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Franz

Von acht Mann gleichzeitig ausgeführt, klingt es wie ein kurzer dumpfer Schlag. Davon wird kein Schlafender wach. Und so geräuschlos, wie diese schwarzen Schatten im Licht der vom Halbmond beschienen Steppe zu ihrer Bluttat herangeschlichen sind, verschwinden sie wieder. Als Franz Reimann morgens erwacht, liegen die Köpfe seiner Kameraden halb abgetrennt im Sand. Der kleine Trupp des Pommerschen Jäger-Batallions hat im Freien kampiert. Franz hatte sich etwas abseits unter einen Felsblock hingelegt, sich seinen Schlafsack über die Ohren gezogen und war regelrecht in ihm abgetaucht. Der mörderische nächtliche Besuch muss ihn übersehen haben.

Es ist der 28. März 1904, und Franz beeilt sich, zu seiner Kompanie zurückzukommen. Allein kann er nun nicht mehr das Gelände durchkämmen und aufklären, wo sich der Feind aufhält. Der Schrecken sitzt ihm in den Gliedern. Es ist seine erste Lektion über den Kampf aus dem Hinterhalt. Die Tücke lässt ihn erschaudern. Dass Telegraphenleitungen gekappt und Schienen herausgebrochen werden, kann er ja noch verstehen. Die Überfälle auf die deutschen Siedler, das Abbrennen ihrer Höfe und Töten der Männer jedoch nicht. Daher bereut er es nicht, sich freiwillig aus dem frostigen, verschneiten Ostpreußen zu diesem Einsatz unter afrikanischer Sonne gemeldet zu haben. Es gilt, die Schutztruppe in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika zu verstärken, die seit Anfang Januar den Aufstand der Hereros niederringen muss. Jetzt erst recht, denkt er und weiß sich eins mit der weit verbreiteten Meinung, dass die schwarze Rasse der weißen geistig und kulturell unterlegen sei. Die Dampflok halten sie für einen bösen Geist und laufen davon! Als er das gleich nach seiner Ankunft in Swakopmund sah, schüttelte er sich vor Lachen.

Noch nicht dreiundzwanzig Jahre alt und ein ausgezeichneter Schütze, dank seiner ruhigen Hand und guten Sehkraft, und damit bestens geeignet für das Jäger-Bataillon, das in kleinen Gruppen die Vorhut bildet, auskundschaftet und, wenn möglich, mal einen gezielten Schuss auf einen der gegnerischen Anführer absetzt. Franzens Treffgenauigkeit hat einem Kameraden schon die Taschenuhr gekostet. Sie hatten gewettet, dass er sie auf hundert Meter träfe. Und er traf. Seine Frau berichtete von diesem Meisterschuss noch ihren Enkelkindern.

Die deutsche Schutztruppe ist überlegen, und von der politischen Wirkung der Proklamation des Oberbefehlshabers Lothar von Trotha, wonach die Hereros beinahe vollständig ausgerottet worden wären, weiß Franz nichts. Ihm erschließt sich auch nicht das Rücksichtslose und Menschenverachtende dieses Krieges in der deutschen Kolonie. Für ihn besteht die einheimische Bevölkerung, die sich niemandem unterordnet und wo jeder mitreden und tun darf, was er will, aus Primitiven. Und so ist es für ihn ein Krieg, wie er ihn aus der Geschichte kennt: Der Gegner hat sich ins Unrecht gesetzt. Was ihn dazu veranlasst hat, danach fragt Franz nicht. Sie haben die deutschen Kolonialherren angegriffen, Farmen, Eisenbahnlinien und Handelsstationen zerstört. Folglich müssen wieder Ordnung geschaffen, die Rechte der Siedler wieder hergestellt werden. Wofür die Zigtausend Toten tatsächlich „geopfert“ werden, darüber denkt er nicht weiter nach. Er muss ja auch nicht bis zum Ende dieses zermürbenden Krieges mit den Herero und Nama in den Tropen bleiben. Und so erfüllt es ihn mit Genugtuung, an dieser Strafaktion gegen die aufständischen Eingeborenen teilgenommen zu haben.

