Ich …«
»Schon gut, ich verstehe, was du mir sagen willst«, entgegnete Trevisan. »Es ist nur nicht leicht für mich, es zu akzeptieren. Ich brauche Zeit, um damit klarzukommen.«
Trevisan aß, aber der Appetit war ihm vergangen.
*
Der flackernde Schein des Feuers erhellte die Nacht. Er hatte sich auf einen Baumstumpf in der Nähe niedergesetzt und genoss den züngelnden Tanz der Flammen. Immer höher schoss die Flammensäule in den Nachthimmel. Funken stoben hervor und verglühten nach einem kurzen Flug in der Dunkelheit. Eine graue Rauchsäule wuchs in den Himmel. Zufrieden seufzte er. Noch war der Brand in seiner Ausbreitungsphase, noch hatten die Flammen nicht jeden Punkt des Gebäudes erreicht. Dennoch wusste er, der Lichtschein war weit hinaus zu sehen. Am liebsten würde er bleiben, bis das letzte Leben in seinem Kind erloschen war, doch er wusste, dass er gehen musste. Er erhob sich, und verstaute seine Utensilien im Rucksack. Niemand durfte ihn in der Nähe sehen, niemand durfte sich auch nur einen vagen Eindruck von ihm verschaffen. Dennoch würde er in der Nähe bleiben, bis das letzte Licht erlosch.
Irgendwie war es gespenstisch. Im flackernden Licht erschien es, als ob die Bäume rund herum zum Leben erwacht wären. Er griff nach dem schwarzen Kanister, dann machte er sich auf den Weg. Der kleine, ausgetretene Trampelpfad führte durch den Wald. Niemand war um diese Zeit hier unterwegs. Er warf einen letzten Blick zurück. Das Feuer hatte nun das ganze Gebäude erfasst. Kurz blieb er stehen. Seine Augen glänzten. Schließlich stürzte das Dach unter lautem Donnern ein. Der Höhepunkt war erreicht. Er ging weiter. Auch wenn es bereits nach Mitternacht war, konnte er nicht ausschließen, dass jemand das Feuer entdeckt hatte. Es gab immer ein paar Augenpaare, die keine Ruhe in der Nacht fanden, egal wie spät es war.
Er beeilte sich, aber er rannte nicht, er hatte sein Tempo gefunden. Es nutzte nichts, wenn er über einen Baumstumpf stolperte und sich ein Bein brach. Seine Aufgabe hier in dieser Welt war längst noch nicht erfüllt. Für den Rest des Pfades, der durch eine kleine Schonung mit Jährlingen führte, nahm er sich Zeit. Hier war das Gelände noch unwegsamer als zuvor.
Dahinter lag die Straße. Dort hatte er verdeckt auf einem Waldparkplatz seinen Wagen abgestellt. Er überwand mit traumwandlerischer Sicherheit die letzte Hürde. Als er sich ins Auto setzte, atmete er erst einmal durch. Dann ließ er den Motor an, legte den ersten Gang ein und fuhr langsam hinaus auf die Landstraße nach Friedeburg. Zuvor schaute er sich noch einmal um, weit und breit war niemand zu sehen. Und das Feuer des Herrn brach mitten unter ihnen aus und griff am Rande des Lagers um sich. In ihrer Angst wandten sie sich an den Propheten und er betete für sie. Siehe da, das Feuer erlosch und von nun an hieß dieser Ort Tabera. Und er ward ihnen heilig.
*
02.37 Uhr zeigten die roten Ziffern des Radioweckers, als das Klingeln des Telefons Monika aus dem Schlaf schreckte.
Der Feuerteufel hatte wieder zugeschlagen. Er hatte eine Waldhütte bei Schoost angesteckt. Monika war sofort hellwach. »Wurde jemand getötet?«
»Bislang wissen wir es noch nicht«, erwiderte der Kollege vom Bereitschaftsdienst. »Die Feuerwehr ist noch zugange.«
»Ich komme«, beeilte sie sich zu sagen und legte auf.
Kleinschmidt schimpfte wie ein Rohrspatz, als Monika zusammen mit Dietmar Petermann am Brandort eintraf.