Als Franz geboren wurde, bestand das Deutsche Reich gerade zehn Jahre. In seiner Geburtsurkunde heißt es noch umständlich: V or dem unterzeichneten Standesbeamten erschien heute, der Persönlichkeit nach bekannt, der Wirt Gottfried Reimann, wohnhaft zu Rauschbach, evangelischer Religion, und zeigte an, dass von der Auguste Reimann, geb. Block, seiner Ehefrau, evangelischer Religion, wohnhaft bei ihm, zu Rauschbach in seiner Wohnung am fünften September des Jahres tausendachthundertachtzigundeins um acht Uhr ein Kind männlichen Geschlechts geboren sei, welches den Vornamen Franz erhalten habe. Ausgestellt zu Hohenfürst am 11. September 1881 .

1906 in die Heimat entlassen, lernt er in Preußisch-Holland Emma kennen. Die Tochter eines Schmiedes aus Hagenow ist Waise und lebt bei Onkel und Tante. Fünf Jahre jünger, mit gerade mal zwanzig Jahren, bewundert sie den feschen Obergefreiten. Ihre Hingabe geht jedoch nicht so weit, seinem Vorschlag zu folgen, nach Südwestafrika – sofern dort Ruhe eingekehrt sei – auszuwandern und eine Farm zu gründen. Franzens Schwärmerei für Afrika ist ihr nicht ganz geheuer. Bleibe im Lande und nähre dich redlich, hält sie ihm instinktsicher entgegen. Und – war es Bauchgefühl oder Leidenschaft? – sie heiraten am 12. März 1907, und nach acht Monaten wird im November der erste Sohn geboren. Im Abstand von zwei Jahren folgen zwei weitere Kinder, ein Sohn und eine Tochter. So hat Emma mit Fünfundzwanzig hinter sich, was zu späterer Zeit manche Dreißigjährige noch vor sich hat.

Und der verantwortungsbewusste Franz hat von nun an eine sehr ernsthafte, hautnahere Motivation, als er gleich im August 1914 gegen die Russen mit zu Felde zieht. Als wären die Siege schon errungen, bricht er zuversichtlich zur Verteidigung von Ostpreußen auf, hilft siegen bei Gumbinnen und Tannenberg, Grodno erobern, verfolgt in Dezemberskälte den Feind vom Njemen zur Beresina und kämpft, inzwischen Feldwebel, schließlich in bulgarischen Sümpfen – immerhin hat er sich ja als tropentauglich erwiesen.

Ohne eine Schramme, dafür mit dem Eisernen Kreuz und anderen Auszeichnungen kommt er nach Hause. Was da schief gelaufen ist, kann er nicht verstehen: Waren sie nicht unbesiegbar? Hatte die Regierung je einmal von aussichtsloser Lage gesprochen? Vom Waffenstillstand wurde er geradezu überrascht.

Eine Beamtenlaufbahn schafft Sicherheit. Als Steuereinzieher dient er fortan dem Staat, dem neuen, nichtkaiserlichen. Eine andere als die debattierende Obrigkeit könnte er sich vorstellen, ist aber im Innersten viel zu sehr Soldat, als dass er eine amtierende Herrschaft in Frage stellt. In Königsberg, wo seine Familie inzwischen sesshaft geworden ist, steht er dem Verein ehemaliger Kämpfer aus Deutsch-Südwestafrika vor, zumindest den ostpreußischen. Bei Paraden marschiert er mit seiner kleinen Truppe am alten Hindenburg, dem verehrten Relikt aus dem Kaiserreich, vorbei, selbstverständlich im Zylinder, Gehrock und Stechschritt, an seiner Brust in doppelter Reihe die Orden, die er sich in den diversen Schlachten verdient hat und auf die er stolz ist. Hinter ihm seine Kameraden in ihrer Uniform aus Deutsch-Südwest. Selbst beim Spaziergang am Sonntagnachmittag durch die Parkanlagen Königsbergs ist das soldatische Element präsent: Die Kinder in einer Reihe vor den Eltern und von hinten die Stimme von Vater Franz: Brust raus, Bauch rein, Augen geradeaus! Er ist in erster Linie Preuße, Ostpreuße, um genau zu sein, dann Deutscher und von einem, wie er meint, gesunden Nationalbewusstsein, das den Antisemitismus, wie er im 19. Jahrhundert in ganz Europa wieder einmal aufblühte, ablehnt, nicht zuletzt, weil er im Judentum nichts Feindliches erkennen kann.