»Schöne Scheiße, das hier! Eine einfache Waldhütte und kein Mensch weit und breit. Dafür holt man mich aus dem Bett und ich kann mir hier die Nacht um die Ohren schlagen. Dabei feiert meine Schwester heute ihren Sechzigsten. Wir sind alle eingeladen. Um zehn treffen wir uns bei ihr, dann gehen wir in ein Gasthaus zum Essen. Aber das kann ich jetzt vergessen.«
»Es ist erst vier Uhr«, antwortete Dietmar Petermann sarkastisch. »Wenn du dich beeilst, dann kommst du zumindest rechtzeitig zum Geburtstagsmenü.«
Kleinschmidt winkte ab. »Die Feuerwehr braucht noch etwas Zeit, bevor wir ran können.«
»Wie sieht es aus?«, fragte Monika und schaute auf den qualmenden Schuttberg, der sich vor ihr im Licht einiger Scheinwerfer zeigte. Zwei Tanklöschwagen standen auf dem Feldweg und mindestens zwanzig Feuerwehrleute waren mit Löscharbeiten beschäftigt.
»Er hat sich diesmal ein ganz entlegenes Objekt ausgesucht«, entgegnete Kleinschmidt. »Ich denke nicht, dass wir eine Leiche finden werden. Es ist eine Hütte der Forstbehörde. Ein Lagerraum für Werkzeug.«
»Und woher weißt du, dass es der Feuerteufel war?«
Kleinschmidt ging zum Wagen, den er auf dem Feldweg abgestellt hatte. Als er zurückkehrte, streckte er Monika eine Tüte entgegen. »Das lag auf dem Baumstumpf dort hinten.«
Es war ein Din-A4-Blatt. Monika las laut: »Und das Feuer des Herrn brach mitten unter ihnen aus und griff am Rande des Lagers um sich. In ihrer Angst wandten sie sich an den Propheten und er betete für sie. Siehe da, das Feuer erlosch und von nun an hieß dieser Ort Tabera. Und er ward ihnen heilig.«
Ein Feuerwehrmann kam auf die Gruppe Kriminalbeamter zu. »Wir sind jetzt durch. Ich kann definitiv sagen, dass da keiner drinnen war.«
»Dann war die Sache am Hafen wohl doch nur Zufall«, mutmaßte Dietmar.
»Wir machen uns jetzt an die Spurensicherung«, erklärte Kleinschmidt. »Die Feuerwehr unterstützt uns. Aber ich sehe nicht viel Hoffnung. Den äußeren Bereich haben wir schon oberflächlich abgesucht und falls es Reifenspuren auf dem Weg gab, haben die schweren Laster sie überrollt.«
»Dann könnten wir ja praktisch wieder nach Hause«, sagte Dietmar.
»Wir bleiben hier«, entschied Monika. »Horst wird bei der Spurensuche jede Hilfe gebrauchen können.«
Dietmar verzog das Gesicht. »Na gut, und wo fangen wir an?«
Kleinschmidt deutete in Richtung des südlichen Waldstückes. »Du nimmst vier Mann und suchst das Wäldchen dort unten ab. Die Feuerwehrmänner haben Taschenlampen und starke Scheinwerfer dabei.«
»Sollten wir nicht warten, bis es hell geworden ist?«, fragte Dietmar.
Kleinschmidt schaute in den sternenlosen Himmel. »Es ist bewölkt, wir können nicht ausschließen, dass es regnet. Erinnere dich an die goldenen Regeln der Spurensicherung, oder liegt dein Lehrgang schon zu lange zurück?«
Dietmar schniefte. »Schon gut.«
»Ich werde mich mit Hanselmann um den Brandort kümmern, nehmt ihr euch die Umgebung vor. Es sind zwei Wehrleute aus Schoost dabei, die kennen sich hier gut aus. Ich werde sie zu euch schicken.«
Monika warf einen Blick auf ihre Schuhe.
Kleinschmidt bemerkte es. »Ich habe Gummistiefel im Wagen, die müssten dir passen.«
»Also los, dann an die Arbeit, Dietmar. Vielleicht reicht es dann wirklich noch zum Geburtstagsessen«, entgegnete Monika.