Nachdem dieser Vielfrontenkrieg verloren ist – ihm im Grunde nach wie vor unverständlich, denn kein Feind überschritt die deutschen Grenzen – trauert er im Stillen dem abgedankten Kaiser nach. Ansonsten arrangiert er sich mit den Verhältnissen, sympathisiert mit keiner der privaten Militärtruppen, keinem der Freikorps, die sich die Ohnmacht der regierenden Politiker zunutze machen, sondern übt mit äußerster Korrektheit sein Amt aus und wird befördert bis zum Stadtvollziehungsobersekretär.

Franz Reimann ist ein gewissenhafter, pflichtbewusster Mensch. Und wenn er diese Eigenschaften nicht schon anderen unterstellt, so erwartet er sie doch von ihnen und vertraut darauf: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand. Daher können die Unruhen, die rasch wechselnden Regierungen in der jungen Republik kaum Befürchtungen in ihm wecken. Über kurz oder lang würde der Kaiser wieder das Heft in die Hand nehmen und die alte Ordnung wieder hergestellt sein, glaubt er. Er für sein Teil gbit die verinnerlichten Werte derweil an seine Kinder weiter, vorzugsweise an seine Söhne, wobei er überzeugt ist, dass Gehorchen, aufs Wort gehorchen die Grundlage für ein anständiges und erfolgreiches Leben bildet. Darin stimmt er nicht nur mit den Lehrern seiner Kinder überein. Ihnen gilt die Rute als das beste aller Erziehungsinstitute. Die Prügelstrafe gehört zur Tagesordnung, und wahrscheinlich hätte man damit die Schwarzen in den Kolonien früher oder später auch noch zu manierlichen Menschen machen können, wenn das deutsche Besitztum in Afrika nicht durch den unsäglichen Versailler Friedensvertrag verloren gegangen wäre. Womit haben wir es verdient, dass wir durch diesen Vertrag dermaßen gedemütigt und deklassiert werden? fragt er bisweilen seine Emma, und die seufzt nur wortlos.

Sparsam sind sie beide, Franz und sein 'Emmchen'. Auf großem Fuße leben sie nicht und haben eine Wohnung im Stadtteil Sack-heim bezogen. Hier kennt man die Annehmlichkeit elektrischen Lichts noch nicht und verbringt die Abende auch nicht am Rundfunk, schon gar nicht vor dem Fernsehgerät, das es noch nicht gibt. Man liest bei Kerzenlicht, für die Kinder Märchen, wenn die nicht gerade mit dem Baukasten aus gebrannten Tonsteinen spielen. Strom aus der Steckdose gibt es lange Zeit nicht. Sogar Berlin ist in den Zwanzigern erst zur Hälfte und ganz Deutschland erst in den Vierzigern an das Stromnetz angeschlossen, und das dient vor allem dazu, um in den Wohnungen Licht zu haben, denn elektrische Geräte kennt man kaum.

Und dann verwunderlich, oder vielleicht aufgrund ihrer genügsamen Lebensweise gerade nicht, dass dieser Beamte aus den unteren Rängen noch vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch und der Währungsreform ein Eigenheim besitzt, mit fließend Was-ser, Badewanne und Spülklosett. Bei Weitem keine Selbstverständlichkeiten. In Kalthof, am Rande der Großstadt: Seine erholsame Insel im glanzlosen bürgerlichen Alltag, in dem Gefühle zu zeigen nicht schicklich ist und daher schamhaft unterdrückt wird. Am Häuschen wird keineswegs ein Ziergarten angelegt. Da werden Obst und Gemüse angebaut, Beerenfrüchte für Marmelade gezogen und Hühner gehalten, womit ein Teil des Lebensunterhalts schon mal gesichert ist. Und man geht noch kilometerweit zu Fuß oder bewegt sich mit Pferd und Kutsche oder der kohlebetriebenen Dampfeisenbahn fort.

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